Corona-Pandemie: Minijobber gehören zu den großen Verlierern der Krise – wird es anhalten?
Dossier
„Sie haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld und werden darum schneller entlassen: Durch die Corona-Krise haben Hunderttausende Minijobber ihre Arbeit verloren, vor allem in den stark gebeutelten Branchen Veranstaltungen und Gastronomie. Rund die Hälfte derer, die 2019 ausschließlich einem Minijob nachgegangen sind, standen im Frühjahr 2020 ohne Arbeit da. (…) Im Vergleich zum Vorjahr ging die Zahl im Juni 2020 um 12 Prozent zurück, das entspricht rund 850.000 Arbeitsverhältinissen. Bei den sozialversicherungspflichtigen Jobs lag der Rückgang nur bei 0,2 Prozent. Diese Zahlen hat das DIW Berlin diese Woche veröffenlicht. „Spätestens mit dieser Studie muss allen klar sein: Minijobs sind nicht krisenfest und deshalb braucht es statt einer Ausweitung dringend eine Strategie für mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung“, sagt DGB-Vorstand Anja Piel. „Die Union muss die Debatte zur Erhöhung der Minijobgrenze sofort beerdigen. Dieser Vorschlag ist arbeitsmarktpolitische Irrlichterei und würde in der Folge noch weitere Millionen Menschen aus der sozialen Sicherheit hinauskatapultieren…“ DGB-Meldung vom 05.11.2020 . Siehe dazu:
- Nach dem Wegfall der Corona-Maßnahmen steigt wieder die Zahl der Minijobs
„Nach dem Wegfall der Corona-Maßnahmen steigt nun auch die Zahl der Minijobs. Rund 300.000 mehr Menschen als vor einem Jahr arbeiten im gewerblichen Minijob. Zum 31. Dezember 2022 waren bei der Minijob-Zentrale insgesamt 6.828.755 Minijobberinnen und Minijobber gemeldet. Im Quartal zuvor, Ende September 2022, waren es noch 6.762.079. Im gewerblichen Bereich sind aktuell 6.552.253 Minijobberinnen und Minijobber gemeldet. Im Vergleich zum Vorjahr ist dieser Wert um 4,7 Prozent gestiegen, also um rund 300.000 Personen. Mit insgesamt 1.531.898 arbeiten die meisten Minijobberinnen und Minijobber in Nordrhein-Westfalen. Das Bundesland Bremen ist mit 60.652 Beschäftigten im gewerblichen Bereich das Schlusslicht im Ländervergleich. Das geht aus dem aktuellen Quartalsbericht der Minijob-Zentrale hervor. Die Zahl der Menschen mit einem Minijob in Privathaushalten ist im Vergleich zum Vorquartal ebenfalls gestiegen. Zum 31. Dezember 2022 sind 276.502 geringfügig entlohnte Beschäftigte bei der Minijob-Zentrale gemeldet. Dies entspricht einem Anstieg von 3,7 Prozent im Vergleich zum September 2022. (…) Die meisten Menschen, die einen Minijob im gewerblichen Bereich ausüben, sind in dem Wirtschaftsabschnitt „Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen“ beschäftigt. Ende Dezember 2022 waren dies 1.145.770 Minijobberinnen und Minijobber. Platz zwei verzeichnet erneut der Wirtschaftsabschnitt „Gastgewerbe“. Waren es im ersten Quartal 2022 noch 685.649 Minijobberinnen und Minijobber, die im Gastgewerbe arbeiteten, sind es Ende Dezember 2022 nach dem Wegfall der Corona-Maßnahmen wieder 826.948.“ Meldung vom 27. Februar 2023 von und bei der Knappschaft Bahn See („Nach Corona: Zahl der Minijobs erholt sich weiter“ – wir wollen hier ungern von Erholung sprechen…) - Minijobs in Zeiten von Corona: WSI bietet detaillierte Daten für alle kreisfreien Städte und Landkreise in Deutschland
„… Ende Juni 2021 gab es bundesweit gut 436.000 geringfügig Beschäftigte weniger als vor Beginn der Pandemie zwei Jahre zuvor. Das zeigt eine neue Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, die auch detaillierte Minijob-Daten für alle 400 kreisfreien Städte und Landkreise in Deutschland liefert. Besonders deutlich ist der Rückgang unter Beschäftigten, die über den Minijob hinaus kein anderes Arbeitsverhältnis haben: Die Zahl der Minijobs im Hauptjob ging gegenüber Juni 2019 um rund 495.000 zurück, allein zwischen Juni 2020 und Juni 2021 sank sie um 109.000. Dagegen ist die Zahl der Minijobs, die als Nebenjob ausgeübt werden, nach einem Rückgang im ersten Corona-Jahr wieder gestiegen: Sie lag 2021 um rund 190.000 höher als 2020 und überstieg auch den Wert von 2019 um knapp 60.000. (…) „Geringe Stabilität und mangelnde soziale Sicherheit sind keine Schönheitsfehler, sondern integraler Bestandteil des Konzepts Minijob“, sagt WSI-Experte Dr. Eric Seils. „Unter den Bedingungen von Corona wird das nur besonders deutlich. Problematisch sind Minijobs unter anderem auch, weil den Beschäftigten teilweise wichtige Rechte wie der Mindestlohn, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub versagt bleiben. Außerdem setzen sie Anreize, die es für viele geringfügig entlohnte Beschäftigte kurzfristig unattraktiv machen, ihre Beschäftigung auszuweiten. Dadurch ergeben sich insbesondere bei verheirateten Frauen etwa negative Auswirkungen auf die Alterssicherung.“ Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommt zu dem Schluss, dass Minijobs meist keinen Übergang in stabilere Beschäftigung bieten und allein in kleinen Betrieben rund 500.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängen. Es sei daher richtig, geringfügig entlohnte Beschäftigung nach Möglichkeit in reguläre sozialversicherungspflichtige Jobs umzuwandeln, betont WSI-Experte Seils. So wie das bis zum Beginn der Corona-Krise auch schon geschah, allerdings relativ langsam. Sorgen bereitet dem Forscher auch der fortgesetzte Anstieg der Nebenjobs. So zeigen aktuelle Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit, dass die Zahl der Nebenjobs trotz Corona-Krise einen neuen Höchststand erreicht hat…“ Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 3. März 2022 mit Link zur detaillierten Darstellung der örtlichen Verteilung - Bei Corona-Schließung: Keine Lohnfortzahlung für Minijobber – und Anmerkung dazu von Armin Kammrad
„… Arbeitgeber müssen Minijobbern nicht den Lohn weiterzahlen, wenn sie wegen eines Corona-Lockdowns zur Schließung gezwungen sind. Das hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entschieden (5 AZR 211/21). Es lasse sich auch daraus „keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten“, dass der Staat die Lohnausfälle nicht ersetze, urteilte das Gericht in seinem ersten Corona-Urteil. Verhandelt worden war der Fall einer Verkäuferin in einem Fachgeschäft für Nähmaschinen aus Niedersachen. Das Geschäft musste im April letzten Jahres wegen des staatlich angeordneten Corona-Lockdowns schließen. Die Mitarbeiterin verlangte vom Arbeitgeber die April-Lohnzahlung von 432 Euro – mit der Begründung, die pandemiebedingte Schließung des Ladens gehöre zum Risiko des Unternehmens. Die Vorinstanzen, das Arbeitsgericht Verden und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen, hatten der Klage der Minijobberin stattgegeben. (…) Das Bundesarbeitsgericht hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und wies die Klage auf Lohnzahlung ab. Nach dem Urteil der höchsten deutschen Arbeitsrichter trägt der Arbeitgeber bei staatlich angeordneten Lockdowns, bei denen die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert werden sollen, nicht das Risiko des Arbeitsausfalls. Zwar seien andere Geschäfte für die Versorgung der Bevölkerung wie der Lebensmittelhandel geöffnet gewesen, so Stephanie Rachor, Sprecherin des Bundesarbeitsgerichts. „Der Senat hat das aber so bewertet, dass das eben die Ausnahmen waren – während die Verordnung insgesamt sehr wohl auf eine generelle Schließung des öffentlichen Lebens und die Vermeidung von Kontakten in der Öffentlichkeit gerichtet war.“ (…) Dass die Frau als geringfügig Beschäftigte keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld hat und komplett leer ausgeht, spielte bei der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts keine Rolle. Aus Sicht der Richter ist es Sache des Staates, die durch staatliche Lockdowns entstehenden finanziellen Nachteile auszugleichen. Wie vielen Minijobbern es während der Corona-Lockdowns ergangen ist wie der Klägerin, ist unklar. Nach Angaben des Handelsverbands Deutschland waren zu Jahresbeginn rund 800.000 Menschen im Einzelhandel Minijobber. Der größte Teil davon arbeitete allerdings im Lebensmittelhandel oder in Drogerien, die im Gegensatz zum Fachhandel nicht von den Schließungen betroffen waren.“ Beitrag von Wolfgang Hentschel vom 13. Oktober 2021 bei tagesschau.de- Anmerkung dazu von Armin Kammrad vom 14. Oktober 2021: „Nun ja, das mit dem Betriebsrisiko des Unternehmers lässt sich auch genau andersherum sehen: Es mag ja sein, dass „der Staat“ als maßgeblicher Lockdown-Akteur die prekäre Situation der Minijobber verursacht hat. Aber warum soll solches staatliche Verhalten nicht zum Betriebsrisiko des Unternehmers gehören? Die Entscheidung des BAG ist nicht ganz frei von Klassenjustiz. Schließlich ist es ja der Unternehmer, der (zumindest in den weit überwiegenden Fällen) von der Minijob-Regelung profitiert. Warum soll aber dann der abhängig beschäftigte Minijobber und nicht der Arbeitgeber die pandemiebedingten Nachteile dieser Regelung tragen? Hinzukommt, dass trotz Pandemie die herkömmliche arbeitsvertragliche Risikolehre gerade nicht zu Lasten der Arbeitgeber eingeschränkt wurde. Ginge es nämlich, wie das BAG annimmt, um einen vorrangig generellen Lockdown mit dem Ziel einer möglichst weitgehenden Minimierung der sozialen Kontakte, welche nur mit lebensnotwendigen Ausnahmen durchsetzt sein sollte (vgl. Begründung oben), hätten auch die vertragstypischen Pflichten nach § 611 BGB im Sinne der abhängig Beschäftigten eingeschränkt werden können oder müssen, nämlich dort, wo die Einhaltung der vertraglichen Arbeitspflicht pandemiebedingt dem Umstand lebenswichtiger Ausnahmen entgegensteht. So verhält sich das BAG, was die Pflichten und das Risiko von Pflichtversäumnissen betrifft, rechtlich völlig inkonsequent zu Gunsten der Arbeitgeber und zu Lasten der als Minijobber abhängig Beschäftigten.
Da jedoch die Minnijobber-Regelung tatsächlich eine Angelegenheit des Gesetzgebers ist, wäre es natürlich ratsam sozial- oder verwaltungsrechtlich vor dem Hintergrund der BAG-Entscheidung Unterstützung für den Verdienstausfall ggf. auch gerichtlich zu verlangen. Zumindest die übermäßige Belastung der öffentliche Haushalte durch finanzielle Entschädigungsansprüche bei Betriebsschließung nach § 56 und 65 IfSG, welche in der Literatur eher ausgeschlossen werden, können bei Minijobbern, die aufgrund von Betriebsschließung ohne Unterstützung bleiben, nicht geltend gemacht werden. Es war ja der Gesetzgeber selbst, der sich hier belastete – und sei es auch nur, um den Arbeitgebern zu entlasten. Diese Entlastung sogar auf die existenzielle Unterstützung bei pandemiebedingter Betriebsschließung auszudehnen, würde eine Diskriminierung bestimmter Gruppen von abhängig Beschäftigten bedeuten, und wäre auch von daher rechtswidrig.“
- Anmerkung dazu von Armin Kammrad vom 14. Oktober 2021: „Nun ja, das mit dem Betriebsrisiko des Unternehmers lässt sich auch genau andersherum sehen: Es mag ja sein, dass „der Staat“ als maßgeblicher Lockdown-Akteur die prekäre Situation der Minijobber verursacht hat. Aber warum soll solches staatliche Verhalten nicht zum Betriebsrisiko des Unternehmers gehören? Die Entscheidung des BAG ist nicht ganz frei von Klassenjustiz. Schließlich ist es ja der Unternehmer, der (zumindest in den weit überwiegenden Fällen) von der Minijob-Regelung profitiert. Warum soll aber dann der abhängig beschäftigte Minijobber und nicht der Arbeitgeber die pandemiebedingten Nachteile dieser Regelung tragen? Hinzukommt, dass trotz Pandemie die herkömmliche arbeitsvertragliche Risikolehre gerade nicht zu Lasten der Arbeitgeber eingeschränkt wurde. Ginge es nämlich, wie das BAG annimmt, um einen vorrangig generellen Lockdown mit dem Ziel einer möglichst weitgehenden Minimierung der sozialen Kontakte, welche nur mit lebensnotwendigen Ausnahmen durchsetzt sein sollte (vgl. Begründung oben), hätten auch die vertragstypischen Pflichten nach § 611 BGB im Sinne der abhängig Beschäftigten eingeschränkt werden können oder müssen, nämlich dort, wo die Einhaltung der vertraglichen Arbeitspflicht pandemiebedingt dem Umstand lebenswichtiger Ausnahmen entgegensteht. So verhält sich das BAG, was die Pflichten und das Risiko von Pflichtversäumnissen betrifft, rechtlich völlig inkonsequent zu Gunsten der Arbeitgeber und zu Lasten der als Minijobber abhängig Beschäftigten.
- Minijobber joblos. Coronakrise: Niedriglöhner verlieren Arbeitsplatz zuerst. DGB fordert Reform und Sozialversicherungspflicht für geringfügige Beschäftigung
„Sie sind die großen Krisenverlierer: Minijobber. 555.000 Minijobs sind nach jüngsten Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) während der Pandemie verlorengegangen – das Gros in der Gastronomie. Zahlreiche Betroffene wechselten aus wirtschaftlicher Not bestenfalls die Branche oder sind nun erwerbslos. Umstände, die Gewerkschafter veranlassen, eine Reform des Minijobmodells zu fordern. In Sachsen der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) etwa. (…) Allen Kritikern ist klar: Minijobs sind eine arbeitsmarktpolitische Sackgasse. Ihre Forderung: Solche Arbeitsverhältnisse müssen ab dem ersten Euro sozialversicherungspflichtig werden. Wege aus der Prekarität gibt es nur, wenn für jene Beschäftigten künftig Beiträge zur Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung gezahlt würden. Und nicht zuletzt: »Wer Fachkräfte gewinnen und halten will, darf sie nicht mit unsicheren Billigjobs abspeisen«, betonte Schlimbach vom DGB Sachsen.“ Artikel von Oliver Rast in der jungen Welt vom 16.07.2021 - Ende der Minijobs bringt bessere Stellen: Forscher schlagen vor, dass Geringverdiener generell weniger Abgaben zahlen
„… 450-Euro-Jobs erwiesen sich in der Corona-Krise als Falle. Während wenige normale Arbeitsplätze wegfielen, gingen gleich 900 000 der Minijobs verloren, die jetzt zum Wahlkampfthema werden. Eine neue Studie fordert, sie abzuschaffen, um besser bezahlte und abgesicherte Arbeitsplätze zu schaffen. Wer nur bis zu 450 Euro im Monat verdient, muss in der Regel keine Steuern und Sozialbeiträge zahlen. Brutto ist gleich netto. Der Nachteil dieser Subvention des Minijobs: Dadurch gibt es kein Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld. Minijobber haben im Vergleich zu anderen Beschäftigten ein zwölf Mal so hohes Risiko, ihre Stelle zu verlieren. Nach dem Arbeitsleben droht Altersarmut, weil sie oft kaum Rente bekommen. Trotzdem pendelte sich die Zahl der Minijobber bis zur Corona-Krise bei sieben Millionen ein, von insgesamt etwa 40 Millionen Beschäftigten. Und jeder fünfte steckt schon mehr als fünf Jahre im Minijob. (…) Die Ökonomen Tom Krebs und Martin Scheffel wollen das ändern. Für die Bertelsmann-Stiftung haben sie ein Modell entwickelt, das Minijobs für alle Bürger außer Studenten, Schüler und Rentner abschafft. Für die anderen Bürger gilt: Statt wie bisher Jobs bis 450 Euro durch die Abgabenfreiheit stark zu subventionieren, sollen alle Arbeitnehmer mit bis zu 1800 Euro Monatsverdienst weniger Sozialbeiträge zahlen. Die Beiträge steigen ab null Euro Einkommen langsam an. Wer künftig 451 Euro verdient, würde statt 45 Euro nur noch halb so viel Sozialbeiträge zahlen. Wer in Teilzeit 1000 Euro im Monat nach Hause bringt, müsste statt bisher knapp 190 nur noch gut 110 Euro an die Sozialversicherung überweisen. Damit soll es sich lohnen, mehr Stunden zu arbeiten als bisher. Insbesondere Geringqualifizierte, Alleinerziehende und Mütter könnten von so einer Reform profitieren. „Für bisherige Minijobber entfällt zwar das bekannte brutto gleich netto, doch die Reform bietet die Chance auf einen höheren Lohn und bessere Aufstiegschancen“, sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung…“ Artikel von Alexander Hagelüken vom 23. Juni 2021 in der Süddeutschen Zeitung online – siehe bei der Bertelsmann Stiftung die Studie von Tom Krebs und Martin Scheffel : Raus aus der Minijobfalle. Reformen zur Entlastung geringer Einkommen und ihre Auswirkungen auf Beschäftigung, Wachstum und Verteilung sowie öffentliche Finanzen - Corona-Krise zeigt Prekarität von Minijobs – WSI bietet detaillierte Daten zu Rückgängen für alle kreisfreien Städte und Landkreise
„In der Corona-Krise hat sich die Prekarität vieler Minijobs besonders deutlich gezeigt: Weil für geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt wird, konnten sie während der Pandemie nicht über Kurzarbeit abgesichert werden. Die Auswirkungen wurden dadurch verschärft, dass 450-Euro-Minijobs insbesondere in Branchen wie Gastronomie und Handel verbreitet sind, die unter den Kontaktbeschränkungen stark litten. Allein zwischen Ende Juni 2019 und Ende Juni 2020 sind bundesweit rund 516.000 Minijobs weggefallen. In knapp 386.000 Fällen waren Beschäftigte betroffen, die über den Minijob hinaus kein weiteres Beschäftigungsverhältnis hatten. Zudem wurden rund 130.000 geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse im Nebenjob gestrichen. Das zeigt eine neue Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, die auch Daten für alle 401 kreisfreien Städte und Landkreise in Deutschland liefert. Die Zahlen zum 30. Juni 2020, inklusive Vergleichsdaten aus den Vorjahren, lassen sich auch über interaktive Karten und Datenblätter in der digitalen Datenbank „Arbeitsmarkt im Wandel“ (AIWA) der Stiftung abrufen…“ Neue Auswertung am 22.06.2021 beim WSI - Minijobber in Not – Armutsfalle Shutdown
„Rund 4,4 Millionen Deutsche sind auf das Einkommen aus dem Minijob angewiesen, sie haben keine andere Arbeit. Darunter Alleinerziehende, Rentner und viele Studierende. Doch die Pandemie hinterlässt auch hier ihre Spuren. Seit dem Frühjahr 2020 sind allein im prekär beschäftigten Umfeld mehr als 850 000 Minijobs weggefallen. Neue Jobs werden kaum angeboten, denn viele Unternehmen wissen nicht, wie sie durch die Krise kommen…“ „ZDF.reportage“ von Ralf Wilharm vom 28.03.2021 (30 min, Video verfügbar bis 28.03.2022? - Minijobber außen vor: Gewerkschaften fordern 1.200 Euro Mindest-Kurzarbeitergeld. Für 450-Euro-Kräfte mit vollständigem Verdienstausfall haben sie in der Corona-Krise keine schnelle Lösung parat
„Unter den Erstunterzeichnern der Petition, die vor wenigen Tagen von den Gewerkschaften ver.di und NGG gestartet wurde, sind vor allem etliche Betriebs- und Personalratsvorsitzende von Reiseveranstaltern und Theatern. Auch die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen sowie Linksparteichef Bernd Riexinger haben unterschrieben. Gefordert wird ein branchenunabhängiges Mindest-Kurzarbeitergeld von 1.200 Euro für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die von Verdienstausfällen durch Betriebsschließungen im Zuge des Corona-Lockdowns betroffen sind. Kleinere Gastronomiebetriebe und Friseurgeschäfte verfügen seltener über Betriebsräte, sind aber mit am schlimmsten betroffen. Da es sich bei Friseurhandwerk, Einzelhandel und Gastronomie schon um Branchen mit eher bescheidenen Tariflöhnen handelt, reichen vielen Kurzarbeitenden die 60 Prozent des ausgefallenen Nettoentgelts, die sie in den ersten drei Monaten erhalten – beziehungsweise 67 Prozent, wenn Kinder vorhanden sind – nicht zur Sicherung ihres Lebensunterhalts. (…) Die zahlreichen Minijobberinnen und Minijobber, deren Einkommen in der Branche vollständig weggebrochen ist, sind hier außen vor, denn sie haben mangels sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Auch in der Gewerkschaftspetition kommen sie nicht vor. Vielmehr sehen sich die Initiatoren darin bestätigt, dass derlei ungesicherte Arbeitsverhältnisse gar nicht zulässig sein sollten. „Wir fordern seit längerem, dass Minijobs ganz abgeschafft und in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überführt werden“, betonte die Pressesprecherin der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Karin Vladimirov, am Dienstag gegenüber Telepolis. In Hamburg haben nach Gewerkschaftsangaben zum Beispiel rund 17.000 Minijobber in der Corona-Krise ihre Arbeit verloren, darunter rund 5.000 aus der Gastronomie. „Betroffen sind gerade Frauen, die eine 450-Euro-Stelle als Kellnerin oder Küchenhilfe oft als einzige Einnahmequelle haben“, sagte die NGG-Gewerkschafterin Sarah Witte am Montag laut einem Bericht der Deutschen Presseagentur. Nur wenn Sozialabgaben, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge gezahlt würden, könnten Beschäftigte wirksam geschützt werden, so Witte. Aktuell dürften durch den Verlust von Minijob-Einnahmen auch etliche Familien in Mitleidenschaft gezogen werden, deren Hauptverdiener bereits in Kurzarbeit sind.“ Artikel von Claudia Wangerin vom 2. Februar 2021 bei Telepolis - Corona oder: Der Minijob ist weg? Weg mit den Minijobs!
„Minijobs sind keine nachhaltige Beschäftigungsform. Sie bieten nur ein Zubrot ohne verlässliche Absicherung. Und wie Jobs zweiter Klasse werden sie auch behandelt. Die von der Corona-Pandemie hervorgerufene Krise am Arbeitsmarkt macht dies erneut eindringlich klar. Rein quantitativ betrachtet hat der Beschäftigungszuwachs der vergangenen Jahre durchaus die gern verwendete Bezeichnung „Jobboom“ verdient. So stieg die Erwerbstätigkeit in den letzten Jahren kontinuierlich. (…) Weil hier aber jede auf Erwerb gerichtete Tätigkeit mitgezählt wird, unabhängig vom Umfang dieser Tätigkeit und von der Einkommenshöhe, ist es unbedingt notwendig, auf die Qualität der neu entstandenen Jobs zu schauen. Und da sieht es dann schon nicht mehr so rosig aus. Sicher, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist in den vergangen zehn Jahren von unter 28 Millionen auf über 33 Millionen gestiegen. Auch der reguläre Vollzeitjob hat nach einer langen Phase des Rückgangs wieder an Bedeutung gewonnen. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten liegt mittlerweile wieder auf dem Niveau der Jahrtausendwende. (…) Der Jobboom der letzten Jahre brachte aber auch ein starkes Anwachsen von atypischen und prekären Beschäftigungsformen. Zu denen zählen auch und gerade die Minijobs. Nachdem Rot-Grün im Jahr 2003 die Minijobregeln liberalisiert hatte, stieg die Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse innerhalb von zehn Jahren um satte 39 Prozent von 5,3 auf 7,4 Millionen. Seit 2014 hat sich deren Zahl bei der 7,5 Millionen Marke eingependelt, wobei die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten seit etwa fünf Jahren sogar rückläufig ist. Hier dürfte der seit 2015 geltende Mindestlohn die wichtigste dämpfende Rolle gespielt haben. Die Zahl derjenigen, die neben ihrer Haupttätigkeit noch Geld in einem Minijob als Nebenjob verdienen wollen oder müssen, ist allerdings kontinuierlich weiter gestiegen. Vor Ausbruch der Coronakrise waren es bereits drei Millionen (Juni 2010: 2,02 Mio.) (…) Wie wichtig diese Absicherung sein kann, wie schmerzlich die fehlende Sicherheit bei prekären Jobs vermisst werden kann, das wird schlaglichtartig durch die Arbeitsmarktverwerfungen deutlich, die in der Folge der Corona-Pandemie und der Maßnahmen zur Eindämmung des Sars-CoV-2-Virus eingetreten sind. „Beschäftigte in Minijobs sind VerliererInnen der coronabedingten Rezession“, lautet der Befund einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vom November 2020. Wie die Auswertung zeigte, gab es im Juni 2020 rund 850.000 oder zwölf Prozent weniger geringfügig Beschäftigte als ein Jahr zuvor. Im gleichen Zeitraum schrumpfte die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung um gerade mal 0,2 Prozent. Betroffen waren vor allem Beschäftigte mit Minijob als Haupttätigkeit. 45 Prozent der im Jahr 2019 ausschließlich geringfügig Beschäftigten hatten im Frühjahr 2020 keinen Job mehr. Bei den MinijobberInnen in Nebentätigkeit belief sich der Anteil auf „nur“ 18 Prozent. Und dies sind nur die Folgen vom ersten Lockdown ab März/April 2020. (…) Hätte es noch einer weiteren Begründung bedurft, dass Minijobs Jobs zweiter Klasse sind, die in ihrer jetzigen Form abgeschafft werden müssen, die Corona-Pandemie hat sie geliefert. Aber die Arbeitswelt ist eben auch nur eine Welt, die gerne und viel interpretiert wird, obwohl es doch darauf ankäme, sie zu verändern.“ Beitrag von Markus Krüsemann vom 24. Januar 2021 bei miesejobs.de - Menschen in Minijobs: In der Pandemie vergessen
„Menschen in Minijobs haben keinerlei Anspruch auf Kurzarbeitergeld oder Arbeitslosenhilfe. Hunderttausende verlieren ihre Arbeit, die für viele der Haupterwerb ist. (…) Was in dieser Diskussion jedoch ignoriert wird, ist die Tatsache, dass 850.000 Minijobberinnen und Minijobber in der ersten Infektionswelle ihre Arbeit verloren haben und vielen weiteren in der zweiten Welle ein Jobverlust droht. Betroffen sind häufig Menschen, die auf das geringe Einkommen von 450 Euro im Monat angewiesen sind. Die Politik muss sich dringend um sie kümmern. Die Pandemie offenbart eine große Schwäche des deutschen Arbeitsmarkts. Den verwundbarsten Beschäftigten, nämlich jenen in geringfügiger Beschäftigung und vor allem in Minijobs, wird kaum Schutz gewährt. Anders als bei regulären, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen besteht in Minijobs keinerlei Anspruch auf Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld. Oft gibt es keine oder nur befristete Arbeitsverträge. Daher ist es nicht überraschend, dass in der Pandemie viele Unternehmen zuallererst Beschäftigte mit Minijob entlassen. Laut einer Studie des DIW Berlin haben im ersten Halbjahr 2020 zwölf Prozent oder 850.000 Minijobberinnen und Minijobber ihre Arbeit verloren. (…) Die Tatsache, dass viele von ihnen Studentinnen und Studenten und ältere Menschen sind, macht die Ausgangslage nicht viel besser. Denn auch sie sind häufig von den erzielten Einkommen abhängig und haben oft keine Rücklagen und andere Möglichkeiten, diese Verluste auszugleichen. (…) Die Lage dürfte sich also gerade für viele Menschen mit prekären Beschäftigungsverhältnissen in den kommenden Monaten weiter verschärfen. (…) Gleichzeitig sollte die Politik die Anzahl von Minijobs nach der Pandemie stark reduzieren und möglichst viele davon in sozialversicherungspflichtige und somit sozialrechtlich besser abgesicherte Tätigkeiten umwandeln…“ Kolumne von Marcel Fratzscher vom 10. Dezember 2020 in der Zeit online
Siehe auch unser Dossier: Null soziale Sicherheit bei Minijobs – DGB kritisiert Ampel-Pläne der Ausweitung