Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes – Dienstleistungsfreiheit steht über nationalen Arbeitnehmerrechten
Dossier
„Am 3. April hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden, dass ein Bundesland bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen keine Tariflöhne vorschreiben kann. Dieses Urteil ist von elementarer Bedeutung, da den im EGV (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) festgelegten wirtschaftlichen Grundfreiheiten eine höhere Priorität eingeräumt wird als den arbeitsrechtlichen Koalitionsfreiheiten gemäß Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes. Das Urteil zeigt, dass die wirtschaftlichen Grundfreiheiten zugunsten von Unternehmerfreiheiten wirken und die Arbeitnehmer den Bedingungen des Wettbewerbs weitgehend schutzlos ausliefern…“ Artikel von Christine Wicht vom 15. April 2008 bei den Nachdenkseiten und weitere Infos, auch zum Urteil des EuGH zum Streikrecht im Fall „Viking“ und im Fall „Laval/Vaxholm“:
- Wichtig im Artikel von Christine Wicht vom 15. April 2008 bei den Nachdenkseiten : „… Ein Blick auf zwei weitere Urteile des EuGH zum Streikrecht lässt erahnen, wie weit nationale Arbeitnehmerrechte durch europäische Regelungen zurückgedrängt werden können.
Urteil des EuGH zum Streikrecht im Fall „Viking“ und im Fall „Laval/Vaxholm“
Im Dezember 2007 befasste sich der EuGH mit der Frage, in welchem Verhältnis das Recht auf Kollektivmaßnahmen der Arbeitnehmer und die EG-Wirtschaftsfreiheiten zueinander stehen, insbesondere, ob Arbeitskämpfe, die nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaates zulässig sind, gegen das EU-Recht verstoßen. Nach dem EGV ist das Streikrecht aus dem Kompetenzbereich der Europäischen Union explizit ausgeschlossen (Art. 137 Abs. 5 EGV). Das Gleiche gilt für das Koalitionsrecht und die daraus folgenden Tarifverträge. Das hat den EuGH aber nicht daran gehindert, das in Finnland bestehende Arbeitskampfrecht mit dem Verweis auf die Höherrangigkeit des EU-Rechts zu beschränken. (…)
Ein weiteres Beispiel ist der Fall „Laval/Vaxholm“. Hier handelt es sich um die lettische Gesellschaft „Laval“, die Arbeitnehmer/innen aus Lettland nach Schweden entsandte, um eine Schule in der schwedischen Stadt Vaxholm zu renovieren. In Schweden wird der Mindestlohn, der dann auch für entsandte Arbeitnehmer/innen gelten soll, durch Tarifverträge festgelegt. Obwohl die schwedische Bauarbeitergewerkschaft und “Laval” verhandelt haben, unterzeichnete “Laval” einen Tarifvertrag mit der lettischen Bauarbeitergewerkschaft, was die schwedische Gewerkschaft dazu veranlasste, sämtliche Baustellen von “Laval” in Schweden zu blockieren. Zusätzlich hat sich die Elektrikergewerkschaft (Svenska Elektrikerförbundet) in Schweden dem Arbeitskampf angeschlossen. Die Gewerkschaften wurden von “Laval” auf Schadensersatz verklagt. (Az.: C-341/05) …“
- Die Fälle VIKING und LAVAL
„Am 11. Dezember 2007 fällte der Europäische Gerichtshof sein Urteil zum Viking-Fall, und am 18. Dezember 2007 entschied er über den Laval-Fall. Mit dem vorliegenden Memorandum bewertet der EGB die möglichen Auswirkungen der getroffenen Entscheidungen und liefert Vorschläge und Empfehlungen für weitere Maßnahmen…“ Begründung für den Exekutivausschuss des EGB vom 4. März 2008 bei ETUC
- Auswirkungen der Urteile „Viking“ und „Laval“ des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften
Antwort von EU-Kommissarpidla im Namen der EU-Kommission vom 08.09.2008 auf die SCHRIFTLICHE ANFRAGE E-3899/08 von Sahra Wagenknecht (GUE/NGL) an den Rat
Siehe dazu aus dem LabourNet-Archiv:
- EuGH verwirft lokale Tarifbindung bei staatlichen Aufträgen
„Bund, Länder und Gemeinden dürfen ihre Aufträge nicht an die Einhaltung örtlicher Tarifverträge koppeln: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg verwarf entsprechende Regelungen des Vergabegesetzes des Landes Niedersachsen. Eine solche Bindung sei allenfalls bei allgemeinverbindlichen Tarifverträgen gerechtfertigt. Ein Tarifvertrag, der nach festen, EU-weiten Regeln für allgemeinverbindlich erklärt wurde, gilt für alle Arbeitgeber, auch wenn sie nicht Mitglied des tarifschließenden Verbandes sind. Das Vergabegesetz des Landes Niedersachsen verlangt, dass der Auftragnehmer und auch alle von ihm beauftragten Subunternehmer mindestens den örtlichen Tariflohn bezahlen müssen. Mit seiner Klage wehrte sich ein Bauunternehmer gegen eine Vertragsstrafe, weil ein Subunternehmen sich daran nicht gehalten hatte. Wie der EuGH entschied, können die öffentlichen Auftraggeber nur die Einhaltung allgemeinverbindlicher Tarifverträge verlangen.“ AFP-Meldung vom 3.4.08 . Siehe dazu
- die Pressemitteilung des EuGH vom 3. April 2008 zum Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-346/06
- Sommer: Gesetzliche Mindestlöhne sind nach der EuGH-Entscheidung wichtiger denn je
DGB-Pressemitteilung vom 03.04.2008
- Lohndumping von oben
„Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bleibt sich treu. Die als Speerspitze der neoliberalen Deregulierung bekannten Richter verkündeten am Donnerstag in Luxemburg ein Urteil, welches gravierende Auswirkungen auf die Mindestlohndebatte in Deutschland haben könnte. Demnach dürfen öffentliche Institutionen die Vergabe von Aufträgen nicht von der Einhaltung gültiger Tarifverträge oder pauschaler Lohnuntergrenzen abhängig machen. Eine Ausnahme bilden allerdings gesetzliche Mindestlöhne, wie sie in Deutschland in einigen Branchen über das Entsendegesetz festgelegt worden sind.“ Artikel von Rainer Balcerowiak in junge Welt vom 04.04.2008