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Klage eines Zeitarbeiters auf Festeinstellung nach fast 5 Jahren bei Daimler landet vor dem EuGH
„Ein Unternehmen braucht eine „objektive Begründung“, wenn es einen Zeitarbeiter mehrmals in Folge beschäftigt. Diese Ansicht vertritt jedenfalls der zuständige Gutachter am Europäischen Gerichtshof. Geklagt hatte ein Leiharbeiter bei Daimler. Nach Ansicht eines Gutachters des Europäischen Gerichtshofs braucht es eine „objektive Erklärung“, wenn Leiharbeiter mehrmals in Folge an das gleiche Unternehmen vermittelt werden. Das soll einen missbräuchlichen Einsatz von Leiharbeit verhindern. Dabei sei zum Beispiel zu berücksichtigen, welche Art von Arbeit jemand erledigt und ob zum Beispiel ein Arbeitsplatz dauerhaft vorhanden ist. Hintergrund des Gutachtens ist ein Streit um einen Arbeitnehmer, der insgesamt fünf Jahre als Leiharbeiter in der Motorenfertigung der Daimler AG tätig war, und der nun ein festes Arbeitsverhältnis einklagt…“ Agenturmeldung vom 09. September 2021 bei automobilwoche.de , siehe daraus erste Hinweise auf ein Urteil und nun dieses samt Kommentaren:
- EuGH zur Leiharbeit: Vorübergehend ist (fast) alles, was vorübergeht
„Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) hat am 17. März 2022 ein Urteil erlassen, das sich mit dem „vorübergehenden“ Charakter der Leiharbeit befasst.* Dieser ist in Art. 1 der Leiharbeitsrichtlinie von 2008 vorgeschrieben. Anlass für die Entscheidung war eine Vorlage des Landesarbeitsgerichts Berlin, das über den Fall eines Leiharbeiters bei Daimler/Berlin entscheiden musste, der dort seit fast fünf Jahren auf demselben Arbeitsplatz beschäftigt war. (…) Zunächst stellt der EuGH fest, dass die Richtlinie keine bestimmte Höchstdauer für die Überlassung vorschreibe. Die Mitgliedstaaten müssten lediglich dafür sorgen, dass „Leiharbeit bei demselben entleihenden Unternehmen nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer wird.“ Das klingt ein bisschen besser, aber im Grunde ist es nur eine sprachliche Umformulierung: Was Dauercharakter hat, ist nicht mehr vorübergehend. Wo die Grenze verläuft, bleibt offen. (…) Die EuGH-Entscheidung wird viele enttäuschen. Dabei sollte man allerdings nicht übersehen, dass zahlreiche Aussagen des Gerichts durch den sehr bescheidenen Richtlinientext vorgegeben sind: Wenn eben die Sanktionen für Verstöße in der Hand der Mitgliedstaaten liegen, kann man beim besten Willen keinen Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher aus der Richtlinie ableiten. Dazu kommt ein zweites. Ein aufgeschlossenes deutsches Gericht würde sehr viel stärker danach fragen, wie die Funktion bestimmter Regelungen ist, was es effektiv bedeutet, wenn man Leiharbeit beliebig auch auf Dauerarbeitsplätzen zulässt. Und es käme möglicherweise zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber die Leiharbeit nicht für solche Zwecke vorgesehen hat und sie deshalb in ihrem Anwendungsbereich beschränkt werden muss…“ Aus dem Kommentar von Prof. Dr. Wolfgang Däubler, Uni Bremen, vom 21.3.2022 – wir danken! Siehe auch das Urteil und einige weitere Bewertungen:- EuGH-Urteil Az. C-232/20 vom 17. März 2022
- Der Interessenverband deutscher Zeitarbeitsfirmen freut sich: EuGH fällt Urteil zu Arbeitnehmerüberlassung
„… „Das Urteil der Zweiten Kammer bestätigt die iGZ-Verbandsposition, dass sich die Überlassungszeit auf den jeweiligen Zeitarbeitnehmer und nicht auf den Arbeitsplatz beziehen sollte. Erfreulicherweise gibt das Gericht auch weiterhin grünes Licht, von der Überlassungshöchstdauer durch Tarifverträge der Einsatzbranche abzuweichen“, kommentiert iGZ-Hauptgeschäftsführer Werner Stolz die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu einer verhandelten Arbeitnehmerüberlassung über 55 Monate. Im Fokus der Klage stand der in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 genutzte Begriff „vorübergehend“, der sich nach Auffassung des Staatsanwaltes „jedoch nur auf die Zeiten der Überlassung des betreffenden Leiharbeitnehmers bezieht, nicht aber auf den Arbeitsplatz, auf dem er eingesetzt wird.“ Dieser Auffassung schloss sich der Gerichtshof an. Laut Urteil des EuGH können die Vorschriften der Unionsrichtlinien im Bereich des Arbeitsrechts auch durch allgemeinverbindliche Tarifverträge umgesetzt werden. Die Ausdehnung der im deutschen Gesetz vorgesehenen individuellen Überlassungshöchstdauer könne den Tarifvertragsparteien überlassen werden.“ IGZ-Meldung vom 17. März 2022 zum EuGH-Urteil Az. C-232/20 vom 17. März 2022 - Zeitarbeit auf Dauer – EuGH stellt klar: Fünf Jahre Leiharbeit begründen keinen Anspruch auf Festanstellung
„Einmal mehr gibt der Europäische Gerichtshof (EuGH) dem deutschen Kapital in arbeitsrechtlichen Fragen Schützenhilfe. So stellten die EU-Richter am Donnerstag klar: Nur weil in der BRD seit 2017 Leiharbeitsverhältnisse auf 18 Monate begrenzt sind, muss Daimler seinen »vorübergehend Beschäftigten« nach fünf Jahren noch längst keine Festanstellung anbieten. Hintergrund des Urteils ist die Klage eines Metallarbeiters, der von 2014 bis 2019 über einen Zeitraum von insgesamt 55 Monaten für den Automobilkonzern tätig war – stets auf Leihbasis, aber immer auf dem gleichen Posten in der Motorenfertigung. Dabei gilt hierzulande seit 2017 eigentlich die Regel, dass »vorübergehend« im Zusammenhang mit der sogenannten Arbeitnehmerüberlassung nicht länger als 18 Monate dauern darf. Deshalb hatte der Beschäftigte 2019 vor dem Arbeitsgericht Berlin geklagt und ein unbefristetes Arbeitsverhältnis eingefordert. Allerdings hatten es Bundesregierung und Bundestag 2017 nicht versäumt, im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) genügend Schlupflöcher zugunsten der Kapitalseite einzubauen – so etwa die Möglichkeit, die gesetzliche Obergrenze via Tarifvertrag auszuhebeln. Für den Betrieb, in dem der Kläger eingesetzt wurde, gelten die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie – die nun nicht zum Schutz von Beschäftigten, sondern zur Durchsetzung von Kapitalinteressen in Stellung gebracht werden. Denn in Verbindung mit einer Daimler-Betriebsvereinbarung steigt die Überlassungshöchstdauer auf 36 Monate – gerechnet ab Juni 2017. Der Fall ging zunächst vom Arbeitsgericht Berlin weiter zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg – und wurde von dort aus im Mai 2020 dem EuGH vorgelegt. Dieser sollte eine Reihe von EU-rechtlichen Aspekten bewerten: Erlaubt die EU-Leiharbeitsrichtlinie »vorübergehende« Entsendungen auf dauerhaft vorhandenen Arbeitsplätzen? Kann »vorübergehend« laut besagter Richtlinie auch 55 Monate dauern? Ist die Ausdehnung der Höchstdauer via Tarifvertrag mit EU-Recht zu vereinbaren? Die Luxemburger Richter ließen sich viel Zeit, bevor sie am Donnerstag nach fast zwei Jahren dreimal mit »Ja« antworteten. So bezieht sich dem Urteil zufolge das Merkmal »vorübergehend« nicht auf den konkreten Arbeitsplatz, sondern generell auf die Modalitäten der Überlassung. Wie die Optionen zur Ausdehnung der Überlassungshöchstdauer ausgestaltet werden, sei eine nationale Angelegenheit. Und es widerspräche auch nicht dem EU-Recht, wenn auf Branchen- oder Betriebsebene gesetzlich verankerte Arbeitsrechte durch Tarifverträge ausgehebelt würden. (…) [D]ie Frage, ob 55 Monate zuviel sind, um als »vorübergehend« betrachtet zu werden, haben die Luxemburger Richter zurück in den Verantwortungsbereich der nationalen Gerichte gespielt. Das EU-Recht wird nicht gegen die Profitinteressen des Industriekapitals in Stellung gebracht, soviel ist schon mal klar. Mit der etwaigen Anwendung nationaler Schutzrechte muss sich nun erneut das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg befassen…“ Kommentar von Sebastian Edinger in der jungen Welt vom 19. März 2022 - Was ist (k)eine „vorübergehende Überlassung“ von arbeitenden Menschen? Der Europäische Gerichtshof fällt ein „erfreuliches“ bzw. „enttäuschendes“ Urteil zur Leiharbeit
Umfangreicher Beitrag vom 18. März 2022 von und bei Stefan Sell auch zur Problematik der Tarifverträge
- Weiter aus der Agenturmeldung vom 09. September 2021 bei automobilwoche.de : „… Der Gutachter des EuGH empfiehlt weiter, dass das zuständige Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg prüfen solle, ob die Überlassungspraxis zu einer längeren Beschäftigungsdauer geführt habe als das, was vernünftigerweise als „vorübergehend“ betrachtet werden könne. Gleichzeitig betont das Gutachten jedoch, dass ein Leiharbeitnehmer keinen Anspruch auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit dem ausleihenden Unternehmen habe – selbst dann, wenn falls ein missbräuchlicher Einsatz von Leiharbeit festgestellt werde…“
Siehe zur Problematik im LabourNet Germany:
- Dossier: Höchstüberlassungsdauer in der Metall und Elektroindustrie geknackt: IG Metall stimmt Zeitarbeit bis zu vier Jahren zu
- vom Mai 2019: (Erwartbare) Bilanz zwei Jahre nach der Reform der Leiharbeit: Wie Tarifverträge den Regelungen zu Equal Pay und Höchstüberlassungsdauer die Zähne ziehen
- Dossier: Gesetz zur Regulierung von Zeitarbeit und Werkverträgen 2016