Es gibt sogar welche, die das als Erfolg verkaufen möchten: Mindestlohn steigt. Um 50 Cent – bis 2020
Dossier
„Der gesetzliche Mindestlohn soll in zwei Stufen auf 9,35 Euro steigen. Anfang 2019 wird er um 35 Cent auf 9,19 Euro pro Stunde angehoben. Zum 1. Januar 2020 steigt er auf 9,35 Euro. Das gab der Vorsitzende der Mindestlohnkommission, Jan Zilius, am Dienstag in Berlin bekannt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sprach von einem »Erfolg«, denn »für alle, die mit dem Mindestlohn zurechtkommen müssen, zählt jeder Cent«, so DGB-Vorstand Stefan Körzell. Dem hätten die Gewerkschaften durch die Einbindung der neusten Tarifabschlüsse Rechnung getragen. Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat die vorgeschlagene Erhöhung des Mindestlohns begrüßt. »Das ist ein guter Tag für die soziale Marktwirtschaft und für die Beschäftigten in Deutschland«, sagte der SPD-Politiker am Dienstag in Berlin. Profitieren würden vor allem Frauen, Beschäftigte in Ostdeutschland und Menschen ohne Berufsausbildung. Die Erhöhung in zwei Stufen mache insgesamt rund 5,8 Prozent aus, was »eine richtige Steigerung« sei und die gute Wirtschaftsentwicklung widerspiegele“ – aus dem Beitrag „Besser als nix?“ am 27. Juni 2018 in neues deutschland – wo man dem Herrn Minister ausnahmsweise zur Hälfte zustimmen mag: Ein guter Tag für „die Marktwirtschaft“ , die er trotz allem immer noch sozial nennt. Siehe dazu:
- Erhöhung des Mindestlohns ab 01.01.2019 auf wahnsinnige 9,19 EUR
„Dem Beschluss der Mindestlohnkommission zufolge wird der Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz zum 01.01.2019 auf 9,19 EUR steigen und ein Jahr später, ab dem 01.01.2020, noch einmal auf 9,35 EUR pro Stunde. Die Kommission hat sich bei ihrem Vorschlag, der noch vom Bundeskabinett durch eine Rechtsverordnung umgesetzt werden muss, am Tarifindex des Statistischen Bundesamtes orientiert, der wiederum die aktuelle Tariflohnentwicklung wiedergibt. (Beschluss der Mindestlohnkommission vom 26.06.2018 )
In den westeuropäischen Ländern mit Mindestlohn betragen die niedrigsten erlaubten Brutto-Stundenlöhne mit Ausnahme von Großbritannien und Deutschland mehr als 9,40 Euro, den höchsten Mindestlohn hat Luxemburg mit 11,55 Euro. (internationaler Mindestlohnreport des WSI )
Vor dem Hintergrund „dass es uns gut geht“, also der Wirtschaft, ist diese Erhöhung des Mindestlohn um 34 Cent eine Frechheit. Die Mieten steigen immer mehr, der Strom wird teurer und auch der Preis für das Bus- oder Bahnticket erhöht sich wieder. Das ist die Realität von Millionen von Menschen in diesem Land. Viele wissen nicht mehr wie die Lebenshaltungskosten mit diesen Hungerlöhnen gezahlt werden können.
In 15 Jahren Hartz IV wurde erreicht, dass 80 Prozent der Bevölkerung weniger verdient als damals. Die oberen 20 Prozent mehr verdienen als damals. Die Reichtumssteigerung der BRD also nur den oberen 20 Prozent zu Gute kam.“ Aus dem Thomé Newsletter 46/2018 vom 15.12.2018
- Schaffe, schaffe – trotzdem arm: Statistiken zu Armutsrisiko und Arbeitslosigkeit befeuern Debatte über Mindestlohn
„Das Timing der Veröffentlichungen hätte schlechter nicht sein können. Diesen Dienstag sind parallel Zahlen zum hohen Armutsrisiko und zur niedrigen Arbeitslosigkeit erschienen. Wie das Bundesamt für Statistik bekannt gegeben hat, war 2017 ein Fünftel der Bevölkerung von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Zwar ist die Zahl im Vergleich zum Vorjahr um 0,5 Millionen zurückgegangen, doch sind das immer noch 19 Prozent der Bevölkerung. Zudem sind Frauen mit 20,3 Prozent häufiger von Armut bedroht als Männer mit 17,6 Prozent. (…) »Es ist skandalös, dass trotz des Wirtschaftsbooms in Deutschland 15,5 Millionen Menschen von Armut oder Ausgrenzung bedroht sind«, findet die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, Verena Bentele. Diese Reaktion dürfte allen einleuchten, die sich die zweite Statistik vom Dienstag zu Gemüte führen: Mit 4,9 Prozent liegt die Arbeitslosenquote erstmals seit der Wiedervereinigung unter der Fünf-Prozent-Marke, wie die Agentur für Arbeit in Nürnberg bekannt gegeben hat. (…) Dass die Armut trotz hoher Beschäftigung quasi stagniere, liege auch daran, dass etwa jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland im Niedriglohnsektor arbeite. Aus diesem Grund fordern Experten die Eindämmung der Leiharbeit. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands verlangt zudem die »Abschaffung der sachgrundlosen Befristung«, die er im »nd« als »ein Hauptarmutstreiber auf dem Arbeitsmarkt« bezeichnet. (…) Die am Dienstag vom Kabinett beschlossene Erhöhung des Mindestlohnes auf 9,19 Euro bezeichnete Schneider als »armutspolitisch irrelevant«. Er hält eine Anhebung auf 12,63 Euro für nötig, wie sie die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion selbst berechnet hatte. Auch Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) plädiert seit Monaten für zwölf Euro.“ Beitrag von Lotte Laloire bei neues Deutschland vom 31. Oktober 2018 , siehe dazu 19,0 % der Bevölkerung Deutschlands von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, Anteil EU-weit bei 22,5 %
- Was ändert sich 2019 beim Mindestlohn?
„… Die Mindestlohn-Kommission hat sich am 26. Juni 2018 beraten und eine Erhöhung des Mindestlohns zum 1. Januar 2019 auf 9,19 Euro und zum 1. Januar 2020 auf 9,35 Euro empfohlen. Diesen Vorschlag hat die Mindestlohnkommission an die Bundesregierung gerichtet, die den neuen Mindestlohn am 31. Oktober 2018 per Verordnung festgelegt hat. Er gilt ab dem 1.1.2019. (…) Daneben galt für Tarifverträge, die Löhne unter dem gesetzlichen Mindestlohn vorsehen, eine Übergangsfrist. Diese Frist ist inzwischen ausgelaufen. In keiner Branche darf 2019 (…) weniger gezahlt werden als es der gesetzliche Mindestlohn vorsieht. (…) Neben dem gesetzlichen Mindestlohn gibt es etliche Branchen-Mindestlöhne. Diese werden von Gewerkschaften und Arbeitgebern in einem Tarifvertrag ausgehandelt und von der Politik für allgemein verbindlich erklärt. Branchen-Mindestlöhne gelten für alle Betriebe der Branche – auch für die, die nicht tarifgebunden sind…“ Meldung vom 31. Oktober 2018 bei der DGB-Gegenblende
- Erhöhung der Lohnuntergrenze: Der Mindestlohn ist kein Hotspot
„Es ist eigentlich egal, auf welchen Betrag die Politik die Lohnuntergrenze festlegt – richtig überwacht wird er nämlich nicht. Kürzlich war es wieder so weit: Der Mindestlohn wurde erhöht. Mathematisch kann man tatsächlich von einer Erhöhung sprechen: Um 35 Cent soll er 2019 steigen und um weitere 16 Cent 2020. Dann liegt er bei 9,35 Euro in der Stunde. Gefühlt stellt das freilich keine Erhöhung dar, wenn man bedenkt, dass er im Januar 2015 mit 8,50 Euro an den Start ging. Damals wurde er schon als zu niedrig beziffert und in fünf Jahren wird er gerade mal 85 Cent, also exakt zehn Prozent, zugelegt haben. Das Leben ist seither nicht günstiger geworden, wie es im Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes nachzulesen ist. Der Mindestlohn orientiert sich also weiterhin nicht an Kennzahlen, die die realen Lebenshaltungskosten abbilden, sondern am zu niedrig angesetzten Ursprungswert von 2015. Dementsprechend fiel die öffentliche Debatte bei der letzten Erhöhung auch aus. Die eine Seite beklagte erneut den niedrigen Satz und dass ein Mindestlohn ja dafür sorgen müsse, dass Arbeitnehmer ihr Leben selbst bezahlen können – stattdessen müssten immer noch an die 200.000 in Vollzeit arbeitende Menschen beim Jobcenter vorstellig werden, um ihr knappes Budget aufzustocken. Die anderen jammern hingegen über den ohnehin schon zu hohen Mindestlohn, weil mittelständische Arbeitgeber ihr Geschäftsmodell so nicht mehr betreiben könnten. Sie merken nicht, dass sie damit zugeben, dass es Geschäftemachereien in diesem Land gibt, die scheinbar einzig und allein auf Lohndumping beruhen. Im Grunde sind die Debatten dazu einerlei. Es ist vollkommen Wurst, wer was wie sieht. Denn als man den an sich richtigen Schritt ging, endlich einen Mindestlohn einzuführen, da hat man freilich eine Sache völlig außer Acht gelassen: eine wirksame Kontrollinstanz und die Etablierung eines Meldesystems, bei dem man als um seinen Mindestlohnanspruch betrogener Arbeitnehmer unkompliziert und schnell Hilfe erfährt. Man bürdete die Kontrolle dem Zoll auf, einer Behörde, die seit Jahren der Politik mit einer Bitte in den Ohren liegt: Wir brauchen neue Kollegen…“ Beitrag von Roberto J. De Lapuente bei neues Deutschland vom 11. Juli 2018
- (Ab)Gewogen und für elend befunden: Die sogenannte Erhöhung des Mindestlohns – die hat dennoch Fürsprecher…
„Die Mindestlohnkommission hat heute die Anpassung der Lohnuntergrenze beschlossen. Jetzt ist es an der Bundesregierung, diesen Beschluss in Recht umzusetzen. In diesem Fall erhöht sich der gesetzliche Mindestlohn in zwei Stufen: zum 1. Januar 2019 auf 9,19 Euro und zum 1. Januar 2020 auf 9,35 Euro. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell und Mitglied der Mindestlohnkommission sagte dazu am Dienstag in Berlin: „Der einstimmige Beschluss der Mindestlohnkommission, den gesetzlichen Mindestlohn auf im Schnitt 9,27 Euro anzuheben, ist ein Erfolg. Für alle, die mit dem Mindestlohn zurechtkommen müssen, zählt jeder Cent, dem haben die Gewerkschaften durch die Einbindung der neusten Tarifabschlüsse Rechnung getragen. Die Beschäftigten werden nun an der guten Lohnentwicklung der letzten Jahre teilhaben. Das Ergebnis zeigt aber auch, dass die wirtschaftliche Gesamtabwägung immer selbstverständlicher Teil der Kommissions-Entscheidung sein muss…“ – aus der DGB-Pressemitteilung vom 26. Juni 2018 „Körzell: Beschluss der Mindestlohn-Kommission ist ein Erfolg“ zu dieser Neuerung, wo sich dann schon die Frage stellt: Mindestlohn nach „wirtschaftlicher Gesamtabwägung“? Seid wann wägt ein Gewerkschafter nach Kapitalinteressen ab und feiert dies noch als Erfolg? Weil zur Vermeidung von Altersarmut mindestens 12 Euro erforderlich wären, zeigt die Minierhöhung, wer hier in der Kommission seine Interessen wirklich mit Erfolg durchgesetzt hat. Siehe dazu auch einen weiteren Beitrag, der diese „abgewogene Erhöhung“ passend beurteilt:- „Mindestlohn: Wer den Cent nicht ehrt …? Eine Anhebung um 51 Cent brutto, gestreckt über zwei Jahre. Ab 2019“ ist ein Beitrag von Stefan Sell vom 26. Juni 2018 bei Aktuelle Sozialpolitik , worin es unter anderem heißt: „Die Kommission hat getagt – und das geboren, was einerseits zu erwarten war. Eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes um 35 Cent auf 9,19 Euro brutto. Pro Stunde. Ab dem 1. Januar 2019, also in einigen Monaten. Seit der Einführung der gesetzlichen Lohnuntergrenze für fast, aber nicht alle zum 1. Januar 2015 ist es die zweite Anhebung. Die erste wurde vor zwei Jahren beschlossen. Damals hatte die Mindestlohnkommission entschieden, ab dem 1. Januar 2017 eine Anhebung um genau 34 Cent vorzuschlagen, was das Bundesarbeitsministerium dann auch exekutiert hat. (…) Die erneute, wenn auch diesmal um ein Jahr gestreckte Berücksichtigung der aktuellen Tarifabschlüsse können die Gewerkschaften jetzt als gesichtswahrenden Erfolg verkaufen – gesichtswahrend deshalb, weil sie im Vorfeld der heutigen Entscheidung massiv Druck aufgebaut haben in Richtung auf eine deutlich stärkere Erhöhung des Mindestlohnes, so sollte ein zweistelliger Betrag erreicht werden, um mal eine Zielmarke zu benennen. Und der DGB, der mit dem Vorstandsmitglied Stefan Körzell persönlich in der Kommission vertreten ist, macht das dann auch und feiert sich gar für den Beschluss. (…) Man kann natürlich sagen, wenn man selbst beteiligt war, muss man sein Kopf irgendwie ins Licht stellen – man könnte aber auch zu dem Ergebnis kommen, dass die Gewerkschaften klein beigegeben haben und nun eine dieser typischen Abspeise-Aktionen auch noch als Erfolg an den Mann oder Frau zu bringen versuchen, statt einfach mal zu sagen: Sorry, wir halten das für viel zu wenig, aber wir konnten uns in dem Gefüge der Kommission nicht durchsetzen. (…) Man muss an dieser Stelle mit Diekmann darauf hinweisen: »Selbst die 9,35 Euro, auf die er hierzulande erst Anfang 2020 steigen wird, liegen immer noch unter dem Betrag, der bereits heute in allen westlichen EU-Ländern gilt, mit Ausnahme Großbritanniens.«. (…) Und abschließend noch ein weiterer Hinweis auf die Folgen des beschriebenen Verfahrens der Mindestlohnkommission: Die Regelbindung der Mindestlohnanpassung erweist sich mit Blick auf das Ziel 12 Euro pro Stunde als Sackgasse. Bei einer jährlichen Steigerung um 2,5 Prozent dauert es bis 2030, nur um die 12-Euro-Marke zu erreichen.“