(Erwartbare) Bilanz zwei Jahre nach der Reform der Leiharbeit: Wie Tarifverträge den Regelungen zu Equal Pay und Höchstüberlassungsdauer die Zähne ziehen
„… Um die Arbeitnehmerüberlassung stärker auf ihre Kernfunktion als Instrument zur zeitlich begrenzten Deckung eines Arbeitskräftebedarfs zu orientieren, wurde eine gesetzliche Überlassungshöchstdauer von grundsätzlich 18 Monaten im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) eingeführt. Damit wurde der Einsatz der jeweiligen Leiharbeitskraft im Einsatzunternehmen (Entleiherunternehmen) zeitlich begrenzt. Hierbei besteht die Möglichkeit, von der Überlassungshöchstdauer vorrangig durch Tarifvertrag der Einsatzbranche abzuweichen. Diese Regelung ermöglicht, dass den Interessen der Leiharbeitskräfte sowie der Stammarbeitskräfte im Entleiherunternehmen Rechnung getragen wird und zugleich den spezifischen Bedürfnissen der jeweiligen Einsatzbranche entsprechende Vereinbarungen getroffen werden können. Für die Feststellung der Wirkung der Überlassungshöchstdauer ist es noch zu früh, da die Überlassungshöchstdauer wegen der Übergangsregelung in § 19 Absatz 2 AÜG erstmals Ende 2018 praktisch zum Tragen gekommen ist. Die Evaluation der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes soll hierzu Erkenntnisse liefern…“ Aus der Antwort „Bilanz zwei Jahre nach der Reform der Leiharbeit“ der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/9311 – vom 29.04.2019. Siehe dazu 2 Analysen der Antwort hinsichtlich der absehbaren konterkarierenden Rolle der Tarifverträge v.a. hinsichtlich der Höchstüberlassungsdauer sowie Hinweise auf (umfangreiche) Hintergründe im LabourNet Germany:
- Zwei Jahre nach der Reform der Leiharbeit zeigt sich: Tarifverträge führen nicht immer zu besseren Regelungen
„»Seit April 2017 gelten die neuen Regelungen zu Equal Pay und die Höchstüberlassungsdauer im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Die Zielsetzung der Reform liest sich noch heute ambitioniert. „Arbeitnehmerüberlassung soll gute Arbeit sein“, wozu „berufliche Sicherheit ebenso wie ein fairer Lohn“ gehören (Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, Bundestagsdrucksache 18/9232, Begründung, S. 14). (…)So die Vorbemerkung in der Anfrage „Bilanz zwei Jahre nach der Reform der Leiharbeit“ der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen an die Bundesregierung. Und die mit der Bundestags-Drucksache 19/9779 vom 29.04.2019 geantwortet. (…) Laut Antwort der Bundesregierung bestanden im April 2019 insgesamt 109 Tarifverträge, in denen die maximale Dauer der Überlassung an ein Unternehmen auf mehr als 18 Monate ausgeweitet wurde. Die Höchstdauer wurde in den Tarifverträgen auf 24 bis zum Teil sogar 120 Monate ausgeweitet. Die beschäftigten Leiharbeitnehmer könnten also abweichend von den in der Reform vorgesehenen 18 Monaten bis zu zehn Jahre in dem gleichen Betrieb eingesetzt werden. Und da war doch noch so eine „erhebliche Verbesserung“ der Bedingungen, unter denen Leiharbeiter arbeiten müssen? Genau, „equal pay“ nach den berühmten 9 Monaten. Auch da werfen manche Tarifverträge Knüppel zwischen die Beine, denn nach Angaben der Bundesregierung existieren 27 Tarifverträge, die erst nach spätestens 15 statt 9 Monaten Überlassungsdauer in einem Betrieb die gleichwertige Bezahlung mit den Tarifbeschäftigten vorsehen. »Bei 13 Abschlüssen davon handelt es sich um sog. Firmentarifverträge des Bereiches der sonstigen privaten Dienstleistungen (10), Eisenbahn (2) und Straßenverkehr (1). Die 14 weiteren Tarifverträge sind Verbandstarifverträge aus der Branche Chemie/Kunststoffverarbeitung sowie der Branche sonstige private Dienstleistungen sowie 11 aus der Branche Arbeitnehmerüberlassung (beispielsweise für die Überlassung in die Metall- und Elektroindustrie).« (S. 5)...“ Beitrag von Stefan Sell vom 8. Mai 2019 bei Aktuelle Sozialpolitik mit Links auf seine früheren Beiträge zum Thema
- Wie Tarifverträge der Leiharbeitsreform die Zähne ziehen
„Die Reform zur Regulierung der Leiharbeit sollte den unbegrenzten Einsatz von Leiharbeitern verhindern und ihnen eine bessere Bezahlung garantieren. Nun zeigt eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Grünen im Bundestag: Zwei Jahre nach Inkrafttreten der Reform unterschreiten über 100 Tarifverträge die ursprünglich geplanten Mindeststandards. (…) Die Antwort der Bundesregierung fällt zurückhaltend aus: Zu den meisten Fragen der Grünen sei eine Bilanzierung noch nicht möglich, da die entsprechenden Daten noch nicht vorlägen. Allerdings zeigt die vorliegende Antwort auf die Kleine Anfrage der Grünen, dass Tarifverträge die Mindeststandards der Reform aushöhlen, vor allem in Hinblick auf die maximale Verleihdauer. (…) Die Höchstdauer wurde in den Tarifverträgen auf 24 bis zum Teil sogar 120 Monate ausgeweitet. Die beschäftigten Leiharbeitnehmer könnten also abweichend von den in der Reform vorgesehenen eineinhalb Jahren bis zu zehn Jahre in dem selben Betrieb eingesetzt werden. (…) Wie viele Beschäftigte von diesen tariflichen Regelungen betroffen sind, ist der Bundesregierung nach eigener Aussage nicht bekannt. Die vorliegenden Antworten verdeutlichen dennoch, dass bei der Eindämmung von Leiharbeitsverhältnissen und den damit verbundenen schlechten Arbeitsbedingungen nicht auf den Abschluss von Tarifverträgen gebaut werden kann.“ Beitrag von Lena Becher vom 8. Mai 2019 bei O-Ton Arbeitsmarkt
Siehe zum Hintergrund:
- und allgemein: Betrogene Arbeitnehmer – Wie durch Tarifverträge Schutzbestimmungen ausgehebelt werden
- sowie tarifpolitisch unser Dossier: “Stärkung der Tarifautonomie: Unternehmer fürchten Rückkehr des Tarifkartells” – wir fürchten uns auch vor Tarifvorbehalten
- Zum eruierten Gesetz siehe unser Dossier: Gesetz zur Regulierung von Zeitarbeit und Werkverträgen 2016