Arbeitszeitverkürzung in Deutschland und Frankreich – und die Schwächen des betrieblichen Systems in Frankreich
Kommentar von Volker Bahl vom 3.3.2013 zum Interview der Woche mit Steffen Lehndorff / ehem. IAQ
35-Stundenwoche: Bis zu 500.000 neue Stellen – hat es gebracht – in Frankreich nach 1998 bis 2002.
So könnte dies für die Initiative für eine 30-Stunden-Woche in Deutschland durchaus ein Vorbild sein (siehe den offenen Brief: http://www2.alternative-wirtschaftspolitik.de/uploads/m0413b.pdf
)
Dabei muss berücksichtigt werden, dass es zu dieser Zeit, also unter der Regierung Jospin, in Frankreich ohnehin auch starke Wachstumsraten gab….
Besonders für Frauen hat die Arbeitszeitverkürzung in Frankreich eine große Bedeutung, auch für hoch qualifizierte. Aus einem einfach Grund: Französische Frauen sind stark vollzeitorientiert. Durch die 35-Stunden-Woche konnten viele von einer Teilzeit in eine Vollzeitstelle wechseln. (http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2013%2F03%2F02%2Fa0182&cHash=4487726df9cef7fc9d6d4eb7e069fe54 )
Betriebliche Schwächen in Frankreich hinter der Arbeitszeitbilanz
Aber neben dieser positiven Bilanz weist Steffen Lehndorff, indem er jetzt einmal die vielleicht in diesem Punkte – weil die unterschiedliche innovative betriebliche Situation ausblendend – „leerlaufende“ Makroökonomie der Realität entsprechend ergänzt auf einen ganz zentralen Punkt im industriellen System Frankreichs hin, der einen eben gravierenden Unterschied zu Deutschland ausmacht:
Frankreich ist seit langem stärker binnenmarktorientiert als Deutschland und damit bis vor 10 Jahren nicht schlecht gefahren (oder auch noch länger? – vgl. „Frankreich als Vorbild“: www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_31_2008.pdf
) oder auch noch mehr Balance a la Frankreich (http://idw-online.de/de/news361817
– von 2010) – aber dennoch wird jetzt die Exportschwäche zum Problem, die sicher auch Lohnkosten als Ursache hat, aber darüberhinaus eben das elitistische Ausbildungssystem, das in der Arbeitsorganisation zu einer Art Kastensystem führt, das für Innovationen im Betrieb verheerend ist (wird von Steffen Lehndorff genauer ausgeführt). In Frankreich entscheidet allein (?) – oder doch vor allem – der Abschluss – möglichst von der richtigen Uni – über den Einstieg in die Karriereleiter. So sind die Angestellten mangels Aufstiegschancen schwer zu motivieren: Die Berufsbildung in Frankreich ist schwach, und der deutsche Weg etwa vom Facharbeiter zum Meister, dann zum Techniker und vielleicht zum Ingenieur ist dort nahezu unbekannt.
(Anmerkung: ich würde noch das System der Betriebsverfassung in Deutschland zusätzlich anführen, das einen starken innerbetrieblichen Druck auf Innovation auszuüben in der Lage ist. Zusammen mit der Etablierung der gewerkschaftlichen „Technologieberatungen“ auf Länderebene wurde der technischen Innovation im Betrieb auch der „Giftzahn“ gezogen, dass der „technische Fortschritt“ immer nur zum Vorteil der Arbeitgeber ist, sondern bei einem betriebsrätlich ausgehandelten Kompromiss mehr zu einer „Win-Win-Situation“ führen kann.)
Statt Hartz braucht Frankreich ein offenes Berufsbildungssystem und ein verhandlungsfähiges Bild der technologischen Innovation – aber mit Hartz ist es bloß auf dem Holzweg
Diese Analyse ist wichtig, wenn Frankreich jetzt nur den miserablen Teil der deutschen Arbeitsorganisation mit seinem Niedriglohnsektor kopieren will. Hier muss in Frankreich neben den makroökonomischen „Stellschrauben“ auch angesetzt werden, um gegen die neoliberale Legendenbildung nach dem Motto „Frankreich braucht eben auch Lohnsenkungen a la Hartz & Co.“ anzugehen. Auf diesen Kurs ist jedoch – m.E. ziemlich auswegslos – die sozialistische Regierung von Premier Hollande schon eingeschwenkt (vgl. Bernard Schmid: www.nachdenkseiten.de/?p=15116 , beachte auch schon vorher die Entwicklung bei den französischen Sozialisten: www.nachdenkseiten.de/?p=14926
) und als i-Tüpferl oben drauf noch der Frankreich-Report des IWF (www.wirtschaftundgesellschaft.de:80/?p=7612
).
Dabei hat Frankreich also durchaus die Wahl – auch makro-ökonomisch – (vgl. die Seite 7 bei www.labournet.de/politik/eu-politik/eu-krise/eukrise-allg/zur-jahreswende-20122013-was-jetzt-auf-uns-wartet-es-wird-spannend-werden/) – am besten wohl beides – die betriebliche Ebene für mehr Innovation öffnen und auf makroökonomischer Ebene durch eine angemessene „Aufwertung“ des Nordeuro – zusammen, um wirtschaftlich wieder erfolgreich zu werden.