2015 lässt grüssen: CDU, CSU und Freie Wähler fordern Arbeitsdienst für Langzeitarbeitslose
Dossier
„… Politiker von CDU, CSU und Freien Wählern wollen Langzeitarbeitslose zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten. Der CSU-Innenexperte Michael Kuffer erhofft sich für die Arbeitslosen „Wertschätzung und eine persönliche Beziehung zu unserem Gemeinwesen“. Ihm schwebe eine solche Regelung für Menschen vor, „die Leistungen vom Staat erhalten und nicht bereit sind, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren“, sagte der CDU-Vorsitzende von Sachsen-Anhalt, Sven Schulze, der „Bild“. Demnach könnten die Arbeitslosen etwa Laub fegen oder Müll sammeln. (…) Dabei gehe es vor allem darum, „die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in das Arbeitsleben erleichtern“, sagte Berlins CDU-Fraktionschef Burkard Dregger der „Bild“. Zuspruch dazu kam vom Vorsitzenden der Freien Wähler, Hubert Aiwanger: Viele Langzeitarbeitslose könnten „wieder in ein normales Arbeitsleben zurückkehren, wenn sie gezielt über gemeinnützige Arbeit für den ersten Arbeitsmarkt fit gemacht werden“. Der CSU-Innenexperte Michael Kuffer erhofft sich für die Arbeitslosen „Wertschätzung und eine persönliche Beziehung zu unserem Gemeinwesen“. Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß verwies laut „Bild“ auf einen Gesetzesentwurf aus Dänemark, wo die Regierung mit einer Pflicht zum Arbeiten die Integration von Einwanderern forcieren will.“ Meldung vom 9. September 2021 bei ZDF heute online : „CDU, CSU und Freie Wähler – Arbeitsdienst für Langzeitarbeitslose“ – siehe erste Kommentare und einen Rückblick:
- Arbeitslosigkeit: Widerstand gegen Forderung aus Union für Arbeitsdienst
„… Beim Bundesministerium für Arbeit (BMAS) gab man dem Arbeitsdienst eine Abfuhr: „Aus arbeitsmarktpolitischer Perspektive ist das dänische Vorhaben nicht sinnvoll, da nicht zu erwarten ist, dass die zu tätigenden Arbeiten eine nachhaltige Integration in den regulären Arbeitsmarkt befördern“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage. In seiner Antwort verwies das BMAS, auch in der Bundesrepublik könnten Hartz-IV-Empfänger verpflichtet werden, an bestimmten Maßnahmen teilzunehmen. Laubharken und Müllsammeln geht auch schon jetzt – und mancherorts werden Hartz-IV-Empfänger dafür eingesetzt. (…) Solche Arbeitsgelegenheiten sind aus Sicht des BMAS vor allem für Menschen geeignet, die sich erst wieder an eine feste Tagesstruktur gewöhnen und überhaupt wieder befähigt werden müssen, einer Lohnarbeit nachzugehen. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Erwerbslosenverein Tacheles lehnten die Idee des Arbeitsdienstes auf Nachfrage grundsätzlich ab. „Der Verein Tacheles lehnt einen Arbeitsdienst für Arbeitslose schärfstens ab“, schrieb dessen Vorsitzender Harald Thomé, da ein solcher Zwangsdienst nicht zur Arbeitsmarktintegration geeignet sei. „Geeignet wäre, Beratung, Unterstützung, Weiterbildung und Umschulung und Hilfen wie beispielsweise zur Erlangung eines Führerscheins, Kfz oder auch für ein Fahrrad.“ Sinnvoll wäre auch, so Thomé weiter, dass nachgewiesene Arbeit bei gemeinnützigen Organisationen mit 2,50 Euro je Stunde durch öffentliche Mittel entlohnt würden. „Das schafft Motivation, würde die gemeinnützige Arbeit boomen lassen und würde eine nachhaltige Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt ermöglichen.“ Dagegen sei der von Christdemokraten geforderte Arbeitsdienst nichts anderes als Zwangsarbeit, die von Tacheles abgelehnt werde. Ein Sprecher von Ver.di erklärte gegenüber Telepolis, dass die Gewerkschaft überhaupt nichts von solchen Ideen eines Arbeitsdienstes halte. Diese „korrespondieren nicht mit unserem Menschenbild und ebenso wenig mit den Realitäten unseres Wirtschaftssystems“. Denn es werde suggeriert, dass Arbeitslose an ihrem Schicksal selbst schuld seien und „deshalb – gleichsam als Buße – verpflichtet werden sollen, für die materiellen Leistungen der Allgemeinheit eine Gegenleistung zu erbringen“. In der weiteren Begründung führt ver.di vor allem vier Punkte an. Erstens: Arbeitslose sind durch ihren Status ohnehin schon materiell gestraft. Zweitens: Als sie noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, haben sie in eine Versicherung eingezahlt und Rechte und Anwartschaften erworben, um im Falle der Arbeitslosigkeit halbwegs abgesichert zu sein. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass „spätestens seit der Hartz-Gesetzgebung die Regelungen zulasten der unmittelbar Betroffenen deutlich verschlechtert worden sind, was Höhe und Bezugsdauer von ALG I sowie den Übergang zu ALG II betrifft“. Drittens: Auch bestehende Arbeitsverhältnisse werden durch die geltenden Regelungen unter Druck gesetzt. „Die geringe Höhe von Hartz IV und Zumutbarkeitsregeln bei der Vermittlung in Arbeitsverhältnisse sorgen dafür, dass reguläre Arbeitsverhältnisse im Hinblick auf die Löhne und Arbeitsbedingungen unter Druck geraten.“ Viertens: Was auch immer als Einsatzmöglichkeiten erdacht werde – beim Einsatz von Arbeitslosen können reguläre öffentliche Aufträge wegfallen und die entsprechenden Firmen im Entsorgungswesen oder im Gartenbau könnten in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, an deren Ende dann wieder Entlassungen und Arbeitslosigkeiten stehen könnten. „Damit schließt sich dann der Kreis des arbeitsmarktpolitischen Unsinns, was die Forderung nach einem Arbeitsdienst betrifft.“…“ Artikel von Bernd Müller vom 12.9.2021 bei Telepolis - Immer vor Wahlen kann man sich auf den Griff in die Mottenkiste verlassen: Zur Forderung nach einem Arbeitsdienst für Langzeitarbeitslose und andere Menschen
„In der sozialpolitischen Diskussion ist das ein beliebtes Muster: Man schaut (scheinbar) über den nationalen Tellerrand, greift sich – zumeist einzelne – Aspekte dessen, was dort vor sich geht oder diskutiert wird, heraus und präsentiert die als Anregung für unser Land. Die inhaltliche Streubreite dieses Vorgehens ist beträchtlich. Das kann getragen sein von der ehrenwerten Suche nach tatsächlichen Verbesserungen, also echten Reformen, man denke hier an gute Beispiele für die Bereiche Pflege und Rente. Nicht selten aber soll mit dem partikularen Verweis darauf, dass es in anderen Ländern „auch so läuft“, eine als „Reform“ getarnte geplante Verschlechterung legitimatorisch ummantelt werden. (…) Aber neben allen verfassungsrechtlichen, moralischen oder sonstigen sehr guten Gründen, die gegen diesen offensichtlich feuchten Traum einiger Stammtischbrüder sprechen – er würde sowieso nie Realität werden (können), man befrage dazu nur einmal diejenigen, die das organisieren müssten, also die Kommunen, die Jobcenter. Unabhängig davon geht es selbst den Apologeten der Arbeitsdienst-Forderung gar nicht um eine Verwirklichung, sondern man hebt populistisch das Bein gegen einige da unten, um bei anderen eine Duftmarke setzen zu können. Aber (hoffentlich) funktionieren diese immer wiederkehrenden Instrumentalisierungen heutzutage auch immer weniger wie die Annahme, man habe quasi ein naturgesetzliches Abo darauf, stärkste Partei bei Wahlen zu werden oder dass man nicht wegen Eigenbedarfs anderer aus dem Mietverhältnis im Kanzleramt ratsgekündigt werden kann.“ Beitrag vom 10. September 2021 von und bei Stefan Sell - Mit Arbeitsdienst die Wahl gewinnen?
„Panik-Initiative der Union: Zwei Wochen vor der Bundestagswahl schlagen Konservative vor, Langzeitarbeitslose zur Arbeit zu zwingen. Doch das angeführte Vorbild Dänemark taugt nicht viel
Zweieinhalb Wochen vor der Bundestagswahl haben Unionspolitiker vorgeschlagen, Langzeitarbeitslose zum Arbeitsdienst zu verpflichten . Wer über einen längeren Zeitraum hinweg keine Arbeit habe und von staatlichen Zuwendungen lebe, könne Laub oder Müll im öffentlichen Raum sammeln, hieß es von dieser Seite. Die konservativen Befürworter einer solchen Initiative verwiesen auf eine entsprechende Initiative in Dänemark. Dort aber ist der Vorschlag umstritten: Kritik kommt nicht nur von der politischen Linken, sondern auch von den Kommunen, in denen die Arbeitsprogramme umgesetzt werden müssten…“ Artikel von Christian Kliver vom 09. September 2021 bei Telepolis - Hallo, Zwangsarbeit!
„Wieder einmal will die Union erwerbslosen Menschen die Schuld für ihre Lage zuschieben. Die für CDU und CSU offensichtlich als faul und arbeitsscheu geltenden Langzeitarbeitslosen sollen zu gemeinnützigen Arbeiten verpflichtet werden. Etwa Müll sammeln oder Laub fegen. Selbstverständlich ohne Bezahlung. Wo käme man denn hin, wenn Menschen für ihre Arbeit entlohnt würden? Womöglich noch so hoch, dass sie aus Hartz IV herauskämen? Zwangsverpflichtende Zusatzjobs, zu denen auch die aktuelle Forderung der Union gehört, bringen entgegen ihrer Behauptung keine schnellere Vermittlung in den regulären Arbeitsmarkt, sondern verhindern stattdessen den wohl als lästig empfundenen Mindestlohn. Die »Arbeitsdienste« sollen »Wertschätzung« und »persönliche Beziehung zu unserem Gemeinwesen« schaffen. Was soll das für eine Wertschätzung sein, ohne Wahlfreiheit, ohne Mitspracherecht, ohne Lohn?...“ Kommentar von Lisa Ecke vom 09.09.2021 im ND online - Siehe im LabourNet-Archiv die Rubrik „Arbeitszwang die x-te„