Tafeln verzeichnen Anstieg um 50 Prozent: Rund zwei Millionen Bedürftige 2022 – und es werden immer mehr

Dossier

das 'Kritische Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln'Das sind die aktuellen Meldungen: Die Tafeln in Deutschland haben noch nie so vielen bedürftigen Menschen geholfen wie zurzeit. (…) Insgesamt kämen etwa zwei Millionen Menschen. Diese Meldung ist ein Alarmruf, dass die Regelleistungen im SGB II/SGB XII/AsylbLG zu gering sind. Denn weil sie zu gering sind und nicht auf die Inflation angepasst wurden, müssen die Menschen zu den Tafeln. Tafeln sind eine Ergänzung zu staatlichen Leistungen, es darf auf diese nicht statt staatlichen Leistungen verwiesen werden. Das dies materiell nicht möglich, belegen auch die Aufnahmestopps der Tafeln. Der Kern ist: die Regelleistungen müssen dringend erhöht werden…...“ Aus dem Thomé Newsletter 43/2022 vom 06.11.2022 externer Link, siehe dazu auch 2023 ungebrochen:

  • Inflation und Armut in Deutschland: Warum die Tafeln am Limit sind – und sind Tafeln selbst ein Armutszeugnis? New
    „Der „Pakt gegen Lebensmittelverschwendung“ externer Link hat offenbar nicht ausgereicht, um den Bedarf der Tafeln für einkommensarme Menschen zu decken: 60 Prozent der Abgabestellen müssten „die Menge der ausgegebenen Lebensmittel reduzieren“, sagte der Vorsitzende des Tafel-Dachverbandes, Andreas Steppuhn, diese Woche der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ). Obwohl 14 Unternehmen des Groß- und Einzelhandels im vergangenen Jahr den Pakt mit Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) unterzeichnet und sich damit zur Weitergabe von noch verzehrfähigen Lebensmitteln verpflichtet hatten – vorrangig an soziale Einrichtungen wie die Tafeln – reichte zuletzt das Angebot nicht. (…) „Seit dem Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine verzeichnen die Tafeln im bundesweiten Durchschnitt 50 Prozent mehr Kundinnen und Kunden – sie unterstützen aktuell etwa 1,6 Millionen Armutsbetroffene“, sagte Steppuhn der NOZ. Renten und Löhne seien nicht im gleichen Maß gestiegen wie die Lebenshaltungskosten. (…) „Die Armutgefährdungsschwelle liegt in Deutschland aktuell bei 1.251 Euro pro Monat für einen Single-Haushalt und bei 2.627 Euro für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren. Tafel Deutschland empfiehlt Mitglieds-Tafeln, diese Schwelle als Orientierungswert zu nutzen“, informiert der Dachverband auf seiner Homepage. (…) Ein Großteil derjenigen, die den Kriterien der Tafeln entsprechen, nutzt die Einrichtungen aber bisher gar nicht. Der Paritätische Armutsbericht stufte zuletzt mehr als 14 Millionen Menschen in Deutschland als einkommensarm ein. (…) Der Bundestag hatte im Frühjahr 2023 über Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung debattiert, nachdem unter anderem die Klima-Initiative „Letzte Generation“ bei ihren Straßenblockaden ein „Essen-retten-Gesetz“ gefordert hatte, wie es in Frankreich seit 2016 existiert: Großen Supermärkten drohen dort Geldstrafen, wenn sie noch genießbare Lebensmittel wegwerfen, statt sie zu spenden. (…) Allerdings betonen Sozialverbände und Die Linke regelmäßig, dass schon die Notwendigkeit der Tafeln auf Staatsversagen hindeute: Von Ehrenamtlichen getragene Hilfsorganisationen würden alleine gelassen, während der Staat für Ernährungssicherheit sorgen müsste. Auch die Tafeln selbst kritisieren Bürgergeld-Regelsätze als zu niedrig und fordern armutsfeste Sozialleistungen. Nach Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle müsste der Regelsatz für Erwachsene bei mindestens 813 Euro liegen, um wirksam vor Armut zu schützen. Aktuell beträgt er 563 Euro. Die Motivation zur Arbeit müsse durch einen höheren gesetzlichen Mindestlohn statt durch niedrigere Sozialleistungen erhalten werden, halten Sozialverbände und Linke entgegen, wenn die Bürgergeld-Regelsätze zum Beispiel von der FDP als zu hoch kritisiert werden.“ Artikel von Claudia Wangerin vom 13. Dezember 2024 in Telepolis externer Link
  • Tabula rasa – Tafeln in Not
    „Auf seiner Internetseite bittet der Verband der Tafeln in Deutschland um Spenden (…) Der Dachverband beziffert die vor der Entsorgung geretteten und gespendeten Lebensmittel auf jährlich rund 265.000 Tonnen, die an etwa zwei Millionen Menschen weitergegeben werden. Diese Zahlen haben sich jedoch in der jüngsten Zeit dramatisch auseinanderentwickelt. Nebenbei bemerkt: Hauptursache dieser Lebensmittelverschwendung ist im Gegensatz zur herrschenden Meinung nicht das Verhalten der Verbraucher:innen, sondern sind Auflagen des Handels, zumeist ökologisch völlig unsinnige Normen. (…) Die Tafeln schlagen Alarm, denn das Versorgungsangebot ist deutlich geschrumpft. (…) Binnen anderthalb Jahren hat sich die Länge der Menschenschlangen, die bei der Essensausgabe anstehen, verdreifacht. (…) In der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung steckte schon immer ein Klassenproblem. Armenpflege war bis in die Neuzeit karitative Aufgabe der Kirche. Der Klerus als parasitäre Klasse (und im Kapitalismus: Kaste) erfüllte wenigstens eine soziale Pflicht, indem er für die Mittellosen Almosen- und Krankenpflegedienste organisierte. (…) Gegen Mildtätigkeit und Spendenbereitschaft hat sicher niemand etwas einzuwenden. Sie verdecken allerdings nur das eigentliche Problem: die gesellschaftliche Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung, die der Kapitalismus niemals garantiert und, wenn überhaupt, nur durch Unterdrückung und Ausbeutung imperialisierter Länder und deren proletarischer und kleinbäuerlicher Klassen gewähren kann. Eine „sozial-ökologische Bewegung“, die der Tafelverband vorgibt zu sein, müsste sich also auch mit den Arbeitsverhältnissen und Umweltbedingungen beschäftigen, unter denen Nahrungsmittel hergestellt und vertrieben werden. Außerdem müsste auch die heimische Lebensmittelindustrie ins Visier genommen werden. (…) Um ihren politischen Wirkungsgrad zu erhöhen, sollten Verbindungen zu Mieter:innenvereinigungen und zum Energiesektor aufgebaut werden, also vornehmlich zu Bereichen, die besonders unter Inflation und Beeinträchtigung der Lebensverhältnisse zu leiden haben, Diese Ausschüsse gälte es zu zentralisieren. Außerdem könnten internationale Verbindungen z.B. nach Frankreich, hergestellt, deren Erfahrungen mit dem Zwangsabgabegesetz ausgewertet und unter Umständen gemeinsame Kampforgane aufgebaut werden.“ Beitrag von Bruno Tesch in ArbeiterInnenmacht Infomail 1227 vom 9. Juli 2023 externer Link
  • Die von der Unternehmensberatung McKinsey geförderte Tafelbewegung in Deutschland ist gescheitert 
    In kurzer Zeit hat sich die Zahl der Menschen, die bei den Tafel-Einrichtungen um Lebensmittel bitten, um 50 Prozent erhöht. Einige Tafeln berichten von doppelt so vielen Bedürftigen wie noch vor einem halben Jahr. Weil die Regelleistungen im Sozialgesetzbuch (SGB II/SGB XII) und Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gering sind, rutschen immer mehr Menschen in Armut und Überschuldung ab. Sie können sich die verteuerten Lebensmittel nicht mehr leisten und müssen zu den Tafeln gehen. Seit Beginn der „Tafelbewegung“  in den 1990er Jahren haben die staatlichen Stellen die Institutionalisierung der Tafeln kräftig gefördert, auch um die Leistungsbemessung für die Zahlungen gemäß dem Sozialgesetzbuch möglichst gering halten zu können. Doch nun scheint das Tafelkonzept nicht nur an seine Grenzen zu stoßen, sondern das gesamte Modell wird mittlerweile in Frage gestellt, neuerdings auch von den Tafeln selbst. (…) Die Idee der Tafeln ist ein fester Bestandteil der neoliberalen Politik und gleichzeitig ein billiges Konzept für die Abfallbeseitigung, denn schwerpunktmäßig sind die Produkte der Tafeln Waren, deren Verfallsdatum erreicht oder überschritten ist und die deshalb nicht mehr verkauft werden dürfen. Da ist die Entsorgung durch Abgabe an die Tafeln billiger als eine kostenpflichtige Entsorgung auf dem Müll. Nicht einmal Transportkosten entstehen, weil die Tafeln die Lebensmittel selbst abholen. (…) Erstaunlich ist, dass so eine Bewegung wie die Tafelbewegung mithilfe einer Unternehmensberatungsfirma flächendeckend gewachsen ist. Über die Medien hochgejubelt, wurde auch suggeriert, dass jeder, dem es nicht gut geht, zur Not doch die Tafel nutzen kann und er mit „durchgefüttert“ wird. Die hohe Akzeptanz der Tafeln in der Bevölkerung ist das Ergebnis einer Mission, die den Sozialstaat vorführen wollte, um „Sozialromantiker“, die für diesen eintreten, zu diskreditieren. Dabei haben staatliche Stellen die Institutionalisierung der Tafeln kräftig gefördert, auch um die Leistungsbemessung für die Zahlungen gemäß dem Sozialgesetzbuch möglichst gering halten zu können.
    McKinsey, die weltweite Unternehmensberatung, hat mittlerweile sehr viel Erfahrung mit dem Sozialsystem in Deutschland. Sie ist auch für die Entlassung Hunderttausender verantwortlich, die in dem von ihr beratenen Unternehmen beschäftigt waren. Auch hat McKinsey maßgeblich am Hartz-Konzept mitgewirkt und war Mitglied der Hartz-Kommission der rot-grünen Bundesregierung Anfang des Jahrhunderts. Der Leitspruch lautet dabei immer, dass Sozialleistungen und Unternehmenssteuern abgebaut werden müssen. McKinsey war auch der Initiator der „Tafelbewegung“ und hat unzählige Unternehmen und Einzelpersonen in sein Tafelkonzept eingebunden mit seinen unzähligen ehrenamtlichen Beschäftigten. (…) Das Tafelprojekt scheint den neoliberalen Förderern auf die Füße zu fallen. Die wachsende Zahl der armen Menschen kann durch die Tafeln nicht mehr versorgt und ruhig gehalten werden. Momentan wird besonders deutlich, was die Tafeln immer schon waren und noch sind: ein Ort der Konkurrenz an der Resterampe unserer Gesellschaft.“ Beitrag vom 25. Januar 2023 in gewerkschaftsforum.de externer Link
  • Zwei Millionen Hilfesuchende: Viel mehr Menschen nutzen Tafeln 
    Weniger Lebensmittel, aber mehr Menschen: Zwei Millionen Menschen besuchten dieses Jahr die Tafeln. Das sind 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Jede dritte Einrichtung verhängte einen Aufnahmestopp. Die Tafeln in Deutschland haben in diesem Jahr laut eigenen Angaben einen großen Andrang verzeichnet. Im Schnitt besuchten demnach etwa 50 Prozent mehr Menschen die Angebote als im Vorjahr. „Wir reden über etwa zwei Millionen Menschen, die zu den Tafeln kommen“, sagte Bundesvorsitzender Jochen Brühl dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die Tafeln mit ihrer Lebensmittelversorgung seien darauf nicht vorbereitet gewesen: „Zeitweise hatten in diesem Jahr rund 30 Prozent der Tafeln einen Aufnahmestopp.“ Es seien einfach zu wenige Lebensmittel und Kapazitäten für zu viele Menschen gewesen. „Mehr als 70 Prozent der Tafeln haben zudem angegeben, dass sie weniger Lebensmittel haben.“ Der Andrang habe nicht nur zu großen Belastungen bei den Hilfesuchenden, sondern auch bei den Ehrenamtliche geführt. „Mehr als 60 Prozent der Helfenden haben in einer Umfrage angegeben, dass sie psychisch durch die ganze Situation sehr belastet sind“, sagte Brühl. Der Bundesvorsitzende forderte Entlastungen von der Politik auch für Helfende: „Man könnte zum Beispiel Ehrenamtlichen, die eine bestimmte Stundenzahl nachweisen können, ein Verkehrsticket umsonst geben für ihr Engagement.“ Brühl erneuerte seine Forderung, dass bei der Versorgung Bedürftiger die Politik in der Pflicht sei. Die mehr als 960 Tafeln arbeiteten nur unterstützend. Allerdings sehe es mancherorts anders aus: „Tafeln unterstützen manchmal nicht nur, sondern werden schon fest einkalkuliert.„…“ Meldung vom 30.12.2022 bei tagesschau.de externer Link, siehe auch:

Siehe zum aktuellen Hintergrund unser Dossier: Für wen Inflation ein Problem ist – und was es für die (Tarif)Politik bedeutet

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=205852
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