[Buch] Kinder der Ungleichheit. Wie sich die Gesellschaft ihrer Zukunft beraubt

Buch: Kinder der Ungleichheit. Wie sich die Gesellschaft ihrer Zukunft beraubtWie nie zuvor ist die junge Generation sozial tief zerrissen: Hinsichtlich Gesundheit, Bildung, Wohnen, Freizeit und Teilhabe verschärfen sich die Unterschiede. Während Kinder aus wohlhabenden, reichen und hyperreichen Familien materielle Sicherheit genießen und eine Führungsposition in der globalisierten Wirtschaftswelt erreichen können, bleiben diese Chancen den Gleichaltrigen aus sozial benachteiligten Familien versagt. Die Sozialwissenschaftlerin Carolin Butterwegge und der Ungleichheitsforscher Christoph Butterwegge leisten mit ihrem ersten gemeinsamen Buch einen Beitrag zur Beendigung dieser Entwicklung. Sie zeigen das Spektrum der Kinderungleichheit, ergründen die Ursachen und schlagen Gegenmaßnahmen vor. Denn wenn ein Großteil der »Generation Corona« abgehängt wird, geht es mit der ganzen Gesellschaft bergab.“ Klappentext zum Buch von Carolin Butterwegge und Christoph Butterwegge, das am heutigen Mittwoch, dem 18. August, beim campus-Verlag erscheint. Siehe weitere Infos zum Buch und als Leseprobe im LabourNet Germany das Kapitel 6.3 „Sinkende Löhne – steigende Mieten“ – wir danken dem Autor!

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Kapitel 6.3 „Sinkende Löhne – steigende Mieten“

Auf der einen Seite wurde Arbeit (für die Unternehmer) immer billiger, auf der anderen Wohnraum (für die Niedriglöhner/innen) immer teurer. Während die Reallöhne zu Beginn des 21. Jahrhunderts vornehmlich im unteren Bereich über einen längeren Zeitraum hinweg sanken, stiegen die Immobilienpreise und die Mieten – jedenfalls in den Ballungszentren, bevorzugten Stadtlagen und Boomtowns der Bundesrepublik. Besonders in den prosperierenden Groß- und Universitätsstädten verband sich der Mangel an finanziellen Ressourcen, wie ihn Niedriglöhner/innen wegen ihrer miserabel bezahlten Arbeitsstellen und Transferleistungsbezieher/innen dank der »Sparpolitik« des Staates erfuhren, mit einer prekären Situation auf dem Wohnungsmarkt.

Werden die Wohnungen ebenso wie Würstchen, Wandteppiche und Wegwerftaschentücher als Waren be- und gehandelt, können Menschen ohne bzw. mit geringem Einkommen auf dem entsprechenden Markt nicht mithalten. Einige gesellschaftliche Ursachen für Armut und manche Folgen sind dabei uralt. So gibt es nach wie vor, was man als Hauptmann-von-Köpenick-Paradox bezeichnen kann, weil es der Dramatiker Carl Zuckmayer in seiner Tragikomödie gleichen Titels über den Berliner Schuster Wilhelm Voigt treffend beschrieben hat, der es nach 15 Jahren Haft nicht schafft, wieder anerkanntes Mitglied der Gesellschaft des Kaiserreiches zu werden: Wer keine Wohnung hat, bekommt keine Arbeitsstelle, und wer keinen Arbeitsplatz hat, bekommt auch keine Wohnung. Kaum ein Betroffener vermag diesen Teufelskreis einer wechselseitigen Ausgrenzung sozial Benachteiligter vom Arbeits- und Wohnungsmarkt aus eigener Kraft zu durchbrechen.

Die gegenwärtige Wohnungsmisere und der »Mietenwahnsinn« in manchen Regionen sind ebenso wenig vom Himmel gefallen wie prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Hungerlöhne, vielmehr durch politische Entscheidungen zugunsten von Kapitaleigentümern, Immobilienkonzernen und Großinvestoren erzeugt worden. Seit den 1980er-Jahren überließ die staatliche Wohnungs-, Wohnungsbau- und Stadtentwicklungspolitik privaten Investoren das Feld. CDU, CSU und FDP schafften zum 1. Januar 1990 die Wohnungsgemeinnützigkeit ab. Bis dahin hatte der Staat z.B. genossenschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften bestimmte Steuervorteile gewährt, sie dafür jedoch zur Beschränkung auf eine Kostenmiete und zur Begrenzung von Gewinnausschüttungen verpflichtet. Vorher preisgebundene Wohnungsbestände gelangten nunmehr auf den Immobilienmarkt, wo es primär um hohe Renditen für Aktionäre ging.

Mit vier Finanzmarktförderungsgesetzen schufen unterschiedlich zusammengesetzte Bundesregierungen während der 1990er-Jahre und zu Beginn des 21. Jahrhundert sowohl ein günstiges Investitionsklima wie auch ein ideales Betätigungsfeld für (institutionelle) Kapitalanleger, und zwar nicht zuletzt auf dem Immobilienmarkt. Mietwohnungen, die eine Mehrheit der Bevölkerung benötigt, um menschenwürdig leben zu können, werden seither zu bloßen Spekulationsobjekten, mit verheerenden Folgen für Millionen Familien.

Die rot-grüne Koalition befreite Gewinne von Kapitalgesellschaften, die aus dem Verkauf von Tochterfirmen und Aktienpaketen anderer Kapitalgesellschaften resultierten, zur Jahrtausendwende von der Körperschaftsteuer – eines der größten Steuergeschenke an die Unternehmen bzw. ihre Eigentümer überhaupt. Industriekonzerne veräußerten gewinnbringend ihre Werkswohnungen, und als »Heuschrecken« verschriene US-amerikanische Private-Equity-Firmen und Hedgefonds übernahmen öffentliche Wohnungsbestände im Paket. Blackstone, Cerberus oder Fortress sahen darin attraktive Spekulationsobjekte. Bund, Länder und viele Kommunen verkauften teilweise ihren gesamten Wohnungsbestand – häufig zu ausgesprochenen Schleuderpreisen – an börsennotierte Immobilienkonzerne, Investmentgesellschaften und internationale Finanzinvestoren.

Hierdurch beraubten sich die Kommunen auf Jahrzehnte selbst der Möglichkeit, eine zielgerichtete Stadtentwicklungspolitik zu machen und die Wohnungsversorgung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen zu sichern. Stattdessen wurden ganze Stadtviertel gentrifiziert, deren »Ureinwohner/innen« ohne Rücksicht auf soziale Belange verdrängt und preisgünstige Mietwohnungen von den neuen Eigentümern teilweise systematisch heruntergewirtschaftet, luxussaniert und in Eigentumswohnungen umgewandelt.

Siehe im LabourNet aktuell zum Thema:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=192672
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