Unattraktive Arbeitsbedingungen oft wichtiger Grund für Personalmangel und dieser dann für Arbeitsverdichtung

Dossier

Arbeitsmarktpolitik - Montage von Toldi„Viele Betriebe haben Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen. Auch aus Sicht von Betriebs- und Personalräten ist das ein großes Problem, zeigt eine repräsentative Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Die Beschäftigtenvertreterinnen und -vertreter weisen aber auch auf einen wichtigen Grund hin, den Unternehmensleitungen eher selten nennen: unattraktive Arbeitsbedingungen wie niedrige Bezahlung oder ungünstige Arbeitszeiten. Je nach Qualifikationsprofil der offenen Stellen sehen ein Viertel bis ein Drittel der Befragten darin den wichtigsten Faktor für Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung in ihrem Betrieb. (…) Besonders hoch ist der Anteil mit 80,2 Prozent im Gesundheitswesen und mit 72,2 Prozent im Baugewerbe…“ Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 4. Juli 2022 externer Link („Probleme bei Stellenbesetzungen?“) zum WSI-Report Nr. 76 vom Juli 2022 externer Link von Elke Ahlers und Valeria Quispe Villalobos zum Fachkräftemangel in Deutschland, siehe dazu:

  • DGB-Index Gute Arbeit 2024: Fachkräftesicherung? Nur mit guten Arbeitsbedingungen! New
    Die Stärkung des Fachkräftepotenzials ist angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen eine vorrangige Aufgabe. Dafür muss der der Gestaltung von Arbeit mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Denn ohne bessere Arbeitsbedingungen werden Bemühungen um mehr Fachkräfte in Deutschland nicht wirken. Dies ist das zentrale Ergebnis des DGB-Index Gute Arbeit 2024, der heute in Berlin veröffentlicht wurde.
    Personalmangel verschärft die ohnehin belastenden Arbeitsbedingungen zusätzlich. Er setzt sogar eine Abwärtsspirale in Gang, weil weitere Beschäftigte den Beruf verlassen. In der Befragung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) berichten knapp die Hälfte aller Beschäftigten (46 Prozent) von starkem Personalmangel in ihrem Arbeitsbereich. Besonders ausgeprägt ist der Personalmangel in den sogenannten Engpassberufen, angeführt von Lehrer*innen, Pflegekräften und Berufskraftfahrer*innen. (…) Um Fachkräftelücken zu schließen, muss Deutschland Fachkräftepotentiale aktivieren. Ein entscheidender Hebel ist, die Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten aufzustocken: Etwa ein Drittel aller Arbeitnehmer*innen in Deutschland arbeitet in Teilzeit – überwiegend sind es Frauen. Der DGB-Index Gute Arbeit zeigt: Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Teilzeitbeschäftigten arbeitet aufgrund von Sorgeverpflichtungen wie Kinderbetreuung oder pflegebedürftigen Angehörigen mit verkürzten Arbeitszeiten. Und 39 Prozent nennen als Grund für die Teilzeitarbeit die zu hohe Belastung bei ihrer Tätigkeit. Besonders stark ausgeprägt ist dies in einigen Berufen mit Fachkräfteengpässen: 80 Prozent der teilzeitbeschäftigten Lehrer*innen geben Überlastung als Grund für ihre kürzere Arbeitszeit an.
    Auch bei der gesundheits- und alternsgerechten Arbeitsgestaltung berichten die Befragten von Defiziten. In der Selbsteinschätzung zu ihrer zukünftigen Arbeitsfähigkeit geht nur die Hälfte der Beschäftigten (52 Prozent) davon aus, ihre aktuelle Tätigkeit bis zum Renteneintrittsalter verrichten zu können. In Pflegberufen geht sogar nur eine Minderheit von 23 Prozent der Befragten davon aus, bis zur Rente durchhalten zu können – angesichts der Pflegekrise ein alarmierendes Ergebnis. Auch hier zeigt sich deutlich der Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und Fachkräfteengpässen
    …“ DGB-Pressemitteilung vom 14.11.2024 externer Link zum DGB Index Gute Arbeit 2024: Report Fachkräftesicherung externer Link
  • Von Einzelhandel bis Logistik: Wie Unternehmen den Fachkräftemangel verursachen
    „… Die Meldungen gleichen sich – seien es gekürzte Öffnungszeiten im Handel, weniger Öffnungstage im Restaurant oder das verzweifelte Warten auf einen Servicetechniker. Die Begründung ist meist Fachkräftemangel. (…) Über die Gründe für die jetzigen Probleme sagen die Unternehmen und ihre Lobbyisten wenig. Ein Beispiel: Outsourcing. Der Begriff spielte bereits 1996 bei der Diskussion um ein „Unwort des Jahres“ eine große Rolle. Die Jury sprach von einem „Imponierwort, das der Auslagerung/Vernichtung von Arbeitsplätzen einen seriösen Anstrich zu geben versucht“. Denn das Ziel ist die Auslagerung von bisher in einem Unternehmen selbst erbrachten Leistungen an externe Firmen. Diese sollen Arbeiten mit niedrigeren Löhnen durchführen, meist ohne Tarifvertrag. Als wichtiger Bereich für diese Kostensenkung wird dabei oft „Logistik“ genannt – es geht um die Verteilung von Vorprodukten oder Waren im Betrieb, an andere Produktionsstätten oder an Kunden. Forderungen von Gewerkschaften, dieses Outsourcing gesetzlich zu unterbinden oder stärker zu reglementieren, lehnten Manager von vorneherein ab. „Der Staat soll sich heraushalten“, war die einfache Logik der Unternehmenslobbyisten. Ganze Branchen haben sich so entwickelt: Firmen, die Logistik für große Unternehmen übernehmen. Die Folgen sind heute an vielen Stellen spürbar. Wer mit Vertretern dieser Logistik-Spezialisten spricht, hört häufig „wir finden keine Leute!“. Was bei den niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen mit Nacht- oder Wochenendarbeiten Außenstehende nicht verwundert. (…) Um Abhilfe zu schaffen, hat die Landesvereinigung Bauwirtschaft Niedersachsen ein neues Projekt „Helfende Hände“ ins Leben gerufen. So sollen ungelernte Arbeitskräfte in sechs Monaten zu Helfer in der Energie- und Gebäudetechnik fortgebildet werden. „Schmalspurqualifizierungen helfen nicht“, kritisiert der DGB Niedersachsen. Um die komplexen Aufgaben der Klimatransformation zu meistern, bedarf es gut ausgebildeter Experten. (…) Allerdings bilden immer weniger Betriebe aus, sodass viele junge Menschen unter Ausbildungslosigkeit leiden, kritisieren die Gewerkschafter. Neben mehr Ausbildungsplätzen kommt es auch darauf an, ausgebildete Fachkräfte stetig weiterzuqualifizieren. Wie schlecht die Arbeitsbedingungen in vielen Branchen sind, spielt in Medienberichten zu „Fachkräftemangel“ selten eine Rolle. Zu den fünf Berufen mit den schlechtesten Bewertungen im aktuellen DGB Ausbildungsreport gehören: Kauffrau/-mann im Einzelhandel, Hotelfachfrau/-mann, Köchin/Koch, nur knapp darüber liegt der Beruf als Verkäuferin/Verkäufer. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich seit Jahren, sowohl bei der Zufriedenheit als auch bei der Ausbildungsqualität. Es sind genau die Branchen, die am lautesten über den Fachkräftemangel klagen. Langes Warten auf Handwerkerhilfe, geschlossene Läden, fehlende Medikamente – ob ein Wirtschaftssystem, das derartige Probleme bereitet, überhaupt das richtige ist, damit beschäftigt sich das Risikomanagement nicht. Eine Frage, die Manager nicht umtreibt, kann für die Mehrheit der Menschen aber eine wichtige sein.“ Beitrag von Marcus Schwarzbach vom 28. August 2023 bei Telepolis externer Link

Siehe auch: Wann wenn nicht jetzt? Fachkräftemangel als Chance

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=202470
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