Fächerkanon: Alles muss auf den Prüfstand – bitte auch Religionsunterricht!
„… Für die Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert müssen sich Unterricht, Schulen wie Lehrkräfteausbildung also entscheidend ändern. Hier einige Schlaglichter: In projektförmig angelegten Fächerverbünden sollten sich Schülerinnen und Schüler Problemlösungen möglichst selbstständig forschend erarbeiten. Der Fächerkanon gehört ohne Tabus neu konzipiert: Sollten Lehrkräfte nicht anstatt konfessionellen Religionsunterrichts vergleichende Religionslehre unterrichten? Sollte es nicht ein Fach „Gesundheitswissenschaften“ oder „Soziales Engagement“ geben? Sollte „Sport“ nicht durch „Bewegungskultur“ ersetzt, Mathe grundsätzlich anwendungsorientiert und fächerübergreifend unterrichtet, Informatik Pflichtfach für digitales Lernen und kritische digitale Bildung werden? Und sollte historische, politische und ökonomische Bildung nicht ein Schlüsselfach oder zentraler Fächerverbund sein?…“ Diskussionsbeitrag von Klaus Moegling aus E&W 6/2018 am 08.06.2018 bei der GEW („Fächerkanon: Alles muss auf den Prüfstand“) und dazu:
- Deutschlands heilige Kuh. Lehrpläne werden oft heiß diskutiert, nur an einem Fach wird nicht gerüttelt: am Religionsunterricht.
„Dabei könnten die Kirchen ihn sogar selbst übernehmen.
Als Reaktion auf das schlechte Abschneiden bayerischer Schulen beim internationalen Vergleichstest für Schulleistungen hat das dortige Kultusministerium eine neue Stundentafel für staatliche Grundschulen durchgedrückt. Um mehr Unterrichtszeit für Deutsch und Mathematik zu schaffen, wurde der Umfang von Fächern wie Englisch, Kunst, Musik, Werken und Gestaltung empfindlich gekürzt. Während in der Grundschule die Konzentration auf Kernkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen nachvollziehbar ist, fällt auf, welches Unterrichtsfach bei den Kürzungen nicht angefasst wurde – der Religionsunterricht. Die Prominenz des Religionsunterrichts in Schulen ist historisch erklärbar. Der Staat hat zunehmend die Verantwortung für schulische Ausbildung von den Kirchen übernommen, die früher der naheliegende Träger einer organisierten Erziehung von Schülerinnen und Schülern gewesen sind. Die Einrichtung von Religionsunterricht mit von den Kirchen ausgebildetem, teilweise auch von ihnen kontrolliertem Lehrpersonal war das Zugeständnis für die Verlagerung der Erziehungskompetenz auf den Staat. (…) Die Kirchen haben sich den Zugang zu den Schulen gesetzlich absichern lassen. Im Grundgesetz ist der Religionsunterricht als einziges Lehrfach explizit ausgewiesen. (…) Trotz einer zunehmenden Säkularisierung in der Gesellschaft würde der Protest gegen eine Abschaffung des Religionsunterrichts erheblich sein. Selbst Parteien, die regelmäßig beklagen, dass sich der Staat in viel zu viele Lebensbereiche seiner Bürger einmischt, werden auffällig schmallippig, wenn es um Kritik am Religionsunterricht geht. Es scheint einfacher zu sein, über zu viele Beamte in Ministerien, Landesbehörden oder Kommunalverwaltungen zu klagen, als die Frage zu beantworten, warum aus Steuergeldern mehrere Zehntausend verbeamtete Religionslehrer in staatlichen Schulen finanziert werden. (…) Gegen den Widerstand der Kirchen wird eine Abschaffung des Religionsunterrichts nicht gelingen. Aufgrund des nachlassenden Interesses an religiösen Fragen und fehlenden Fachpersonals denken die evangelische und katholische Kirche über eine stärkere Kooperation beim Unterricht nach, aber die Sinnhaftigkeit eines Religionsunterrichts an den staatlichen Schulen wird nicht infrage gestellt. Zu groß ist die Hoffnung, dass durch die Zwangsbeschulung mit religiösen Inhalten doch vielleicht der eine oder andere Gläubige hängen bleibt. Aber die Frage ist, ob sich die Kirchen mit dem verpflichtenden Religionsunterricht einen Gefallen tun. Es müsste untersucht werden, ob jemals ein Schulkind durch einen in ein 45-Minuten-Korsett gezwängten Pflichtunterricht mit anschließender Leistungsbenotung zu Gott gefunden hat. Der Effekt des Religionsunterrichts ist vermutlich eher kontraproduktiv. Der Glaube wird über den Religionsunterricht mit dem verbunden, was bei vielen Kindern Schule vorrangig ausmacht: lernen unter Druck. Die religiöse Erziehung sollte in der Organisation stattfinden, die dafür am besten geeignet ist – der Kirche.“ Gastkommentar von Stefan Kühl vom 5. Januar 2025 in der taz online
Siehe auch Umstrittene Vorschrift: Religionskritiker wollen Söders Kreuzerlass in Karlsruhe kippen