No way to equal pay – Nach dem DGB-Tarifabschluss zur Leiharbeit
Artikel von Andreas Bachmann, erschienen in, express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10/2013
Der Ärger und das Unverständnis der Gewerkschaftslinken über den Tarifabschluss der DGB-Tarifgemeinschaft mit den Arbeitgeberverbänden iGZ (Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V.) und BAP (Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e.V.), der eine Laufzeit bis Dezember 2016 hat, ist groß. Die Vorstöße aus Teilen von ver.di, von einigen IG MetallerInnen sowie einigen Arbeitsrechtlern, die Tariföffnungsklausel im Gesetz (AÜG) darüber praktisch stillzulegen, dass kein Tarifvertrag abgeschlossen wird, und so dem (auch europa-rechtlichen) gesetzlichem Leitbild »Equal Pay« nachzukommen, wurden nur halbherzig und nicht ergebnisoffen geprüft.
So kam es weder zu einer offenen Diskussion noch zu einer tarifrechtlichen bzw. tarifpolitischen Abwägung hinsichtlich der Risiken eines Tarifvertrages und einer Lösung, die darin bestanden hätte, keinen verlängerten DGB-Tarifvertrag zur Leiharbeit abzuschließen.
Unbeantwortet ist immer noch die Frage, ob die Tarifparteien überhaupt befugt sind, das gesetzliche Leitbild (hier: Equal Pay) durch die Nutzung tarifdispositiver Normen – also Normen, die eine tarifliche Abweichung vom Gesetz üblicherweise nur zur Verbesserung der gesetzlichen Situation zulassen – so weit in das Gegenteil zu kehren. Wie viel Differenz zur Entlohnung der Stammbelegschaften ist noch rechtlich zulässig?
Im Westen beträgt der Mindestlohn ab 1. Januar 2014 nun 8,50 Euro in der Entgeltgruppe 1. Im Osten braucht es dazu noch ein paar Jahre, nämlich bis zum 1. Januar 2016.
Die Ausschlussfristen – also Fristen zur rückwirkenden Geltendmachung von tariflichen Ansprüchen auf Lohn, Urlaub etc. – wurden für die ArbeitnehmerInnen geringfügig verbessert und eine Reihe von anderen prozeduralen Verbesserungen durchgesetzt (siehe das Tarifinfo des DGB auf S. 10; zu Einzelheiten des Vertrags siehe: www.labournet.de, wo der Abschluss im Wortlaut dokumentiert ist).
Eine wichtige Rolle in der Argumentation der DGB-Tarifgemeinschaft hat der Branchenmindestlohnnach § 3 a AÜG (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) gespielt, der sich auf die Löhne der Entgeltgruppe 1 bezieht. Denn dieser gilt, sobald ein entsprechender Tarifvertrag abgeschlossen ist, dann auch für aus dem Ausland entsandte LeiharbeiterInnen. Aus der DGB-Tarifgemeinschaft wurde nicht nur die Gefahr neuer gelber inländischer Leiharbeitstarife, sondern auch das Risiko beschworen, dass ausländische Verleiher ihrerseits über entsprechende Tarifvereinbarungen am Equal Pay-Gebot, das grundsätzlich auch in der Entsendekonstellation gilt, mit besonders fiesen Dumpinglöhnen vorbeimarschieren könnten.
Dass es sich dabei um ein großes bzw. relevantes Risiko handelt, ist zweifelhaft. Die Entleiherkunden der Zeitarbeitsbranche und die Leiharbeitgeber selber hadern immer noch mit dem Kollaps der gelb-christlichen Tarife. Die Wiederholungsgefahr ist gering und der politische Makel der gelb-christlichen Tarife immer noch hoch. Ob überhaupt und unter welchen rechtlichen und sachlichen Voraussetzungen ausländische Tarifverträge zur Leiharbeit die tarifdispositive Regelung des bundesdeutschen § 3 Nr. 3 AÜG (»Equal Pay, es sein denn es gibt eine Tarifregelung«) nutzen können, ist eine offene Frage. Außerdem war die grenzüberschreitende Leiharbeit bislang kein Massenphänomen.
Der entscheidende Grund, warum die DGB-Gewerkschaften eine Lösung über den Weg »kein Tarifvertrag« verworfen haben, liegt in der ambivalenten Haltung insbesondere der Industriegewerkschaften und der (Stamm-)Belegschaften dort zu den Lohnabhängigen in Zeitarbeit und in befristeten
Arbeitsverhältnissen.1
Zum einen ist Leiharbeit zwar ein Anlass wirklicher Empörung über offensichtliche Ungerechtigkeit, zum anderen sind die großen Randbelegschaften Flexibilitätspuffer und Kostenreserve im Standortwettbewerb, manchmal auch zum Nutzen der Stammbelegschaften. Dann wiederum haben ein bestimmtes obszönes Maß an Leiharbeit und drastische Entgeltunterschiede zu besonderem Druck auf die Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaften beigetragen.
In dieser Gemengelage hat vor allem die IGM mit ihren Tariflösungen zu zeitlich gestaffelten Branchenzuschlägen auf die Leiharbeitsentgelte (Tarifpartner: iGZ und BAP) und den Rahmenbedingungen zum Einsatz von Leiharbeit (Tarifpartner: Gesamtmetall) einen Mittelweg – wenn man so will: einen kleinen Befreiungsschlag versucht.
Diese sehr komplexe tarifpolitische Dreieckskonstellation und die relative Verbesserung der Leiharbeitsentgelte ist noch sehr jung, hat die IGM viel Kraft gekostet und ihr eine Menge neuer Mitglieder gebracht. Zugleich knüpft dieser Ansatz rechtlich und sachlich an der Differenz zwischen Leiharbeit und Stammarbeit an und bezieht sich natürlich auf die Leiharbeitstarife der DGB-Tarifgemeinschaft.
Ein Ausweg überkeinen Leiharbeitstarif hätte diesen Mittelweg der IGM komplett über den Haufen geschmissen. So viel politischen Abschreibungsbedarf wollten sich die IGM und die anderen DGB-Gewerkschaften offenbar nicht zumuten.
Man muss das nicht gut finden, aber man muss es zumindest in seiner Historie verstehen (nicht billigen), um in den nächsten Auseinandersetzungen bestehen zu können. Das Problem war eben nicht nur, dass die zentralen Akteure der Gewerkschaften auf einem falscher Dampfer und neuen Argumenten gegenüber nur wenig aufgeschlossen waren.2 Eine wahrscheinlich genauso große Herausforderung für den Kampf gegen prekäre Arbeitsverhältnisse sind die widersprüchlichen und unterschiedlichen Betroffenheiten und Legitimationen von Leiharbeit und prekärer Beschäftigung innerhalb der Lohnabhängigen selber. Dieses in einem ersten Schritt offen zu legen und diskutierbar zu machen, ist sicher mühsam, trotzdem aber unvermeidlich.
Anmerkungen:
1 Klaus Dörre (2013): »System permanenter Bewährungsproben«, in: Die Mitbestimmung, Nr. 1/2, S. 56
2 ver.di Bundesvorstand, Erklärung vom 27. Mai 2013: »Leiharbeit braucht equal pay und einen Tarifvertrag.«