Kürzungswut + Zweiklassengesellschaft bei Flüchtlingen und Hartz-4-Empfängern
„Die neue Bundesregierung zeigt sich derzeit noch in Geberlaune und verteilt hier und da kleine „Geschenke“ (…) Das Ganze dient offenkundig dazu angesichts von zunehmender Inflation, Rezessionsängsten und dem Ukraine-Krieg samt horrendem Aufrüstungsprogramm und den Rückwirkungen des von den NATO-Staaten initiierten Wirtschaftskrieges für Ruhe an der Heimatfront zu sorgen. Doch die vermeintliche Großzügigkeit und soziale Neigung der selbsternannten „Fortschrittskoalition“ aus SPD, GRÜNEN und FDP und ihrer Kooperationspartner aus CDU/CSU ist begrenzt. Das erfahren aktuell die mehr als fünf Millionen Hartz-4-Empfänger in unserer Republik der Reichen. (…) Und deutlicher kann auch unsere Aufgabe als Linke und als Gewerkschafter nicht sein: Mit Nachdruck der „Teile und herrsche“-Taktik entgegen und für eine Gleichbehandlung auf dem höchsten Niveau einzutreten — unter den erwerbstätigen Lohnabhängigen genauso wie unter den Erwerbslosen. Gegen jede Spaltung und jede Vorzugsbehandlung!“ Beitrag eines Mitglieds des Gewerkschaftsforums Hannover vom 18.06.2022:
Kürzungswut + Zweiklassengesellschaft bei Flüchtlingen und Hartz-4-Empfängern
Die neue Bundesregierung zeigt sich derzeit noch in Geberlaune und verteilt hier und da kleine „Geschenke“: vom (auf drei Monate befristeten!) 9-Euro-Ticket über den Tankrabatt bis zur „Einmaligen Energiepreispauschale“ von 300 Euro für „einkommensteuerpflichtige Erwerbstätige“ (d.h. vor allem die Mittelschicht sowie Teile der Arbeiterklasse) bzw. die Einmalzahlung von 200 Euro für Sozialleistungsempfänger (d.h. die „Unterschicht“), nur (ebenfalls einmalig) 100 Euro für Arbeitslosengeld (ALG-1)-Empfänger und 20 Euro monatlich mehr pro Kind aus Hartz-4-Familien…
Das Ganze dient offenkundig dazu angesichts von zunehmender Inflation, Rezessionsängsten und dem Ukraine-Krieg samt horrendem Aufrüstungsprogramm und den Rückwirkungen des von den NATO-Staaten initiierten Wirtschaftskrieges für Ruhe an der Heimatfront zu sorgen.
Doch die vermeintliche Großzügigkeit und soziale Neigung der selbsternannten „Fortschrittskoalition“ aus SPD, GRÜNEN und FDP und ihrer Kooperationspartner aus CDU/CSU ist begrenzt. Das erfahren aktuell die mehr als fünf Millionen Hartz-4-Empfänger in unserer Republik der Reichen. Auch wenn trotz eines FDP-Finanzministers Christian Lindner Schuldenmachen wieder populär ist, von „Bürgergeld statt Hartz IV“ geschwafelt und von „Experten“ vermehrt Maynard Keynes anstelle der Chicago-Boys von Milton Friedman zitiert wird, ist das neoliberale staatliche Verarmungs- & Erpressungsprogramm nach dem Motto „Fordern und Zwingen!“ keineswegs passé.
Das zeigen die neusten Nachrichten rund um besagtes bundesweites 9-Euro-Ticket für den Öffentlichen Nahverkehr. Da Grundsicherungsbeziehern in ihrem Regelsatz oder (für Schüler aus „Bedarfsgemeinschaften“) auch zusätzlich etwas mehr als die 9 Euro für Mobilität bewilligt werden, sollen sie nun in einigen Bundesländern die Differenz abgezogen bekommen bzw. zurückzahlen.
Vorreiter in punkto Schröpfung der Armen ist die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg unter dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Ein interessanter Fingerzeig was in Zukunft von den immer mehr in Mode kommenden CDU/GRÜNE-Regierungen auf Landesebene (und irgendwann sicher auch auf Bundesebene) zu erwarten ist. Der „SWR“ berichtete am 17. Juni 2022 um 5:00 Uhr darüber.
Im von CSU und Freien Wählern regierten Bayern plant man ähnliches, versucht aber größeren Wirbel zu vermeiden. Wobei der dezente Hinweis bedeutsam ist, dass „ja ein anderer Kostenträger – die Kommunen zuständig ist“ und somit über Hartz-4-Kürzungen oder Rückzahlungen aufgrund des 9-Taler-Tickets entscheiden werde. Der „Bayrische Rundfunk“ meldete am Juni 2022 dazu folgendes: Der Städte- & Landkreistag in Niedersachsen lehnt diese kleinkarierte Politik neoliberaler Mißgunst, zusammen mit Ministerpräsident Stephan Weil, vorerst ab. Allerdings in erster Linie, weil es „sehr verwaltungsaufwändig wäre“! (Siehe die Meldung der „NDR“ vom 17. Juni 2022 (um 14:57 Uhr))
Von der im Biedermeier-Mainstream-Geschwafel parteiübergreifend so oft beschworenen „Fairness“, „Gleichbehandlung“, „Achtsamkeit“, „Wertschätzung“, „Willkommenskultur“, „Zugewandtheit“ etc. ist auch bei der Behandlung von Flüchtlingen nichts zu spüren. Da genießen die Ukraine-Flüchtlinge eine Vorzugsbehandlung, während alle Anderen Asyl- und Schutzsuchenden Menschen zweiter, wenn nicht gar dritter Klasse sind.
So unterliegen die Ukraine-Flüchtlinge keiner Residenzpflicht und haben sofort Anspruch auf Hartz-4-Leistungen, also mehr Geld als alle anderen Flüchtlinge, und das — im Gegegensatz zu allen anderen Betroffenen — ohne große Prüfung ihrer Vermögensverhältnisse (weder vorher noch nachher) sowie dank deutlich höherer Freibeträge.
Unabhängig von etwaigem Immobilien- oder nicht sofort in Geldform verfügbaren Unternehmensbesitz sowie altersunabhängig wird jedem Haushaltsvorstand einer ukrainischen „Bedarfsgemeinschaft“ ein Schonvermögen von 60.000 Euro und jeder weiteren Person in der BG 30.000 Euro zugestanden. Bei einer vierköpfigen „Bedarfsgemeinschaft“ (Ehepaar mit zwei Kindern) können so maximal 150.000 Euro zusammenkommen! Dennoch ist dies nach Regierungslesart bei ukrainischen Flüchtlingen „kein erhebliches Vermögen“.
Zum Vergleich: Normalen Hartz-4-Beziehern wird nach geltendem Recht nur ein maximales Schonvermögen von — im Höchstfall — 10.050 Euro zugestanden. Und das auch erst kurz vor Erreichen des Rentenalters!
Obendrein verkündeten städtische Baugesellschaften und Wohnungsbaugenossenschaften zum Beispiel in Hamburg und ostdeutschen Bundesländern kürzlich, dass alle freien und demnächst freiwerdenden Wohnungen ausschließlich an Ukrainer vergeben werden. Alle übrigen Bedürftigen, die zum Teil seit Jahren auf den Wartelisten stehen, gucken in die Röhre, während der Bestand an Sozialwohnungen, dank Sozialabbau und Privatisierungspolitik, immer weiter zusammenschrumpft.
Der bekannte linke Wuppertaler Sozialrechtsanwalt Harald Thomé merkte dazu in seinem Newsletter vom 1. Mai 2022 an:
„Ich denke, diese Sozialschutzpaket-Regelungen werden einiges für die Ukraine-Geflüchteten vereinfachen, aber es ist nicht nachzuvollziehen, warum Ukraine-Geflüchtete anders behandelt werden als beispielsweise Kriegsflüchtlinge aus Syrien. Daher sollte und muss nun endlich das diskriminierende AsylbLG abgeschafft werden, denn Kriegsflüchtlinge sind Kriegsflüchtlinge, seien sie aus der Ukraine, Syrien, Türkei oder Afghanistan.“
Offenbar sieht man in denjenigen, die aufgrund des Krieges in der Ukraine nach Deutschland (und nicht nach Russland) geflohen sind, NATO-treue, politisch-loyale Fußtruppen, die eine Vorzugsbehandlung verdienen. (Und bei denen Nationalismus, Rechtsradikalismus, Rassismus, Homophobie und die enge geistige Verbundenheit mit Nazi-Kollaboratueren, Kriegsverbrechern und militanten Antisemiten wie Stepan Bandera oder Roman Schuchewytsch überhaupt kein Problem darstellt.)
Entsprechenden Klartext spricht zum Beispiel Martin Rupps in einem „SWR“-Kommentar vom 1. Juni 2022 . Originalton:
„Eine andere Änderung kommt leiser daher und ist nicht auf drei Monate begrenzt: Ukraine-Geflüchtete in Deutschland können nun Hartz IV-Leistungen beziehen. Und bekommen damit deutlich mehr auf das Konto als Frauen und Männer, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Die Bundesregierung rechnet mit 200.000 zusätzlichen „Bedarfsgemeinschaften“, wie der Fachbegriff lautet, und Mehrausgaben von 3,4 Milliarden Euro.
Nach meinem Eindruck hängt die Bundesregierung diesen mutigen Schritt – sozialpolitisch ebenfalls eine Zeitenwende! – nicht an die große Glocke. Vielleicht will sie eine Debatte kleinhalten, die schon begonnen hat: Die bisherige SPD-Bundestagsabgeordnete und neue Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, fordert Hartz IV-Leistungen und -Rechte für alle Asylbewerbende in Deutschland. Damit knüpft sie an eine lange Tradition der deutschen Sozialdemokratie an: Unterschiede zwischen Angehörigen einer gesellschaftlichen Gruppe werden mit Geld aus der Staatskasse eingeebnet.
Ich hoffe, dass sich die Gewerkschaftsvorsitzende nicht durchsetzt. (…) Die Ukraine-Geflüchteten haben – noch – einen Vertrauensbonus bei den meisten Deutschen. Hartz IV-Bezieher aus anderen Fluchtländern nach meinem Dafürhalten nicht.“ (Hervorhebungen von uns!)
Viel deutlicher kann man es nicht sagen.
Und deutlicher kann auch unsere Aufgabe als Linke und als Gewerkschafter nicht sein: Mit Nachdruck der „Teile und herrsche“-Taktik entgegen und für eine Gleichbehandlung auf dem höchsten Niveau einzutreten — unter den erwerbstätigen Lohnabhängigen genauso wie unter den Erwerbslosen.
Gegen jede Spaltung und jede Vorzugsbehandlung!
Mit solidarischen Grüßen, ein Mitglied des Gewerkschaftsforums Hannover