Europäischer Gerichtshof: Zeiterfassung ist Pflicht
Dossier
„Arbeitgeber sollen nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet werden, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen. Alle EU-Staaten müssten dies durchsetzen, entschieden die obersten EU-Richter in Luxemburg. Nach Ansicht des EuGH ist das zwingend notwendig, um die Rechte der Arbeitnehmer zu schützen. Nur wenn die Arbeitszeit genau erfasst werde, könne man genau überprüfen, ob sie nicht überschritten werde. Außerdem sei es wichtig, dass die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten eingehalten werden, so die Richter. (…) Geklagt hatte eine spanische Gewerkschaft, die den dortigen Ableger der Deutschen Bank verpflichten wollte, die täglich geleisteten Stunden ihrer Mitarbeiter aufzuzeichnen und so die Einhaltung der vorgesehenen Arbeitszeiten sicherzustellen.“ Meldung vom 14.05.2019 bei tagesschau.de zur Rechtssache C-55/18, siehe dazu u.a. den DGB:
- Arbeitszeiterfassung: Zwischen Pflicht und Verweigerung
„… Das Ende der „Ampel“-Koalition der Bundesregierung sorgt auch bei Unternehmern und ihren Beratern für Diskussionen. „Froh stimmen sollte, was nicht passiert ist“, argumentiert Alexander Zumkeller, der Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU) (…) Er beschreibt, was alles nicht geregelt ist. Ein Tariftreuegesetz, das Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen zur Einhaltung von Tarifverträgen verpflichtet, wird es bundesweit nicht geben. Auch einen Rechtsanspruch auf Homeoffice, vergleichbar dem Teilzeitanspruch, hat die „Fortschrittskoalition“ nicht durchgesetzt, obwohl der Koalitionsvertrag anderes suggerierte. Dies wäre „schlicht Gesetzesballast“, kritisiert Zumkeller und ist besonders froh, dass Bundesminister Heil keine Regelung zur Arbeitszeiterfassung in ein Gesetz fassen konnte, durch die eine Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom Management befolgt wird. (…) In einer Grundsatzentscheidung schrieb das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Zeiterfassung für jeden Betrieb vor (BAG vom 13.09.2022, Az: 1 ABR 22/21). Damit wurde das Ziel vieler Manager, die “Zeitdiebstahl“ betreiben, unterlaufen: Das Management verzichtet auf die Zeiterfassung, die Kontrolle der Höchstarbeitszeiten, wenn das „Ergebnis“ entscheidend ist, z. B. bei Zielvereinbarungen, unabhängig von der benötigten Arbeitszeit. (…) In der Praxis bleibt die Durchsetzung dieser Vorgabe oft Gewerkschaftern und Betriebsräten überlassen, die dann konfliktreiche Auseinandersetzungen mit der Unternehmensleitung führen. (…) Liegt eine Betriebsvereinbarung vor, ist die Einhaltung der Regelung nicht automatisch gewährleistet. Eine Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts aus dem letzten Jahr zeigt beispielhaft, wie Unternehmen versuchen, Regelungen zu umgehen. Eine Betriebsvereinbarung regelt Arbeitszeitkonten. Darin ist festgelegt, dass bei Überschreitung eines Gleitzeitsaldos von 40 Stunden zwischen dem betroffenen Mitarbeiter und seinem Vorgesetzten konkrete Maßnahmen zum Abbau der Plusstunden zu vereinbaren sind. Als sich herausstellte, dass Beschäftigte erhebliche Guthaben auf ihren Stundenkonten angesammelt hatten, forderte der Betriebsrat das Unternehmen zum Handeln auf. Da dies jedoch keine Wirkung zeigte und es durchaus Beschäftigte mit mehr als 300 Plusstunden gab, beschritt der Betriebsrat den Rechtsweg. Das Unternehmen erklärte, die Betriebsvereinbarung „anzuerkennen“ und entsprechend zu schulen. Die Vereinbarung sei jedoch „nicht praktikabel“ und könne daher nicht eingehalten werden. Dem schob das Landesarbeitsgericht einen Riegel vor: „Selbst wenn“, so die Richter, „zwischen den Betriebspartnern Einvernehmen bestünde, dass die Regelungen der Betriebsvereinbarung nicht praktikabel sind, sind diese gleichwohl zu beachten“. In den meisten Betrieben wird gegen diese Praxis jedoch nichts unternommen, da weder die Beschäftigten noch der Betriebsrat über das Arbeitsgericht aktiv werden. Damit setzen die Unternehmen auf die Macht des Faktischen – von einer Unternehmenskultur im Sinne eines „People & Culture“-Ansatzes kann keine Rede sein.“ Beitrag von Marcus Schwarzbach vom 2. Dezember 2024 bei Telepolis - Arbeitszeiterfassung: Ein Jahr nach Gerichtsurteil fehlt noch immer ein Gesetz
„… Direkt nachdem die Richter ihre Entscheidung bekannt gegeben hatten, kündigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein Gesetz dazu an. Obwohl es inzwischen einen ersten Entwurf Heils gibt, fehlt ein Beschluss des Bundeskabinetts. In den Betrieben herrscht deshalb weiterhin Unsicherheit, da viele Unternehmen eine Absicherung der Belegschaften durch Arbeitszeitdokumentation ablehnen. Als Argument nennen Manager häufig, dass ein Gesetz dazu fehle. Dass gerade Unternehmensfunktionäre für ein Ausbleiben dieser Regelung sorgen, bleibt dabei unerwähnt. Dabei bezeichnet Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf den Entwurf Heils als „Affront“. Ein Blick auf die Entwicklung der Managementstrategien zeigt, warum die Zeiterfassung ein so umstrittenes Thema ist. Zu Beginn der Industrialisierung drängten die Unternehmer auf eine akribische Kontrolle der Arbeitszeiten aller Beschäftigten. Leistung sollte gemessen, einzelne Arbeitsschritte etwa in Henry Fords Produktionshallen auf die Sekunde genau vorgegeben werden, um den Profit pro zusammengeschraubtem Auto zu steigern. Heute lassen sich viele Arbeitsprozesse dank neuer Technologien nicht mehr zentral steuern. Bisher klare Anweisungen für einzelne Arbeitsabläufe oder Genehmigungsverfahren beim direkten Vorgesetzten werden durch ein neues Führungskonzept abgelöst. Das Prinzip der „indirekten Steuerung“ ist in vielen Unternehmen bestimmend. Insbesondere die IT-Branche gilt als Paradebeispiel für diesen Ansatz.
Aber auch in anderen Branchen lassen sich Elemente dieses Steuerungskonzeptes erkennen. Indirekte Steuerung findet dort statt, wo sich Beschäftigte in eigener Verantwortung direkt am Markt gegenüber dem Kunden orientieren müssen.
Auf den ersten Blick ist die indirekte Steuerung für die Beschäftigten positiv. Sie können eigenverantwortlich arbeiten und eigene Ideen entwickeln. Problematisch wird das Konzept jedoch, wenn die Ziele – wie allzu oft – zu hoch gesteckt werden. Denn dann ist nicht „der Weg“ entscheidend, sondern der Mitarbeiter entscheidet selbst, wie er ein Ziel erreicht. Die Konsequenz: Die Unternehmensleitung verzichtet auf die Erfassung von Zeiten, auf die Kontrolle von Höchstarbeitszeiten, denn entscheidend ist das „Ergebnis“, unabhängig von der benötigten Arbeitszeit. Erschwert wird dieses Geschäftsmodell durch die Pflicht zur Zeiterfassung – was die massiven Proteste vieler Unternehmen gegen eine solche Pflicht im Sinne des Arbeitsschutzes erklärt. (…)
Nur 59 Prozent der Unternehmen kommen ihrer Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nach, ergab eine Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom . Insgesamt hat ein Drittel der befragten Unternehmen bereits vor dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter erfasst, ein Viertel hat danach damit begonnen.
Die fehlende gesetzliche Regelung führt dazu, dass Gewerkschaften und Betriebsräte in einer Art „Häuserkampf“ versuchen, die Zeiterfassung in einzelnen Betrieben durchzusetzen. Das Landesarbeitsgericht München hat beispielsweise mit seiner Entscheidung vom 22.05.2023 den Betriebsräten eine wichtige Unterstützung gegeben. Danach hat der Betriebsrat ein Initiativrecht für die Ausgestaltung der Zeiterfassung. Das Unternehmen kann sich „nicht darauf berufen, noch nicht entschieden zu sein, ob er sich rechtmäßig verhalten und der Pflicht zum Handeln nachkommen möchte“, so die Richter …“ Beitrag von Marcus Schwarzbach vom 11. September 2023 in Telepolis - Im Jahr 2022 machten die Beschäftigten in Deutschland 583 Millionen bezahlte und 702 Millionen unbezahlte Überstunden: Wird die Reform des Arbeitszeitgesetzes etwas ändern?
„Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes leisteten die Beschäftigten in Deutschland 583 Millionen bezahlte und 702 Millionen unbezahlte Überstunden, gesetzliche Höchstarbeitszeiten blieben ebenso unbeachtet wie Mindestruhezeiten. Diese Horrorzahlen konnten nur entstehen, weil Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz erst bei Kontrollen auffallen und diese werden bekanntlich kaum durchgeführt. Nach dem der Europäische Gerichtshof (EuGH) und zuletzt auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine Verpflichtung zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems festgestellt hat, hat sich auch die Bundesregierung bewegt und will den Unternehmen vorschreiben, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeiten in der Regel noch am selben Tag systematisch und elektronisch zu erfassen und aufzuzeichnen. Bislang gibt es lediglich einen Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums für die Reform des Arbeitszeitgesetzes und es wird noch einige Zeit ins Land gehen, bis der Betrug mit den Überstunden aufhören könnte. (…) Aufgrund der deutschen und europäischen Rechtsprechung muss dieser Zustand geändert werden und der Bundesarbeitsminister Heil hat nun einen Referentenentwurf vorgelegt, der wie schon früher auf den Widerstand der Unternehmen stößt. (…) Der Entwurf sieht eine Reihe von verwässernden Ausnahmen vor. Beispielsweise ist das Unternehmen zwar verantwortlich für die Zeiterfassung, doch auch andere können die Zeiten notieren. Die Aufzeichnung soll durch die Beschäftigten selbst oder durch einen Dritten erfolgen können, zum Beispiel einen Vorgesetzten. Der Betrieb soll die Beschäftigten zudem auf Verlangen über die aufgezeichnete Arbeitszeit informieren. Kleinbetriebe mit bis zu zehn Mitarbeitern müssen nicht elektronisch aufzeichnen, auf so eine Lösung können sich auch die Tarifpartner größerer Unternehmen verständigen und sollen eine händische Aufzeichnung in Papierform zulassen können. (…) Die Zeiterfassung kann sogar auf Grundlage einer Tarifvereinbarung ganz entfallen, immer dann, wenn die Arbeitszeit nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Beschäftigten selbst. Unter diese sehr weitreichende Formulierung fallen die hohe Anzahl an Leitungskräfte und auch die vielen Beschäftigten in Projekten. Auch soll festgelegt werden können, dass die Aufzeichnung „in nichtelektronischer Form“ erfolgen kann, zum Beispiel durch einen Eintrag in eine Kladde oder Stundenmappe. Für Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten soll es eine Übergangsfrist von fünf Jahren geben, für solche mit weniger als 250 Beschäftigten von zwei Jahren. Die Aufzeichnung soll auch an einem anderen Tag, spätestens aber sieben Tage nach der Arbeitsleistung erfolgen. Bundesarbeitsminister Heil hat in den Entwurf eingebaut, dass die genannten Ausnahmen „in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung“ festgelegt werden können. Will heißen, dass abweichende Regelungen für Betriebe nur dann möglich wären, wenn sie der Tarifbindung unterliegen. Ob diese Formulierung, wie auch vieles Andere das Gesetzgebungsverfahren übersteht, wird man sehen müssen, denn wie bei jedem Gesetzesvorhaben wird es im Laufe des Verfahrens auch noch Änderungen an den Plänen geben. Die Gewerkschaften sollten die aktuelle Diskussion der Arbeitszeit nutzen, um die Arbeitszeitverkürzung tariflich weiter voranzutreiben.“ Beitrag vom 3. Mai 2023 im gewerkschaftsforum.de – leider kommt der Beitrag auf den Ausgangspunkt Überstunden nicht zurück. So hat der EuGH die Zeiterfassung ja auch deshalb gefordert, da sonst die AN nicht beweisfest die Arbeitszeit nachweisen könnten. Die Aufgabe der Gewerkschaften ist deshalb hier weniger die Diskussion um Arbeitszeitverkürzung (so wichtig diese ist), sondern vor allem die Durchsetzung nur noch bezahlter Überstunden – wenn diese denn sein müssen… - Gesetzesentwurf zur Arbeitszeiterfassung: Diese Regelungen stehen drin (und gehen der FDP zu weit, uns eher die Ausnahmen)
„Der Paukenschlag fiel am 13. September 2022: Das Bundesarbeitsgericht entschied mit riesiger Tragweite, dass eine Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeiten von Beschäftigten Pflicht ist – gestützt auf geltendes Recht, womit auch eine echte Übergangszeit nicht zur Debatte stand, sondern diese Pflicht quasi sofort bestand. Schwierig nur für die Praxis: Während das „Ob“ der Pflicht klar war – sie besteht! –, war das „Wie“ der Umsetzung reichlich unklarer, und das ist es eigentlich auch bis jetzt noch in seinen Details. Hier wollte und musste der Gesetzgeber indessen nachlegen. Die Aufgabe fiel zunächst in den Schoß von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Seit gestern gibt es endlich einen ersten Gesetzesentwurf – und da haben wir doch glatt mal hineingeschaut.
Die tägliche Arbeitszeit von Beschäftigten auf deutschem Boden muss laut dem Referentenentwurf künftig grundsätzlich elektronisch aufgezeichnet werden – das umfasst Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit. Ob per „Zeiterfassungsgerät“ aka Stechuhr, elektronischen Anwendungen wie einer App auf dem Mobiltelefon oder auch herkömmlicher Tabellenkalkulationsprogramme, eine konkrete Art der elektronischen Aufzeichnung wird nicht vorgeschrieben. Auch elektronische Schichtpläne können unter bestimmten Voraussetzungen genutzt werden. Ein lapidarer, aber nicht unwichtiger Fakt: Die Aufzeichnungen müssen in deutscher Sprache geführt werden – bei der Auswahl des Systems sollte darauf also ein Auge geworfen werden, wenn es bei der Regelung bleibt. Verantwortlich für die ordnungsgemäße Durchführung soll der Arbeitgeber sein. Auch dann, wenn die Aufzeichnung selbst durch den Arbeitnehmer selbst oder Dritte (z. B. Vorgesetzte) erfolgt, was nach dem Entwurf grundsätzlich zulässig ist. Hier liegt die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung weiter in den Händen des Arbeitgebers, ggf. müssen Beschäftigte von ihm angeleitet werden. (…) Für die Vertrauensarbeitszeit bzw. Situationen, in denen der Arbeitgeber auf die Kontrolle der vertraglichen Arbeitszeit verzichtet, gibt es eine gesonderte Regelung. Ganz klar heißt es in der Gesetzesbegründung, dass die Möglichkeit eines solchen Modells durch die Pflicht zur Zeiterfassung nicht beeinträchtigt wird. Die Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes (tägliche Höchstarbeitszeiten, Ruhezeiten etc.) seien auch bisher schon einzuhalten gewesen, auch wenn Arbeitgeber auf Ebene der vertraglichen Arbeitszeit auf ein Vertrauensarbeitszeitmodell zurückgreifen. (…) Durch eine „Tariföffnungsklausel“ können in einem Tarifvertrag oder im Rahmen einer entsprechenden Betriebs- oder Dienstvereinbarung diverse Abweichungen vereinbart werden. Möglich ist hier laut Entwurf: Die Zulassung einer händischen Aufzeichnung in Papierform, die Zulassung eines späteren Zeitpunkts für die Aufzeichnung mit einer Frist von max. sieben Kalendertagen nach dem Tag der Arbeitsleistung, die Ausnahme bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern von der Pflicht zur Arbeitszeitauffassung, wenn denn die gesamte Arbeitszeit (Dauer und Lage) wegen der besonderen Merkmale der Tätigkeit nicht gemessen oder im Voraus festgelegt wird oder von den Beschäftigten selbst festgelegt werden kann (ggf. z. B. Führungskräfte, Wissenschaftler oder „herausgehobene Experten“) (…) Die Neuregelung steht mit dem Referentenentwurf allerdings noch ganz am Anfang des Gesetzgebungsprozesses, auch die Abstimmung mit den anderen Ressorts bzw. Ministerien steht noch aus. Wann das Gesetz in Kraft tritt, ist insofern noch relativ unklar. Sobald es allerdings in Kraft getreten ist, werden Verstöße gegen die Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung und damit zusammenhängende Informationspflichten als Ordnungswidrigkeit bußgeldbewehrt sein.“ Überblick von Melvin Louis Dreyer vom 19.04.2023 in Onlinehändler News , siehe auch:- Interview zum BMAS-Entwurf zur Arbeitszeiterfassung: „Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht auch jetzt schon“
„Das BMAS hat den lange erwarteten Entwurf zur Arbeitszeiterfassung vorgelegt. Diese ist aber längst schon Pflicht, die geplanten Regelungen bergen keine Überraschungen, sagt Michael Fuhlrott im Interview. (…)
Der Entwurf ist im Wesentlichen eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Vorgaben vom Bundesarbeitsgericht (BAG, Beschl. v. 13.09.2022, Az. 1 ABR 22/21 ) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 14.05.2019, Az. C-55/18 ): Es kommt die uneingeschränkte Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auf elektronischem Wege für alle Beschäftigten. Die neue Regelung soll nach dem Entwurf allerdings in § 16 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gefasst sein. Da das ArbZG deutschlandweit ohne Rücksicht auf bestimmte Branchen gilt, besteht die Pflicht also für alle Arbeitnehmer:innen in allen Branchen unabhängig von der Betriebsgröße. Nicht erfasst sind leitende Angestellte, Richter:innen und Beamt:innen, für die das ArbZG generell nicht gilt. (…) Die Erfassung muss elektronisch erfolgen, also digital sein. Das darf laut Entwurf aber auch eine Erfassung per App sein oder unter Verwendung von Tabellenkalkulationsprogramm, also etwa Excel. Nicht erlaubt wäre das Ausfüllen eines Papierzettels und dessen anschließender Scan, das wäre lediglich eine elektronische Archivierung. Hierzu gibt es aber weiche Übergangsfristen. Alle Unternehmen dürfen sich noch ein Jahr Zeit lassen, bis die Erfassung elektronisch erfolgen muss. Kleinere Unternehmen können von dieser Vorgabe noch länger abweichen und die Arbeitszeit der Beschäftigten auch in Papierform oder sonstiger nicht-elektronischer Form erfassen. Kleinbetriebe dürfen zudem zeitlich unbefristet in Papierform erfassen. (…) Der Gesetzesentwurf erlaubt in § 16 Abs. 3 ArbZG-E ausdrücklich, die Pflicht zur Zeiterfassung von den Unternehmen auf die Beschäftigten zu delegieren. Die einzelnen Beschäftigten können danach also verpflichtet werden, ihre Arbeitszeit selbst zu erfassen. Ich bin aber als Arbeitgeber weiterhin verantwortlich dafür, dass die Erfassung läuft, und sollte entsprechende Kontrollen vorhalten. Die Vertrauensarbeitszeit ist auch nach dem Gesetzentwurf ausdrücklich möglich, darauf nimmt der Entwurf in der Begründung zu § 16 Abs. 4 explizit Bezug. Doch auch bei diesem selbstbestimmten Arbeiten bleibt die Pflicht zur Kontrolle der Arbeitszeit bei den Unternehmen. Es besteht ausdrücklich für alle Beschäftigten die Pflicht zur Dokumentation ihrer Arbeitszeiten. (…) Der Entwurf ist nun der Minimalkonsens, der primär auf den zwingenden Vorgaben beruht, die der Staat ohnehin hätte umsetzen müssen. Das Ministerium hätte sicherlich zudem schneller arbeiten können, vor allem weil ja Änderungen bei den Regelungen zur Arbeitszeit auch schon im Koalitionsvertrag angekündigt waren. Der Gesetzgeber wurde aber noch vom BAG links überholt, nötig war das nicht…“ Interview von Tanja Podolski vom 19.04.2023 in LTO online - FDP fordert Änderungen bei Gesetz zur Arbeitszeiterfassung
„Laut der FDP könnte das neue Gesetz zur elektronischen Arbeitszeiterfassung das Modell der Vertrauensarbeitszeit bedrohen. Sie und auch die CDU wollen Nachbesserungen…“ Beitrag vom 20. April 2023 in der Zeit online - Kommentar im Thread von Johanna Wenckebach vom 20.4.23 : „Wenn von Parteien, die sich in Sachen #Arbeitszeit nie wirklich für Autonomie und Bedürfnisse von Arbeitnehmer:innen interessiert haben, plötzlich (angebliche) Freiheit wichtig wird…“
- Und zur Ausnahme für Forschende Andreas Keller (GEW) im Tweet am 19.4.23 : „#Arbeitszeiterfassung soll Pflicht werden, endlich! Aber eine Ausnahme für #Forschende, echt jetzt? Da hat man wohl im @BMAS_Bund den Schuss nicht gehört #WirBrennenFuerDieWissenschaft, stehen aber auch auf bezahlte Arbeit! #IchBinHanna #ProfsFuerHanna„
- Interview zum BMAS-Entwurf zur Arbeitszeiterfassung: „Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht auch jetzt schon“
- Gesamtmetall kann sich nicht mit Arbeitszeiterfassung abfinden und fordert Ausnahmen sowie Flexibilisierung der gesetzlich zulässigen Arbeitszeiten
„Die Arbeitgeber haben gerade etwas Bammel, was das Bundesarbeitsministerium derzeit erarbeitet. Er habe Sorge, dass das von Hubertus Heil (SPD) geführte Ministerium eine »enge Auffassung« habe, was das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung bedeutet, eine Neuregelung könne »für uns eine große Einschränkung« bedeuten, erklärte Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf am Dienstag in Berlin. Er ist qua Amt so etwas wie der Cheflobbyist der Arbeitgeber der Metall- und Elektrobranche. Stein des Anstoßes: Es soll gesetzlich geregelt werden, dass die Arbeitszeit aller Beschäftigten künftig vom Arbeitgeber erfasst werden muss. »Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen«, heißt es dazu im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP. In einem bahnbrechenden Urteil stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2019 nämlich klar, dass eine Erfassung lediglich von Überstunden nicht ausreicht. Alle EU-Staaten sind demnach verpflichtet, »ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann«. Lange Zeit stritten sich deshalb Juristen, ob damit automatisch die Pflicht zur generellen Arbeitszeiterfassung gilt. Arbeitgeberfreundliche Juristen waren dabei der Ansicht, dass der Gesetzgeber vorher ein entsprechendes Gesetz verabschieden müsse, arbeitnehmerfreundliche Juristen meinten, dass die Vorgaben des EuGH automatisch gelten. (…) Glaubt man Gesamtmetall-Chef Wolf, dann hat das Urteil des Bundesarbeitsgerichts »Anwaltskanzleien und Berater sofort in Goldgräberstimmung versetzt«. Diese würden nun »durch die Lande ziehen und versuchen, die erstandene Unsicherheit in hohe Beraterhonorare umzumünzen«.“ Artikel von Simon Poelchau vom 7. Februar 2023 in Neues Deutschland online („Gesamtmetall kann sich nicht mit Arbeitszeiterfassung abfinden“) - Nach Stechuhr-Urteil: Juristin warnt vor Angriffen auf Arbeitszeitgesetz
„Die Rede ist oft von einem Stechuhr-Urteil: Seit dem Herbst steht fest, dass Arbeitszeiten in Deutschland lückenlos dokumentiert werden müssen. Unter anderem die Vertrauensarbeitszeit steht nun infrage, schon Anfang 2023 soll deshalb das Arbeitszeitgesetz angepasst werden. Dabei kommen womöglich die Arbeitszeitregelungen zum Schutz von Beschäftigten unter die Räder, warnt die Gewerkschaftsjuristin Johanna Wenckebach. (…) Vor allem Überstunden jenseits der gesetzlichen Vorgaben erschwere das Urteil, meint Johanna Wenckebach, Direktorin des gewerkschaftsnahen Hugo-Sinzheimer-Instituts. „Die Arbeitszeiterfassung wird deshalb zum Anlass genommen, die geltenden Arbeitszeitregeln, die dem Schutz von Beschäftigten dienen, infrage zu stellen“, warnt die Juristin angesichts der nun ausgebrochenen Diskussion über eine Reform des Arbeitszeitgesetzes. (…) Sorgen, dass Beschäftigte durch Arbeitszeiterfassung Freiräume einbüßen, tritt sie entgegen. Es werde zwar oft das veraltete Bild der Stechuhr bemüht, doch Zeitautonomie gehe nicht verloren. „Was eingeschränkt wird, ist die Möglichkeit von Arbeitgebern, rund um die Uhr auf Beschäftigte zugreifen zu können, wenn ihr Soll längst erfüllt ist oder sie Anspruch auf eine Pause haben“, sagte Wenckebach. Sie betont, dass Entgrenzung – also das Verwischen von Arbeit und Privatleben – krank mache…“ Artikel von Christoph Höland vom 30.12.2022 in RND.de - Zeiterfassung als Arbeitsschutz – von wegen Stechuhr
„Etwa jeder elfte Beschäftigte hat eine überlange Arbeitszeit – so arbeiten 8,8 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen gewöhnlich mehr als 48 Stunden pro Woche, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. (…) Wie gravierend diese Zahlen sind, verdeutlicht ein Blick in das Arbeitszeitgesetz, das einen Regelarbeitszeit von 8 Stunden und eine Höchstarbeitszeit von 10 Stunden vorsieht. Bei einer 5-Tage-Woche sind dies maximal 50 Stunden. Hierzu meldet DIE WELT: „Arbeitgeber laufen Sturm gegen das Stechuhr-Urteil“ (…) Denn im Dezember veröffentlichte das Bundesarbeitsgericht die Begründung zur Entscheidung vom 13.09.2022. (…) Die Richter stellten klar: Die Arbeitszeiten der Arbeitenden sind zu erfassen. (…) Das Gerede vom „Stech-Uhr-Urteil“ in den Medien zeigt, wie stark der Einfluss der Unternehmensverbände auf die Berichterstattung ist. Davon abgesehen läuft die Erfassung von Projektzeiten, die Kunden in Rechnung gestellt werden, heute schon problemlos in den Betrieben. Auch Softwarelösungen sind leicht realisierbar. (…)Das Forschungsprojekt „Den Feierabend zurückerobern“ weist mit Bezug auf die praktizierte Zeiterfassung darauf hin, wie belastend die Arbeit mit dem Diensthandy in der Freizeit ist. (…) Seit digitale Technik in der Arbeitswelt eingesetzt wird, hat sich der klassische Feierabend bei vielen Beschäftigten verabschiedet: Ein Anruf, ein Ton aus den Diensthandys oder ein Aufleuchten des Displays versetzt viele auch am späten Abend rasch zurück in den Arbeitsmodus und damit in den Berufsstress, berichten Forscher der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Kassel vom gemeinsamen Projekt. Das Ergebnis ihrer Befragung von 340 Beschäftigten aus verschiedenen Unternehmen war deutlich: Die Technik setzt unter Stress, da auch im Privatleben der „Berg an unerledigten Aufgaben“ präsent werde. Melde sich das digitale Mobilgerät, sei „der Kopf schon wieder bei der Arbeit“. Die Forschenden bemerken, dass nicht der eigentliche Griff zum Smartphone dafür sorgt, dass der Abschaltknopf im Gehirn nicht gefunden wird, sondern umgekehrt: Weil die Betreffenden eben nicht abschalten können, greifen sie zum Diensthandy, wenn es Locksignale sendet – egal zu welcher Tageszeit. Wie Abhilfe geschaffen werden kann, erforscht die Professoren Sandra Ohly und Marcel Kern. Die Wissenschaftler fordern, dass Diensthandy nach Feierabend auszuschalten. Er weiß, dass Gedanken rund um die Arbeit die Beschäftigten durchaus in den Feierabend begleiten. Doch blieben diese Gedanken unter der Oberfläche. Unterbrechungen vermeiden, Mailprogramm zwischendurch abschalten. Die Forschenden empfehlen für leichteres Abschalten, sich selbst tagsüber Zeiten ohne Unterbrechungen zu schaffen. Darunter verstehen sie, zwei Mal am Tag für rund eine Stunde das Mailprogramm zu schließen und das Smartphone auszuschalten. Von den Beschäftigten wünschen sich nach den Erhebungen der Kasseler und Bochumer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwei Drittel eine klare Trennung von Beruf und Privatleben. Tatsächlich gelinge dies im Alltag nur einem Drittel. Das verbleibende Drittel müsse auch außerhalb der Arbeitszeiten für die Firma erreichbar sein oder empfinde dies jedenfalls so. (…) Viele Unternehmen wehren sich gegen die Zeiterfassung, weil ein Nachweis erbracht wird, wieviele Stunden die Belegschaften leisten. Betriebsräte und Gewerkschaften können gegen ein ‚Arbeiten ohne Ende‘ aktiv werden. Betriebsvereinbarungen können Beginn und Ende der Arbeitszeit Grenzen setzen. (…) Es besteht erheblicher Handlungsbedarf.“ Beitrag von Marcus Schwarzbach vom 30. Dezember 2022 bei isw München - BAG: Einführung elektronischer Zeiterfassung – Initiativrecht des Betriebsrats – Pflicht zur Erfassung von Arbeitszeiten für alle
„Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist…“ Pressemitteilung zum Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 2022 (1 ABR 22/21), siehe dazu:- Bundesarbeitsgericht zur Arbeitszeiterfassung – vor allem eine Kritik am Gesetzgeber!
„… Die exzessive Leistung von Überstunden bei gleichzeitig unterbliebener Vergütung war Anlaß für den EuGH über die Durchsetzung des Arbeitsschutzes in Gestalt von genauer Arbeitszeiterfassung nachzudenken. Während der bundesdeutsche Gesetzgeber nun mehr als 3 Jahre Zeit zur Umsetzung dieser Grundsätze hatte, war es stattdessen das Bundesarbeitsgericht, das anstelle des Gesetzgebers für etwas mehr Klarheit sorgte. BAG-Präsidentin Inken Gallner betonte bei der mündlichen Urteilsbegründung, dass die Zeiterfassung auch ein „Schutz vor Fremd- und Selbstausbeutung“ sein. Es dürfe nicht sein, daß 4,5 Mio Menschen im Schnitt pro Jahr mehr gearbeitet hätten als vertraglich vorgesehen. Es wird nun Aufgabe des Gesetzgebers sein, das Arbeitszeitgesetz und das Arbeitsschutzgesetz in dieser Frage näher auszugestalten. Offen ist bislang welcher Art die Zeiterfassung sein muß, ob diese wie bisher an die Beschäftigten „delegiert“ werden kann und welche Auswirkungen das Urteil aus Erfurt auf die Vertrauensarbeitszeit und das Home-Office haben wird. Eines ist klar: Die Arbeitgeber beklagen wieder mal, ein angebliches „Bürokratiemonster“.In Wahrheit gibt das Urteil jetzt endlich Anlaß, alle Unternehmen auf ihre – auch arbeitsrechtliche – Pflicht zur vollständigen Arbeitszeiterfassung hinzuweisen und damit eine wesentliche Grundlage für die Verhinderung einer massenhaften Nichtvergütung geleisteter Arbeitszeit zu schaffen…“ Aus dem Kommentar von RA Dr. Rolf Geffken vom 17.9.2022 – wir danken! - IG BCE zur Arbeitszeiterfassung: Bye-bye Vertrauensarbeitszeit?
„Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden: In Deutschland besteht eine Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit. Ist Vertrauensarbeitszeit dadurch bald passé? Und was ist mit Homeoffice? Fakt ist: Das Urteil wird Konsequenzen für den Arbeitsalltag vieler Menschen haben. (…) Arbeitgeber in Deutschland müssen zukünftig generell und systematisch die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten erfassen. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 13. September 2022 in einem Grundsatzurteil entschieden. Damit schafft das höchste deutsche Arbeitsgericht in der Debatte um die Änderung des Arbeitszeitgesetzes Klarheit – und das vor der Bundesregierung. Diese arbeitet nämlich noch daran, die Vorgaben des sogenannten Stechuhr-Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2019 in deutsches Recht umzusetzen. Demnach sind die EU-Länder zur Einführung einer objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeiterfassung verpflichtet. „Das ist ein bedeutendes Urteil und ein wichtiger Schritt zu einer gerechten Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeit“, erklärt Karin Erhard, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands der IGBCE. „Wir begrüßen das Urteil ausdrücklich.“ Durch das BAG-Urteil könnten sich Beschäftigte und Betriebsratsgremien nun auf einen Anspruch auf Arbeitszeiterfassung stützen. Fachleute rechnen damit, dass das Urteil weitreichende Auswirkungen auf die bisher praktizierten Vertrauensarbeitszeitmodelle sowie mobile Arbeit und Homeoffice haben wird. „Bislang mussten nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht aber die gesamte Arbeitszeit“, erläutert Peter Voigt, Leiter der Abteilung Rechtspolitik/Rechtsschutz bei der IGBCE. Zwar blieben diese Arbeitszeitmodelle weiterhin möglich, Arbeitgeber müssten ihre Verpflichtungen zur Arbeitszeiterfassung und Einhaltung der Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten aber auch für diese Modellen einhalten. „Ansonsten würde man große Beschäftigtengruppen sich selbst überlassen“, so Voigt. (…) Vertrauensarbeitszeiten und Homeoffice sind weiter möglich. Arbeitgeber müssen ihrer Verpflichtung zum Arbeitsschutz zukünftig aber auch bei diesen Modellen nachkommen. Im Klartext: Unternehmen und Betriebe müssen dafür sorgen, dass Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten eingehalten werden – und zwar indem sie ein objektives, verlässliches und zugängliches System einführen, mit dem die Arbeitszeit erfasst wird. Dabei darf Arbeitszeiterfassung nicht mit Präsenz an einem Ort – zum Beispiel dem Büro – gleichgesetzt werden. Vertrauensarbeitszeit bedeutet ja, dass Beschäftigte ihre Arbeit zeitlich selbst organisieren und der Arbeitgeber ihnen in dieser Hinsicht vertraut. Andersherum müssen auch die Beschäftigten darauf vertrauen, dass sich die an sie gestellten Erwartungen in der vorgegebenen Arbeitszeit erledigen lassen. Auch bei Homeoffice handelt es sich letztlich nur um Arbeit an einem anderen Ort. An den gesetzlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers ändert sich bei diesen Arbeitsformen dadurch nichts…“ Beitrag der IGBCE vom September 2022- Siehe auch unser Dossier: Im Homeoffice oder mit völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten fällt Abschalten (Frauen) besonders schwer
- Urteil zur Arbeitszeit: Das bedeutet es für Beschäftigte
„Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden: Arbeitszeit muss in Deutschland erfasst werden. Das Urteil hat Konsequenzen für den Arbeitsalltag vieler Beschäftigter – und für die Arbeitgeber…“ Meldung der IG Metall vom 13. September 2022 - Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit: Endlich wieder Überstunden!
„Arbeitszeit muss in Deutschland künftig penibel erfasst werden, hat das Bundesarbeitsgericht entschieden. Das Urteil ist wegweisend – und überfällig…“ Kommentar von Florian Gontek vom 13.09.2022 im Spiegel online - Von einer möglichen zu einer tatsächlichen Umwälzung des deutschen Arbeitszeitrechts? Das „Stechuhr-Urteil“ des Bundesarbeitsgerichts
Beitrag vom 13.9.2022 von und bei Stefan Sell - „BAG, Beschluss vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21: Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Der Volltext liegt noch nicht vor, allerdings eine PM. (…) Besonders bedeutsam: Der Anwendungsbereich des ArbSchG ist nicht auf Arbeitnehmer*innen beschränkt, sondern erfasst alle Beschäftigten i.S.d. § 2 Abs. 2 ArbSchG. Dazu zählen neben Arbeitnehmer*innen auch Auszubildende, Beamt*innen und Richter*innen…“ Thread von Simon Pschorr vom 14.9.2022
- Bundesarbeitsgericht zur Arbeitszeiterfassung – vor allem eine Kritik am Gesetzgeber!
- [Arbeitszeiterfassung] Kommt sie oder kommt sie nicht? Über eine mögliche Umwälzung des deutschen Arbeitszeitrechts
„Wer erinnert sich noch an den Mai 2019? (…) EU-Staaten müssen Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung verpflichten, so das Urteil des EuGH vom 14. Mai 2019 (C-55/18). Und zwar alle Mitgliedstaaten der EU. (…) Sofort ging eine heftige, teilweise hyperventilierende Debatte in Deutschland los, was das nun bei uns bedeutet und wann das Arbeitsrecht seitens der Bundesregierung geändert wird, um die EuGH-Vorgaben umzusetzen. Nun haben wir August 2022 und nichts ist bislang dahingehend passiert. (…) Das »Arbeitsgericht Emden (hat) in mehreren Aufsehen erregenden Urteilen entschieden, dass die (komplette) Nichteinhaltung der Pflicht zur Zeiterfassung à la EuGH zu einer Darlegungserleichterung im Überstundenprozess führen soll (…) Das Arbeitsgericht Emden hat insoweit die oben genannte umstrittene Frage, ob es hinsichtlich der Vorgaben im Urteil des EuGH aus dem Jahr 2019 einer Umsetzung des nationalen Gesetzgebers bedarf oder aber ob die Vorgaben bereits unmittelbare Geltung haben, für sich im letzteren Sinne beantwortet. (…) Die Auffassung des Arbeitsgerichts wurde dann auf der nächsthöheren Ebene korrigiert (…): »Das LAG Niedersachsen hat anders als das Arbeitsgericht Emden entschieden, dass dem EuGH gemäß Art. 153 Abs. 5 AEUV die Kompetenz fehlt, zu Fragen der Arbeitsvergütung Stellung zu nehmen, sowie dass die Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2019 keinerlei Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast in einem Überstundenprozess hat (…) Am 4. Mai 2022 hat sich nun das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der vom Arbeitnehmer eingelegte Revision gegen das Urteil des LAG Niedersachen befasst – und die Revision zurückgewiesen (…): »Der Arbeitnehmer hat zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden – kurz zusammengefasst – erstens darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat. Da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, hat der Arbeitnehmer zweitens vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat. (…) Wer allerdings meint, dass das Thema Arbeitszeiterfassung damit endgültig vom Tisch ist, der irrt. (…) »Das Bundesarbeitsgericht (BAG) steht vor einer Grundsatzentscheidung: Soll der Betriebsrat die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung gegen den Willen des Arbeitgebers erzwingen können? (…) Die anstehende BAG-Entscheidung könne sich auf das Arbeitszeitrecht auswirken, obgleich es primär um die betriebliche Mitbestimmung geht. »Lange Zeit sei es den Arbeitnehmervertretern vor allem darum gegangen, eine zu starke Überwachung der Mitarbeiter und ihrer Leistung zu verhindern. Mittlerweile hielten sie angesichts unbezahlter Überstunden oder der Verletzung von Ruhepausen eine Zeiterfassung für sinnvoll. Die Arbeitgeber kämen nun in der Position der „Verhinderer“.« Dabei ist die Lebenswirklichkeit in vielen Unternehmen und die vieler Beschäftigter heute naturgemäß eine andere als vor über dreißig Jahren. Und es gibt nicht nur „böse“ Arbeitgeber, die Arbeitszeitmissbrauch mit ihren Beschäftigten betreiben, sondern die grundsätzlich ambivalente Vertrauensarbeitszeit kann nicht nur zu (unbezahlter) Mehrarbeit führen, sondern bei vielen Arbeitnehmern auch zu einer erheblichen Erhöhung der individuellen Freiheitsgrade und zu einer Verbesserung der Lebensqualität. Man darf gespannt sein auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts. Bleibt es bei der 1989 aufgestellten Rechtssprechung oder wird deren Begrenzung gelockert oder gar fallen gelassen?“ Beitrag von Stefan Sell vom 10. August 2022 auf seiner Homepage- Siehe auch unser Dossier: Arbeitszeitgesetz: Kampf um den Acht-Stunden-Tag [erneut]
- Versprochen und vertagt: Laut EuGH muss die Arbeitszeit komplett erfasst werden
„Am 14. Mai 2019 schrieb der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Arbeitsrechtsgeschichte. Die EU-Länder müssten die Unternehmen verpflichten, die tägliche Arbeitszeit ihrer Angestellten zu erfassen, urteilten die Richter*innen in Luxemburg. Die Erfassung bloß von Überstunden reiche nicht aus. »Die objektive und verlässliche Bestimmung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit ist nämlich für die Feststellung, ob die wöchentliche Höchstarbeitszeit einschließlich der Überstunden sowie die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten eingehalten worden sind, unerlässlich«, teilte der EuGH mit. (…) Seit Beginn der Pandemie ist es recht still geworden bezüglich des Themas Arbeitszeiterfassung. »Der ganze Gesetzesänderungsprozess wurde durch Corona gestoppt«, erzählt Nils Kummert, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er berät und vertritt Betriebsräte. Arbeitszeiterfassung ist da ein wichtiges Thema. Dies ist auch in Zeiten von pandemiebedingtem Massen-Homeoffice so: Wer kontrolliert, wann gearbeitet wird? Wann beginnt die Arbeitszeit und wann die Freizeit? Schließlich führt es tendenziell zu einer Entgrenzung der Arbeitszeit, wenn der Laptop auf dem Küchentisch und das Diensthandy immer griffbereit sind. Dass das Thema Arbeitszeiterfassung wegen der Corona-Pandemie von der Bundesregierung auf die lange Bank geschoben wurde, dürfte die Arbeitgeber*innen freuen. Schließlich waren sie von dem EuGH-Urteil alles andere als erfreut. (…) »Auch wenn der EuGH dazu in der Entscheidung vom 14. 5. 2019 schweigt, gibt es gute Gründe, dass die Arbeitgeber*innen jetzt schon verpflichtet sind, die Arbeitszeiten gänzlich zu erfassen«, sagt der Anwalt. Zu diesem Ergebnis kommt auch ein Gutachten des gewerkschaftsnahen Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeitsrecht. »Die Entscheidung ist bereits jetzt zu beachten«, heißt es darin. Begründet wird dies mit den Vorgaben der Grundrechtecharter der EU zu gerechten und angemessenen Arbeitsbedingungen, die Vorrang vor nationalem Recht haben. So entfalte die Entscheidung »bereits jetzt verbindliche Wirkung in Deutschland«, heißt es in dem Gutachten. Der EuGH habe keine Übergangsphase für die Umsetzung der Vorgaben gestattet und auch keinen Vertrauensschutz gewährt. »Das ändert allerdings nichts daran, dass der Gesetzgeber wegen eines ansonsten bestehenden Transparenzverstoßes die gesetzlichen Regelungen in Deutschland anpassen muss.« Auch das Arbeitsgericht Emden ist der Auffassung, dass das Urteil des EuGH bereits jetzt für Arbeitgeber*innen gilt. »Die Vorgaben aus dem genannten Urteil des EuGH sind namentlich von der Fachgerichtsbarkeit, der Arbeitsgerichtsbarkeit, im Wege europarechtkonformer Auslegung des nationalen Rechts umzusetzen«, urteilte das Gericht vergangenen September im klassischen Jurist*innendeutsch. »Andernfalls würde das Gebot der möglichst effektiven Umsetzung des Europarechts und der Rechtsprechung des EuGHs nicht hinreichend erfüllt.«“ Artikel von Simon Poelchau vom 2. April 2021 in neues Deutschland online - Arbeitszeiterfassung nach dem EuGH-Urteil: Wie muss sie aussehen?
„Verpflichten europäische Regelungen auch deutsche Unternehmen dazu, jede einzelne Arbeitsstunde täglich zu dokumentieren? Ja, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Mai 2019 entschieden. Seit diesem Urteil gibt es eine intensive Debatte darüber, wie die Arbeitszeiterfassung – und die rechtliche Grundlage, auf der sie basiert – in Zukunft aussehen muss. Das Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht hat dazu jetzt ein Gutachten veröffentlicht, das Antworten auf die offenen juristischen Fragen gibt. Das Gutachten des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht bestätigt unter anderem, dass für Deutschland aus dem Urteil Handlungsbedarf entsteht – eine Frage, die in den Diskussionen um das Urteil durchaus umstritten war. Alle Arbeitgeber müssen dazu verpflichtet werden, die Arbeitszeit der Beschäftigten zu erfassen. Da bislang diese grundsätzliche Erfassungspflicht rechtlich in Deutschland nicht klar festgeschrieben ist, sollte das deutsche Arbeitszeitgesetz entsprechend geändert werden. Das Gutachten bestätigt aber auch, dass die Entscheidung jetzt schon eine verbindliche Wirkung in Deutschland entfaltet – nicht nur für den Gesetzgeber, sondern auch für die Arbeitsgerichte. Bislang galt: Arbeitgeber waren bisher gesetzlich weitgehend lediglich zur Erfassung von Arbeitszeiten verpflichtet, die über acht Stunden täglich hinausgehen. Jetzt muss diese Lücke geschlossen werden und Zeiterfassung ab der 0. Stunde erfolgen. Auch zur Frage, wie die Zeiterfassung im Einzelnen gestaltet sein muss, gibt das Gutachten Einschätzungen und Empfehlungen – hier geht es vor allem um die Fragen der zu erfassenden Daten und die Qualitätsanforderungen an die Zeiterfassungssysteme, schließlich müssen diese nach den Vorgaben des Gerichtshofs verlässlich, objektiv und leicht zugänglich sein…“ DGB-Rechtsinfo vom 13. März 2020 mit Link zum vollständigen 117-seitigen Gutachten - Lohnraub: Wünsche der Kapitalseite befolgt – Wirtschaftsministerium legt Gutachten zur Erfassung der Arbeitszeit vor
„… Die unbezahlten Überstunden lagen laut IAB 2019 bei 23,3 Stunden. Eine gesetzeswidrige Praxis der Unternehmer, mit der es bald vorbei sein soll. Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im Mai vergangenen Jahres geurteilt, dass Firmenchefs verpflichtet werden sollen, die tatsächlich geleistete Arbeitszeit der Beschäftigten zu erfassen. Diese hätten dann endlich einen Nachweis, um ihren vorenthaltenen Lohn einzuklagen. (…) Bislang hat die Bundesregierung noch kein Gesetz vorgelegt. Die Bundestagsfraktion Die Linke hat das Thema deshalb für Donnerstag auf die Tagesordnung im Bundestagsplenum gesetzt. Monatelang hat das Wirtschaftsministerium ein notwendiges Rechtsgutachten unter Verschluss gehalten. Minister Peter Altmaier (CDU) stellt sich schützend vor die Konzerne, er will sie nicht mit »noch mehr Bürokratie« belasten. Wie das Handelsblatt am Dienstag berichtete, hat er das Gutachten nun doch herausgerückt. Darin heiße es, »Arbeitgeber sollten selbst entscheiden dürfen, welche Technik der Aufzeichnung sie wählen, einschließlich der Delegation an die Arbeitnehmer. Diese Option soll aber zurückgenommen werden können, wenn Mitarbeiter dies wünschen oder die Aufsicht Missbrauch feststellt«. Der DGB fordert hingegen die Beweislastumkehr: Unternehmer stehen in der Verantwortung, Arbeitszeit genau zu erfassen. Im Gutachten aus dem Hause Altmaier wird der Spieß umgedreht: Die Bundesregierung sollte den durch den EuGH aufgezeigten Gestaltungsspielraum nutzen, »auch um die berechtigten Interessen der Arbeitgeber zu wahren«.“ Kommentar von Simon Zeise bei der jungen Welt vom 4. März 2020 - Das Urteil zur Arbeitszeiterfassung ersetzt nicht den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen. Kommentar von Armin Kammrad vom 23. Mai 2019
„Eins sollte klar sein – das Urteil zur Arbeitszeiterfassung ersetzt nicht den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen. Es beschränkt sich – wie der EuGH selbst betont – auf die konkrete Rechtauslegung, bzw. auf die Gewährleistung „der praktische Wirksamkeit der von der Arbeitszeitrichtlinie und der Charta verliehenen Rechte“, was vor allem heißt, dass eine EU-konforme Rechtsauslegung anders unmöglich ist. In sofern hat auch Herr Altmaier Unrecht. Der Verweis auf „Bürokratie“ hilft dem darauf verweisenden Arbeitgeber im Streitfall nicht, weil es um eine EU-konforme Rechtsauslegung geht. Der „Witz“ bzw. das teilweise Verständnisproblem liegt bei einer angemessenen Wertung dieser EuGH-Entscheidung wohl daran, dass sie nur eine logische Selbstverständlichkeit vorträgt – die jedoch nicht immer beachtet wird. Die ganze EuGH-Entscheidung beschränkt sich auf die im Streitfall um die Arbeitszeit wichtige Frage, dass es ohne Registrierung der Arbeitszeit „für die Arbeitnehmer äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich ist, ihre Rechte durchzusetzen.“ Dies ist die wesentliche Feststellung des EuGH, die unabhängig von der Frage gilt, was nun Herr Altmeier daraus macht. Zwar könnte sich jeder Unternehmer auf fehlende nationale Umsetzung berufen. Vor Gericht nutzt ihm das jedoch nichts, weil diese zur Auslegung der Rechtslage im Sinne der EuGH verpflichtet sind, d.h.: Keine Entscheidung mehr zugunsten der Arbeitsgeber beim Streit um die Arbeitszeit, wenn diese sie nicht objektiv nachvollziehbar registrieren. Wenn mit dieser Entscheidung auch keineswegs plötzlich Humanität in die europäischen Arbeitswelt einzieht (solche Registrierung sind auch fraglich und waren plötzlich nicht umsonst bei den Unternehmen als Kontrollorgan plötzlich so belieb), sollten besonders die Gewerkschaften diskutieren, wie sie diese Entscheidung möglichst geschickt für die Durchsetzung der Interessen der abhängig Beschäftigten nutzen können. Auf Herrn Altmaier muss und sollte niemand warten.“ Wir danken! Siehe dazu:- Arbeitszeiterfassung: Altmaier will EuGH-Urteil vorerst nicht umsetzen
„Das Bundeswirtschaftsministerium von Peter Altmaier sieht beim EuGH-Grundsatzurteil „Auslegungsspielraum“. Damit kommt der CDU-Politiker der Wirtschaft entgegen (…) Das Wirtschaftsministerium werde das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) genau prüfen und ein Rechtsgutachten vergeben, um festzustellen, ob es überhaupt Handlungsbedarf gebe. „Wir wollen und müssen die Interessen der Arbeitnehmer schützen, aber wir dürfen keine überbordende Bürokratie schaffen.“ (…) Dem EuGH zufolge sind Unternehmen verpflichtet, verlässliche Systeme einzurichten, mit denen Angestellte und Arbeiter ihre Arbeitszeit belegen können. Nur so lasse sich bei späteren Streitigkeiten vor Gerichten oder Behörden ein verbindlicher Nachweis über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit erbringen. Eine Aufstellung allein der Überstunden sei nicht ausreichend. Urteile des höchsten europäischen Gerichts gelten eigentlich in der gesamten EU.“ Beitrag vom 21. Mai 2019 von und bei der FAZ online
- Arbeitszeiterfassung: Altmaier will EuGH-Urteil vorerst nicht umsetzen
- Vom Umgang mit Überstunden – Oder: Was machen die Gewerkschaften jetzt mit dem Urteil des EuGH zur Arbeitszeitprotokollierung?
„Im Jahre 2018 blieben etwa 600 Mio Überstunden von abhängig Beschäftigten in diesem Land unbezahlt. (…) Die Profitgier der Unternehmer dafür verantwortlich zu machen, greift viel zu kurz. Sie ist wesentliche Ursache dieses Tatbestandes aber sie erklärt nicht, warum dieser Gier offensichtlich keine wirksamen Grenzen in diesem Land gesetzt sind. Grundsätzlich gibt es solche Grenzen auch in Deutschland. Doch was für Grenzen sind das? Da ist vor allem das Arbeitszeitgesetz von 1994, das inzwischen einige Gewerkschafter deswegen für verteidigenswert erachten, weil einige Unternehmer und bürgerliche Politiker es n o c h mehr verschlechtern wollen. (…) Doch zur Wahrheit gehört auch, daß die große Mehrzahl der Betriebe, die Arbeitszeitkonten praktizieren, dies mit Hilfe von Tarifverträgen machen, denen Gewerkschaften ihre Zustimmung erteilten und mit Hilfe von Betriebsräten, die ebenfalls oft gar nichts anderes mehr kennen als die Welt der Minus-und Plusstunden. Parallel dazu haben die Gewerkschaften sogar massenhaft von ihrem Recht Gebrauch gemacht, unterhalb des Gesetzesstandards den Ausgleichszeitraum für Arbeitsstunden noch zu verlängern und zwar auf bis zu einem Jahr. (…) Daneben haben wir eine Rechtsprechung, die die Durchsetzung von Überstundenvergütung von absolut unzumutbaren Voraussetzungen abhängig macht (…) Das Urteil wird nicht direkt Anwendung finden, sondern muß in Deutschland durch ein Gesetz des Bundestages umgesetzt werden. Diese Umsetzung wird k e i n „Geschenk“ mehr sein sondern muß erkämpft werden (…) Es wird zentral darauf ankommen, ob die Gewerkschaften nun wieder Gebrauch machen von dem ihnen gewährten „Recht“, von Mindeststandards nach unten abzuweichen oder ob sie die Steilvorlage des EuGH nutzen und nun das Maximum dessen für die Beschäftigten herausholen das möglich ist…“ Beitrag von Rolf Geffken vom 17.5.2019 – wir danken! Den Beitrag gibt es übrigens auch als Vortrags-Video bei youtube!
- EuGH schiebt Flatrate-Arbeit einen Riegel vor
„Zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dass aus dem Unionsrecht eine Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung folgt, sagte Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstands, am Dienstag in Berlin: „Das Gericht schiebt der Flatrate-Arbeit einen Riegel vor – richtig so. Flexible Arbeit ist heutzutage eher die Regel statt die Ausnahme. Gerade da, wo Arbeitgeber aber eine Regelung zur Arbeitszeiterfassung nicht für notwendig halten, die Interessenvertretung fehlt oder eine entsprechende Vereinbarung nicht durchsetzen kann, bleiben die Rechte der Beschäftigten viel zu oft auf der Strecke. Die Anzahl unbezahlter Überstunden bewegt sich in Deutschland deshalb seit Jahren auf einem inakzeptabel hohen Niveau. Das kommt nicht nur einem Lohn- und Zeitdiebstahl gleich – innerhalb eines Jahres wirtschaften sich die Arbeitgeber so rund 18 Milliarden Euro in die eigene Tasche – sondern kann auch ernste gesundheitliche Folgen für die Arbeitnehmerinnen und –nehmer haben…“ DGB-PM vom 14.05.2019 und zuvor:
- Arbeitszeit genau dokumentieren: Bald Pflicht für alle? Urteil des Europäischen Gerichtshofs wird mit Spannung erwartet
„Verpflichten europäische Regelungen auch deutsche Unternehmen dazu, jede einzelne Arbeitsstunde exakt zu dokumentieren? Darüber entscheidet in dieser Woche der Europäische Gerichtshof (EuGH). Bislang gilt bei uns die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nur für Minijobber und bestimmte Branchen. Wir haben Hintergründe und mögliche Folgen des Urteils zusammengestellt…“ DGB-Beitrag vom 13.05.2019
Grundinfos:
- Pressemitteilung zum Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 2022 (1 ABR 22/21)
- MDR hat eine Übersicht zum Urteil zusammengestellt
- 13 Fragen zur Arbeitszeiterfassung
„Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im September 2022 (1 ABR 22/21) entschieden, dass der Betriebsrat kein Initiativrecht für eine elektronische Zeiterfassung hat. Was bedeutet das für die Betriebe und worauf sollten Betriebsräte achten. Ein interview mit Regina Steiner, Fachanwältin für Arbeitsrecht…“ Interview mit Regina Steiner am 24. Juli 2023 im Bund-Verlag , höre auch: - Arbeitszeiterfassung
„Die jüngste Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat die Zeiterfassung für Firmen und Betriebe als verpflichtend definiert. Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu erfassen. Doch was gehört alles zur Arbeitszeit? Müssen auch Pausen erfasst werden? Mit welchen Systemen hat das zu erfolgen? Und wer überprüft das alles? Fragen rund um das Thema Arbeitszeit interessieren Beschäftigte wie Arbeitgeber brennend – deswegen muss der Betriebsrat hier umfassend informiert sein. Eva-Maria Stoppkotte, verantwortliche Redakteurin der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“, hat die ausgewiesene Expertin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, Regina Steiner ans Mikrofon gebeten. Sie redet Klartext zum Thema Arbeitszeit...“ Audio des AiB-Podcast vom 21. April 2023 beim Bund-Verlag
- Im LabourNet-Archiv gibt es eine schöne Rubrik: Vertrauensarbeitszeit und Arbeit ohne Ende