Ostdeutschland: Jobcenter klagen gegen sittenwidrige Niedriglöhne
Dossier
„Stundenlöhne von bis zu 1,32 Euro: Jobcenter müssen solche Gehälter mit Hartz IV ergänzen, damit es für die Betroffenen überhaupt zum Leben reicht. Jetzt gehen die Behörden in ganz Ostdeutschland gerichtlich gegen die Arbeitgeber vor…“ Artikel von Thomas Öchsner in Süddeutsche online vom 5. Juni 2013
. Siehe zum Ergebnis:
- Löhne von 1,53 bzw. 1,64 Euro pro Stunde sittenwidrig
„Stundenlöhne von 1,53 bzw. 1,64 Euro für Aushilfskräfte in einer Anwaltskanzlei sind sittenwidrig, hat am 7. November 2014 das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg festgestellt und einen Rechtsanwalt aus dem Südbrandenburgischen zur Nachzahlung von 3.400 Euro verurteilt (Aktenzeichen: 6 Sa 1148/14)...“ ver.di-Pressemitteilung vom 12. November 2014. Siehe dazu:
- LAG Brandenburg: Lohndumping bei Aufstockern für den Steuerzahler nicht hinnehmbar
„Eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg bekräftigt erneut, dass es möglich ist, erfolgreich gegen jene vorzugehen, die Niedriglöhne bezahlen. Auch wenn diese vorgeben, dies aus hehren Gründen zu tun…“ Kommentar von Twister (Bettina Hammer) in telepolis vom 13.11.2014
- LAG Brandenburg: Lohndumping bei Aufstockern für den Steuerzahler nicht hinnehmbar
- Gerichtsurteil: Stundenlohn – 1,54 Euro sittenwidrig, aber nicht ausbeuterisch
„Sind Stundenlöhne zwischen 1,54 Euro und 1,65 Euro sittenwidrig? Mit dieser Frage beschäftigte sich ein brandenburgisches Arbeitsgericht. Die Richter kamen zu einem überraschenden Urteil.Im Lohndumping-Streit über Bezüge von Bürokräften eines Brandenburger Rechtsanwalts hat eine Arbeitsagentur vor Gericht eine Niederlage erlitten. Das Arbeitsgericht Cottbus wies am Mittwoch die Klage des Jobcenters Oberspreewald-Lausitz gegen den Juristen wegen angeblicher Ausbeutung von Mitarbeitern zurück…“ Artikel in der Morgenpost online vom 09.04.14. Siehe dazu:
- Schein und Sein einer Nachricht
Artikel vom Lutz Hausstein vom 22. April 2014 bei den Nachdenkseiten.
Aus dem Text: „… Das Gesamtbild beginnt sich zu entwirren, wenn man die Aktivitäten des Rechtsanwalts in die Betrachtungen einbezieht. Eher durch einen Zufall in den Bereich des Sozialrechts hineingeraten, nahm die Zahl der Hartz-IV-Rechtsfälle seiner Kanzlei kontinuierlich zu. Die konsequente Vertretung der Interessen von Sozialleistungsberechtigten gegen die Jobcenter sprach sich unter den Betroffenen bald herum, sodass inzwischen 90 Prozent seiner Anwaltstätigkeit Sozialleistungsstreitigkeiten umfassen. Wenngleich diese Fälle für ihn auch wenig lukrativ sind. Inzwischen beklagt sich gar der stellvertretende Geschäftsführer des Jobcenters Oberspreewald-Lausitz über die erhebliche Zunahme der Widersprüche und macht hierfür in erster Linie den umtriebigen Rechtsanwalt verantwortlich. (…) So erscheint es auch nicht besonders zufällig, dass das besagte Jobcenter nun ausgerechnet gegen diesen Rechtsanwalt das Arbeitsgericht wegen des Vorwurfs der ausbeuterischen Beschäftigung bemühte. Hatte dieser doch in den vergangenen Jahren vielfach für „Unannehmlichkeiten“ beim Jobcenter gesorgt. Der Rechtsanwalt hingegen hat mit seinem Handeln die beiden Büromitarbeiter – auf deren eigenen ausdrücklichen Wunsch – vor weiteren „Qualifizierungen“ und darüber hinaus auch Niedrigstlohn-“Angeboten“ (Angebote, die man bekanntlich nicht ablehnen kann) des Jobcenters bewahrt. (…) Wie abstrus die diesem allen zugrunde liegenden Hartz-Gesetze von ihrer prinzipiellen Ausrichtung schon sind, offenbart dieser Fall sehr plastisch. Jemand wie ich, dem Arbeitnehmerrechte ebenso am Herzen liegen wie die Rechte von Arbeitslosen, sieht sich gezwungen, eine absurd niedrige Bezahlung von Menschen in einer gewissen Weise zu verteidigen. Eine Bezahlung, welche – und dies ist eine entscheidende Stellschraube in dieser Betrachtung – die Sozialleistungsempfänger vor der Willkür des Jobcenters bewahrt. Derjenigen Stelle also, die sie normalerweise unterstützen sollte, sie stattdessen jedoch unter Druck setzt, drangsaliert und ihnen ihre Würde nimmt, ohne ihnen wirklich zu helfen. Es ist eben unmöglich, unter den gegebenen (falschen) Umständen in einer bestimmten Zeit ein richtiges Leben zu führen…“ - Wer im Glashaus sitzt …
„Die Lausitzer Rundschau hatte in der letzten Woche über mich berichtet, ich würde Mitarbeiter zum Dumpinglohn beschäftigen. Dazu nehme ich wie folgt Stellung…“ Erklärung von und bei RA Thomas Lange vom 27. November 2013. Aus dem Text: „… Die Mitarbeiterin, die über keine adäquate Ausbildung verfügt, kam vor einem Jahr in meine Kanzlei. Sie bezog auch damals Hartz-IV-Leistungen und sollte auf Weisung des Jobcenters wiedermal an irgendwelchen sinnlosen Trainingsmassnahmen teilnehmen, die angeblich ihre Eingliederungschancen verbessern sollen. Nach Rücksprache mit dem Jobcenter wurde ihr es dann schliesslich gestattet, anstelle dieses Schwachsinns in meiner Kanzlei ein Praktikum zu absolvieren. Nach Abschluss des Praktikums bat mich diese Mitarbeiterin um eine Nebenbeschäftigung auf 100-Euro-Basis, denn dann würde sie vom Jobcenter von sinnlosen Beschäftigungsmassnahmen verschont. Eine höhere Vergütung lohne sich für sie nicht, denn von jedem Euro, den sie über diese 100-Euro-Grenze hinaus verdient, kassiert das Jobcenter 80 Cent ein. Seit dem ist die Mitarbeiterin bei mir tätig und hat die Aufgabe, die Handakten für die Gerichtstermine des nächsten Tages herauszusuchen. Eine konkrete Arbeitszeit ist zu keinem Zeitpunkt vereinbart worden. Im Übrigen ist es merkwürdig, dass sich gerade das Jobcenter über zu geringe Vergütung beschwert, wo doch gerade die Jobcenter die Hartz-IV-Bezieher oftmals zu rechtswidrigen “1,50 Euro-Jobs” zwingen und ihnen im Fall der Weigerung die Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums um 30% absenken. (…) Zum Schluss mag noch darauf hingewiesen werden, dass die Mitarbeiterin, bevor sie zu mir kam, bei der “Lausitzer Rundschau” beschäftigt war, für 100,00 Euro pro Monat und einer Arbeitszeit von 14,5 Stunden. Wer im Glashaus sitzt, sollt wohl nicht mit Steinen werfen.“
- Schein und Sein einer Nachricht
- „Sittenwidrige Löhne!“ – Das Hinterletzte aus der durchgeregelten Klassengesellschaft
Kommentar vom 18. November 2013 bei Kritik geht anders. Aus dem Text: „… Der Sozialstaat rechnet damit, dass diese Maßnahmen Lohnverhältnisse hervorbringen, von denen die Eingegliederten nicht existieren können. Ihm ist nämlich klar, dass ein großer Teil der Arbeitslosen nur dann in Arbeit kommt, wenn der Verdienst für sie keinen Lebensunterhalt abwirft. Deshalb stattet er Niedriglöhner großzügig mit dem Fürsorgeanspruch aus, nötigenfalls ihren Lohn bis zum staatlichen Existenzminimum aufgestockt zu bekommen, auf das sie auch ohne Arbeit einen Anspruch hätten. Dann sieht der Sozialstaat sich mit dem Erfolg seiner Hartz-Reformen konfrontiert: Je mehr die Maßnahmen ziehen und die Arbeitslosigkeit sinkt, desto mehr werden seine Arbeitslosen zu „Beschäftigten“, die von ihrem Lohn nicht leben können und auf seine Aufstockungsleistungen angewiesen sind. (…) Wie gütig! Die sittenwidrig entlohnten Arbeiter müssen gar nicht selber vor Gericht ziehen, damit der Staat sein Geld wieder bekommt!„
- Jobcenter klagen gegen sittenwidrige Löhne: „Wir müssen lückenlos und konsequent vorgehen“
„In Brandenburg mussten sich die Arbeitsgerichte in den vergangenen Monaten immer wieder mit Klagen der Jobcenter gegen Unternehmen wegen sittenwidriger Löhne beschäftigen. Im Interview erklärt Olaf Möller von der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit, ab wann ein Lohn sittenwidrig ist und warum auch ein gesetzlicher Mindestlohn die Niedriglohnklagen nicht überflüssig machen wird…“ Interview mit Olaf Möller bei LTO online vom 06.11.2013
- Es wird geharzt und gehungert
„Mindestlohndebatte: Wenn der Döner zu teuer wird. Mittelalterliche Zustände auf dem Arbeitsmarkt der Dienstleister
Ganze 1,59 bis 2,72 Euro Stundenlohn – brutto, versteht sich: Soviel durften die Angestellten eines brandenburgischen Pizza-Services nach getaner Arbeit gnädigerweise mit nach Hause nehmen. Nach dem Gesetz ist dies sittenwidrig, weil die fraglichen Löhne um mehr als die Hälfte unter dem ortsüblichen Entgelt für vergleichbare Tätigkeiten liegen, so eine Feststellung des Arbeitsgerichtes Eberswalde vom 9. September 2013, das in dieser Sache (Az.: 2 Ca 428/13) wegen einer Klage des Jobcenters Uckermark angerufen wurde…“ Artikel von Laurent Joachim in telepolis vom 21.10.2013
- Lübbener Firma zahlte 2,84 Euro Stundenlohn: Klage des Jobcenters erfolgreich
„Immer mehr Jobcenter ziehen gegen sittenwidriger Löhne vor Gericht – und bekommen Recht. Ein Fall aus der Spreewaldstadt Lübbenau endet jetzt mit einem Vergleich. Das Unternehmen hatte einem Mitarbeiter weniger als drei Euro in der Stunde gezahlt. „Wir haben nichts Unrechtes getan“, erklärten die Beschuldigten vor Gericht…“ Artikel vom 15.10.2013 bei der Märkischen Allgemeinen online. Aus dem Text: „… In den vergangenen Monaten sind in Brandenburg mehrere Jobcenter gegen Löhne unter der Hartz-IV-Existenzsicherung vorgegangen – darunter auch Einrichtungen in den Kreisen Elbe-Elster und Dahme-Spreewald. Vor rund einem Monat hatte das Jobcenter Uckermark erfolgreich gegen einen Pizza-Lieferservice geklagt, der Stundenlöhne von 1,59 Euro, 1,65 Euro und 2,72 Euro gezahlt hatte. Das Arbeitsgericht Eberswalde erklärte diese für sittenwidrig. Weitere Verfahren vor dem Arbeitsgericht sind für November vorgesehen. In Brandenburg sind nach Angaben des Arbeitsministeriums mehr als 64.000 Beschäftigte auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen.“
- Jobcenter gegen Lohndumping: Arbeitsgericht verhandelt erneut Klage gegen Niedriglohn
„Manche Arbeitnehmer verdienen weniger als drei Euro in der Stunde. Ein Gericht befasst sich nun erneut mit einer Klage eines Jobcenters in Brandenburg. Die Einrichtung hatte über Jahre den viel zu niedrigen Lohn einer Angestellten finanziell aufgestockt, um die Sicherung des Lebenunterhalts der Frau zu gewährleisten…“ Artikel vom 15.10.2013 bei der Märkischen Allgemeinen online
- Gerichtsurteil gegen Dumpinglöhne: 1,59 Euro sind sittenwidrig
„Ein Pizza-Service bezahlt seine Arbeitnehmer mieserabel. Dagegen klagte das Jobcenter Uckermark erfolgreich. Auch in weiteren Landkreisen wurden Klagen eingereicht. Das Arbeitsgericht Eberswalde hat extrem niedrige Löhne eines uckermärkischen Pizza-Lieferservice als sittenwidrig bewertet. Die Kammer gab am Dienstag einer Klage des Jobcenters Uckermark gegen den Arbeitgeber statt, wie das Gericht mitteilte. Er muss demnach an das Jobcenter rund 11.000 Euro Aufstockungsleistungen für überwiegend geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer zurückzahlen…“ Meldung in der taz vom 11. 09. 2013