Blinder Fleck Klassenfrage. Eine Tagung in Berlin über Folgen der Digitalisierung der Arbeitswelt für Frauen und Männer: Prekarisierung als Chance zur Machtumverteilung?
„Mit dem Begriff »Arbeit 4.0« haben die Gewerkschaften die Interessen derer in den Mittelpunkt gestellt, die von der »Industrialisierung 4.0« betroffen sind, im Positiven wie im Negativen. Denn die Digitalisierung in der Arbeitswelt führt zu einem wachsenden Bedarf an hochqualifizierten und -spezialisierten Fachkräften einerseits und zu einer weiteren Welle der massenhaften »Freisetzung« geringer Qualifizierter. Ende vergangener Woche wurde in den Räumen der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin festgestellt, dass die Geschlechterfrage in der Debatte um die Auswirkungen des neuesten Modernisierungsschubes in der Arbeitswelt bisher kaum eine Rolle spielt. Im Rahmen der Tagung »Arbeit 4.0. Blind Spot Gender« wurde der Blick auf diesen »blinden Fleck« gerichtet. (…) Diejenigen, für die »Arbeit 4.0« vor allem »Ausbeutung 4.0« bedeutet, waren am Nachmittag dann doch noch, zumindest teilweise, Gegenstand eines Vortrags. Uta Meier-Gräwe, Professorin für Wirtschaftslehre des Haushalts und Verbrauchsforschung an der Uni Gießen, sprach über den Boom von Onlineplattformen wie »Helpling«, deren Nutzer per Smartphone-App Reinigungs- und andere Servicekräfte buchen können. Die Nachfrage sei enorm. Anbieterinnen der Leistungen sind hauptsächlich Frauen, viele von ihnen Migrantinnen. (…) Eine Diskussion der Potentiale der Digitalisierung in Sachen allgemeiner Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich fand auf der Tagung nicht statt. Dabei wäre sie eine wesentliche Voraussetzung für mehr Geschlechtergerechtigkeit bei der Teilung der Familien- und Hausarbeit. Ohne weniger Erwerbsarbeit wird es auf der einen Seite weiter vergleichsweise schlecht bezahlte Dienstleisterinnen geben, die zusehen können, woher sie die Zeit für die eigenen Kinder und den eigenen Haushalt nehmen…“ Artikel von Jana Frielinghaus in junge Welt vom 30.09.2016