SGB II: Mindestanforderungen für Darlehen unter Freunden – und ein Kommentar
„Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) hat entschieden, dass auch für Darlehen im Freundes- und Familienkreis gewisse Mindestanforderungen eingehalten werden müssen, die den üblichen Modalitäten im Geschäftsverkehr entsprechen. (…) Im zugrundeliegenden Verfahren wandte sich eine libanesisch-/türkischstämmige Familie aus Hannover gegen die Rückforderung von Grundsicherungsleistungen durch das Jobcenter. Die Familie erhielt von verschiedenen Absendern aus Bahrain, Libyen und den Vereinigten Arabischen Emiraten 39 Einzelzahlungen über den Bargeldtransferdienst Western Union i.H.v. insgesamt 117.000,- €. Das Geld wurde meist an Dritte im Beisein des Mannes ausgezahlt und danach an diesen übergeben. (…) Das LSG hat die Rückforderung des Jobcenters bestätigt und die Zahlungen als Einkommen der Familie bewertet. Um der Gefahr eines Missbrauchs von Steuermitteln entgegenzuwirken, seien für Darlehensverträge unter Freunden strenge Anforderungen an den Nachweis des Abschlusses und der Ernstlichkeit eines Darlehensvertrages zu stellen. Erforderlich sei, dass sich die Darlehensgewährung anhand der tatsächlichen Durchführung klar und eindeutig von einer verschleierten Schenkung oder einer verdeckten Unterhaltsgewährung abgrenzen lasse. Als Indizien müssten mindestens Darlehenshöhe, Rückzahlungsmodalitäten und der Zeitpunkt des Vertragsschlusses erkennbar sein. Es sei nicht ausreichend, wenn bei einer im Verhältnis zur finanziellen Leistungsfähigkeit exorbitant hohen Darlehenssumme letztlich Zeit und Höhe der Tilgung im Belieben der Kläger stünden.“ Pressemitteilung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. Juni 2018 zum Urteil vom 24. April 2018 – L 7 AS 167/16 – und ein Kommentar von Armin Kammrad:
Kommentar von Armin Kammrad
Diese Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen ist für von Grundsicherungsleistungen abhängige Menschen wichtig, weil hier häufig Freunde, Bekannte oder Angehörige Geld (oft zinslos) leihen. Zwar erzeugt es keine Probleme, wenn in diesem Fall, bei einer Summe von 117.000 Euro, das Gericht von einer einkommenserhöhende Schenkung ausgeht und die Rückzahlung an das Jobcenter für rechtens erklärt. Allerdings geht das Gericht mit seiner Entscheidung über den Einzelfall hinaus. Jeder SGB II-Abhängige, der sich unter den Hand von seinem Freund mal schnell Geld leiht, kann davon betroffen sein und trotz Rückzahlungsbereitschaft den Betrag von seinem Leistungsanspruch abgezogen bekommen – oder was noch schlimmer ist: Das Jobcenter unterstellt bei unerklärlichen Einnahmen einfach mal, dass hier ein Einkommen in Form einer Schenkung vorliegt und zieht was vom Regelsatz ab. Deshalb ist zu beachten:
Das Gericht spricht von der Erfordernis „üblicher Modalitäten im Geschäftsverkehr“ bei Privatdarlehen. Maßgeblich kann deshalb nur § 488 BGB (Vertragstypische Pflichten beim Darlehensvertrag) sein. Alles andere wären gerichtlich erfundenes Sonderrecht nur für die Armen und gerade keine übliche Modalität, wobei das Gericht mit seinem Hinweis auf die „Gefahr eines Missbrauchs von Steuermitteln“ wohl eher auf ein Sonderrecht für Hartz IV-Abhängige abzielt. Doch das Gesetz verlangt gerade keine Schriftform. So etwas zu verlangen ließe sich mit Bezug auf das Gesetz und bestreiten. Kritisch ist jedoch ein Privatdarlehen ohne Zinsen, weil bereits häufig das Finanzamt die Zinslosigkeit als steuerpflichtige Schenkung wertet, was allerdings bei geringen Beträgen aufgrund von Freibeträgen keine Rolle spielt; in der Regel bezieht ein Hartz IV-Berechtigter kein versteuerbares Einkommen, selbst wenn man ihm ein paar hundert Euro leiht. Außerdem müssen nach § 488 BGB keine „Rückzahlungsmodalitäten“ festgelegt werden. „Zahl, wann du kannst…“ ist also rechtlich nicht zu beanstanden. Nur der „Zeitpunkt des Vertragsabschluss“ steht fest (ebenso, wie es kein Darlehen ohne Vertrag geben kann). Aber weil auch hier keine Schriftform verlangt werden kann, reicht es im Streitfall aus, wenn der Darlehensgeber als Zeuge den Zeitpunkt der Geldübergabe benennt. Auch was die Frage der Zinsen betrifft, ist das erst interessant, wenn das Fehlen einer Zinsvereinbarung unterstellt wird. Im Fazit ergibt sich zwar aus den Erfordernissen, die das Gericht nennt, als wäre eine Schriftform erforderlich. Aber nicht zufällig verlangt das Gericht diese ausdrücklich nicht. Auch das Jobcenter dürfte dies im Zweifelfall also nicht tun. Eine Schenkung zu unterstellen, weil kein schriftlicher Vertrag vorliegt, wäre folglich rechtswidrig. Eine „klare und eindeutige Abgrenzung“ verlangt das Gesetz gerade nicht bei Privatdarlehen. Bei ALG II-Bezug etwas anderes zu verlangen, würde eine verfassungswidrige Entrechtung (Eingriff in die Handlungsfreiheit) darstellen und die Gefahr von Ausgrenzung erhöhen, wenn niemand mehr den Armen einfach mal ein bisschen Geld fürs Nötigste unkompliziert leihen kann.
Wir danken!