Und Europa weiter Empirie-resistent: Griechisches Defizit fällt höher aus!
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 24.10.2012
… und sicher wie das „Amen“ in der Kirche ist, dass „unsere“ Eliten in EU und IWF aus dieser Empirie – wieder! – nicht das Geringste lernen werden – und weiter das „Sparen“ für den besten Weg zum Wachstum halten (vgl. dazu die letzten beiden Abschnitte – vor allem „Der IWF bestenfalls im Übergang“ (auf der Seite 8 bei archiv.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl40.html) – oder haben wir es einfach mit einer „Klasse“ von Sadisten zu tun?
Aber es war vorauszusehen, dass uns jetzt diese Meldung erreicht: „Verschuldung: Griechenlands Defizit fällt höher aus“ (http://www.fr-online.de/schuldenkrise/verschuldung-griechisches-defizit-faellt-hoeher-aus,1471908,20679910.html ). Dabei hatte gerade der IWF selbst aus seiner Forschungsabteilung heraus die klaren empirischen Ergebnisse geliefert, dass der „Spardiktat-Weg“ – mit dem EU-Fiskalpakt – beschlossen Ende Juni in Brüssel – eine klare Sackgasse und blöder Irrweg bleibt.
Ein Forscher-Trio um die IWF-Volkswirtin Nicoletta Batini hatte nämlich historische Sparprogramme in Industrieländern untersucht und festgestellt, dass ein zu radikaler Sparkurs in ökonomisch schlechten Zeiten kontraproduktiv ist: „Er kann die Rezession verlängern, ohne die erwarteten Einsparungen bei den Staatsfinanzen zu bringen“, schreiben die Forscher.
Diese – empirische – Studie legt also die Schlussfolgerung nahe, dass der harte Konsolidierungskurs, zu dem die Griechen gezwungen wurden, die Probleme verschlimmert hat. Dabei hat Griechenland nach den Zahlen des – deutschen – Sachverständigenrates so viel gespart wie kein anderes europäisches Krisenland… (www.handelsblatt.com/politik/oekonomie/nachrichten/iwf-studie-radikales-sparen-verstaerkt-die-rezession/7044844.html sowie www.zeit.de/wirtschaft/2012-08/iwf-studie-sparen-rezession/komplettansicht )
Auf diese Studie bezieht sich auch der Wirtschaftsweise Peter Bofinger in einem jüngsten Aufsatz (z.B. Seite 3 f.). In seinem „Infernalischen Dreieck“ schreibt er: „Zweitens: Die makroökonomische Krise oder: Brüning lässt grüßen“ – Besonders gravierend sind die Auswirkungen in Griechenland, dem die Sparprogramme von außen diktiert wurden. Zum Schaden des Landes wurden die restriktiven Wirkungen der Konsolidierung von der Troika erheblich unterschätzt“. (www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2012/oktober/das-infernalische-dreieck ) Und etwas später fährt er fort: „Wenn der Euro die nächsten Monate überleben soll, muss zunächst alles getan werden, um das „Infernalische Dreick zu überwinden…“ In diesem Zusammenhang erklärt er: Es wäre schon viel erreicht, wenn die Regierungen darauf verzichten würden, in diesem und im nächsten Jahr noch weitere Sparmaßnahmen umzusetzen. Immerhin würde so der Fehler Heinrich Brünings nicht wiederholt. Kurzfristig kann es dabei zwar zu höheren Defiziten kommen, aber wenn man damit vermeiden könnte, dass Italien und Spanien in eine ähnlich desolate Situation wie Griechenland geraten, wäre viel gewonnen. Das Beispiel Griechenland zeigt dabei zugleich, dass überzogenes Sparen zu einem besonders starken Anstieg der Staatsschuldenquote führen kann“ (S. 6 f.).
Noch etwas drastischer und konkret zugespitzt auf die Kosten artikuliert das Scheitern an und über Griechenland in der Eurozone eine Studie von Bertelsmann: Der Euro-Austritt Griechenlands könnte weltweite Wirtschaftskrise auslösen – deshalb warnt die Stiftung vor weitreichenden Dominoeffekten. (http://idw-online.de/de/news501931 ) „Für Griechenland wäre das Szenario mit einem Staatsbankrott, einer massiven Abwertung der neuen griechischen Währung, Arbeitslosigkeit, Nachfrageverlusten u.v.a. verbunden, was sich bereits schnell auf seine direkten Handelspartner auswirkt… Die 42 wichtigsten Volkswirtschaften der Welt müssten in der Summe aber bereits einen Verlust von insgesamt 674 Milliarden Euro verkraften. Da aber nicht auszuschließen ist, dass ein Euro-Austritt Griechenlands massive Folgen auch für weitere südeuropäische Krisenländer hätte – z.B. Portugal (es erfolgen Berechnungen für den „Ausfall“ Portugals)… noch weitaus dramatischer wäre das Szenario, wenn auch der Ausstieg Spaniens dann mit einberechnet wird (… für Deutschland wäre dann die Folge ein Verlust von 10.500 Euro pro Kopf über acht Jahre bis 2020…). „Wir müssen jetzt in der aktuellen Situation – meinte auch der Vorsitzende der Bertelsmann-Stiftung Aart de Geus – den Ausbruch eines Flächenbrandes verhindern“.
Ökonomische „Vernunft“ auf Seiten der „Massen“: ein Generalstreik!
Einleitend dazu kann man lesen „Europas vorprogrammierte „Generalstreikwellen“ bei Beseitigung der letzten Reste eines sozialen Europa“ (archiv.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl19.html) Und angesichts des in den letzten Tagen stattgefunden Generalstreiks in Griechenland gegen das neue 13,5 Milliarden-Sparpaket (www.tagesschau.de/wirtschaft/streikgriechenland120.html ) muss man sagen, hier liegt einfach mehr Vernunft für einen Weg Griechenlands aus dieser Krise heraus – als bei dem ganzen Spardiktat-Irrsinn, den jetzt auch noch der sozialistische Staatspräsident von Frankreich, Francois Hollande mitgetragen hat – und diesen Beschluss von Ende Juni in Brüssel auch noch richtig findet. (Vgl. den ganzen Abschnitt „Fiskalpakt-Agenda am Beispiel Griechenlands“ auf der Seite 3 ff. bei archiv.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl40.htmlund zu dem französischen Staatspräsidenten Hollande siehe ebendort auf der Seite 6 ab dem 3. Abschnitt (= „der neoliberale Hegemon Deutschland bleibt ungestoppt“)
Und noch „eine verlorene Generation“ für Europa – oder ein „Arabischer Frühling“ für Europa?
Nur, die Folgen dieses dogmatisch-blockierten Spardiktats für die europäische Gesellschaft gehen weit über Griechenland noch hinaus.
Millionen Jugendlich haben jetzt in Europa im Verlauf der Krise auch keinen Job für sich finden können. Das belastet die Sozialsysteme der EU enorm. Die Jugendarbeitslosigkeit kostet die EU-Staaten 153 Milliarden Euro.
Die OECD aber sieht nicht nur wirtschaftliche und soziale Folgen, sondern befürchtet auch Konsequenzen für die Gesellschaft – und warnt vor Verhältnissen wie im „Arabischen Frühling“ (www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verlorene-generation-jugendarbeitslosigkeit-kostet-eu-staaten-milliarden-euro-1.1502579 ).