Die Gewalt geht von Staat aus
Artikel von Volker Ritter vom Juli 2016
„Knistern unterm Dach“ nannte Gundula Lasch ihren Beitrag in der ver.di Publik im Oktober 2004. Die Kollegin benannte dort den programmierten Konflikt zwischen erwerbslosen Mitgliedern und jenen, die in Behörden die repressive Gesetzgebung des SGB II umsetzen. „Kollegen werden“ ist von diesen Ausgangspositionen besonders schwer. Denn Erwerbslose sind seit Hartz IV verpflichtet, eine Abwertung ihrer Qualifikationen zu akzeptieren, extremes Lohndumping auch über Leiharbeitsfirmen zu ermöglichen, oder gar zwangsweise in sinnlose Maßnahmen und den neuen „Bundesarbeitsdienst“ der Ein-Euro-Jobs gepresst zu werden. In den Behörden werden auch ver.di KollegInnen genötigt, diese Gesetze umzusetzen und werden schnell zu Blitzableitern.
Tote auf beiden Seiten
Im April 2007 verhungerte Sascha K. in Speyer nach Sanktionen des Jobcenters. Christy Schwundeck wurde im Mai 2012 in Frankfurt nach einem Konflikt mit ihrem Sachbearbeiter von der herbeigerufenen Polizei erschossen. Ver.di Publik erinnerte im Beitrag „Gefärdete Staatsdiener“ in der Nummer 4/16 an Opfer auch in den Jobcentern.
Konfliktbewältigung bei ver.di
Aktuell widmet sich ver.di vorrangig den Mitarbeitern in den Behörden. So wurde in Essen eine Kooperation mit Jobcenterwatch nach Protesten aus dem örtlichen Jobcenter gekündigt. Vorangegangen waren bereits im Frühjahr 2015 einseitige Stellungnahmen aus dem Bundesvorstand zu Gunsten repressiver Behördentätigkeit und zu Lasten der Arbeitnehmerschaft. Unser Bundeskongress hat ein Teil dieser Probleme korrigieren können. So wurde unser Bundesvorstand beauftragt, für die Abschaffung von Sanktionen bei Hartz IV und die Abschaffung von Sperrzeiten in der klassischen Arbeitslosenversicherung als Versicherungsleistung zu sorgen.
Mangelnder Schutz
Von Gesetz wegen sind unsere Kollegen und Kolleginnen in den Jobcentern verpflichtet, auch Verstöße gegen das Völkerrecht – etwa zur Zwangsarbeit – umzusetzen. Wenn etwa die Kollegin Inge Hannemann von ihrer Sekretärin aus dem Fachbereich 4 hörte, sie solle doch bei Bedenken mit Sanktionen an die Verpflichtung gegenüber den Dienstherrn denken, dann gefährdet dies eben jene Kollegen und Kolleginnen ganz allgemein. Sicher hängt es nur von den aktuellen Machtverhältnissen ab, ob ein Völkerrecht auch wirklich eingeklagt werden kann. Grenzschützer der DDR konnten sich bis 1989 darauf verlassen, doch nur Gesetze zu befolgen und wurden danach genau dafür verurteilt. Ob unsere Kollegen und Kolleginnen in den Jobcentern in zehn oder zwanzig Jahren angeklagt werden, ist sicher ungewiss. Sicher ist nur der Verstoß gegen die Konvention gegen Zwangsarbeit.
Gewerkschaftliche Perspektiven
Gewerkschaft kann nicht der Steigbügelhalter für Kapitalinteressen sein. Gewerkschaft ist eine zivilgesellschaftliche und außerparlamentarische Kraft, die nicht mit der Verwaltung eines Staates übereinstimmt. Da vermissen die Erwerbslosen noch einen Aufruf zur Sabotage an der Behördentätigkeit zu Hartz IV.
- Anmerkung N.H.: Es handelt sich beim Verbot von Zwangsarbeit nicht um „Völkerrecht“, sondern um übernationales Recht oder um Konventionen u.ä., die durch Ratifizierung zu nationalem Recht werden. Konkret geht es hier um die ILO-Konvention 105: Abschaffung der Zwangsarbeit. Sie ist von 174 Staaten ratifiziert (Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen) und um Art. 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention, „Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit“.
- Wir erinnern an die Debatte in unserer Rubrik „Arbeitsverwaltungen wehren sich – wogegen?“ im LabourNet-Archiv. Damals gab es im LabourNet auch ein Forum zur Diskussion von Beschäftigten der Arbeitsagenturen und/mit Erwerbslosen…