Die Zahl der Menschen mit (mehr als) einem Nebenjob steigt an, die einen sehen darin die Not und die anderen die Freude an der Arbeit
Dossier
„Seit 15 Jahren steigt die Zahl der Menschen mit Nebenjobs kontinuierlich an, von knapp 1,4 Millionen auf 3,4 Millionen Beschäftigte, so eine der vielen Meldungen zu neuen Zahlen über die Mehrfachbeschäftigten überschrieben (…) Es gibt unterschiedliche Formen der Mehrfachbeschäftigung, die Daten zeigen aber, dass die Kombination einer sozialversicherungspflichtigen Haupt- mit einer Nebenbeschäftigung auf Basis vor allem eines Minijobs die Hauptform darstellt. Der kontinuierliche und deutliche Anstieg der Nebenjobber ist eindeutig und beeindruckend. Wie auch in früheren Jahren gestaltet sich aber die Suche nach den Ursachen für diese Entwicklung notwendigerweise schwierig, da es eben nicht nur den einen Grund gibt, sondern teilweise ganz unterschiedliche Motivlagen eine Rolle spielen können…“ Beitrag von Stefan Sell vom 3. Februar 2019 bei Aktuelle Sozialpolitik , siehe dazu:
- Arm trotz Arbeit: Wenn ein Einkommen nicht zum Leben reicht
„Armut bleibt ein Tabuthema in Deutschland. Menschen, die davon betroffen sind, reden nicht gern darüber. Viele versuchen sich selbst zu helfen – indem sie zwei oder gar noch mehr Jobs haben. (…)
Ein Einkommen scheint für viele nicht mehr auszureichen. Es ist die finanzielle Not, die Erwerbstätige dazu zwingt, mehr als einen Job auszuüben und Rentner dazu drängt weiterzuarbeiten. Fast 17 Prozent der Bevölkerung in Deutschland lebte 2022 in Armut. Das sind mehr als 14 Millionen Menschen, so die Ergebnisse des Paritätischen Armutsberichts 2024 . Damit stagnieren die Zahlen zwar erstmals seit Jahren auf einem sehr hohen Niveau, aber die Kinderarmut steigt weiter. Ein Fünftel der Armen sind Kinder und Jugendliche. Alarmierend an den Ergebnissen ist zudem, dass fast zwei Drittel aller erwachsenen Armen einer Arbeit nachgehen oder in Rente sind. Nur sechs Prozent der erwachsenen Armutsbevölkerung ist arbeitslos, dagegen sind 34 Prozent erwerbstätig, darunter 30 Prozent Rentnerinnen und Rentner. Und die Armut erreicht immer mehr Gesellschaftsschichten. 60 Prozent verfügen über mittlere oder höhere Bildungsabschlüsse. (…)
Fehlende Kinderbetreuung bedeutet gesellschaftliche Benachteiligung und erhöht das Armutsrisiko direkt. Denn Vollzeit- oder vollzeitnahe Angebote auf dem Arbeitsmarkt sind oft schlecht mit der Familie zu vereinbaren. Daher sind gerade Mütter, insbesondere Alleinerziehende, nur in geringem Umfang erwerbstätig. Im Falle einer Entlassung haben sie wenig oder keine Ansprüche an die Arbeitslosenversicherung. Rentenansprüche werden kaum aufgebaut, und Altersarmut ist die Folge. (…)
Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes müssen 42,3 Prozent der Rentner in Deutschland mit weniger als 1.250 Euro netto auskommen. Das sind mehr als vier von zehn Rentnern. Etwa jeder vierte Rentenempfänger (26,4 Prozent) kommt dabei sogar auf weniger als 1.000 Euro. Das betrifft besonders häufig Frauen, nämlich 53,5 Prozent, bei den Männern sind es „nur“ 28,2 Prozent. (…) Und obendrauf noch die Steuerlast…“ Beitrag von Katrin Wegner, hr, vom 21.09.2024 in tagesschau.de - Teufelskreis Teilzeit. Immer mehr Beschäftigte mit mehreren Jobs. Besonders Frauen arbeiten in der BRD im Niedriglohnbereich
„In der Bundesrepublik haben immer mehr Menschen mehr als einen Job. Zudem arbeitet fast ein Drittel aller Beschäftigten hierzulande in Teilzeit – beides betrifft erstrangig Frauen. Wie aus der Antwort einer kleinen Anfrage der Linke-Bundestagsabgeordneten Susanne Ferschl hervorgeht, die jW am Donnerstag vorlag und über die die Süddeutsche Zeitung gleichentags berichtete, arbeiten rund 3,8 Millionen Menschen in mehr als einer sozialversicherungspflichtigen oder geringfügigen Beschäftigung. Die Anzahl der Mehrfachbeschäftigten ist demnach von 2012 bis Mitte Juni 2022 von 2,7 Millionen auf 3,8 Millionen um rund 39 Prozent angestiegen. Mehr als 53 Prozent dieser Beschäftigten sind Frauen. Daneben gibt es weiterhin mehr als 91.000 »Aufstocker«; also Menschen, die trotz einer Vollzeitstelle Sozialleistungen beziehen müssen. (…) Anstatt Mini- und Midijobs auszubauen, brauche es »endlich einen armutsfesten Mindestlohn«, so Ferschl. Dieser »Teilzeitfalle« müsse »endlich ein Riegel vorgeschoben werden«.
Die Anzahl an Teilzeitbeschäftigten wuchs laut Antwort der Bundesregierung im beobachteten Zeitraum von 7,3 Millionen auf 10,2 Millionen an. Insgesamt sind das nahezu 30 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Gingen 2012 noch 44,4 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen einer Teilzeitbeschäftigung nach, so sind es nach den aktuellen Zahlen 49,6 Prozent, also nahezu die Hälfte.
Bei Männern stieg der Anteil der Teilzeitbeschäftigten auf niedrigerem Niveau von 8,6 auf 12,6 Prozent. Dabei war der Anteil an Männern, die unfreiwillig in Teilzeit arbeiten, mit 23 Prozent deutlich geringer als der von Frauen mit 28 Prozent. Die Zahl der Menschen, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich durch geringfügige Beschäftigung, also Mini- und Midijobs, bestreiten, ist laut Antwort der Bundesregierung insgesamt um 900.000 Personen zurückgegangen, mit 4,4 Millionen jedoch immer noch sehr hoch. Die Zahl umfasst demnach auch kurzfristig Beschäftigte und sogenannte Ein-Euro-Jobber. Wie auch bei Teilzeitbeschäftigten droht wegen geringer Entlohnung die spätere Altersarmut.
Die Gründe für Teilzeitbeschäftigung sind unterschiedlich verteilt. Während bei Frauen besonders die Betreuung von Kindern (27 Prozent), von Menschen mit Behinderung oder Pflegebedürftigen (17 Prozent) im Vordergrund stehen, arbeiten Männer eher beim Eintritt ins Berufsleben, etwa während Ausbildung und Studium in Teilzeit (25 Prozent). An zweiter Stelle steht auch hier die Betreuung von Pflegebedürftigen oder behinderten Menschen, nur ist hier der Anteil (12,3 Prozent) deutlich geringer als bei Frauen. Je weniger – bezahlbare – Betreuungsmöglichkeiten vorhanden sind, desto höher sei insbesondere bei Frauen die Nachfrage nach Teilzeit, heißt es in der Auswertung aus dem Abgeordnetenbüro, die jW am Donnerstag vorlag…“ Arikel von David Maiwald in der jungen Welt vom 11.08.2023 . Siehe auch: - Immer mehr Multijobber: Wenn selbst zwei Jobs nicht zum Leben reichen
„… Mehr als 3,5 Millionen Menschen in Deutschland haben mehr als eine Arbeitsstelle. Die Zahl hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt. Deutschland werde zum Niedriglohnland, klagt der Generalsekretär der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Philipp Schumann: „Bei zwölf Euro Mindestlohn verdient man bei einer 42-Stunden-Woche ganztags etwas weniger als 2200 Euro. Das entspricht nur etwa 60 Prozent des Durchschnittseinkommens in Deutschland und reicht damit zum Leben nicht aus.“ Morgens Zeitungen austragen, mittags Kurierfahrten, nachmittags Jobben im Buchladen, abends Kellnern in der Cocktail-Bar: Herrschen auf unserem Arbeitsmarkt bald amerikanische Verhältnisse? Schumann würde das bejahen. Erst wenn die Betroffenen etwa 80 Prozent des Durchschnittseinkommens verdienten, bräuchten sie keine zwei oder mehr Jobs mehr. Dazu aber müsste der Mindestlohn bei 17 bis 18 Euro die Stunde liegen. (…) Zum Beispiel eine sechsköpfige Familie aus Wetzlar: Mutter Anika muss seit Anfang des vergangenen Jahres mehreren Jobs nachgehen, damit sie über die Runden kommt. Denn die Lebenshaltungskosten – im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 22 Prozent gestiegen – setzten ihr und ihrer Familie zu. Vor der Inflation reichten das Gehalt ihres Mannes als Industriemechaniker in Vollzeit und Anikas Teilzeitjob aus. Danach aber fehlten der Familie fast 700 Euro im Monat. Seitdem sind sie im Dauerstress: Er arbeitet im Drei-Schicht-System, sechs Tage die Woche; sie arbeitet als Mehrfachbeschäftigte ohne Wochenenden durch…“ Beitrag von Katrin Wegner vom 29. Mai 2023 in tagesschau.de- Siehe auch unser Dossier: Altersarmut treibt in Arbeit: Immer mehr (Mini)Jobber mit über 65
- IW-Studie: Zahl der Mehrfachbeschäftigten steigt deutlich
„Etwa 3,5 Millionen Arbeitnehmer haben zwei oder mehr Jobs. (…) Die Zahl der Arbeitnehmer mit zwei oder mehr Jobs ist einer Studie zufolge seit 2013 um rund 700.000 auf 3,5 Millionen gestiegen. Mit 91 Prozent des Anstiegs habe vor allem die Zahl der Arbeitnehmer stark zugenommen, die neben ihrem Hauptjob noch einer geringfügigen Beschäftigung nachgingen, um ihr Haushaltseinkommen aufzubessern, wie aus einer noch unveröffentlichten Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervorgeht, aus der die „Rheinische Post“ vorab berichtet. Doch auch die Zahl der sogenannten Hybridbeschäftigten, die neben ihrem Hauptjob noch einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen, sei seit 2013 um 13 Prozent auf gut 690.000 im Jahr 2019 gestiegen. Ihre Motivlage sei jedoch völlig anders als die der überwiegend Mehrfachbeschäftigten, heißt es weiter. Die Hybridbeschäftigten hätten im Hauptjob überdurchschnittlich hohe Einkommen, sie verfügten zudem über eine überdurchschnittliche Qualifikation. Auf ein höheres Einkommen durch den Nebenerwerb seien sie nicht unbedingt angewiesen. Dagegen hätten die meisten anderen Mehrfachbeschäftigten zwei oder mehr Jobs, um ihr geringes Einkommen im Hauptberuf aufzubessern. Häufig arbeiteten sie im Hauptjob nur Teilzeit. Im Ergebnis erzielten sie durch die Mehrfachbeschäftigung aber Haushaltseinkommen wie der Durchschnitt der Vollzeit-Beschäftigten ohne Zweitjobs…“ Meldung vom 25. Mai 2021 beim Handelsblatt online , siehe auch die PM des IW vom 25.5.2021 : „Der Trend zur Zweitbeschäftigung Nur eine Frage des Geldes?“ - Die Zahl der arbeitenden Armen in Deutschland wächst: Aufstocken mit der Trittin-Rente
„In Deutschland wächst die Armut – und mit ihr der informelle Sektor. Viele Menschen sind gezwungen, ihr Einkommen in der Schattenwirtschaft aufzubessern. (…) Thomas hat einen langen Tag hinter sich. Seit sieben Uhr ist der 58jährige auf den Beinen. Erst jetzt um 16 Uhr endet seine Schicht und er hat Zeit für ein Gespräch über seine Arbeit. Thomas gehört zu den vielen Tausend Menschen in Deutschland, die ihren Lebensunterhalt mit dem Sammeln von Pfandflaschen aufbessern. (…) Thomas ist keine Ausnahme. Viele Flaschensammler haben einen regelmäßigen Arbeitsrhythmus, arbeiten täglich eine bestimmte Stundenzahl zu bestimmten Zeiten auf feste Routen. »Jeder hat seine speziellen Plätze, aber die sind natürlich Betriebsgeheimnis. Das ist wie bei einem guten Pilzplatz, der wird ja auch nicht verraten«, witzelt Thomas. Die meisten Flaschensammler sind zwar arm, aber nicht wohnungslos oder ohne anderes Einkommen, sie stocken vielmehr ihre zu niedrigen sonstigen Bezüge auf – seien es Sozialleistungen wie bei Thomas, Armutslöhne aus prekärer Beschäftigung oder niedrige Renten. Die Sozialwissenschaftler Alban Knecht und Philipp Catterfeld haben in ihrer Untersuchung »Flaschensammeln. Überleben in der Stadt«, herausgefunden, dass die Mehrzahl die Flaschensammler über 65 Jahre alt ist. So auch Thomas’ Kollegin Beate. Die 71jährige sammelt seit knapp drei Jahren viermal pro Woche Pfandflaschen. Daneben bessert sie ihre knappe Rente auf, indem sie einmal die Woche bei Bekannten putzt. »Meine Rente reicht gerade so für den Unterhalt der Wohnung und Lebensmittel. Mit dem Pfand kann ich mir auch mal was zum Anziehen oder neue Schuhe kaufen.« Unwohl fühlt sie sich nicht, wenn andere sie dabei beobachten, wie sie die öffentlichen Mülleimer durchsucht. »Man gewöhnt sich an die Blicke. Außerdem habe ich keinen Grund, mich zu schämen. Ich verdiene mein Geld mit ehrlicher Arbeit und tue noch dazu etwas für die Umwelt.« Unverständlich sind ihr daher die Schikanen, der sie und andere Flaschensammler oftmals ausgesetzt sind. (…) Nach Daten des Statistischen Bundesamts gelten derzeit 15,8 Prozent der Bevölkerung als arm, also fast ein Sechstel. Das ist die höchste Armutsquote seit Beginn der Erhebung im Jahr 1996. Auch etwa drei Millionen der 17 Millionen deutschen Ruheständler sind arm, insbesondere Frauen. Wie Beate müssen nicht wenige von ihnen ihre Altersbezüge mit der »Trittin-Rente« aufbessern.“ Beitrag Stefan Dietl vom 8. Oktober 2020 aus Jungle World 2020/41 - Immer mehr Deutsche haben einen Nebenjob: Von 3,5 Millionen Mehrfachjobber, mehr als jeder Zweite aus finanziellen Schwierigkeiten „Etwa 3,5 Millionen Mehrfachjobber zählt die Bundesagentur für Arbeit einem Bericht zufolge. Für mehr als jeden Zweiten sind finanzielle Schwierigkeiten ausschlaggebend für eine Nebentätigkeit. Die Zahl der Menschen mit Nebenjob steigt weiter – auf inzwischen fast sieben Prozent aller Deutschen von 18 bis 65 Jahren. Ende Juni 2019 waren etwa 3 538 000 Mehrfachbeschäftigte registriert, wie aus einer Antwort der Bundesagentur für Arbeit (BA) auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervorgeht, über die die Neue Osnabrücker Zeitung berichtet. Das waren im Vergleich zu Juni 2018 etwa 123 600 Menschen mehr, ein Anstieg von 3,62 Prozent. Ein Jahr davor lag die Zahl der Arbeitsagentur zufolge bei 3,3 Millionen. Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkts- und Berufsforschung hat sich die Zahl der Mehrfachbeschäftigten von 2003 bis 2017 damit mehr als verdoppelt. Fast drei Millionen Menschen hatten den Angaben zufolge neben einem regulären Job noch eine geringfügige Beschäftigung. Mehr als 345 400 Menschen gingen zwei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen nach. Dritthäufigste Variante war die Kombination von zwei oder mehr sogenannten Minijobs. Dies galt für knapp 260 700 Fälle. Einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung vom März 2019 zufolge sind für 53 Prozent der Befragten finanzielle Schwierigkeiten oder Nöte ausschlaggebend für eine Nebentätigkeit. 24 Prozent der befragten Mehrfachjobber gaben zudem an, keine Vollzeitstelle zu finden und deshalb aufstocken zu müssen…“ Meldung vom 21. Januar 2020 bei der Süddeutschen Zeitung online