BAG: Aufhebungsvertrag kann trotz Zeitdruck vor Unterschrift wirksam sein – ab wann wird es unfair?
„Arbeitgeber dürfen den Abschluss eines Aufhebungsvertrags unter bestimmten Bedingungen von einer sofortigen Annahme des Angebotes abhängig machen. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Fall einer Arbeitnehmerin entschieden, der nach ihrer Darstellung andernfalls mit außerordentlicher Kündigung und Strafanzeige gedroht worden war (Az.: 2 Ca 1619/19). (…) Sie habe um längere Bedenkzeit und die Einholung von Rechtsrat gebeten, doch sei der Bitte nicht entsprochen worden. Damit habe die Beklagte gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen. Bereits die Vorinstanz waren dieser Auffassung nicht gefolgt und hatten zugunsten des Arbeitgebers geurteilt [Richtigstellung: nur das LAG, das AG gab nach Beweisaufnahme zunächst der Klägerin Recht] (…) Dem schloss sich nun auch das BAG an und verwies u.a. darauf, ein “verständiger Arbeitgeber” habe “im vorliegenden Fall sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen” dürfen…“ Beitrag von David Schahinian vom 25. Februar 2022 bei BetriebsratsPraxis24.de zur BAG-Entscheidung vom 24.Februar 2022 (Az.: 6 AZR 333/21). Zur rechtlichen Einordnung siehe einen weiteren und einen Kommentar:
- Aufhebungsvertrag unter Druck unterzeichnet: Ab wann wird es unfair?
„Ein Aufhebungsvertrag kann für Arbeitnehmer eine attraktive Option sein. Setzt der Arbeitgeber sie vor Unterzeichnung aber massiv unter Druck, verletzt das das Gebot fairen Verhandelns. (…) Neben der Möglichkeit der Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung (§§ 123 Abs. 1, 2. Alt, 142 Abs. 1 BGB) rückt die Rechtsprechung in jüngeren Entscheidungen (u.a. LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 19.5.2020, Az.: 5 Sa 173/19) nach einer Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 2019 (Urt. v. 7.2.2019, Az.: 6 AZR 75/18) zunehmend auch einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns in den Raum. (…) So war die Konstellation auch im jüngst vom Bundesarbeitsgericht (Urt. v. 24.02.2022, Az.: 6 AZR 333/21) verhandelten Fall einer Arbeitnehmerin, die als Teamkoordinatorin eines Verkaufsteams im Bereich Haustechnik seit April 2015 bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt war. (…) Ein Aufhebungsvertrag könne zwar unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen und damit unwirksam sein. Ob dies der Fall sei, müsse aber anhand der Gesamtumstände der Verhandlungssituation im Einzelfall entschieden werden – so die recht pauschalen Ausführungen der gerichtlichen Pressemitteilung, die bis zur Veröffentlichung dieses Artikels allein vorliegt. Nur der Umstand, dass die Annahme des Aufhebungsvertrags lediglich sofort möglich sei, begründe für sich genommen aber noch nicht die Annahme, dass solche besonderen Gesamtumstände vorgelegen haben. Dies gelte selbst dann, wenn das angedrohte “Platzenlassen” des Deals bei Verlassen des Raumes dazu führt dass die Frau keinen Rechtsrat eingeholt und keine weitergehende Bedenkzeit erhalten hat. Vorliegend habe ein verständiger Arbeitgeber nämlich – anders als noch das ArbG – sehr wohl eine Kündigung in Aussicht stellen und eine Strafanzeige in Erwägung ziehen dürfen. Die Entscheidungsfreiheit der Frau sei damit nicht ungebührlich eingeschränkt gewesen. (…) Wird eine Person durch eine widerrechtliche Drohung in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt, kann eine in dieser Situation abgegebene Willenserklärung nach den allgemeinen Anfechtungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs beseitigt werden. Ein Arbeitnehmer, der dem grundlos auf ihn ausgeübten massiven Druck zur Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrags nachgibt, ist also nicht schutzlos gestellt. Hierzu hat das BAG bereits in der Vergangenheit konkrete Leitlinien entwickelt, wann eine solche Situation gegeben ist. Hätte ein verständiger Arbeitgeber eine Kündigung nicht ernsthaft in Betracht gezogen, kann ein Anfechtungsrecht bestehen. Hingegen ist es nicht erforderlich, dass tatsächlich ein wichtiger Kündigungsgrund bestand (vgl. BAG, Urt. v. 15.12.2005, Az.: 6 AZR 197/05). Auch der bloße Zeitdruck allein begründet noch keinen Anfechtungsgrund (BAG, Urt. v. 30.09.1993, Az.: 2 AZR 268/93). Erweiterungen dieses Lösungsrechts von einem abgeschlossenen Vertrag bedürfen damit einer besonderen Rechtfertigung. Es ist richtig, dass das BAG die von ihm entwickelte Rechtsfigur des Gebots des fairen Verhandelns daher sehr restriktiv einsetzt. Im Vordergrund steht die Vertragstreue – und danach muss man grundsätzlich auch ein Rechtsgeschäft gegen sich gelten lassen, dass man ex post womöglich anders bewertet und nunmehr gerne rückgängig gemacht hätte.“ Rechtliche Bewertung von Prof. Dr. Michael Fuhlrott vom 24. Februar 2022 bei Legal Tribune Online - Anm.: Um es auf den entscheidenden Punkt zu bringen: Besteht beim AG ein berechtigtes Interesse – bzw. wird es im Streitfall als berechtigt eingeschätzt -, gilt das Angebot eines Auflösungsvertrages dem BAG als humaneres Mittel. Wird letzteres angenommen, soll deshalb keine nachträgliche Anfechtung mehr möglich sein. Allerdings gilt auch für abhängig Beschäftigte § 123 Abs. 1 BGB, wo es wörtlich heißt: „Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten„. Im obigen Fall, reagierte der AG jedoch mit der bereits angedrohten Kündigung, deren Berechtigung das BAG nicht bestritt (worüber sich allerdings streiten ließ). Klar ist in sofern, dass in ähnlich gelagerten Fällen letztlich alles von den Erfolgsaussichten einer Kündigung (oder gar Strafanzeige) abhängt, bzw. zumindest von der vorrangigen Bereitschaft zu klagen. Anfechtungen sind prinzipiell übrigens auch bei Arbeitsverträgen denkbar – wenngleich auch unüblich und selten sinnvoll, da hier gewissermaßen der zweite vor dem ersten Schritt gemacht werden würde.