Empörung bei der Berliner Tafel: Essen als Einnahmen verrechnet – »Es hat eine strafende Sicht Einzug gehalten«
„Ein Mann bekommt weniger Wohngeld, weil das Bezirksamt Lichtenberg ihm die Essensspenden der Tafel als Einnahmen anrechnet. (…) Die Tafel nehme den Sozialstaat aus der Pflicht, heißt es. Sie erfülle zumindest teilweise die Aufgabe der Daseinsvorsorge, die eigentlich dem Staat obliegt. Die KritikerInnen der Tafel haben seit Montag ein Beispiel mehr, mit dem sie argumentieren können: Wie nun bekannt wurde, hat ein Berliner in seinem Wohngeldantrag angegeben, dass er Lebensmittel von der Tafel bezieht – woraufhin er weniger Sozialleistungen bekam. In einem Schreiben, das der taz vorliegt, verbuchte das Bezirksamt Lichtenberg die Lebensmittel unter dem Stichwort „Sachbezug Tafel“ als „Einnahmen“ von jährlich 2.892 Euro. Der Mann legte Widerspruch ein, der aber zurückgewiesen wurde. In einem zweiten Schreiben schlüsselte das Amt auf, „der Wert der als Sachbezug zur Verfügung gestellten Verpflegung“ betrage 241 Euro im Monat. Für Mittag- und Abendessen seien monatlich je 95 Euro, für das Frühstück 51 Euro veranschlagt worden…“ Artikel von Antje Lang-Lendorff vom 13.5.2019 bei der taz online und weitere Infos:
- »Es hat eine strafende Sicht Einzug gehalten«
„In Berlin Lichtenberg wurde Essen der Tafel als Einkommenaufs Wohngeld angerechnet. Armutsforscher Butterwegge sieht darin einen Mentalitätswandel (…) Das Bezirksamt Berlin Lichtenberg kürzte einem Wohngeldberechtigen die Leistung um 100 Euro monatlich – weil er Lebensmittel von der Tafel erhielt. Dort arbeitete er laut »rbb« auch ehrenamtlich mit. Für das Bezirksamt war klar: Das gespendete Essen sei »Einkommen«, das vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wurde. Der Gegenwert wurde pauschal auf 241 Euro monatlich festgesetzt, so das Bezirksamt in einer Stellungnahme. Der Widerspruch gegen die Anrechnung der Lebensmittel wurde im März abgelehnt. Die Frist für eine mögliche Klage ist verstrichen – der Betroffene machte davon laut Tafel nicht Gebrauch. Für den Armutsforscher Christoph Butterwegge manifestiert sich an dem Fall ein grundsätzlicher Mentalitätswandel in Deutschland: »Dass nun eine solche ergänzende Leistung als Ersatz für eine sozialstaatliche Leistung gewertet wird, hat eine neue Qualität.« Armut werde seit den Hartz-Reformen potenziell kriminalisiert, so Butterwegge. »Es hat eine strafende und kontrollierende Sicht auf Betroffene in das deutsche Recht – aber scheinbar auch in die Gesellschaft – Einzug gehalten.« Für den Berliner Anwalt Jan Becker ist das Vorgehen des Bezirksamts Lichtenberg rechtswidrig. Gegenüber »neues deutschland« erklärte er: »Rechtlich gesehen sind die Lebensmittel, die die Tafel ausgeben, oft gar keine verkaufsfähigen Lebensmittel mehr, sondern Müll. Sie dürfen wegen ihres kurzen oder sogar überschrittenen Mindesthaltbarkeit gar nicht mehr frei verkauft werden. Deshalb sind sie kein geldwerter Vorteil, weil der Ware gar kein Wert entgegen steht.« Wenn zudem, wie bei vielen Tafeln üblich, ein Euro von den Lebensmittel-beziehenden quasi als Kaufpreis gezahlt werde, könne man erst recht nicht von »Einkommen« sprechen, so Becker. Auch der Sozialrechtsexperte Harald Thomé konstatiert: »Das Wohngeldgesetz lässt gar keine solche Anrechnung zu. Ich halte das für eindeutig rechtswidrig.« In 25 Jahren Beratererfahrung habe er noch keinen Fall wie diesen gehabt…“ Artikel von Alina Leimbach vom 14.05.2019 beim ND online – interessant ist: Das sind fast 100 Euro mehr, als einem ALG2-Empfänger monatlich für Lebensmittel zur Verfügung stehen!
- Siehe auch die Stellungnahme der Berliner Tafel