1,5 Millionen Kinder leben in Hartz IV – wenn die Zahlen des DGB für ein “ beherztes Aktionsprogramm“ nicht zu niedrig angesetzt sind
„Wer Kinderarmut bekämpfen will, muss den Niedriglohnsumpf austrocknen“ sagt der DGB in der Pressemitteilung vom 06.02.2020 : „… Nach wie vor leben 1,5 Millionen Kinder in Deutschland von Hartz IV, kaum weniger als vor drei Jahren. Das zeigt eine aktuelle Auswertung des DGB. Danach sind Haushalte mit Kindern von der ansonsten relativ günstigen Entwicklung bei der Anzahl der Hartz-IV-Bezieher weitgehend abgekoppelt (…) „Weil die Zahl armer Kinder in den letzten Jahren kaum zurückgegangen ist, brauchen wir dringend ein beherztes Aktionsprogramm gegen Kinderarmut“, so Buntenbach. „Arbeitslosigkeit der Eltern und Niedriglohn sind die hauptsächlichen Ursachen für arme Familien, denn niedrige Löhne machen es trotz Arbeit oftmals unmöglich, den eigenen Lebensunterhalt und den eines Kindes aus eigenen Mitteln zu decken. Deutschland hat den größten Niedriglohnsektor in West-Europa. Das Hartz-IV-System wird so durch das Aufstocken zum Reparaturbetrieb für nicht existenzsichernde Löhne. Deshalb gilt: Wer Kinderarmut bekämpfen will, muss den Niedriglohnsumpf austrocknen. Dazu muss der Mindestlohn einmalig [!] über den bestehenden Anpassungsmechanismus hinaus erhöht werden und es muss möglich gemacht werden, dass Tarifverträge leichter für alle Arbeitgeber verbindlich gemacht werden.“…“ Siehe dazu die Analyse der Zahlen durch Stefan Sell:
- „Kinderarmut ist und bleibt ein nicht hinnehmbarer Skandal“ – sagt (nicht nur) der DGB. Und belegt das mit Zahlen, die groß daherkommen und doch noch zu klein sind
„Der Gewerkschaftsbund fordert ein Aktionsbündnis gegen Kinderarmut – weil die Zahl der auf Hartz IV angewiesenen Kinder und Jugendlichen seit Jahren kaum gesunken ist« (…) Von wem genau spricht der DGB eigentlich? »Die Zahl von Kindern bis 14 Jahren, die mit ihren Eltern Hartz-IV-Leistungen beziehen müssen, stagniert auf hohem Niveau. Im September 2019 erhielten 1.510.440 Kinder Hartz IV. Das sind kaum weniger als drei Jahre zuvor, als 1.558.428 Kinder Leistungen bezogen.« (…) Nun könnte der eine oder andere auf die Frage kommen, wieso hier bei 14 Jahren eine Grenze gesetzt wird. Wegen der Strafmündigkeit? Oder weil man hier die Grenze zwischen Kind und Jugendlicher überschritten hat? (…) Man könnte natürlich auch auf die Idee kommen, dass der Schnitt bei „bis 14 Jahre“ einen anderen, konkret: einen bürokratischen Ursprung haben könnte. Und mit dieser Fährte ist man gut bedient, denn im Hartz IV-System gibt es im Grundsatz eine Zweiteilung der Leistungen beziehenden Menschen – da gibt es die „erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“ und die eben nicht erwerbsfähigen. (…) Insofern könnte man für den September 2019 statt den 1.510.440 Kindern, von denen der DGB spricht, auch ganz offiziell von der BA eine andere Zahl heranziehen: 1.900.049 „Kinder unter 18 Jahren“ (… ) Und 1,9 Mio. ist nicht nur mehr als 1,51 Mio., wie vom DGB verbreitet. Auch die 1,9 Millionen Kinder sollten als Untergrenze verstanden werden. Man könnte und müsste beispielsweise berücksichtigen, dass im Jahresdurchschnitt 2018 für gut 250.000 Kinder an deren Berechtigte, also die Eltern, der Kinderzuschlag ausgezahlt wurde. Eine Leistung, mit der man verhindern will, dass nur aufgrund des Vorhandenseins des Kindes oder mehrerer Kinder der Haushalt in den Hartz IV-Bezug rutscht. (…) Und man könnte – wenn es einem um „Kinderarmut“ geht – darüber hinaus auf die zahlreichen Kinder hinweisen, die in der Hartz IV-Statistik überhaupt nicht auftauchen (können), weil sie in Familien leben, deren Haushaltseinkommen knapp oberhalb der Bedarfsschwellen des SGB II liegen, die aber in der Lebenswirklichkeit oftmals in manifesten Armutslagen leben müssen, nur dass sie eben nicht offiziell gezählt werden. (…) Wenn man davon ausgeht, dann verändern sich die Zahlen erneut: Von 1,9 Mio. Kindern und Jugendlichen im Hartz IV-Bezug auf 2,72 Mio., die in Deutschland unterhalb der Armutsschwelle leben (müssen). Das umreißt die gewaltigen Ausmaße, die das Problem auf einer rein quantitativen Ebene hat. (…) Berücksichtigt man auch die vielen Kinder und Jugendlichen, die knapp oberhalb der Hartz IV-Bedarfsschwellen leben müssen, dann steigt die Armutsquote der unter 18-Jährigen auf 20,4 Prozent. Wenn man so rechnet, dann ist die Gruppe der von Einkommensarmut betroffenen Kinder und Jugendlichen also um fast 40 Prozent größer als es die SGB II-Quote anzeigt…“ Beitrag von Stefan Sell vom 6. Februar 2020 auf seiner Homepage