Verwertung des Humanreichtums: Kreativitätsförderung im neoliberalen Kapitalismus. Eine Kritik des sogenannten Design Thinking

Buch von Hermann Bueren: „Bewegt Euch Schneller!“ Zur Kritik moderner Managementmethoden„Bei vielen Tätigkeiten im Industrie- und Dienstleistungsbereich gehören Eigenschaften wie Kreativität und lösungsorientiertes Denken zu den Anforderungen, die an Beschäftigte gestellt werden. Denn mehr denn je sind Unternehmen gefordert, neue Produkte, innovative Dienstleistungen oder brandaktuelle Konsumartikel herzustellen und diese auf den Märkten anzubieten. Dieser Innovationsdruck ist eine Folge der Markt- und Wettbewerbsbedingungen eines entfesselten Kapitalismus, der Unternehmen und ihre Beschäftigten zur Produktentwicklung antreibt. Dazu tritt der Faktor Beschleunigung…“ Artikel von Hermann Bueren in der jungen Welt vom 11. Februar 2025 externer Link und mehr daraus:

  • Weiter aus dem Artikel von Hermann Bueren in der jungen Welt vom 11. Februar 2025 externer Link: „… Innovationen sind aber nur möglich, wenn zuvor Know-how und Kreativität in den Entwicklungsprozess fließen. Kreatives, lösungsorientiertes Denken und die Fähigkeit zur Entwicklung von Ideen gehören zu den Potentialen des menschlichen Arbeitsvermögens. Für Karl Marx war dieses Vermögen ein Teil des Reichtums an Fähigkeiten und sozialen Beziehungen, über den Menschen verfügen. Kapitalistische Unternehmen wollen dagegen auf diesen Humanreichtum zugreifen mit dem Ziel, aus den Ideen ihrer Beschäftigten neue Produkte oder Dienstleistungen zu generieren, die den Mehrwert des Unternehmens steigern. Aus diesem Grund verändern Unternehmen die Arbeitszusammenhänge. Die wohl bekannteste Methode zur Mobilisierung des kreativen Arbeitsvermögens ist gegenwärtig Design Thinking (DT). Als Prozess und Arbeitsmethode ist DT inzwischen in vielen Unternehmen verbreitet. Es beruht auf der Annahme, dass Ideen generiert und Probleme gelöst werden können, wenn Beschäftigte unterschiedlicher Disziplinen und Teams in einer die Kreativität fördernden Arbeitsumgebung zusammenarbeiten. Weil sie kreatives Denken als planbaren Prozess unterstellt, der sich managen lässt als eine Art Handwerkszeug, das sich mit klar definierten Zielen und Ablaufregeln erlernen lässt, findet die Methode insbesondere in Human-Resources-Abteilungen (HR) große Unterstützung, können doch damit die Potentiale der Beschäftigten effizient und unternehmenskonform erschlossen werden. (…) Im Gefolge von DT investieren Unternehmen auch in die Arbeitsumgebung. Büros und Arbeitsräume, bisweilen sogar komplette Firmengebäude, werden saniert oder neu gebaut mit der erklärten Absicht, stimulierende Räumlichkeiten für Kreativität und Ideenentwicklung zu schaffen. (…) Tatsächlich aber besitzt DT eine Reihe von Einengungen und faktischen Reglementierungen, die den Eindruck, es handele sich um einen Freiraum voller Ungezwungenheit und kreativer Selbstentfaltung, in Frage stellen. Als erstes zu nennen sind hier die stringenten Zeitregeln eines Workshops, die zu Beginn vereinbart werden. Die Teams sind aufgefordert, das Zeitbudget unbedingt einzuhalten. Gearbeitet wird mit exakten Zeitvorgaben, jede der sechs Phasen dieser Ideenentwicklung ist zeitlich limitiert. Die Timer der Smartphones oder die auf den Tischen aufgestellten Stoppuhren signalisieren die Dominanz dieser zeitlichen Logik. Ist das Zeitbudget ausgeschöpft, endet die Phase ohne Wenn und Aber, auch wenn die teilnehmenden Beschäftigten die vorgegebene Aufgabe noch nicht abgeschlossen haben. Die Freiräume, die den Beschäftigten zur Ideenentwicklung zur Verfügung stehen, entpuppen sich als streng durchstrukturierte Einheiten. (…) So fragwürdig wie Zeitregime und Pädagogik ist auch das vorgegebene Ziel, das die Unternehmen mit DT verfolgen. Kreative Aktivität wird der kapitalistischen Verwertungslogik unterworfen. Die Fixierung auf rendite- bzw. marktfähige Produktideen schränkt den kreativen Prozess und die Ideenfindung von vornherein auf das Machbare und Verwertbare ein. Zudem sorgen die obligatorische Workshopmoderation durch Coaches oder die Vorgaben von Kunden oder Projektleitern an die Teams dafür, dass die Ideenfindung sich ausschließlich in dem vorgegebenen Rahmen bewegt. Der Soziologe Ulrich Bröckling bezeichnet diesen Vorgang als den Versuch, Kreativität zu »regieren«. (…) Wenn Marx hingegen das kreative Arbeitsvermögen der Arbeiterinnen und Arbeiter als humanen Reichtum bezeichnet, geht sein Blick über den Kapitalismus hinaus. Unter den Bedingungen entfremdeter gesellschaftlicher Verhältnisse vereitelt der Kapitalismus die vollständige Entwicklung von Kreativität und Humanvermögen. Erst nach Aufhebung dieser Verhältnisse kann die eigentliche Entfaltung des Menschen erfolgen.“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=226247
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