Was tariflich bisher nicht klappt, wird nun einzelbetrieblich versucht: Die 4-Tage-Woche

Dossier

Großbritannien: 4dayweek2020 war die Forderung des IG-Metall-Vorsitzenden Jörg Hofmann nach einer 4-Tage-Woche mit „gewissem“ Lohnausgleich für Betriebe mit Beschäftigungsproblemen hoch umstritten (siehe unser Dossier dazu) und irgendwie in der Versenkung verschwunden – in Deutschland. In Belgien oder Island (siehe die Verweise unten) ist man schon längst in der Versuchsphase. Unterstützung für die Viertagewoche kommt nun eher aus der Ökologiebewegung, auch im Zusammenhang mit den Energiekosten (siehe unser Dossier Für die Klimakrise gibt es eine einfache Lösung: weniger arbeiten!). Neuerdings mehren sich in Deutschland einzelbetriebliche Veruche, diesen ist dieses Dossier gewidmet:

  • Lebenszeit ist der wahre Reichtum. Arbeitszeitverkürzung besitzt systemveränderndes Potential New
    Beschäftigte in unterschiedlichen Ländern fordern die Viertagewoche. Was zunächst als Kampf für mehr Freizeit daherkommt, ließe sich zum Kampf um mehr Lebenszeit radikalisieren. (…) Dass die Interessenvertretung des Kapitals und dessen Lautsprecher Zeter und Mordio schreien, sobald über eine Reduktion der Arbeitszeit diskutiert wird, hat Tradition. (…) Wer den Kampf für ein besseres Leben wie einst als einen klassischen kollektiven Interessenkampf der Arbeitskraftverkäufer führen möchte, sattelt ein totes Pferd. Eine emanzipative Antwort auf die Fragen, die der Kapitalismus und seine Krise heute aufwerfen, sollte vielmehr bedürfnispolitisch ausgerichtet sein und die Rettung des sinnlich-stofflichen Reichtums zur obersten Prämisse erheben. In einem solchen Kontext könnte sich der Kampf um Lebenszeit als Schnittstelle erweisen, an der eine ganze Reihe allgemein-gesellschaftlicher Anliegen mit dem individuellen Bedürfnis nach selbstbestimmter Zeit zusammenlaufen. (…)
    Aus einer kritischen Sicht auf den Produktivismus erscheint die »Sonne der Arbeit« eher als ausgebrannt. Es kann aus dieser Perspektive nicht mehr um eine gerechte Verteilung des arbeitsgesellschaftlichen Reichtums gehen, sondern um eine Neubestimmung dessen, was gesellschaftlicher Reichtum überhaupt sein soll. Und auch was ein über den Kapitalismus hinausweisendes Reichtumskonzept angeht, wird man bei Marx fündig. Der wirkliche Reichtum besteht nicht aus irgendwelchem dinglichen Besitz, sondern aus lebendigen Beziehungen (…)
    Wo Beschäftigte bloße Interessenkämpfe führen, wird das für die Gesellschaft Wichtigste systematisch ausgeblendet, nämlich die Frage nach den Zwecken, denen der Einsatz der Arbeitskraft dient. Diese Fragen drängen sich insbesondere im sogenannten Care-Sektor stark auf. Dort sind die Arbeitsbedingungen der einen zugleich die Lebensbedingungen der anderen. Die heillose Überlastung von Lehrerinnen und Erziehern baden die betroffenen Kinder mit aus, und wenn Pflegepersonal gezwungen wird, an der Grenze seiner Kapazitäten zu arbeiten, geht das zu Lasten der Patienten. Diese simple Tatsache ermöglicht unerprobte Allianzen. Der Pflegenotstand trifft dagegen gleichermaßen die Pflegekräfte wie die Menschen, denen Care-Tätigkeiten zuteilwerden, und damit weitet sich der Kreis der Betroffenen enorm aus. Krankenhauspatientin etwa ist potentiell jeder und jede und dementsprechend kann die Qualität der Krankenhausversorgung niemandem gleichgültig sein. Noch nie aber hat sich ein Werkstück die Forderungen der um eine Arbeitszeitverkürzung kämpfenden Fabrikbelegschaft zu eigen gemacht: Für den Kampf für Arbeitnehmerinteressen lassen sich nur die Lohnabhängigen mobilisieren. Unter bedürfnispolitischen Vorzeichen geführt, konvergieren im Kampf um mehr Zeit dagegen die Anliegen der Beschäftigten mit gesamtgesellschaftlichen Zielen…“ Artikel von Ernst Lohoff in der Jungle World vom 21.11.2024 externer Link
  • Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche in Deutschland: „Das Wohlbefinden steigt, wenn die Arbeitszeit sinkt – bei gleichbleibender oder sogar leicht steigender Produktivität“
    • 4-Day-Week-Executive-Summary
      Die Art und Weise, wie wir arbeiten, unterliegt einem ständigen Wandel, der von technologischen Fortschritten, soziokulturellen Veränderungen und neuen Managementansätzen beeinflusst wird. Eine der spannendsten und vielversprechendsten Entwicklungen in diesem Bereich ist die Einführung der 4-Tage-Woche. Dieses Modell zielt darauf ab, die Arbeitszeit zu verkürzen, ohne die Produktivität zu verringern, und gleichzeitig das Wohlbefinden der Arbeitnehmenden zu steigern. (…) Die Daten aus den ersten Phasen der Studie deuten bisher darauf hin, dass die 4-Tage-Woche nicht nur das Wohlbefinden der Beschäftigten verbessert, sondern auch positive Auswirkungen auf die Produktivität hat. Auch wenn die endgültigen Ergebnisse noch ausstehen, liefern die bisherigen Erkenntnisse wertvolle Hinweise darauf, wie die Arbeitswelt gerechter, effizienter und menschenzentrierter gestaltet werden kann…“ Executive Summary der Studie bei der Universität Münster externer Link (Lehrstuhl für Transformation der Arbeitswelt) samt Presseschau
    • Pilot-Studie auf der Aktionsseite externer Link: 1: Backmann, J., Hoch, F., Hüby, J., Platz, M., Sinnemann, M.F., 2024, “The 4-Day-Week in Germany: First Results of Germany’s Trial on Work Time Reduction,” Intraprenör, Berlin, GER.
    • Kürzer arbeiten, weniger Stress – bei gleichem Arbeitspensum? Über 40 Betriebe in Deutschland haben in einem Pilotprojekt kürzere Arbeitszeiten eingeführt. Nun liegt eine Bilanz vor
      „In dem Pilotprojekt wurde »die Variante der reduzierten Arbeitszeit bei gleichem Lohn umgesetzt – 100-80-100, also 100 Prozent Leistung in 80 Prozent der Zeit bei 100 Prozent Bezahlung«, heißt es auf der Internetseite der Universität Münster, die den Versuch wissenschaftlich begleitet hat. Das Anliegen der Studie sei es herauszufinden, was die Unternehmen tun, um mit der reduzierten Arbeitszeit umzugehen, und wie sich die Vier-Tage-Woche auf Firmen und Beschäftigte auswirkt. Insgesamt 41 Unternehmen aus Deutschland haben bis Oktober die sechsmonatige Testphase ganz oder fast abgeschlossen. (…) Viele verkürzten die Arbeitszeit tatsächlich um 20 Prozent, andere jedoch deutlich weniger. Im Durchschnitt wurde die Arbeitszeit dann nur um ungefähr zehn Prozent oder knapp vier Stunden pro Woche reduziert. In den meisten Fällen nahmen Beschäftigte einen zusätzlichen freien Tag pro Woche. In 60 Prozent der Unternehmen arbeitete die ganze Belegschaft kürzer, in größeren Firmen nur ein Teil. »Das Wohlbefinden steigt, wenn die Arbeitszeit sinkt – bei gleichbleibender oder sogar leicht steigender Produktivität.« So fasst die Uni Münster die Ergebnisse des Projekts zusammen. Mitarbeiter*innen hätten berichtet, dass sich ihre mentale und körperliche Gesundheit verbessert habe, berichtete Julia Backmann, Professorin für Transformation der Arbeitswelt an der Uni Münster. (…) Seltener krank wurden die Beschäftigten offenbar nicht. Die monatlichen Krankentage seien zwar etwas zurückgegangen, der Unterschied war im Vergleich zum Vorjahr jedoch nicht statistisch signifikant, betonte Backmann in der Pressekonferenz am Freitag. Die Forschenden fanden auch nur wenige Hinweise, dass Beschäftigte seltener kündigen wollen. Bei einem ähnlichen Projekt in Großbritannien sank hingegen die Zahl der Kündigungen stark. Was das Ziel angeht, dass Beschäftigte in weniger Zeit gleichviel leisten, erklärte Backmann: Umsatz und Gewinn der Firmen hätten sich im Vergleich zum Vorjahr nicht signifikant verändert, trotz reduzierter Arbeitszeit. (…) Die Vorstellung, dass man generell die Arbeitszeit auf 80 Prozent verkürzen kann, während der Output bei 100 Prozent bleibt, sei Unsinn, urteilt der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch von der Uni Duisburg-Essen. »Es gibt Arbeitsplätze, wo das möglich ist. Es gibt auch schlecht organisierte Unternehmen, in denen die Abläufe insgesamt vereinfacht werden können«, sagte er dem »nd«. »Doch insgesamt hat die Arbeitsverdichtung über viele Jahrzehnte so zugenommen, dass dies oft nicht möglich ist – jedenfalls nicht in kurzer Zeit.«  (…) Klar ist, dass viele Beschäftigten in Deutschland gern nur vier Tage pro Woche arbeiten würden. 81 Prozent der Vollzeitbeschäftigten wünschen sich dieses Modell, die meisten davon können sich das nur bei gleichem Lohn vorstellen, ergab etwa eine Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung im vorigen Jahr. Arbeitgeberverbände lehnen das ab und fordern stattdessen längere Arbeitszeiten. (…) Dabei sei hinlänglich bekannt, dass lange Arbeitszeiten zu mehr krankheitsbedingten Ausfällen und größerer Unfallgefahr führen, kritisiert die Soziologin Yvonne Lott von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Zudem könnten viele Frauen ihre Erwerbsarbeit gar nicht ausweiten. Und wenn Männer länger arbeiten, »bleibt ihnen noch weniger Zeit für Kinderbetreuung und Hausarbeit. Diese Ausfälle müssen in erster Linie ihre Partnerinnen auffangen«, so Lott. Die Politik sollte diese Pläne aufgeben, fordert sie. Und sie hofft, dass die Pilotstudie zur Vier-Tage-Woche Unternehmen ermutigt, in die andere Richtung zu gehen und die Arbeitszeiten zu verkürzen. Dabei sollte es nicht darum gehen, die Arbeit zu intensivieren – das gehe auf Dauer ohnehin nicht gut, sagte Lott dem »nd«. Vielmehr könnte die Organisation der Arbeit verbessert werden.“ Artikel von Eva Roth vom 18. Oktober 2024 in Neues Deutschland online externer Link
    • Vier-Tage-Woche in Deutschland getestet: Das ist das Ergebnis
      Studie zeigt: Vier-Tage-Woche verbessert Gesundheit ohne Produktivitätsverlust. 73 Prozent der Firmen behalten Modell bei. Was steckt hinter dem überraschenden Erfolg?  Nicht alle, die Vorteile in kürzeren Arbeitszeiten sehen, wollen deshalb gleich eine Revolution. Auch manche Unternehmen können scheinbar gut damit leben. Eine Vier-Tage-Woche wirkt sich positiv auf die Gesundheit der Beschäftigten aus, ohne die Produktivität zu senken – das jedenfalls ergab eine Anfang des Jahres gestartete Pilot-Studie in deutschen Unternehmen. „Die Mitarbeiter berichteten von signifikanten Verbesserungen ihrer mentalen und körperlichen Gesundheit“, erklärte die Unternehmensberatung Intraprenör als Initiator. Leistung und Produktivität der Unternehmen hätten nicht unter der reduzierten Arbeitszeit gelitten…“ Beitrag von Claudia Wangerin vom 19. Oktober 2024 in Telepolis externer Link
  • 4-Tage-Woche und bedingungsloses Grundeinkommen sind keine Luftschlösser
    Alle arbeiten weniger oder am besten gar nicht und bekommen dafür auch noch mehr Geld? So ist es nicht. Der Wert von Arbeit, Freizeit und Gemeinwohl muss neu verhandelt werden. Am 1. Mai erinnern wir uns an die hunderttausenden von Fabrikarbeiter:innen, die vor nunmehr fast 140 Jahren (ausgerechnet!) in den USA für einen 8-Stunden-Tag auf die Straße gingen. Zu der Zeit – und in einigen Bereichen bis heute – eine utopisch anmutende Forderung…
    Fachkräftemangel, alternde Gesellschaft, Wettbewerbsnachteil inmitten globaler Krisen, Belohnung für die Faulen, noch mehr Migrationsdruck auf ein überlastetes Sozialsystem, weltfremde Theorien einer verwöhnten Bildungselite, wer soll das bezahlen? Die Liste der Gegenargumente ist lang. Allerdings ist sie Ausdruck eines neoliberalen Weltbilds, das sich zwar als wissenschaftlich fundiert und vernunftgeleitet geriert, aber letztendlich auf unbewiesenen Annahmen und Dogmen beruht. Das ändert nichts daran, dass zumindest einige der genannten Aspekte große Herausforderungen darstellen. Eine alternative Sichtweise eröffnet dabei Möglichkeiten, unsere Zukunft besser zu gestalten. Die 4-Tage-Woche und ein universelles Lebenseinkommen sind keine wirklichkeitsfernen Forderungen. Die Vorstellung, so weiterzumachen wie bisher, ist hingegen irrational. (…)
    4-Tage-Woche: Arbeiten dann wirklich alle weniger?
    Das kommt einerseits darauf an, was wir als Arbeit verstehen, und andererseits auf die möglichen Auswirkungen auf Motivation und Leistungsfähigkeit, wenn mehr Zeit zur eigenen Verfügung steht. Studien können nicht wirklich Aufschluss darüber geben, aber es deutet einiges darauf hin, dass in einer 4-Tage-Woche die Effizienz steigen und Krankheitstage abnehmen könnten. Außerdem ist es nicht so, dass alle Angestellten Vollzeit arbeiten. Viele von ihnen, insbesondere Frauen, sind in Teilzeitjobs und dabei oft aufgrund ihres niedrigen Einkommens auf ein Aufstocken im Jobcenter angewiesen.
    Die Unterbeschäftigung ist in vielen Fällen unfreiwillig.
    Ein potenzieller gesamtgesellschaftlicher Nutzen der 4-Tage-Woche liegt darin, dass sie langfristig zur Aufwertung von unbezahlter Arbeit beitragen kann und in der Konsequenz auf dem Arbeitsmarkt auch einen positiven Einfluss auf den Gender Pay Gap (Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen) hätte. Aus dieser Perspektive ist nicht anzunehmen, dass Menschen in einer 4-Tage-Woche wirklich weniger tun würden. Unbezahlte Tätigkeiten im häuslichen bzw. privaten Bereich oder auch ehrenamtliches Engagement, ohne die eine Gesellschaft nachweislich nicht funktioniert, können anders aufgeteilt und gewürdigt werden.
    Fachkräftemangel und alternde Gesellschaft
    Trotz allem bleibt es dabei, dass in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen und dass tatsächlich ein Fachkräftemangel besteht. Diese strukturellen Tatsachen können so oder so – egal ob bei 4- oder 5-Tage-Woche – nur durch ein radikales Umdenken in Debatte und politischem Handeln konfrontiert werden.
    Ein zentrales Werkzeug dabei ist die Aufwertung von Arbeit in der kritischen Infrastruktur, wie Pflege, Handwerk oder Transport. In Bezug auf Pflegekräfte hat die Politik nichts aus der Pandemie gelernt. Es gibt weder nennenswerte neue soziale noch finanzielle Anreize für Menschen, in diesem Job zu bleiben oder ihn in Zukunft anzustreben. Der kürzliche Tarifabschluss zwischen GDL und Bahn ist wiederum ein Hoffnungsschimmer, dass es vielleicht anders gehen könnte, mit besseren Arbeitsbedingungen auf der einen Seite und Investitionen in den Nachwuchs auf der anderen. Ohne einen konsequenten Arbeitskampf und eine starke Gewerkschaft wäre das nicht möglich gewesen. Schließlich wird es sicherlich nicht ohne Fachkräfte aus dem Ausland gehen, und auch hier braucht es einen verantwortungsvollen Diskurs, der Migration nicht nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen definiert, Gruppen nicht gegeneinander ausspielt und konstruierte Hierarchien und Verteilungskämpfe nicht weiter befeuert. Das gehört nicht nur zur Lösung des Arbeitsmarktproblems, sondern unabdingbar zur Brandmauer gegen rechts.
    Universelles Lebenseinkommen: Belohnung für die Faulen?
    Der öffentliche Diskurs suggeriert uns immer wieder, dass Menschen nicht arbeiten wollen, wenn sie nicht müssen. Diese Behauptung sollte sich allerdings darauf beschränken, dass wir nicht in ausbeuterischen und wenig wertgeschätzten Verhältnissen arbeiten möchten. Natürlich ist es absurd anzunehmen, dass es die Leute nicht gibt, die auf Kosten anderer durchs Leben kommen. Das Augenmerk auf Sozialbetrug und Arbeitsscheu sowie ihre Bestrafung hat allerdings einen fast fetischhaften Charakter, der sich aus der kapitalistischen Logik ergibt. Warum sollte ein existenzsichernder Grad an finanziellem Rückhalt Menschen davon abhalten, sich handwerklich, unternehmerisch, wissenschaftlich oder kulturell zu betätigen? Es ist naheliegender anzunehmen, das Gegenteil ist der Fall. Sicherlich wird es schwieriger, Arbeitskräfte für sogenannte „Shit-Jobs“ zu gewinnen. Damit wäre dann ein Anreiz geschaffen, diese Art von notwendiger Arbeit innovativ zu automatisieren, oder angemessen zu entlohnen. Darüber hinaus bietet das bedingungslose Grundeinkommen viele weitere Chancen zum Bürokratieabbau, gerade im Bereich prüfungslastiger Sozialleistungen wie dem Bürgergeld.
    Wer soll das bezahlen?
    Die Antwort ist prinzipiell: diejenigen, die sich seit Jahrhunderten an anderen bereichern…“ Beitrag von Marie-Olivia Badarne vom 1.5.2024 bei Diem25 externer Link
  • Große Pilotstudie zur Viertagewoche: „Die Zahl der Bewerbungen hat sich verdreifacht“
    „… Kurz vor der Halbzeit des ersten Pilotversuchs zur Viertagewoche in Deutschland berichten Firmen über positive Erfahrungen mit dem Modell. Insgesamt nehmen 45 Unternehmen an der Studie teil. Sie reduzieren ihre Arbeitszeit sechs Monate lang auf vier Arbeitstage pro Woche, ohne das Gehalt zu kürzen. Die Testphase läuft von Februar bis August. „Ich kann von meinen Kolleginnen und Kollegen sagen, dass sie happy damit sind. Wirtschaftlich hat es bisher auch funktioniert“, sagt Roland Walter, Geschäftsführer des Architekturbüros Planwerkstatt. Das Unternehmen aus Kleve am Niederrhein mit 15 Angestellten verringerte die reguläre Wochenarbeitszeit von 40 auf 36 Stunden. Zuvor habe es eine Abstimmung darüber gegeben, wie groß das Einsparpotenzial bei der Arbeitszeit ist, berichtet Walter. Vor allem durch eine straffere Meetingkultur und mehr konzentrierte Arbeitsphasen sei das Team auf vier Stunden gekommen, die wegfallen könnten. Während der Testphase arbeitet das Team von montags bis donnerstags jeweils neun Stunden. Der Freitag ist frei, da an diesem Tag ohnehin weniger Kundenkontakt stattfinde. (…) „Wir haben aber rote Linien festgelegt. Wenn das Arbeitsklima leidet, der Umsatz sinkt oder jemand seine Arbeit nicht mehr schafft und überfordert ist, dann brechen wir den Versuch ab.“ Dass die roten Linien erreicht werden, zeichne sich aber nicht ab. (…) „Durch Unterbrechungen geht viel Produktivität verloren“, sagt Walter. Deshalb sei ihm wichtig, Akzeptanz dafür zu schaffen, dass Mitarbeitende ungestört arbeiten können, und dazu auch mal mit Kopfhörern am Schreibtisch sitzen – auch außerhalb der regulären Fokuszeiten. „Jeder hat digital und an seinem Arbeitsplatz eine Anzeige, die entweder auf Grün oder auf Rot steht. Grün bedeutet, jemand ist ansprechbar. Rot bedeutet, dass jemand in einer Deep-Work-Phase ist.“ Für den 60-jährigen Geschäftsführer und Eigentümer des ländlich gelegenen Architekturbüros sprechen neben der verbesserten Arbeitskultur noch andere Gründe für die Viertagewoche: „Wir müssen Antworten finden auf die veränderte Arbeitswelt.“ Aufgrund der digitalen Arbeitsmethoden und der hohen Mieten in den Städten sieht er den ländlichen Raum inzwischen weniger als Standortnachteil. Eine Viertagewoche anbieten zu können erhöhe die Attraktivität und Zukunftsfähigkeit als Arbeitgeber nochmals erheblich, so Walter. Daneben betont er den Wegfall von Pendelzeiten, der sich positiv auf die CO₂-Bilanz auswirke, sowie eine bessere Work-Life-Balance mit mehr Flexibilität bei der privaten Terminplanung. (…) Aber auch ohne Künstliche Intelligenz und Fokuszeiten gelingt es den teilnehmenden Firmen und Einrichtungen, die Arbeitszeit ohne Produktivitätsverlust zu reduzieren. Das Kinderhaus Nürnberg hat die reguläre Arbeitszeit in seinen Betreuungseinrichtungen von 38,5 auf 36 Stunden reduziert. Für Teilzeitkräfte wurde die gleiche prozentuale Arbeitszeitreduzierung um 6,5 Prozent vereinbart. Für ältere Mitarbeitende ab 60 Jahren gelten sogar nur 34 Wochenstunden als neue Vollzeit. Außerdem bietet das Kinderhaus allen Mitarbeitenden optional eine Viertagewoche an. (…) Bisher haben rund 10 Prozent der Belegschaft die Viertagewoche gewählt. Für die meisten anderen ist es weiterhin attraktiver, an fünf Tagen, aber dafür kürzer zu arbeiten. Das entlastet nicht nur das dauerhaft am Limit arbeitende Kita-Personal, das bereits für das Kinderhaus tätig ist. Auch für potenzielle Bewerberinnen und Bewerber scheint das Angebot ansprechend: „Der Bewerbungseingang hat sich im ersten Quartal dieses Jahres verdreifacht gegenüber dem ersten Quartal 2023″, sagt Weise. Drei neu eingestellte Mitarbeitende werden gleich in der Viertagewoche starten.“ Artikel von Stefan Boes vom 17. April 2024 beim RND externer Link
  • Die Vier-Tage-Woche wird getestet: Internationales Projekt einer Unternehmensberatung und einige Genossenschaftsbanken in Deutschland
    • Wieso einige Volksbanken jetzt auf die Viertagewoche setzen: Einige Genossenschaftsbanken haben die Arbeitszeit gesenkt – bei vollem Lohnausgleich. Sie wollen so mehr Personal anlocken
      „… Es ist ein Novum in der Finanzbranche: Einige Genossenschaftsbanken haben für ihre Beschäftigten bei gleichbleibendem Lohn die Arbeitszeit gesenkt. Teils gilt sogar die Viertagewoche. Die Volksbank Kaiserslautern ist Vorreiterin im genossenschaftlichen Sektor. Das Geldhaus hat die Wochenarbeitszeit schon vor anderthalb Jahren von 39 auf 34,5 Stunden gesenkt. Mit „Vier Tage arbeiten, drei Tage frei!“, wirbt die Bank um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. (…)Geregelt hat die Volksbank Kaiserslautern die Viertagewoche unter anderem über eine Betriebsvereinbarung. Freitags bleiben die Filialen nun geschlossen, erreichbar ist die Bank an diesem Tag per Telefon und E-Mail. Ähnlich geht die PSD Bank Braunschweig vor. Auch dort bleiben seit September freitags die drei Geschäftsstellen geschlossen. „Tarifvertraglich bleiben die 39 Stunden Arbeitszeit pro Woche, wir vereinbaren aber: Du musst nur 35 Stunden leisten“, erklärt Vorstandssprecher Carsten Graf. Mitarbeiter würden nun acht Stunden und 45 Minuten an vier Tagen arbeiten statt bisher sieben Stunden und 48 Minuten an fünf Tagen. Die Volksbank Euskirchen bei Köln reduzieren ebenfalls auf 35 Stunden an vier Tagen. Zudem seien bis zu vier Überstunden in der Woche abgegolten, sagt Bankvorstand Hans-Jürgen Lemicz. Parallel sinken – wie auch bei einigen anderen Banken – die Urlaubstage von 30 auf 24 im Jahr. „Ausnahmen sind je nach Arbeitsanfall möglich, aber mittlerweile eher selten“, sagt Lemicz. (…) Die Auricher Raiffeisen-Volksbank senkte die Arbeitszeit testweise sogar von 36 auf 33 Stunden in der Woche. (…) Bei vier Arbeitstagen in der Woche sinkt die Zahl der jährlichen Urlaubstage ebenfalls von 30 auf 24 Tage. Die Öffnungszeiten der Bank sind unverändert geblieben. Auch die Volksbank Düsseldorf Neuss hat die Arbeitszeit gemindert – allerdings nur für diejenigen, die in der Filiale arbeiten. (…) Bei der Volksbank Darmstadt Mainz wiederum gibt seit Jahresbeginn mehr Urlaub. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Filial-Kundenservice arbeiten, haben 40 Tage frei, Kundenberater 35 Tage – statt bisher 30 Tage. (…) Die genossenschaftliche Sparda-Bank Berlin hat die Arbeitszeit gesenkt, von 39 auf 35 Stunden. Umgesetzt wird das in zwei Schritten, per Anfang 2024 und Anfang 2025. Eine Viertagewoche ist jedoch nicht vorgesehen. (…) Die Tarifangestellten bei den Landesbanken arbeiten seit Anfang 2024 eine Stunde weniger pro Woche, 38 statt 39. Bei der Bayerischen Landesbank können die Beschäftigten täglich oder auf Wochensicht weniger arbeiten oder sechs freie Tage nehmen, erklärt die Bank. Die Landesbank Baden-Württemberg, die größte Landesbank Deutschlands, hat auch die Regelung für außertarifliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angepasst. Sie können neuerdings Überstunden ansammeln und bis zu sechs Tage zusätzlichen Urlaub pro Jahr nehmen…“ Artikel von Elisabeth Atzler vom 20. Februar 2024 beim Handelsblatt online externer Link
    • Die Vier-Tage-Woche: Ein neues Modell für die Zukunft der Arbeit im Test
      „… Es ist der erste bundesweit koordinierte Versuch: 45 Unternehmen und Organisationen testen die Vier-Tage-Woche. Ein halbes Jahr lang wird die 100-80-100-Variante getestet: 100 Prozent Leistung in 80 Prozent der Zeit für 100 Prozent Lohn. (…) Kann die gleiche Arbeit in weniger Zeit erledigt werden? Werden die Mitarbeiter dadurch weniger krank? Steigt die Motivation? Viele Fragen, die sich bei einer Vier-Tage-Woche stellen. Initiiert wurde das Projekt von der Unternehmensberatung Intraprenör, die wiederum mit der Organisation „4 Day Week Global“ zusammenarbeitet. Die NGO hat das Projekt bereits in anderen Ländern ähnlich umgesetzt: In Großbritannien nahmen 61 Unternehmen mit insgesamt 2.900 Beschäftigten teil. Mehr als die Hälfte der teilnehmenden Unternehmen in Deutschland hat zwischen zehn und 49 Beschäftigte. Am stärksten vertreten ist die IT-Branche (14 Prozent), aber auch Handwerk und Industrie (jeweils sechs Prozent). Diese Branchen sind laut Intraprenör in Studien aus anderen Ländern häufig unterrepräsentiert. (…) Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt von der Universität Münster. Dies sei „von zentraler Bedeutung, um fundierte Erkenntnisse über die Auswirkungen der 4-Tage-Woche zu gewinnen und Abstand von der emotional geführten Diskussion um das Thema zu gewinnen“, betont Julia Backmann, Professorin an der Universität Münster. (…) „Vier von fünf Vollzeitbeschäftigten würden ihre Arbeitszeit gern auf vier Tage pro Woche reduzieren. Lohneinbußen würden dafür aber nur Wenige hinnehmen“, berichtet die Hans-Böckler-Stiftung in einer Untersuchung. Beschäftigte mit kürzeren Arbeitszeiten schaffen mehr pro Stunde, sind weniger gestresst und seltener krank. Das habe ein Großversuch in mehr als 60 britischen Unternehmen bestätigt, so die Stiftung. Vorteile für die Gesellschaft als Ganzes sehen die Forscher darin, dass Arbeitnehmer sich besser regenerieren, Familie und Beruf besser vereinbaren können und eher gesund bleiben. (…) Bei den Arbeitgeberverbänden stößt die Arbeitszeitverkürzung allerdings nicht auf Begeisterung. Die Streiks bei den Tarifverhandlungen zwischen der Deutschen Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL zeigen, wie heftig die Auseinandersetzungen darüber sein können.“ Beitrag von Marcus Schwarzbach vom 18. Februar 2024 bei Telepolis externer Link – dieser Beitrag ist deutlich zu unkritisch. Leistungssteigerung auf 100 Prozent bei nur noch 80 Prozent der Zeit? Schön für die AG. Aber für die Gesundheit der betroffenen AN? Hier übernimmt Schwarzenbach einfach die AG-Propaganda. Und was ist mit Überstunden? Sind die beim Test wirklich rigoros ausgeschlossen? Hierzu kein Wort.

  • Viertagewoche oder Vierstundentag? Was ist besser, besonders für Frauen?
    „Alle sind für die Viertagewoche – fast alle! So viel Zustimmung hat ein Vorschlag der Gewerkschaften bisher kaum gefunden. Jede liest die Sache natürlich anders: Die positiven Erwartungen reichen von der Entlastung der Umwelt durch weniger Fahrten zur Arbeitsstelle und damit weniger CO2-Ausstoß bis zum Motivationsschwung der Beschäftigten, der die Produktivität und im Endeffekt Profitabilität der Unternehmen erhöht. Auch sog. Frauenzeitschriften begrüßen die Idee, weil sie den Frauen zugute komme, die dadurch Beruf und Familie besser unter einen Hut kriegen. Ist das tatsächlich so? Ist eine Viertagewoche wünschenswert? Für viele zweifellos. Allerdings gibt es auch andere Vorstellungen, die Frauen im Beruf und bei sonstigen Verantwortlichkeiten besser entlasten würden und mehr mit ihren umfassenden Wünschen und Träumen zu tun haben. (…) Eine Expertise für das Gutachten der Sachverständigenkommission zeigt anhand des Gender-Care-Share (Aufteilung der Sorgearbeit unter den Geschlechtern), wie die Aufteilung der Sorgearbeit sich verändert, wenn ein Elternteil oder beide Eltern ihren Arbeitsplatz nach Hause verlegen: Dann erledigen die Frauen 66 Prozent der Care-Arbeit und Männer 34 Prozent. Ihre Schlussfolgerung: »Die gerechte Verteilung von Sorgearbeit bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die auf vielen Ebenen angesetzt werden muss. So müssen zum Beispiel Geschlechterstereotype abgebaut werden, die Frauen eine ›natürliche‹ Begabung für Sorgearbeit zuschreiben.« (…) Diese offiziellen Ergebnisse belegen, wie realitätsfremd die Vorstellung ist, Sorgearbeit und Vollzeittätigkeit beider Partner seien miteinander vereinbar. Sie zeigen aber auch, dass das herrschende System für eine andere Organisation des Lebens nur wenig Möglichkeiten lässt, solange das Rollenmodell in der Gesellschaft sich nicht oder kaum ändert.
    Deshalb müssen Mann und Frau nicht nur für eine Verkürzung der Arbeitszeit kämpfen, sondern auch für eine andere Art, wie wir leben wollen. Wie es besser organisiert werden kann, wurde in der Frauenbewegung vielfach breit diskutiert, Frigga Haug hat dazu eine Utopie formuliert: die Vier-in-Eins-Perspektive. Die Voraussetzung dafür ist aber nicht die Viertagewoche sondern der Vierstundentag. (…) Das Neue an der 4-in-1-Perspektive besteht in der Anordnung der vier Tätigkeitsbereiche – Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit, Kultur, Politik – in vier zeitlich gleich große Blöcke, die einander nicht über- oder untergeordnet sind. Damit sind sie gleichwertig. Solange Erwerbsarbeit, Zuwendungsarbeit, kulturelle Selbstentwicklung und Politik jeweils getrennt verfolgt werden, entstehen Interessenkonflikte. Ihre Verknüpfung hingegen setzt eine andere politische Dynamik frei. Es ist sinnvoll und notwendig, nicht nur über eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung nachzudenken und zu streiten, sondern über eine Umverteilung der gesamten Lebenszeit und aller Tätigkeiten. Eine reine Lohnarbeitszeitverkürzung, so erstrebenswert diese auch ist, wird allein die oben genannten Probleme nicht lösen. Deren Lösung muss aber unbedingt mitgedacht werden.“
    Artikel von Ayse Tekin in der Soz Nr. 02/2024 externer Link

  • Arbeitszeiten anders gestalten: Heißt kürzer arbeiten auch besser arbeiten?
    „Die Arbeitszeitverkürzung (AZV) war immer ein zentrales Thema der Arbeiter:innen-, Frauen- und inzwischen auch Klimagerechtigkeitsbewegung. Die Arbeit ist ungleich verteilt, nicht nur in der Care-, sondern auch in der Lohnarbeit. Während die einen bis zum Burnout schuften, kommen die anderen nicht über die Runden, weil sie in der Teilzeitfalle sitzen. Ein gängiger Bezugspunkt ist inzwischen die Viertagewoche. Sie wird von der IG Metall unterstützt – aber auch Unternehmen wittern Chancen. (…) Das Konzeptwerk Neue Ökonomie legte Anfang 2023 ein Modell vor. Teilzeitbeschäftigte sollen einen Volllohn erhalten, andere ihre Arbeitszeit reduzieren. Sie plädieren für eine kollektive Arbeitszeitverkürzung auf 28 Stunden und eine Viertagewoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich als zentrales Element einer sozialökologischen Transformation. Arbeit, Zeit und Einkommen werden gesellschaftlich umverteilt. So soll etwa durch die Verkürzung der Arbeitszeit in umweltschädlichen Bereichen wie dem fossilen Energiesektor, der Rüstung und der Chemieindustrie der notwendige Rückbau abgefedert werden – finanziert durch die Umverteilung von Unternehmensgewinnen in den einen Bereichen, unterstützt durch staatliche Subventionen in anderen. Statt neoliberal Leistung immer weiter zu steigern, werden nach ihrer Vorstellung Beschäftigte an den Produktivitätsgewinnen beteiligt. Klingt also wie ein nettes Modell. Doch sie sagen selbst:  »Wir begreifen Arbeitszeit nicht nur als ökonomische Kategorie, sondern auch als politische, demokratische und kulturelle Kategorie. Bei der Verteilung von Zeit und Arbeit geht es um Herrschaftsverhältnisse und damit um Fragen von Klasse, Geschlecht, Rassismus und Ableismus.« Ableismus ist die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung oder aufgrund von Lernschwierigkeiten. Umso erstaunlicher ist daher, dass ihr konkretester Schritt zur Durchsetzung von Arbeitszeitverkürzung das Vorantreiben von realen Experimenten ist, »um Beschäftigte, Unternehmen und Politiker:innen von den Vorteilen einer AZV zu überzeugen. Daher sollten wir darum kämpfen, auch in Deutschland großflächige Versuche einer Viertagewoche durchzuführen.« (…) Was heißt das also für die Kräfteverhältnisse, wenn inzwischen selbst Unternehmen Interesse zeigen, weil Burnout und Krankenstände zum Problem werden? Natürlich ist es zu begrüßen, wenn mehr Zeit für Freizeit, ehrenamtliches Engagement, Pflege und Erholung bleibt. Angesichts der weiter wachsenden Ungleichheit bei der Verteilung von Vermögen und Eigentum dürfen wir aber nicht nur auf die Ausbeutung der Arbeitskraft durch Steigerung des absoluten Mehrwerts achten, sondern ebenso des relativen Mehrwerts, also der Produktivität. Um Kräfteverhältnisse zu ändern, kommen wir um die Frage nicht rum, wer sich welchen Teil des Mehrwerts aneignet.“ Artikel von Violetta Bock in der Soz 02/2024 externer Link
  • Stand der Forschung: Gesünder und produktiver dank Viertagewoche? Bisherige Studien klingen vielversprechend
    „Vier Tage arbeiten, drei Tage frei. Das klingt für viele verlockend. (…) Für die Viertagewoche gibt es zwei Modelle: Das eine ist die sogenannte komprimierte Viertagewoche, die etwa in Belgien bereits gesetzlich verankert ist. Dabei erledigt der Beschäftigte sein bisheriges Arbeitsvolumen an nur vier Tagen – bei einer 40-Stunden-Woche kann sich ein Arbeitstag so von acht auf zehn Stunden am Tag verlängern. Im anderen Modell wird die Arbeitszeit nicht komprimiert, sondern reduziert – der Beschäftigte arbeitet also nicht mehr 40, sondern nur noch 32 Stunden pro Woche – und das meist bei gleicher Bezahlung. Mehrere Länder – etwa Großbritannien, Spanien und Island – haben diese Variante bereits getestet, die Studienlage ist entsprechend umfangreich. (…) Es gebe sehr gute Erkenntnisse darüber, dass die Viertagewoche mit einer hohen Zufriedenheit, einer besseren Gesundheit und einer höheren Work-Life-Balance einhergehe, sagt Laura Venz im Gespräch mit tagesschau24. Sie ist Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Leuphana Universität in Lüneburg. Laut Venz ist insbesondere die Zufriedenheit ein wichtiger Punkt. Je weniger man arbeite, desto mehr Zeit habe man für andere Dinge – den Haushalt, die Kinderbetreuung oder Hobbys. „Wir wollen eigentlich nicht unser gesamtes Leben der Arbeit opfern, sondern es soll auch noch etwas darüber hinaus geben.“ (…) Ein Modell auch für Deutschland? Dort nehmen jetzt 50 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen an einem umfassenden Pilotprojekt zur Einführung der Viertagewoche teil. Anschließend wird die Universität Münster das Projekt wissenschaftlich auswerten. Wissenschaftlerin Venz weist darauf hin, dass sich die Viertagewoche in manchen Bereichen schwerer umsetzen lässt als in anderen. „Denken wir an die gewünschte Arbeitszeitverkürzung bei den Lokführern, die die GDL ja jetzt eingefordert hat. Natürlich kann ein Lokführer trotzdem nur einen Zug auf einer bestimmte Strecke fahren oder führen. Und dementsprechend ist es dort nicht möglich, die Produktivität [..] exakt aufrechtzuerhalten.“ Gleiches gelte für die Pflege: „Ich pflege ja nicht plötzlich schneller, das kann ja nicht funktionieren.“ (…) Venz plädiert für eine komplette Umstrukturierung von Betrieben. Unternehmen müssten sich genau überlegen, wer welche Aufgaben übernimmt und „im Idealfall“ mehr Beschäftigte einstellen, was natürlich mit mehr Kosten verbunden sei. „Ich verstehe komplett, dass da erst mal alle Alarmglocken angehen“, sagt Venz, erinnert aber gleichzeitig an den Fachkräftemangel: „Wir haben einen Markt, in dem das Angebot an Arbeitsplätzen sehr groß ist, beispielsweise im Bereich der Pflege.“ Da könne eine Viertagewoche – bei allen Herausforderungen, die damit einhergingen – ein großer Hebel sein, um Arbeitgeber attraktiver zu machen. Arbeitspsychologin Venz weist darauf hin, dass sich die Zeiten verändert haben: Die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt erlaube es den Bewerberinnen und Bewerbern, Ansprüche zu stellen und sich den Arbeitgeber gezielt auszusuchen. „Und ja, warum sollte ich mich dann nicht für den entscheiden, der mir eine Viertagewoche anbietet?“ Beitrag von Nina Hansen vom 1. Februar 2024 bei tagesschau.de externer Link
  • Die Vier-Tage-Woche als Transformationsprojekt
    „Angesichts von Vielfachkrise und Abwehrkämpfen mangelt es der Linken an Hoffnungsstiftern – dabei gäbe es breite Zustimmung für eine Arbeitszeitverkürzung. (…) In der momentanen Vielfachkrise könnten eine echte Viertagewoche und ein Neues Normalarbeitsverhältnis nicht nur wirksame Mittel sein, um Krisenphänomene und Transformationskonflikte abzufedern, es besteht außerdem die historische Chance für ein gesellschaftliches Bündnis, das tatsächlich imstande wäre, Mehrheiten für progressive Politik zu organisieren. Angesichts der rapide eskalierenden Klimakrise, der zunehmenden sozialen Polarisierung und des Scheiterns des Projekts eines grünen Kapitalismus ist die Formierung eines Gegenprojekts, das die (Über-)Lebensbedingungen der Menschheit auf emanzipatorische Weise abzusichern vermag, dringlicher denn je. Zentral ist dabei die Frage, wie die Ökonomie sozial und ökologisch nachhaltig umorganisiert werden kann. Solche Eingriffe in die wirtschaftliche Organisationsweise verlangen nach breiten gesellschaftlichen Bündnissen, die aber nur dann möglich werden, wenn sich verschiedene gesellschaftliche Machtressourcen produktiv bündeln lassen.
    Zu diesen Machtressourcen gehört die betriebspolitische Macht der Beschäftigten, wirtschaftliche Prozesse zu stören und zu unterbrechen. Dazu gehört die gesetzgeberische Macht progressiver Parteien, die Rahmenbedingungen ökonomischen Handelns zu verschieben und Märkte umzuformen. Und schließlich bedarf es der – vor allem – diskursiven Macht zivilgesellschaftlicher Gruppen von der Klimagerechtigkeitsbewegung über feministische Gruppen bis zu den Kirchen, die dazu beitragen können, die Formierung eines neuen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Common Sense in der öffentlichen Debatte zu befördern und öffentliche Unterstützung für radikale Reformen zu organisieren (Dörre 2021).
    Angesichts der relativen Schwäche der Gewerkschaften liegt eine strategische Herausforderung darin, diese Ressourcen zusammenwirken zu lassen. (…) Wir schlagen deshalb vor, den Kampf um eine echte Viertagewoche und ein Neues Normalarbeitsverhältnis von 28 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich und notwendigem Personalausgleich zu einem solchen Leuchtturmprojekt für die nächsten Jahre zu machen und darauf organisationsübergreifend hinzuarbeiten
    …“ Artikel von Philipp Frey und Stephan Krull in der Zeitschrift Luxemburg vom November 2023 externer Link
  • Vier-Tage-Woche: Was spricht für und was gegen das Arbeitszeitmodell?
    Podcast von Regina Brinkmann am 18. November 2023 im Deutschlandfunk externer Link Audio Datei
  • 4-Tage-Woche – eine neue Etappe im Kampf um Arbeitszeit? 
    Viele Menschen wünschen sich eine gute, erfüllende Arbeit und zugleich mehr Zeit mit ihrer Familie, mit Freundinnen und Freunden oder auch einfach nur für sich. Mehr Zeit, persönlichen Interessen und Projekten nachzugehen und sich um ihre Gesundheit zu kümmern. Zwischen diesen Wünschen und der Realität klafft in der Regel eine große Lücke. Doch die Länge der Wochenarbeitszeit ist nicht in Stein gemeißelt, sondern seit jeher eine Verteilungs- und Machtfrage. Mit der aktuellen Diskussion über die 4-Tage-Woche und die ersten Schritte in diese Richtung könnte der historische Kampf um die Arbeitszeit und ihre Verkürzung in eine neue Etappe gehen – auch in Deutschland. Und erste Versuche zeigen: Die 4-Tage-Woche ist realisierbar und bietet viel mehr als einfach nur mehr Freizeit. Im vergangenen Jahrzehnt standen vor allem stärker selbstbestimmte Arbeitszeiten auf der Agenda der Gewerkschaften. Es gelang, neue Regelungen mit individuellen Wahloptionen zwischen Zeit und Geld durchzusetzen. Diese erleichtern nun beispielsweise in der Metall- und Elektroindustrie die Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen und reduzieren die Belastung für Schichtbeschäftigte. Obgleich auch die Auseinandersetzungen darüber gesellschaftspolitische Dimensionen beinhalteten, wird die 4-Tage-Woche seit Wochen bereits im Vorfeld einer Tarifauseinandersetzung in ungleich höherem Maße öffentlichkeitswirksam und politisch kontrovers diskutiert. Das mag auch daran liegen, dass Pilotprojekte und erste Reformschritte im Ausland bereits deutlich gemacht haben: die Frage stellt sich nicht rein theoretisch oder in unbestimmter Zukunft, sondern ganz konkret im Hier und Jetzt. Wie Umfragen zeigen, sind auch die Beschäftigten längst bereit für die 4-Tage-Woche…“ Artikel von Hilde Wagner und Gerhard Wick als komplette Leseprobe aus  Sozialismus Heft Nr. 10 – Oktober 2023 externer Link
  • ver.di-Vorsitzender Frank Werneke hält nichts von Viertagewoche bei Dienstleistungen
    • Ver.di-Chef hält nichts von Viertagewoche bei Dienstleistungen
      Gewerkschaftschef Frank Werneke erteilt der Viertagewoche in Dienstleistungsjobs eine Absage – und will stattdessen für höhere Löhne kämpfen. Auch die Pläne für einen Industriestrompreis sieht er kritisch. Die IG Metall fordert, die wöchentliche Arbeitszeit auf vier Tage zu verkürzen. Doch für die Dienstleistungsbranche hält der Vorsitzende der Gewerkschaft Ver.di, Frank Werneke, die Viertagewoche für ungeeignet. »In der Stahlindustrie haben wir es mit einem 24-Stunden-Schichtmodell zu tun, das auf andere Branchen nicht ohne Weiteres übertragbar ist«, sagte Werneke dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. »Für die Dienstleistungsbranchen sehe ich die Viertagewoche nicht als generelles Arbeitsmodell«, betonte er. »In den aktuellen Tarifrunden stellen wir wegen der Inflationsentwicklung die Einkommensfrage in den Vordergrund«, erklärte der Ver.di-Chef weiter. »Ich bin mir aber sicher, dass mittelfristig die Arbeitszeitfrage auch in den Dienstleistungsbranchen weiter an Bedeutung gewinnen wird.«…“ Meldung vom 12.09.2023 im Spiegel online externer Link und das Original:
    • Interview mit dem Verdi-Chef: Rückt die Viertagewoche näher, Herr Werneke?
      Der Vorsitzende von Deutschlands zweitgrößter Gewerkschaft spricht im RND-Interview über die wirtschaftliche Lage Deutschlands, den anstehenden Verdi-Bundeskongress und über Veränderungen in der Dienstleistungsbranche durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz…“ Interview von Johanna Apel vom 12.09.2023 in RND externer Link
  • Arbeitszeitgestaltung: Fortschritt beginnt mit einer Utopie
    Die Böckler-Expertinnen Yvonne Lott und Johanna Wenckebach über Zeitwünsche und Vereinbarkeitsprobleme, die Arbeitszeiterfassung und die Viertagewoche…“  Interview von Fabienne Melzer und Kay Meiners im Magazin Mitbestimmung 03/2023 externer Link
  • Vier-Tage-Woche: Warum sind die Gewerkschaften nicht begeistert? 
    „… Rund 81 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen wünschen sich eine Vier-Tage-Woche mit entsprechend niedrigerer Wochenarbeitszeit, zeigt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung externer Link. Knapp 73 Prozent geben dabei an, eine Arbeitszeitverkürzung nur bei gleichem Lohn zu wollen. Für die Stahlindustrie hat die IG-Metall angekündigt, in der kommenden Tarifrunde die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich zu fordern. Dies ziele erstmals auf einen kollektiven, tariflich abgesicherten Anspruch für Beschäftigte einer ganzen Branche, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann In anderen Branchen gibt es keine Planung der Gewerkschaften dazu. Die „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“ (VKG) fordert jedoch zum Handeln auf. „Um Belastungen wirkungsvoll zu reduzieren und Entlassungen zu verhindern“ brauche es die Verkürzung auf vier Tage. Dies gelinge nur, wenn „alle Gewerkschaften für die Arbeitszeitverkürzung kämpfen und nicht nur eine einzelne Branche“. (…) Zu klären ist dazu zunächst die Frage: um welche Variante der Vier-Tage-Woche externer Link handelt es sich? Die belgische Variante etwa umfasst ein vier Arbeitstage bei gleichbleibender Wochenarbeitszeit (…) Der Nachteil: Bei einer 40-Stunden-Woche läge dann die tägliche Arbeitszeit nicht bei acht, sondern bei zehn Stunden. (…) Eine weitere Variante ist abhängig vom einzelnen Arbeitnehmer, der einen Antrag auf Teilzeit stellt: Kurze Wochenarbeitszeit bei angepasstem, also geringerem Gehalt. Die Vier-Tage-Woche ist auch als Teilzeitmodell denkbar, verkürzte Wochenarbeitszeit im Vergleich zu einer Vollzeitstelle. Dafür wird der Lohn entsprechend angepasst. Eine weitere Variante trifft auf Widerstand der Unternehmen: Geringere Arbeitszeit durch Tarifvertrag bei Vollzeitkorridor mit vollem oder teilweisen Lohnausgleich. Für Beschäftigte reduziert sich die Wochenarbeitszeit. Dies ist dann auch als Viertagewoche denkbar, durch unterschiedliche Varianten kann der Betrieb weiter fünf, sechs oder sieben Tage die Arbeit erledigen lassen. Einerseits stellt sich für die Gewerkschaften die Frage der Durchsetzbarkeit gegenüber den Arbeitgeberverbänden, die diese Vorschläge ablehnen. Andererseits besteht das Problem [der] Messbarkeit der Arbeitsmenge – denn wenn die Produktivität nicht steigt, muss dieselbe Arbeit in weniger Zeit geschafft werden. Das führt zu Stress am Arbeitsplatz, der Leistungsdruck nimmt zu. Diese Sorge teilen auch Teile der Belegschaften: Wer eine Vier-Tage-Woche grundsätzlich ablehnt, hat sehr oft das Gefühl, dass sich an den Arbeitsabläufen nichts ändern würde (…) Entscheidend für diese Tarifverträge sind Regelungen zur Personalplanung. Kernstück der Personalplanung ist die Personalbedarfsplanung. (…) Die Skepsis der Gewerkschaftsvorstände bei der Vier-Tage-Woche per Tarifvertrag ist nachvollziehbar. Die Vereinbarungen von Ver.di in den Krankenhäusern über „Tarifverträge zu Entlastung“ zeigen aber: Dass Regelungen zur Personalplanung möglich sind, zeigen die Tarifverhandlungen im Pflegebereich…“ Beitrag von Marcus Schwarzbach vom 20. August 2023 in Telepolis externer Link
  • VKG: Kampf um Arbeitszeitverkürzung wieder aufnehmen
    Der Kampf um Arbeits- und damit auch um Lebenszeit hat wieder Fahrt aufgenommen. Die IG Metall hat die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich als Ziel für die anstehende Tarifrunde Ende des Jahres in der Stahlindustrie ausgegeben und so eine Debatte über Arbeitszeitreduzierung weit über die Branche hinaus angestoßen. Das ist gut so. Doch um was geht es konkret? Um einen Tag weniger arbeiten, also statt 35 nur noch 28 Stunden? Weit gefehlt. Der IG Metall schwebt die Senkung der Wochenarbeitszeit von 35 auf 32 Stunden vor, also gerade mal eine Absenkung um 3 Stunden, nicht um 7 Stunden. Verbunden ist die Viertagewoche mit einer Verlängerung des Arbeitstages von 7 auf 8 Stunden.
    In der Stahlindustrie arbeiten die Schichter sogar nur 33,6 Stunden in der Woche und müssen dann übers Jahr 13 Zusatzschichten leisten, um auf ihre Wochenarbeitszeit zu kommen. Der Sprung zur 32-Stunden-Woche an 4 Tagen ist also nicht sehr groß. Damit ist auch die Entlastung für die Stahlbeschäftigten sehr gering. Die Belastung ist aufgrund von Conti-Schicht und schlechten Arbeitsbedingungen extrem hoch. Und auch als Mittel gegen den drohenden Personalabbau aufgrund des Rückgangs der Stahlproduktion, weil Kohle durch Wasserstoff ersetzt werden soll, sind die wenigen Stunden Arbeitszeitverkürzung nicht hilfreich.
    Um Belastungen wirkungsvoll zu reduzieren und Entlassungen zu verhindern braucht es größere Schritte zur Verkürzung der Arbeitszeit und natürlich auch nur mit vollem Lohn- und Personalausgleich. Die Verlängerung des Arbeitstages von 7 auf 8 Stunden ist kontraproduktiv, da dadurch die gesundheitlichen Belastungen steigen werden. Mit einer 30-Stundenwoche – bei einer Viertagewoche ist der Effekt sowohl für Gesundheit, Belastung und Verhinderung von Entlassungen wesentlich größer und deshalb als neuer Standard anzustreben. Ein solcher Schritt kann zu vollem Erfolg werden, wenn alle Gewerkschaften für die Arbeitszeitverkürzung kämpfen und nicht nur eine einzelne Branche. (…)
    Kaum ist das kleine Steinchen ins Wasser geworfen, bläst die Kapitalseite zur propagandistischen Gegenoffensive. (…) Die Gewerkschaften müssen diese Angriffe auf Arbeitszeit und Arbeitsrecht entschieden zurückweisen.“ Aufruf am 4. Juli 2023 bei VKG – Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, auch als Flugblatt
  • Eine Branche sucht Entlastung: Am Klinikum Bielefeld startet ein Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche
    „Jahrelanger Pflegenotstand mit teils dramatischer Unterbesetzung in Kliniken und Einrichtungen – das Image des Pflegeberufs: selbst ein Patient. Insbesondere Arbeitsbedingungen und Bezahlung stehen schon seit Langem im Fokus. Dabei kommen in Deutschland nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit auf 100 offene Stellen nur 33 arbeitslose Pflegefachleute. Das Klinikum Bielefeld geht jetzt probeweise neue Wege und greift dabei eine generelle Debatte über Arbeit der Zukunft auf: Die Vier-Tage-Woche startet im Sommer auf einer neuen internistischen Station mit 30 Betten als Pilotprojekt für Pflegekräfte. Pflegeexperten und Verbände fragen sich: Kann das funktionieren? Der NRW-Vertretung des Berufsverbandes für Pflegeberufe ist neben dem Versuch in Ostwestfalen kein weiterer dieser Art im Land bekannt – deutschlandweit gibt es nur wenige vergleichbare. Der Berufsverband, die Pflegekammer NRW und die Gewerkschaft Verdi befürworten diesen Vorstoß grundsätzlich. Paulina Heckmann, Pflegerin auf einer Intensivstation in Köln-Kalk, schließt sich an: »Die Aussicht auf einen Tag mehr frei fände ich gut und motivierend.« Heckmanns Kollegen im ab Juli geplanten Pilotprojekt sollen vier statt fünf Dienste pro Woche leisten, garantiert jedes zweite Wochenende frei haben und sich auf Dienstpläne verlassen können, so das Klinikum. Derzeit laufe die Stellenausschreibung für 30 Vollzeitstellen für die neugegründete Station, sagt Geschäftsführer Michael Ackermann. »Wir wollen Anreize für den Job setzen.« Man setze eine Anregung aus der Mitarbeiterschaft um. Aber: Die Wochenarbeitszeit soll sich dabei insgesamt nicht verkürzen. Tariflich sei schließlich eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden für eine Vollzeitstelle vorgesehen, so Ackermann. Das gibt wiederum den Pflegevertretern zu denken. Sie argumentieren, dass die Belastung sich nicht verringere, wenn der gleiche Arbeitsumfang in weniger Tagen geleistet werde. Auch Pflegerin Heckmann betont: »Solch lange Schichten können extrem fordernd sein. Wir haben das auch mal im Team diskutiert. Vor allem die Jüngeren waren dafür, die Erfahreneren eher dagegen.« (…) Tim Bergmann, Gewerkschaftssekretär bei Verdi im Pflege-Fachbereich, pflichtet der Pflegekammer-Präsidentin bei. Längere Erholungsphasen seien ein wichtiges Instrument, aber nicht bei identischer Wochenleistung: »Wir reden von einem körperlich wie mental sehr fordernden Beruf.« Postel kritisiert gar den Begriff »Vier-Tage-Woche«. Dieser sei dann »unlauter«, »wenn am Ende niemand weniger gearbeitet hat«. Das sei kein Geschenk an die Mitarbeiter, sondern lediglich eine Umstrukturierung. (…) Dass in der Pflegebranche intensive Diskussionen darüber geführt werden, wie es weitergehen kann, das befürwortet auch Paulina Heckmann. Sie persönlich findet, »zwei Stunden mehr am Tag machen den Braten auch nicht mehr fett«, weiß aber auch, dass das andere Teammitglieder ihrer Station anders sehen. Ihr Wunsch: verschiedene Arbeitszeitmodelle, sodass alle glücklich sind – und letztlich die Patienten profitieren.“ Artikel von Timo Lemmer vom 24. Mai 2023 in Neues Deutschland 2023 externer Link – etwas bedenklich ist, wie stark die Diskussion von kapitalseitigen Interesse geprägt ist. Denn eine Vier-Tage-Woche ohne Stundenreduzierung und bei gleichen Lohn, ist eigentlich nicht ernsthaft diskutierwürdig. Aber ein schöner Weg die arbeitgeberseitige angepeilte Reduzierung des gesetzlichen Arbeitsschutzes am Köcheln zu halten…
  • WSI-Studie: Rund 81 Prozent der Vollzeitbeschäftigten wollen Vier-Tage-Woche, große Mehrheit wünscht Lohnausgleich 
    „Die Vier-Tage-Woche wird öffentlich viel diskutiert. Positive Zwischenergebnisse von Pilotprojekten in Großbritannien haben Schlagzeilen gemacht: Beschäftigte sind mit der verkürzten Arbeitszeit produktiver, weniger gestresst und seltener krank. Auch in Deutschland halten viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Verkürzung ihrer Arbeitswoche unter bestimmten Voraussetzungen für sinnvoll, zeigt eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Darin untersuchen Dr. Yvonne Lott vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Stiftung und Dr. Eike Windscheid auf Basis aktueller Befragungsdaten, ob Vollzeiterwerbstätige eine Vier-Tage-Woche möchten oder nicht, und aus welchen Gründen. Kernergebnis: Rund 81 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen wünschen sich eine Vier-Tage-Woche mit entsprechend niedrigerer Wochenarbeitszeit. Knapp 73 Prozent geben dabei an, eine Arbeitszeitverkürzung nur bei gleichem Lohn zu wollen. Acht Prozent der Erwerbstätigen würden ihre Arbeitszeit auch reduzieren, wenn dadurch das Entgelt geringer ausfiel. 17 Prozent der Befragten lehnen eine Vier-Tage-Woche ab, zwei Prozent haben ihre Vollzeittätigkeit bereits auf vier Tage verteilt. Die Befragten, die sich eine Vier-Tage-Woche wünschten, gaben an, mehr Zeit für sich selbst und für ihre Familie haben zu wollen (knapp 97 bzw. 89 Prozent; Mehrfachnennungen möglich). Lott und Windscheid schlussfolgern daraus, dass eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Beschäftigte einen sehr hohen Stellenwert hat und viele eine Vier-Tage-Woche als Instrument ansehen, das ihnen dabei hilft. Mehr Zeit für Hobbies, Sport und Ehrenamt möchten 87 Prozent der Befragten. Eine Vier-Tage-Woche könnte also auch dabei helfen, zivilgesellschaftliches Engagement zu stärken, so die Forschenden. „Zeit für Muße hat damit einen besonderen Stellenwert für gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Stabilität von Demokratie.“ Rund 75 Prozent der Befragten möchten ihre Arbeitsbelastung verringern. Knapp 31 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen möchten ihre Arbeitszeit aufgrund von gesundheitlichen Problemen verkürzen…“ Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 8. Mai 2023 externer Link zur Studie vom Mai 2023 externer Link

    • Wichtig aber auch: „… Wer eine Vier-Tage-Woche grundsätzlich ablehnt, hat sehr oft das Gefühl, dass sich an den Arbeitsabläufen nichts ändern würde (82 Prozent der 17 Prozent, die mit Nein geantwortet haben; auch hier waren Mehrfachantworten möglich) oder die Arbeit in kürzerer Zeit nicht zu schaffen wäre (rund 77 Prozent). Etwa 86 Prozent wollen ihre Arbeitszeit nicht verkürzen, weil sie Spaß an der Arbeit haben. Bei circa 69 Prozent der Befragten ohne Interesse kann die Arbeit nach eigener Einschätzung nicht einfach einen Tag ruhen. Knapp 38 Prozent lehnen eine Vier-Tage-Woche ab, weil sie häufig für Kollegen einspringen müssten, rund 34 Prozent haben das Gefühl, bei verkürzten Arbeitszeiten beruflich nicht voranzukommen…“ – die Autoren schreiben daher auch: „… Für eine wirkungsvolle Umsetzung braucht es verbindliche Vertretungsregelungen, mehr Personal sowie eine angepasste Arbeitsorganisation, z.B. Erreichbarkeitsregeln im Kundenkontakt, und eine verringerte Arbeitsmenge, z.B. durch Automatisierungsprozesse…“
  • IG Metall bringt für die Tarifrunde Eisen und Stahl 2023 die 4-Tage-Woche ins Gespräch – kann diesmal Arbeitsverdichtung als Nebenwirkung verhindert werden? 
    Siehe dazu unser Dossier: Tarifrunde Eisen und Stahl 2023: Kommt die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich?

    • Der Kampf um die 35-Stundenwoche hatte bekanntlich bei den meisten zu starker Arbeitsverdichtung geführt, weshalb wir aufmerksam verfolgen werden, ob und wie die IG Metall mit der Frage der Produktivität umgehen wird – und ob sie den nowendigen Personalausgleich erkämpfen kann. Zu den Tücken der potenziellen Arbeitsverdichtung und/oder Lohnsenkung siehe ein Beispiel aus den USA:
    • Die Vier-Tage-Woche als trojanisches Pferd
      Es ist nie eine schlechte Idee, seinem Chef gegenüber misstrauisch zu sein, besonders wenn er so tut, als würde er einem einen Gefallen tun. Für die Beschäftigten von FrontLine Service, einer gemeinnützigen Organisation in Cleveland, die sich um die Belange von Obdachlosen kümmert, ist das Misstrauen gegenüber dem Arbeitgeber eines der wichtigsten Gefühle, die uns verbinden.
      Die Mitarbeiter von FrontLine, Mitglieder der Service Employees Local 1199, erbringen wichtige Dienstleistungen für einige der am stärksten ausgegrenzten und vernachlässigten Menschen im Nordosten Ohios. Jeden Tag helfen wir Menschen, die mit psychischen Problemen, Drogenmissbrauch, Wohnungsnot und anderen Nöten zu kämpfen haben. Die Arbeit ist mühsam und die Bezahlung gering, aber wir tun, was wir können, um den Gemeinden, in denen wir leben und arbeiten, zu helfen.
      Im vergangenen Juni wurde unser Vertrag mit FrontLine mit einer knappen Mehrheit ratifiziert. Während der gesamten Verhandlungen hatte der Verhandlungsausschuss das Gefühl, dass die Geschäftsführung uns nicht die Wahrheit sagte. Auf unsere Nachfragen erhielten wir immer wieder vage, klischeehafte Antworten. Als sich das Zeitfenster für die Verhandlungen schloss, schien ein Streik unmittelbar bevorzustehen. Die geringfügigen Vertragsgewinne, die wir erzielen konnten, reichten jedoch aus, um die Zustimmung einer knappen Mehrheit zu erhalten.
      PLÖTZLICH GEFÄLLT ES IHNEN
      Fast alle unsere ehrgeizigsten Forderungen wurden abgelehnt. Eine dieser Forderungen war die Einführung einer Vier-Tage-Woche: 32 Stunden pro Woche, ein zusätzlicher ganzer freier Tag, mit Leistungen und Löhnen, die den durch Verhandlungen erzielten Erhöhungen entsprechen.
      So verlockend die Idee einer verkürzten Arbeitswoche für uns auch war, niemand von uns glaubte, dass sie auch nur den Hauch einer Chance hätte, in den Vertrag aufgenommen zu werden. Wenn überhaupt, dann dachten wir, dass es ein Verhandlungschip sein könnte, den wir aufgeben würden, um etwas anderes zu bekommen. Daher waren wir überrascht, als die Geschäftsleitung einige Monate später um ein Treffen mit uns bat, um zu erörtern, wie ein Pilotprojekt für eine viertägige Arbeitswoche umgesetzt werden könnte.
      Der erste Entwurf des Vorschlags der Geschäftsleitung sah vor, den Arbeitstag zu verlängern, die Sozialleistungen um 15 Prozent zu kürzen, die Krankheits-, Urlaubs- und Sonderurlaubszeiten zu reduzieren und die tägliche Produktivitätsnorm um eine Stunde zu erhöhen. Das vorgeschlagene Pilotprojekt würde 25 von 300 Mitarbeitern betreffen. Wir sind der Meinung, dass diese kleine Stichprobe für das Pilotprojekt nicht ausreicht, um die Wirksamkeit der viertägigen Arbeitswoche zu messen, und, was noch wichtiger ist, die Solidarität untergraben und die Arbeitnehmer spalten könnte.
      HABEN UNSERE HAUSAUFGABEN GEMACHT
      In unserem Gegenvorschlag, den wir der Geschäftsführung am 23. März unterbreitet haben, haben wir deutlich gemacht, dass wir keine Änderungen oder Kürzungen der hart erkämpften Errungenschaften in unserem Vertrag akzeptieren werden.
      Die Mitglieder unseres Verhandlungsausschusses haben umfangreiche Nachforschungen angestellt, und wir hatten mehrere aufschlussreiche Treffen mit Arbeitgebern, die erfolgreich eine viertägige Arbeitswoche eingeführt haben, und zwar sowohl in gemeinnützigen als auch in privatwirtschaftlichen Unternehmen. All dies deutete darauf hin, dass das von FrontLine vorgeschlagene Pilotprojekt scheitern würde. Die Kürzung von Sozialleistungen, die Verlängerung des Arbeitstages auf 9 Stunden (bei einer 36-Stunden-Woche) und die Erhöhung der Produktivitätsanforderungen würden alle Vorteile, die eine viertägige Arbeitswoche den Beschäftigten bieten könnte, zunichte machen.
      Als wir in unseren Sitzungen dagegen vorgingen, gab die Geschäftsleitung eine Version der gleichen Antwort, die wir während der Verhandlungen im letzten Sommer erhalten hatten: „Wir würden ja, wenn wir könnten, aber wir können nicht.“ Die Einnahmen von FrontLine, die 2022 mehr als 28 Millionen Dollar betrugen, stammen hauptsächlich aus staatlichen Zuschüssen und Medicaid-Abrechnungen. Auf unsere Frage, ob sie sich in gutem Glauben um eine höhere Finanzierung bemüht hätten, um die Löhne zu erhöhen, das Personal zu halten und neue Mitarbeiter zu gewinnen, lehnte die Geschäftsführung eine Antwort ab.
      ABLENKUNG VON DEN LÖHNEN
      Da sich das Konzept der Vier-Tage-Woche immer mehr durchsetzt, sollten wir uns überlegen, wie Arbeitgeber und ihre Berater auf die zunehmende Popularität dieser Idee reagieren. Im Fall von FrontLine scheint es, dass der Vorschlag der Geschäftsleitung für ein Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche ein Trojanisches Pferd ist. Sobald er umgesetzt ist, könnte die Geschäftsleitung durch eine Klausel in ihrem Vorschlag, die ihr während der Dauer des Pilotprojekts „einseitige Befugnisse“ einräumt, Verhandlungen mit unserer Gewerkschaft über die Arbeitsbedingungen verweigern.
      FrontLine Service ist stark unterbesetzt, so sehr, dass sie im Februar Cuyahoga County offiziell gebeten haben, nach anderen gemeinnützigen Einrichtungen zu suchen, die die Beschäftigten in mindestens einem FrontLine-Gebäude ersetzen könnten.
      Nach Angaben der Geschäftsleitung ist der Personalmangel der Grund, warum sie eine Vier-Tage-Woche einführen wollen. Wenn es gelingt, das Personal zu halten und neue Mitarbeiter zu gewinnen, können die Lichter vielleicht etwas länger brennen. Es würde FrontLine auch erlauben, „fortschrittlich“ zu erscheinen, während sie unsere wirklichen Sorgen weiterhin vernachlässigen.
      Der Vorschlag der Geschäftsleitung ist ein doppelter Schlag für die Beschäftigten: Er erlaubt ihnen, unseren Vertrag zu manipulieren, ohne mit uns zu verhandeln, und er lenkt von der Frage höherer Löhne ab. Im Vergleich zu anderen Agenturen, die ähnliche Dienstleistungen anbieten, sind die Löhne bei FrontLine beklagenswert, denn einige Beschäftigte verdienen nicht mehr als 15 Dollar pro Stunde. Vor der Ratifizierung unseres letzten Vertrags verdienten die am schlechtesten bezahlten Beschäftigten 13 Dollar pro Stunde. Während der Verhandlungen im letzten Sommer wies unser Ausschuss die Geschäftsführung wiederholt darauf hin, dass sie höhere Löhne anbieten müsse, wenn sie die Beschäftigten halten und anziehen wolle. „Wir würden es tun, wenn wir könnten“, sagte uns die Geschäftsleitung, „aber wir können es nicht.“
      Wir warten nun auf die Antwort der Unternehmensleitung auf unseren Gegenvorschlag. Ob der Pilotversuch zugunsten der Arbeitnehmer oder der Unternehmensleitung ausfallen wird, oder ob es überhaupt einen Pilotversuch geben wird, ist noch nicht bekannt.“ engl. Artikel von Adam Barrington vom 30. März 2023 bei Labornotes externer Link („A Four-Day Workweek Trojan Horse“, maschinenübersetzt)(Adam Barrington ist Sachbearbeiter für unterstützendes Wohnen. Er ist Mitglied von SEIU 1199 und der Industrial Workers of the World.)
  • Arbeitszeitverkürzung: 28-Stunden-Woche mit Lohnausgleich für alle!
    Keine Experimente mit dem 10-Stunden-Tag! Mehr Zeit zum Leben, Lieben und Lachen! Kollektive Arbeitszeitverkürzung auf 28h und eine 4-Tage-Woche ist ein zentrales Element einer sozial-ökologischen Transformation. Durchgeführt bei vollem Lohnausgleich und mit Personalausgleich ist sie ein wesentlicher Beitrag zu Umverteilung von Arbeit, Zeit und Einkommen. Mehr als 45 Millionen Menschen sind in Deutschland erwerbstätig – nie waren es mehr als heute. Gleichzeitig steigt die Produktivität der Industrie weiter, nur etwas abgeschwächt durch die Pandemie. Die Unternehmen machen, trotz Pandemie, teils exorbitante Gewinne, die, so die Unternehmen, größer seien könnten, gäbe es keinen „Fachkräftemangel“. Die Steuereinnahmen sprudeln kräftig. Wenn in dieser Situation die Arbeitszeitverkürzung und Arbeitsumverteilung besprochen wird, lohnt ein genauerer Blick auf den „Arbeitsmarkt“ und auf das, was eigentlich produziert wird. Und es lohnt ein kurzer Blick in die Geschichte von Arbeitspolitik, die auch eine Geschichte von Arbeitszeitverkürzung ist. (…) Die Mehrheit der Menschen in unserem Land will gerne und dringend kürzer arbeiten – und wer immer sich das leisten kann, der tut es auch; allerdings ohne Lohnausgleich. In Pflege- und Lehrberufen sind es inzwischen mehrheitlich kurze Arbeitszeiten, die von den Beschäftigten in Anspruch genommen werden, weil längere Arbeitszeiten zu belastend sind. Ginge es also nach der Mehrheit in unserem Land, wäre die 28-Stunden-Woche oder die 4-Tage-Woche mit Lohnausgleich längst umgesetzt. Angesichts der Produktivitätsentwicklung, angesichts Gewinne der Unternehmen ist das längst möglich und überfällig. Vielleicht gibt es einige kleine Unternehmen, die dazu Unterstützung brauchen. Durch fiskalische Maßnahmen wäre das problemlos machbar…“ Beitrag vom 21. März von und bei Stephan Krull externer Link
  • Mehrheit der Bevölkerung für Einführung der 4-Tage-Woche: Der verblüffende Erfolg der Arbeitszeitverkürzung in Island bestärkt diesen Wunsch 
    „Eine kürzlich vom Haftpflichtverband der Deutschen Industrie (HDI) in Auftrag gegebene Umfrage kam zu erstaunlichen Ergebnissen: 63 Prozent der Bevölkerung sprechen sich für die Einführung der 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich aus und weitere 14 Prozent unterstützen dies auch dann, wenn es dabei zu Einkommenseinbußen kommt. Bei den erwerbstätigen Menschen, die jünger als 40 Jahre sind, möchten 83 Prozent eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich, wobei 17 Prozent sich so eine Arbeitszeitverkürzung auch dann wünschen, wenn dies mit einer Einkommensminderung verbunden ist. Auch stellt fast jeder zweite seine Vollzeit-Arbeitsstelle in Frage, ganze 48 Prozent würden in Teilzeit wechseln, wenn der Betrieb dies ermöglichen würde und bei den Beschäftigten unter 40 Jahren liegt dieser Anteil sogar bei 51 Prozent. Dass diese Wünsche umgesetzt und in der realen Arbeitswelt funktionieren können, zeigt das Beispiel der Verkürzung der Arbeitszeit in Island. Dort haben vier Jahre lang 2.500 Beschäftigte aus über 100 Unternehmen statt 40 im Schnitt nur 35 oder 36 Stunden in der Woche gearbeitet und das bei vollem Lohn. Mehr noch, der Versuch einer Arbeitszeitverkürzung im Öffentlichen Dienst war dort ein überwältigender Erfolg und zeigte deutlich, dass der Öffentliche Sektor ein Vorreiter bei kürzeren Arbeitswochen sein kann. (…) Die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn führte in Island dazu, dass es eine verbesserte Work-Life-Balance (ausgewogene Gleichheit von Beruf und Privatleben) gab, sich das Wohlbefinden der Beschäftigten dramatisch verbesserte und auch das gesamte Gesundheitssystem entlastet wurde. Die Beschäftigten glücklicher, gesünder und produktiver waren und sich das Ganze wirtschaftlich rechnete. Die Produktivität und Leistungserbringung der Teilnehmer des Versuchs bei verkürzter Arbeitszeit und gleichbleibender Bezahlung stabil blieb oder sich sogar erhöht hatte. Die Arbeiten effizienter und konzentrierter ausgeführt wurden. Es weniger Stress und ein geringeres Risiko für Burnout gab und psychische Störungen und lange Krankenstände sich verringerten. Dort mehr Arbeitsplätze entstanden und auch die Arbeitszeit langfristig betrachtet reduziert wurde. Durch optimierte Arbeitsabläufe und effizienter genutzte Arbeitszeiten neue Strategien entstanden, um in besserer Kooperation die Arbeit zu bewältigen. Auch das Privatleben positiv von der verringerten Arbeitszeit beeinflusst wurde. Den Studienteilnehmern mehr Zeit für private Verpflichtungen blieb, für sich selbst und ihre Familien. Sie fühlten sich glücklicher, hatten mehr Zeit für Erholung, Familie, Haushalt, Hobbys, freiwilliges Engagement oder Sport. Und sogar die Unternehmen sich mit dem Modell anfreunden konnten. Das zeigte sich auch darin, dass Dienstverträge mit den isländischen Gewerkschaften neu ausgehandelt wurden. (…) Wie die Geschichte zeigt, kann man so etwas nur dann durchsetzen, wenn das Wirtschaftssystem von einer gut organisierten Arbeiterbewegung grundsätzlich in Frage gestellt wird. Das isländische Beispiel kann eine gute Vorlage für die Arbeitszeitverkürzung in anderen Ländern geben oder den dortigen Bemühungen kräftigen Aufwind verschaffen.“ Beitrag vom 27. Oktober 2022 vom gewerkschaftsforum.de externer Link zur englischsprachigen isländischen Studie externer Link

  • DGB Bremen will Modellversuch: Vier-Tage-Woche in Klinik 
    Der Deutsche Gewerkschaftsbund in Bremen will vor der Bürgerschaftswahl 2023 die Parteien daran messen, ob sie die Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigen. Am Freitag wurde ein Forderungskatalog vorgelegt. (…) Im Blick hat Bremens DGB-Chef Ernesto Harder vor allem die Pflegekräfte. Diese Berufsgruppe gilt als chronisch überlastet, viele Beschäftigte haben deshalb ihrer Profession den Rücken gekehrt. 2021 hatte eine gemeinsame Studie der Arbeitnehmerkammer und des Sociums der Universität ergeben, dass deutschlandweit rund 300.000 Vollzeitpflegestellen durch Rückkehrer besetzt werden könnten, sofern sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Dieses Potenzial müsse gehoben werden, fordert Harder, und das gehe am besten durch längere Regenerationsphasen für die Beschäftigten – beispielsweise in Form einer Vier-Tage-Woche. Er sei sich darüber im Klaren, sagt der Gewerkschaftschef, dass es bei der Umsetzung eines solchen Modellversuchs zunächst zu einer Verdichtung der Arbeit kommen könne. „Doch an irgendeiner Schraube muss man ja mal drehen, um zu sehen, wie sich Verbesserungen erreichen lassen.“…“ Artikel von Jürgen Theiner vom 29.07.2022 im Weser Kurier online externer Link

  • Tarif: „New Work“ im Produktionsbetrieb? Borco Höhns GmbH in Rotenburg auf dem Weg in Richtung einer 4-Tage-Woche
    Geschäftsführung und IG Metall Bremen haben einen einzigartigen Tarifabschluss getroffen. Ab dem 1. September 2022 wird bei Borco Höhns die 4,5 Tage Woche eingeführt und die tarifliche Wochenarbeitszeit bei vollem Entgeltausgleich abgesenkt.
    Borco Höhns GmbH vereinbart bundesweit einzigartigen Pilotversuch zur Arbeitszeit für Produktionsbetrieb mit IG Metall Bremen. Löhne und Gehälter steigen bei Borco Höhns ab 1. Juli 2022 um 5 %
    Geschäftsführung und IG Metall Bremen haben einen einzigartigen Tarifabschluss zur Arbeitszeit in einem mittelständischen Produktionsbetrieb getroffen. Ab dem 1. September 2022 wird bei Borco Höhns die 4,5 Tage Woche eingeführt und die tarifliche Wochenarbeitszeit bei vollem Entgeltausgleich abgesenkt. Die Arbeitszeit für die 230 Beschäftigten bei Borco Höhns wird umorganisiert. In den ungeraden Wochen wird freitags dann nicht produziert. Beide Seiten hatten sich bereits in den vergangenen Tarifgesprächen darauf verständigt, Work-Life-Balance in den diesjährigen Tarifverhandlungen aufzugreifen und damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Betrieb voranzutreiben…“ Meldung der IG Metall Bremen vom 16. Juli 2022 externer Link, siehe dazu:

    • Erster Versuch für Viereinhalbtagewoche in mittelständischem Produktionsbetrieb
      „Ein Nutzfahrzeugausrüster aus Niedersachsen hat sich mit der IG Metall auf den bundesweit ersten Pilottarifversuch für eine Viereinhalbtagewoche in einem mittelständischen Produktionsbetrieb verständigt. Wie das Unternehmen Borco Höhns aus Rotenburg an der Wümme und die Gewerkschaft in Bremen am Montag gemeinsam mitteilten, wird die tarifliche Arbeitszeit für die 230 Beschäftigten ab 1. September bei vollem Entgeltausgleich abgesenkt. Die Pilotphase dauert demnach ein Jahr. Den Angaben zufolge wird die Arbeitszeit in der Firma so umorganisiert, dass in ungeraden Kalenderwochen jeweils freitags nicht produziert wird. Während der Laufzeit wollen die Tarifvertragsparteien die Erfahrungen mit dem Modell insbesondere auch mit Blick auf die Produktivitätsentwicklung genau beobachten. Nach Angaben der IG Metall ging das Unternehmen aktiv auf die Gewerschaft zu, um den „Dialog über einen Weg in die Vier-Tage-Woche“ bei den Tarifgesprächen zu suchen. „Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels müssen attraktive Arbeitgeber mehr denn je ihren Beitrag dazu leisten, dass die Mitarbeitenden Privatleben und Arbeit noch besser miteinander vereinbaren können“, erklärte Andreas Elsässer, Geschäftsführer von Borco Höhns. „New Work“ dürfe „nicht nur für Agenturen oder bei Dienstleistern mit Computerarbeitsplätzen thematisiert werden“. Auch in der Produktion müsse dies „qualifizierte Kräfte überzeugen“. Bremens IG-Metall-Gewerkschaftssekretärin Stefanie Gebhardt lobte die Firma als „Leuchturm“. Gemeinsam beträten beide Seiten mit dem Pilottarifvertrag zukunftsweisendes „Neuland“. Nur wenige Arbeitgeber seien bislang bereit, so innovative Wege im Interesse ihrer Beschäftigten „überhaupt nur zu denken“…“ AFP-Meldung vom 11. Juli 2022 beim Stern online externer Link

Grundinfos

Siehe zur 4-Tage-Woche (international) im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=203303
nach oben