Auskunftsanspruch des Arbeitgebers nach Kündigung: Wo haben Sie sich beworben?
„Ein gekündigter Arbeitnehmer muss sich um einen neuen Job bemühen, auch wenn er gegen die Kündigung klagt. Der bisherige Arbeitgeber darf nun sogar Auskunft über unterbreitete Vermittlungsvorschläge verlangen (…) Mit seinem Urteil vom 27. Mai 2020 (AZ: 5 AZR 387/19) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) seine bisherige Rechtsprechung geändert und erkennt erstmals einen Auskunftsanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer an, um dessen böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs besser beurteilen und erforderlichenfalls auch beweisen zu können. Für Arbeitgeber wird es dadurch einfacher, die Höhe der Annahmeverzugslohnansprüche zumindest zu begrenzen…“ Aus dem Gastbeitrag von Dr. Stefan Lochner vom 4. September 2020 bei Legal Tribune online. Armin Kammrad kommentiert dazu u.a.: „Diese (neue) Haltung des BAG kann nur als extrem arbeitgeberfreundlich gewertet werden. So müsste sich nach dem Grundsatz von „Treu und Glauben“ (§ 242 BGB), den das BAG hier bemüht, der AN eigentlich darauf verlassen können, dass der Arbeitgeber ihn nicht kündigt, wenn die Kündigung mutwillig und unwirksam ist. (…) Praktisch ist das verheerend für den AN, weil der AG nicht nur mit rechtwidrigen Kündigungen Schikane ausüben kann, sondern zusätzlich noch durch Auskunftsverlangen beim entlassenen AN; konkret: durch manifeste Nachstellung und Belästigung um zu überprüfen, ob der AN alles tut, um sich bereits vor Kündigungsprozess einen neuen AG zu suchen. Diese BAG-Entscheidung, die unverkennbar Bossing und Schikane, also Klassenkampf von oben erleichtert, sollte möglichst breit in der Gewerkschaftsbewegung diskutiert werden…“ Siehe das Urteil sowie beide Beiträge ausführlich:
- Urteil vom 27. Mai 2020 beim BAG (AZ: 5 AZR 387/19)
- Auskunftsanspruch des Arbeitgebers nach Kündigung: Wo haben Sie sich beworben?
„Ein gekündigter Arbeitnehmer muss sich um einen neuen Job bemühen, auch wenn er gegen die Kündigung klagt. Der bisherige Arbeitgeber darf nun sogar Auskunft über unterbreitete Vermittlungsvorschläge verlangen (…) Mit seinem Urteil vom 27. Mai 2020 (AZ: 5 AZR 387/19) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) seine bisherige Rechtsprechung geändert und erkennt erstmals einen Auskunftsanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer an, um dessen böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs besser beurteilen und erforderlichenfalls auch beweisen zu können. Für Arbeitgeber wird es dadurch einfacher, die Höhe der Annahmeverzugslohnansprüche zumindest zu begrenzen. (…) Das Risiko für den Arbeitgeber liegt bisher darin begründet, dass im Falle einer unwirksamen Kündigung das Arbeitsverhältnis fortbesteht und der Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen ist. Darüber hinaus muss er rückwirkend für die Zeit zwischen dem Ablauf der Kündigungsfrist und dem Urteilsspruch die Vergütung nach den Grundsätzen des Annahmeverzugs gem. § 11 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nachzahlen. Eine Möglichkeit zur Kürzung des Annahmeverzugs besteht gemäß § 11 Nr. 2 KSchG nur, wenn der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum entweder eine Vergütung aus einer anderen Beschäftigung tatsächlich erzielt oder wenn er dies böswillig unterlassen hat. Letzteres lief bislang in der Praxis meist leer. Dass es ein Arbeitnehmer böswillig unterlassen hat, eine andere Beschäftigung einzugehen, ist für einen Arbeitgeber kaum zu beweisen. Ihm ist schlicht nicht bekannt, ob und welche Jobangebote der Arbeitnehmer während des laufenden Kündigungsprozesses möglicherweise erhalten hat und hatte er bislang keine Möglichkeit, dies in Erfahrung zu bringen. Gerade lang dauernde Kündigungsschutzprozesse bergen daher für Arbeitgeber ein erhebliches finanzielles Risiko, da sich das Annahmeverzugsrisiko monatlich erhöht. Dies führte oft dazu, dass Arbeitgeber „zu teure“ Vergleiche abschließen, um das hohe Annahmeverzugslohnrisiko zu begrenzen. (…) Das BAG begründet seine Entscheidung damit, dass der Arbeitgeber einen solchen Auskunftsanspruch benötige, um die in § 11 Nr. 2 KSchG normierten Einwendung durchsetzen zu können. Dies folge aus dem Grundsatz von Treu und Glauben. (…) Schließlich sei es dem Arbeitgeber unmöglich, sich die begehrten Informationen anders zu verschaffen. Insbesondere einem direkten Auskunftsverlangen an die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter stehe das Sozialgeheimnis nach § 35 SGB I entgegen. (…) Die Rechtsprechungsänderung des BAG, ist zu begrüßen. Sie bringt die gegenläufigen Interessen der Parteien in einen angemessenen Ausgleich und verlangt gekündigten Arbeitnehmer nicht mehr als das ab, wozu sie nach § 2 Abs. 5 SGB III nicht ohnehin verpflichtet sind: unabhängig von einem laufenden Kündigungsschutzprozess aktiv an der Vermeidung oder Beendigung einer Arbeitslosigkeit mitzuwirken…“ Gastbeitrag von Dr. Stefan Lochner vom 4. September 2020 bei Legal Tribune online - Kommentar von Armin Kammrad vom 7. September 2020
„Diese (neue) Haltung des BAG kann nur als extrem arbeitgeberfreundlich gewertet werden. So müsste sich nach dem Grundsatz von „Treu und Glauben“ (§ 242 BGB), den das BAG hier bemüht, der AN eigentlich darauf verlassen können, dass der Arbeitgeber ihn nicht kündigt, wenn die Kündigung mutwillig und unwirksam ist. Es entspricht nicht der „Verkehrssitte“ von § 242 BGB, dass rechtswidriges Verhalten einen besonderen Schutz genießt. Selbst mutwillige Kündigungen sollen dem AG nach Ansicht des BAG jedoch möglichst wenig finanzielle Nachteile bringen. Ja, es soll sogar „böswillig“ sein, wenn der zu Unrecht gekündigte AN sich nicht darum bemüht, dem AG seine rechtswidrige Kündigungen möglichst kostengünstig zu gestalten. Einen vergleichbaren Schutz für rechtswidriges Verhalten des AN gibt es dagegen nicht. Vielmehr riskierte der AN z.B. bei begründeter Leistungsverweigerung fast immer eine Kündigung wegen Arbeitsverweigerung, falls er vor Gericht nicht gewinnt. Allerdings stammt die Charakterisierung vom „böswilligen“ AN, der dem rechtswidrig handelnden AG das Ganze nicht möglichst billig macht, vom Gesetzgeber (vgl. § 11 Pkt. 2 KSchG). Wie der Sozialdatenschutz nach § 35 SGB I aber zeigt, konnte das BAG nicht einfach davon ausgehen, dass der Gesetzgeber durch dieses Regelung den persönlichen Datenschutz des AN einschränken wollte. Praktisch ist das verheerend für den AN, weil der AG nicht nur mit rechtwidrigen Kündigungen Schikane ausüben kann, sondern zusätzlich noch durch Auskunftsverlangen beim entlassenen AN; konkret: durch manifeste Nachstellung und Belästigung um zu überprüfen, ob der AN alles tut, um sich bereits vor Kündigungsprozess einen neuen AG zu suchen.
Diese BAG-Entscheidung, die unverkennbar Bossing und Schikane, also Klassenkampf von oben erleichtert, sollte möglichst breit in der Gewerkschaftsbewegung diskutiert werden. Es gibt auch offene Fragen: Wann ist die Ablehnung eines Jobangebots durch den gekündigten AN überhaupt „böswillig“? Sind überhaupt, wie das BAG behauptet, § 35 Abs. 1 SGB III oder § 1 Abs. 3 Nr. 2 SGB II anwendbar, wenn deren Durchsetzung nur der Entlastung des rechtswidrig kündigen AG dient? Was ist bei einer Kündigung von Betriebsräten? Muss der sich auch eine andere Stelle trotzt rechtswidriger Kündigung suchen? Welcher Rechtsstreit geht überhaupt vor? Der um die Kündigung oder um die vom AG gewünschte finanzielle Entlastung bei rechtswidriger Kündigung? Was ist, wenn der AN tatsächlich – unfreiwillig – eine alternative Anstellung findet? Wie sollte er auch eine andere Stelle verbindlich annehmen, wenn er davon ausgeht den Kündigungsschutzprozess zu gewinnen? Was ist mit der Rechtsweggarantie? Warum soll sich der AN es sich nachteilig anrechnen lassen, dass die Gerichte ewig brauchen, bis es zu einer rechtsverbindlichen Entscheidung kommt? Das nur als Beispiele für zu klärende Fragen, anlässlich der parteiischen BAG-Entscheidung zu § 11 KSchG.“