Quote der Kinder, die auf Hartz IV angewiesen sind, erreicht neuen Höchststand
Dossier
„14,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland beziehen Leistungen nach dem SGB II. Damit hat der Anteil der Kinder, die auf „Hartz IV“ angewiesen sind, einen neuen Höchststand erreicht. Insgesamt leben rund 1,95 Millionen Kinder und Jugendliche in Familien, die SGB II beziehen – über 110.000 Kinder oder 0,8 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Das zeigt eine neue Auswertung der aktuellsten verfügbaren Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (Stand Juni 2017) durch das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Im Webangebot der Stiftung sind detaillierte Daten für alle Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland verfügbar. Nach Analyse von WSI-Sozialexperten Dr. Eric Seils ist der Anstieg eine Folge der Zuwanderung, vor allem von Flüchtlingen, seit dem Jahr 2012. (…) Die Zahl der Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit – ohne und mit Migrationshintergrund – in SGB-II-Haushalten ist dagegen seit Dezember 2011 um über 120.000 gesunken. Regional konzentriert sich die Zunahme der Kinder, die auf Hartz IV angewiesen sind, auf Westdeutschland. Im Osten war nur im vergangenen Jahr ein kleiner Anstieg festzustellen. In den vergangenen Jahren habe dies zu einer gewissen Angleichung in beiden Teilen Deutschlands beigetragen, schreibt Seils. Es gibt aber weiterhin große regionale Unterschiede, vor allem auf der Ebene der Städte und Kreise…“ Pressemitteilung vom 25. Oktober 2017 bei der Hans-Böckler-Stiftung zur neuen WSI-Auswertung, siehe auch:
- Kinderarmut ist immer Familienarmut, aber wann ist eine Familie armutsgefährdet?
„Die Kinderarmut scheint im Moment ganz viele zu interessieren und zu empören. Aber, wie sieht sie genau aus und was wird bisher dagegen getan und was soll sich ändern? So klar ist das oft nicht, und wenn, dann werden immer wieder neue Modelle vorgeschlagen, deren Nachteile meist unterschlagen werden. (z.B. beide Eltern noch mehr arbeiten lassen, Kinder länger auswärts und im Schichtbetrieb betreuen, Kindergrundsicherung für wen und wie hoch auch immer), ohne einmal darauf zu sehen, was da bisher versucht wird und möglich ist. Ich erwarte außerdem, dass man die Methoden und Konstrukte, mit denen man bei der Analyse der Lebenslage notwendigerweise arbeiten muss, offenlegt, dass man die Lage vollständig erklärt. Diese Konzentration auf Kinderarmut kann nämlich auch zu einer einseitigen und klischeehaften Kampagne werden. Das scheint sich anzubieten, denn arme Kinder eignen sich besser als arme Erwachsene oder arme Teenager, um die Empathie der zum Glück mehrheitlich Nichtbetroffenen zu wecken. (…) Genau betrachtet leben die Kinder jedoch in Familien. In Familien, in denen in der Regel nur schwer voneinander abtrennbar gemeinsam gewirtschaftet wird. Deshalb ist es eigentlich die Familienarmut, mit der man sich beschäftigen muss. Kinder isoliert von den Eltern zu betrachten, ist nicht nur schwierig, blendet einiges aus und wird auch durch die Einführung von neuen Kindergrundrechten nicht besser…“ Beitrag von Helga Spindler vom 9. November 2017 bei den NachDenkSeiten (Anlass für diesen Beitrag waren zwei Beiträge zur Kinderarmut bei den NachDenkSeiten, bei denen Helga Spindler nicht mit allem einverstanden war). Siehe dazu:- Arme real immer ärmer- Reiche immer reicher, real+nominal
„Alle Jahre wieder … stellen wir fest, dass die meisten Menschen in D’schland immer ärmer werden und die Wohlhabenden, Reichen und Superreichen immer reicher. Naja, wir haben also immer mehr von nix, wird Zeit dass die Kalender umgestellt werden auf 24 Monate im Jahr. Nun kommen aber die Daumenschraubendreher*innen und sagen, dass sei ja alles nur „relativtief“ – die „Armutsgefahrengrenze“ von 60% eines Durchschnittseinkommens (gemeint: „Medianwert“ – die eine Hälfte hat mehr, die andere weniger) sagt ja nichts darüber aus, was mensch sich tatsächlich dafür kaufen kann und ob es reicht. In Wirklichkeit sei es wohl reichlich.
Warum Frau Prof. Dr. Helga Spindler sich bei den „Nachdenkseiten“ darüber auslassen muss, in einer oberflächlichen und verzerrenden Form, bleibt schleierhaft. Schliesslich ist es in der Wissenschaft Allgemeingut, dass die angeführten Zahlen aus EU SILC und Mikrozensus immer realitätsfern und bestenfalls als Orientierung geeignet sind. Heftig kritisiert selbst von der statistischen Wissenschaft, da beispielsweise Einkommensschwankungen im Jahresverlauf (z.B. saisonabhängig) oder unregelmäßige Einkommen (Kapitaleinkünfte, Weihnachtsgeld, Boni … ) kaum erfasst werden. Auch günstige Bedingungen wie selbstgenutztes Wohneigentum oder familiäre Einbindungen werden nicht erfasst. Lt. Spindler können die Hartz IV-Leistungen aber sogar diese fiktive „Armutsgefährdungsgrenze“ deutlich überschreiten.
Was Menschen zum Leben brauchen hat das „Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum“ akribisch zusammengestellt, das ist Frau Spindler auch gut bekannt. Warum also muss ein solcher Mist geschrieben werden?
Zum Glück gibt es bei den Nachdenkseiten Reaktionen auf den Artikel von Helga Spindler: “ … übel ist mir der Artikel “Kinderarmut ist immer Familienarmut, aber wann ist eine Familie armutsgefährdet?” von Helga Spindler aufgestoßen …“
Auch Prof. Sell hat sich wieder fundiert geäussert : „Von Regelbedarfen im Hartz IV-System und der Armutsgefährdungsschwelle. Die Unterdeckung wird größer“.“ Kommentar von Norbert Hermann, Bochum Prekär, vom 19.11.2017
- Arme real immer ärmer- Reiche immer reicher, real+nominal
- Siehe weitere Details der Auswertung im Policy Brief WSI Nr. 15 10/2017 „Kinder im SGB II-Bezug“
- Siehe dazu aber auch: „Trauriger Rekord“: Doppelfehler in Berichten über Kinder und Hartz IV (Kinderarmut)
„“Trauriger Rekord“, „Fast zwei Millionen Kinder leben in Hartz-IV-Haushalten“ – ein Doppelfehler in der Berichterstattung über Kinderarmut in Focus (Online), FAZ (Online) und bei vielen anderen (dpa) vom 24. bis 26. Oktober 2017. „Traurig“ ja, aber „Rekord“ nein. Nicht „fast zwei Millionen“ sondern mehr als zwei Millionen unverheiratete Kinder im Alter von unter 18 Jahren leben (Juni 2017) in Haushalten, die auf Hartz IV angewiesen sind. Aber trotz der „mehr als zwei Millionen“ ist dies kein „Rekord“, weder absolut, noch relativ (im Verhältnis zur Bevölkerung im Alter von unter 18 Jahren).* Siehe dazu die unten stehende BIAJ-Tabelle…“ BIAJ-Meldung vom 26. Oktober 2017