Leiharbeit blieb auch 2017 stramm auf Expansionskurs
„Seit ihrer weitgehenden Deregulierung 2003 ist die Leiharbeit auf Expansionskurs gegangen, von dem spätere Gesetzesnovellen sie bislang nicht abzubringen vermochten. Das war im Jahr 2017 nicht anders. Neue Rekordmarken wurden erreicht, und ein Ende ist nicht in Sicht – auch weil die Reform vom April des Jahres eine Mogelpackung darstellt. (…) Erstmals hat die Zahl der im Jahresdurchschnitt in Leiharbeit Beschäftigten die Millionenmarke überschritten. Wie aus den kürzlich veröffentlichten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervorgeht, hatten etwa 52.000 Überlassungsbetriebe 2017 im Schnitt 1,03 Millionen ArbeitnehmerInnen unter Vertrag, ein Vertrag, der für 55 Prozent der so Beschäftigten allerdings nie länger als drei Monate Bestand hatte. (…) Leiharbeitsbeschäftigte sind in allen Wirtschaftszweigen zu finden, wobei der Dienstleistungsbereich mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Der Hauptanteil der Leiharbeit entfiel allerdings auch 2017 wieder mit 42 Prozent auf die Produktionsberufe. Hier ragen die Bereiche „Metallverarbeitung“ und „Maschinenbau- und Betriebstechnik“ mit Anteilen von zehn bzw. 6,7 Prozent heraus. Die mit Abstand meisten Leiharbeitsbeschäftigten arbeiten weiterhin in Berufen der „Lagerwirtschaft“. Mehr als 24 Prozent aller Leihkräfte waren im Durchschnitt des Jahres 2017 dort tätig. Die Bedeutung des tertiären Sektors nimmt derweil weiter zu. Knapp jeder dritte Leiharbeitnehmer arbeitete 2017 in einem wirtschaftlichen Dienstleistungsberuf. Dazu zählen etwa die Reinigungsberufe, auf die ein Anteil von 2,1 Prozent entfiel, oder das Sicherheitsgewerbe. Weitere 20 Prozent arbeiten je zur Hälfte in personenbezogenen Dienstleistungsberufen (Gastgewerbe, Gesundheitsbranche) und kaufmännischen Berufen (von Handel bis Unternehmensführung)…“ Beitrag von Markus Krüsemann vom 23. Juli 2018 bei miese Jobs , siehe dazu auch den Statistik-Bericht „Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit“ bei Blickpunkt Arbeitswelt vom Juli 2018 herausgegeben von der Bundesagentur für Arbeit (25 Seiten) und neu dazu:
- Über eine Million Leiharbeiter in 2017 – „Leiharbeit ist Lohndumping und keine Arbeitsmarktbrücke“
„Über eine Million Leiharbeiter in 2017 – das sind 40.000 mehr als im Vorjahr (+4,1%) und ein neuer Höchststand. Trotz Wirtschaftsboom und angeblichem Fachkräftemangel ist der Trend zur Leiharbeit ungebrochen. Mehr als jeder zweite Leiharbeitnehmer (63%) arbeitete trotz Vollzeit zu einem Niedriglohn. Bei Leiharbeitnehmern unter 25 Prozent sind es sogar über 80 Prozent. Leiharbeitnehmer verdienen im Bundesschnitt 1.300 EURO weniger als ihre festangestellten Kolleginnen und Kollegen. Ein Drittel der Leiharbeiternehmer (36%) wird spätestens nach neun Monaten entlassen. Leiharbeit ist auch keine Brücke in den 1. Arbeitsmarkt. Gerade einmal 33 Prozent der Leiharbeiter finden 90 Tage nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, mehr als jeder dritte (40%) bleibt arbeitslos. In der Branche Arbeitnehmerüberlassung mussten insgesamt 43.000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihren Lohn mit Arbeitslosengeld II aufstocken. Bezogen auf die sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten lag der Anteil insgesamt bei 0,9 Prozent und in der Arbeitnehmerüberlassung bei 4,2 Prozent…“ Auswertung von Susanne Ferschl u.a. und der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag vom 8.9.2018 der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Aktuelle Entwicklungen in der Leiharbeit“, siehe auch die Ergebnisse im Einzelnen und einen Kommentar dazu:
- Lost in Leiharbeit. Prekäre Beschäftigung in der BRD.
„… Eigentlich sollte sich die Situation für die Leiharbeiter durch die Gesetzesänderungen der früheren Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles verbessern – festgelegt wurden »gleiche Bezahlung« nach neun Monaten oder die Höchstdauer des Verleihs von 18 Monaten. Aber schon im Gesetzgebungsverfahren wurde von den Kritikern nachlesbar herausgestellt: Das wird nichts. Beispiel »Equal pay« nach neun Monaten (die von den meisten gar nicht erreicht werden, weil ihre Verträge nur wenige Monate laufen): Es wurde darauf hingewiesen, dass die Regelung zu einem »Leiharbeiterkarussell« führen werde, denn die Zeitgrenze wurde nur auf den konkreten Leiharbeiter bezogen, nicht auf den Arbeitsplatz. Für die Entleihbetriebe heißt das: weg mit dem Beschäftigten und einen neuen liefern lassen. Auch die Gewerkschaften haben beim Aufweichen der Regeln Hand angelegt. So kann die Überlassungsdauer in der Metallindustrie »dank« Tarifvertrag auf 48 Monate verlängert werden. Die Betroffenen wurden auf Dauer prekären Lebenslagen ausgesetzt. Der Zugang zu Konsumentenkrediten oder einem neuen Mietvertrag wird ihnen dadurch verwehrt. Der Nachschub an Leiharbeitern läuft auch deshalb so gut, weil die Jobcenter mit ihren Sanktionsmöglichkeiten als verlässlicher Zulieferer funktionieren. (…) Was tun? »Equal pay« muss vom ersten Tag der Beschäftigung an gezahlt werden. Mit guten Gründen könnte man sogar einen Flexibilitätsaufschlag rechtfertigen. Dann würde Leiharbeit erheblich teurer, und man müsste sie kostenbedingt auf die ursprünglich mal gedachte Überbrückungsfunktion begrenzen. Und Lohndumping wäre passé. Aber man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Selbst wenn es politisch gelingen sollte – sofort würden Umgehungsstrategien gesucht und genutzt werden.“ Gastkommentar von Stefan Sell in der jungen Welt vom 11.09.2018 (nur im Abo)