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Menschenverachtende Arbeitsbedingungen auch beim größten europäischen Transportunternehmen „Girteka Logistics“ aus Litauen
Das Unternehmen Girteka Logistics mit der europaweit mittlerweile größten LKW-Flotte gibt sich nachhaltig und grün. Die Arbeitsbedingungen sind es jedoch nicht. Die niederländische Gewerkschaft FNV hat einen Bericht zu den Bedingungen zusammengestellt und u.a. dabei mit dem Guardian zusammengearbeitet. Und „Faire Mobilität“ weist darauf hin, dass bereits länger bekannt sei, dass das Unternehmen Arbeitende auspresst und ein menschenwürdiges Leben durch Überziehung der Arbeitszeiten, Lohnbetrug und zu enge Kabinen in den LKWs unmöglich macht. Ähnlich, wie bei der polnischen Firmengruppe Mazur – und auch bei Girteka gehört IKEA zu den Großkunden… Wann wird es bei Girteka auch zum Streik kommen, wie dem der Lkw-Fahrer aus Georgien und Usbekistan für Mazur auf der Autobahnraststätte Gräfenhausen? Siehe den angesprochenen Guardian-Artikel und weitere Informationen zu der Situation bei Girteka:
- Kraftenwagenfahrer*innen beim litauischen Unternehmen Girteka – niedrige Löhne, Strafzahlungen für Treibstoff, beengte Kabinen
„Fahrer*innen eines der größten europäischen Lieferunternehmen, das für Amazon, Ikea und DHL arbeitet, behaupten, dass sie keine andere Wahl haben, als monatelang in ihren Lastwagen zu schlafen und in den meisten Ländern, die sie besuchen, weit unter dem Mindestlohn verdienen, wie eine Untersuchung des Observer ergab.
In einer Reihe von Interviews, die im März in Belgien geführt wurden, sagten die Fahrer*innen des litauischen Transportunternehmens Girteka, das nach eigenen Angaben 19.000 Menschen in ganz Europa beschäftigt, dass sie wochenlang in engen Fahrerkabinen schlafen und sich oft eine Koje mit einem Beifahrer teilen. Sie behaupteten, dass das Unternehmen die Kosten für den Zugang zu Toiletten und Duschen an Raststätten oder für Parkplätze nicht angemessen abdeckt, es sei denn, sie transportieren eine besonders wertvolle Ladung. Die Fahrerinnen und Fahrer berichteten auch, dass sie Bußgelder für einen hohen Dieselverbrauch erhalten haben, z. B. wenn Kraftstoff gestohlen wurde oder wenn sie in kalten Nächten auf der Straße den Motor laufen ließen, um ihre Kabinen zu heizen. Ein Fahrer beschrieb, wie er an Heiligabend 2020 mit Nierenversagen und Herzproblemen zusammenbrach, nachdem er das Pandemiejahr auf der Straße verbracht und in seinem Fahrerhaus geschlafen hatte. Anstatt einen Transport zu organisieren, der ihn nach Hause bringt, wurde er nach Angaben von Yurii Kryvonos drei Tage lang von einem Auszubildenden als Beifahrer auf einer 800 Meilen langen Fahrt von der Tschechischen Republik zu seiner Unterkunft in Litauen eingesetzt.
Nachdem Ikea von den Vorwürfen erfahren hatte, leitete das Unternehmen eine Untersuchung ein und erklärte, dass es nach der Bewertung der Situation „alle notwendigen Maßnahmen“ ergreifen werde. „Es ist unverzichtbar, dass alle Arbeitenden, die Ikea-Waren transportieren und umschlagen, gute und faire Arbeitsbedingungen haben“, so der Einzelhändler in einer Erklärung. Ikea gab an, Girteka zuletzt 2021 geprüft zu haben. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Kryvonos für Ikea gearbeitet hat. Von seinen drei Standorten in Litauen und Polen aus betreibt das Familienunternehmen Girteka mehr als 9.000 Lkw, die jährlich 880.000 Ladungen in Länder von Osteuropa bis nach Großbritannien transportieren, und beschäftigt über zahlreiche Tochtergesellschaften Fahrer*innen. Die von der Familie Liachovičius gegründete Gruppe, die 1996 mit einem einzigen Lkw begann, bietet nach eigenen Angaben „verantwortungsvolle Logistik“ an und legt dabei den Schwerpunkt auf „Verkehrssicherheit, Umweltschutz und das Wohlergehen der Gemeinschaft“. Sie ist dem UN Global Compact für Menschenrechte beigetreten, in dem sich Unternehmen verpflichten, sich nicht an Menschenrechtsverletzungen zu beteiligen. Außerdem verspricht das Unternehmen auf seiner Website die „Möglichkeit, 1.995 bis 2.480 € pro Monat“ nach Steuern zu verdienen – das sind etwa 1.750 bis 2.200 £, also etwas mehr als der Durchschnittslohn in Großbritannien. Informationen, die mit Hilfe des niederländischen Gewerkschaftsbundes FNV gesammelt wurden, deuten jedoch darauf hin, dass viele Fahrer*innen in den Ländern, in denen sie ausliefern, deutlich weniger als den Mindestlohn verdienen.
Girteka ist rechtlich in der Lage, den Mindestlohn für Litauen zu zahlen, wo das Unternehmen seinen Sitz hat – das sind 5,14 € (4,53 £) pro Stunde – obwohl die Fahrer die meiste Zeit woanders verbringen. Im Vereinigten Königreich beträgt der gesetzliche Mindestlohn 10,42 Pfund pro Stunde, in Deutschland 12 Euro und in Spanien mindestens 8,45 Euro.
Ein FNV-Organisator, Edwin Atema, sagte: „Yurii ist nur einer von Tausenden von Fahrern, die darunter leiden, dass sie für dieses Unternehmen und andere ähnliche Unternehmen arbeiten.“ Er sagte, dieser Zustand sei „systemisch in ganz Europa“ und fügte hinzu: „Girteka und seine Kund*innen haben die UN-Leitprinzipien für Menschenrechte unterzeichnet, aber diese nette Politik erreicht Fahrer*innen wie Yurii nicht.“
In einer Erklärung erklärte Girteka, dass der örtliche Ausschuss für Arbeitskonflikte den Fall von Kryvonos geprüft und zugunsten des Unternehmens entschieden habe. Girteka erklärte, dass es „die Gesetze, Regeln, Bestimmungen, Normen und Standards in jedem Bereich und in jedem Land, in dem wir tätig sind, einhält“ und dass es die Gesetze zur fairen Bezahlung befolgt. „Wir bemühen uns, die besten Praktiken der Straßengüterverkehrsbranche zu befolgen, einschließlich eines stärkeren Fokus auf die Arbeitsbedingungen und das Wohlbefinden der Fahrer*innen“, heißt es. „Und obwohl wir keineswegs perfekt sind, sind wir offen und bereit, uns allen Anfragen und Diskussionen zu allen Bereichen unseres Betriebs zu stellen.
Kryvonos, 46, arbeitet seit 2018 für Girteka. Er sagt, dass er bei guter Gesundheit war, als er von seinem Heimatland Ukraine nach Litauen zog, um die Stelle anzutreten. „Mein ganzes Leben lang habe ich Sport getrieben und diese Art von Problemen hatte ich vorher nicht. Ich habe nicht geraucht oder getrunken, das war wie ein Tabu für mich.“ Im Winter 2020, nach Monaten auf der Straße, begann er sich unwohl zu fühlen. „Das war während Covid. Jedes Mal verlangte das Unternehmen, dass ich ein bisschen mehr arbeite, und jeden Monat bekam ich einen neuen Auszubildenden [Fahrschüler]. Wenn du alleine arbeitest, kannst du nicht so viele Stunden arbeiten – mit einem Auszubildenden kannst du mehr arbeiten. Ich habe natürlich viel in der Nacht gearbeitet … das ging alles auf meine Gesundheit.“ Nachdem er mit Herz- und Nierenversagen zusammengebrochen war, wurde er an Heiligabend in ein Krankenhaus in der Tschechischen Republik gebracht und blieb dort mehrere Wochen lang auf der Station. Als er das Krankenhaus wieder verlassen konnte, empfahlen ihm die Ärzte, jeden zweiten Tag zur Dialyse zu gehen. Er wandte sich an seinen Arbeitgeber, um nach Hause zu kommen. Anstatt ein Auto oder einen privaten Krankenwagen zu organisieren, wurde er gebeten, in einem Lastwagen nach Litauen zurückzukehren. Der andere Fahrer war ein Auszubildender, und Kryvonos sagte, dass er gelegentlich das Steuer übernehmen musste und dass die beiden unterwegs Ladungen abholen sollten. Als er zu Hause ankam, war er sehr krank…“ Artikel von Sarah Butler vom 7. Mai 2023 im Guardian Online („Low pay, fuel fines, cramped cabs: drivers at haulier used by major retailers speak out”) - ‚Drive until you drop‘
„Treffen Sie Yurii, einen ausgebeuteten ukrainischen Lkw-Fahrer, der für @GirtekaGroup Litauen arbeitet. In diesem Film, wie Yurii unterwegs fast gestorben wäre: https://m.youtube.com/watch?v=3Fi91sWhG9A. Girteka und seine Kunden @IKEA @amazon engagieren sich für UN @globalcompact, haben aber nicht gehandelt, um Yurii oder seinen Kollegen zu helfen.“ engl. Tweet von Edwin Atema (FNV) vom 9. Mai 2023 mit Fotos zum Video von FNV vom 28.04.2023 bei youtube : Girteka Logistics: ‚Drive until you drop‘ mit der (engl.) Beschreibung:- „Lernen Sie Yurii kennen, einen ukrainischen Lkw-Fahrer, der für Girteka Logistics Lithuania arbeitet. Eines der größten Transportunternehmen in Europa. Während der Pandemie war Yurii mit Ladungen für Unternehmen wie IKEA und AMAZON quer durch Europa unterwegs. Durch das Verschulden und die gefühllose Haltung von Girteka wäre Yurii auf der Straße fast gestorben. Obwohl es in Europa Gesetze und Vorschriften zum Schutz der Fahrer vor bösartigem Verhalten ihrer Arbeitgeber gibt, lebte Yurii 11 Monate lang ununterbrochen in seinem Lkw. Selbst nachdem er seinem Arbeitgeber gemeldet hatte, dass er erschöpft und krank war, wurde er dazu gedrängt, seine Ladung auszuliefern. Infolgedessen brach er am Weihnachtsabend auf einem Parkplatz zusammen. Und es gibt noch viel mehr zu erzählen…… Girteka Logistics hat sich zu den Standards des Global Compact der Vereinten Nationen verpflichtet, um die Menschenrechte und faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Trotz dieser guten Absichten wäre Yurii fast gestorben und Girteka hat keine Verantwortung übernommen, um seine Situation zu verbessern. Wer wird Girteka dazu drängen, ihre ach so beruhigenden Nachhaltigkeitsberichte der Vereinten Nationen in die Praxis umzusetzen?„
- Über Lohnklau und fehlenden Arbeitsschutz
„Wer sich in der Branche auskennt, kennt Girtek[a]. Ähnlich wie Edwin Atema und sein Team haben auch wir immer wieder mit Fahrern gesprochen, die von Monatelangen Touren für Girteka berichten. Davon, dass ein großer Teil ihres Lohnanspruchs nie als Lohn ausbezahlt wird – statt Lohn zahle Girteka wie so viele Fuhrunternehmen einfach Spesen. Natürlich ist sowas nicht legal. Spesen basierte Bezahlung sorgt dafür, dass wir vor Amazon.de oder IKEA Standorten Fahrer treffen, die für Girteka arbeiten und auf Seitenstreifen oder Parkplätzen leben. Sie kochen auf Gaskochern und sparen möglichst jeden Cent – denn wer in Spesen bezahlt wird, kann sich kein menschenwürdiges Leben leisten – häufig nicht mal die ständig kostenpflichtigen Toilettengänge. Gleichzeitig unterschreiben Unternehmen wie Girteka die UN Global Compact – UAE Network Regeln und geben damit vor, Menschen- und Arbeitsnormen zu respektieren.“ Facebook-Post von Michael Wahl, Faire Mobilität, vom 8. Mai 2023 - Siehe weitere Berichte zum Unternehmen:
- Urteil in Norwegen gegen Girteka-Tochter
„Girmeta, die Tochterfirma der führenden litauischen Spedition Girteka, wurde wegen 19 Kabotage-Fahrten auf dem Territorium Norwegens von einem dortigen Gericht zu einer Geldstrafe in Höhe von 450.000 Norwegischen Kronen (knapp 39.000 Euro) verurteilt. Die Fahrten fanden zwischen 2019 und 2021 statt. (…) Die zu lockere Auslegung norwegischen Rechts führe zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen gegenüber einheimischen Unternehmen, urteilte das Regionalgericht in Sogn og Fjordane. Hintergrund ist, dass ausländische Firmen, etwa aus Mittelosteuropa, durch ihre günstigeren Arbeits- und Betriebskosten Preise für Transporte anbieten können, bei denen einheimische Unternehmen nicht mithalten können. Girmeta leistet laut dem Gericht rund 100 Kabotage-Lieferungen wöchentlich in Norwegen…“ Artikel von Mirko Kaupat vom 25. April 2023 in der Verkehrsrundschau - Der schweigsame Riese: Die etwas andere Girteka-Geschichte
„… Denn wie in nahezu allen Ländern Osteuropas besteht das Lohnmodell aus einem niedrigen Grundlohn und hohen Nettospesen, so dass in der Tat auch die Fahrer von Girteka nach dieser Tabelle 2016 pro Monat etwas um die 1.500 Euro netto mit nach Hause nehmen dürften. Mittlerweile hat sich der Satz bei vielen Fahrern aus Osteuropa nach meinen Recherchen bei rund 2.000 Euro eingependelt. Allerdings für acht Wochen auf Tour und zwei Wochen frei, wobei sich dann, da in der Freizeit ja keine Spesen gezahlt werden, der Nettolohn wieder bei 1.700 bis 1.800 Euro pro Monat einpendelt…“ Artikel von Jan Bergrath vom 21. August 2018 in Eurotransport – auch guter Text hinsichtlich der Frage, warum der Notfallbremsassistent bei einigen LKWs von Girteka bei Unfällen nicht funktionierte…
- Urteil in Norwegen gegen Girteka-Tochter
Siehe u.a. zu Arbeitsbedingungen in Speditionen im LabourNet Germany:
- Dossier: Mind. 55 Lkw-Fahrer aus Georgien und Usbekistan streiken auf der Autobahnraststätte bei Darmstadt für ihren Lohn von der polnischen Firmengruppe Mazur
- Dossier: [Mobilitätspaket] Fairer Straßengüterverkehr: In Brüssel sinken die Erwartungen
- Dossier: Eng getaktete Lieferketten, 60-Stunden-Wochen, zuwenig Stellplätze: Widrige Arbeitsbedingungen führen zu mehr Unfällen und toten Lkw-Fahrern
- Dossier: Zeit zum Umlenken. Tarifflucht und Dumpinglöhne: Droht auch bei uns ein Lkw-Fahrermangel wie in England?
- Dossier: Transportarbeitergewerkschaft ETF mahnt: Mehr Schutz für Lkw-Fahrer in der Corona-Krise
- Dossier: Philippinische LKW-Fahrer wurden über Monate in Europa ausgebeutet
- Beitrag vom April 2019: Lkw-Fahrer: Die Elenden der Landstraße
- Beitrag vom März 2018: Die Last der Lkw-Fahrer: Eine Ladung voller Probleme