Strategien gegen Rechts (in Ostdeutschland): Erlebte Handlungsfähigkeit im Betrieb und (anti)demokratische Einstellungen
Dossier
„Weite Teile der ostdeutschen Arbeitswelt sind durch geringe Tarifbindung, disruptive Transformationsprozesse und einen patriarchalen Führungsstil geprägt. Dabei kann die Erfahrung einer Mitbestimmungskultur im Berufsleben helfen, die oft kritisierte Verbreitung von extrem rechten Einstellungen zu senken. Insbesondere „Ausländerfeindlichkeit“, also die Abwertung von Menschen, die nicht zur Eigengruppe „der Deutschen“ gezählt werden, wird durch Beteiligungserfahrung am Arbeitsplatz reduziert. Das zeigen die neuen Daten unseres Arbeitspapiers, das die Ergebnisse zur „industrial citizenship“ der Leipziger Autoritarismus-Studie 2020 aufgreift und fortführt. Wer den Einsatz für Demokratie und gegen die extreme Rechte in den neuen Bundesländern ernst meint, sollte also auch den Ausbau der institutionellen Mitbestimmungsmöglichkeiten in ostdeutschen Firmen konkret fördern.“ Hinweis der Otto-Brenner-Stiftung auf die am 12. Dezember 2023 veröffentlichte Studie – siehe diese und weitere Informationen:
- Strategien gegen rechts im Betrieb: Wie organisieren sich antifaschistische Kolleg*innen, und was tun sie und die Gewerkschaften gegen den Rechtstrend?
„Die Rechten haben nicht nur bei den letzten Wahlen viele Stimmen bekommen, sie sorgen auch in immer mehr Betrieben für eine angespannte Stimmung. Deshalb haben wir bei Arbeiter*innen und Gewerkschaftssekretär*innen nachgefragt: Wie präsent sind die Rechten in den Betrieben wirklich? Und welche Strategien helfen, um ihren Einfluss zurückzudrängen? (…) Olaf Klenke: Die Situation in den Betrieben ist einfach ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wenn ich Landkreise habe, in denen die AfD 40, 50 Prozent Zustimmung hat, dann schlägt sich das natürlich in den Betrieben nieder. Anja: Lange Zeit habe ich angenommen, in meiner medizinischen Bubble ist alles gut. Wir sind ja alle so Florence-Nightingale-mäßig unterwegs. In den letzten Jahren musste ich aber doch wahrnehmen, dass der Rassismus zunimmt, dass blöde Äußerungen fallen – wir haben viele migrantische Kolleg*innen. Ich würde jetzt nicht sagen, es ist so ein klassisch rechtes Gedankengut, aber über diesen latenten Rassismus kommt es nach und nach in die Klinik. (…) Stefan: Bei uns gibt es auch hier und da Diskussionen um Migration. Leider konzentriert sich das meistens auf solche Punkte, die nichts mit unserem Arbeitsleben und mit unseren Arbeitsbedingungen zu tun haben. In unserem Betrieb dominiert die Liste der IG Metall. Im Betrieb ist aber auch eine Liste der rechten »Gewerkschaft« Zentrum Automobil vertreten, die bei der letzten Betriebsratswahl auch Plätze im Betriebsrat bekommen hat. (…) Anna: Ich habe einem rechten Listenverantwortlichen irgendwann gesagt: »Ich bekämpfe dich! Ich bekämpfe dich, weil ich Antifaschistin bin, aber ich bekämpfe euch nicht, indem ich euch auf die Rübe haue, sondern ich bekämpfe euch, indem ich zeige, was wirklich die Alternative ist, nämlich aktive Gewerkschaftsarbeit im Betrieb.« Das haben einzelne andere bestimmt auch gemacht auf die eine oder andere Art. Aber so organisiert und bewusst zu sagen »Hallo, Zentrum Automobil ist etwas, was wir hier nicht wollen«, das war erst mit den Aktiven Metallern. Das sind IGM-Mitglieder mit und ohne Funktion, die sich im Betrieb und in ihrer Freizeit mehr als erwartet engagieren. Olaf Klenke: Was wir bei uns jetzt stärker versuchen, ist, die Kolleg*innen zu unterstützen: mit Argumenten, mit Vernetzung und Austausch. Wie gehe ich mit bestimmten Situationen um? Wie stelle ich mich zum Beispiel dagegen, wenn in einer WhatsApp-Gruppe – wir haben oft in den Betrieben so betriebliche WhatsApp-Gruppen, in denen sich ausgetauscht wird über Schichtwechsel, Vertretung usw. – irgendwelche Posts reingestellt werden, die Leute abqualifizieren oder Vorurteile gegenüber Geflüchteten schüren oder Unwahrheiten verbreiten. Da versuchen wir, uns fit zu machen. Es gibt sehr unterschiedliche Erfahrungen, wie das funktioniert. (…) Anna: Wenn wir vermeiden wollen, dass faschistische Organisationen wie Zentrum Automobil oder andere in den Betrieben weiter Fuß fassen, dann ist meiner Meinung und auch meiner Erfahrung nach die beste Möglichkeit, aktiv zu sein, sich gewerkschaftlich zu organisieren, sich bewusst zu sein, was gewerkschaftliche Organisierung ist, um damit so eine Art Antikörper zu bilden, der die Menschen davor schützt, sich aus lauter Frust und Wut über die Situation, die in allen Betrieben entsteht, über die Ungerechtigkeit, über die Arbeitsbedingungen, an die Rattenfänger und Nazis oder Naziorganisationen dranzuhängen. Olaf Klenke: Das Wissen darüber, dass man irgendwann aussortiert wird aus dem Betrieb, weil man nicht mehr kann, dann einen Fußtritt kriegt und das war’s, dankeschön, das macht so eine Verbitterung. Wir können als Gewerkschaften im Betrieb anfangen, Verhältnisse zu verändern, indem wir für bessere Arbeits- und Lohnbedingungen streiten. Man stößt aber an Grenzen, wenn wir gesellschaftlich nicht auch einen Kurswechsel hinbekommen! Insofern reicht es nicht, wenn die Gewerkschaften sich rein auf den betrieblichen Kampf beschränken, sondern wir müssen auch viel politischer agieren und auftreten. Politische Antworten aufzuzeigen wäre eigentlich die Aufgabe der Linken innerhalb der Gewerkschaften. Da sehe ich großen Handlungsbedarf. (…) Olaf Klenke: Jahrelang haben die Leute im Osten die Erfahrung gemacht, kleingehalten zu werden – Kopf runter, nichts machen. Eine Erfahrung, die wir machen, ist, dass es für Leute ein totaler Flash ist, wenn sie merken: »Wir müssen nicht nur einstecken, wir können den Spieß auch umdrehen. Und wenn wir alle zusammenhalten und uns für unsere Interessen einsetzen, dann können wir was verändern.« Wir haben jetzt eine neue Tarifrunde in einem Großbetrieb, auf die sich alle schon freuen, weil sie beim letzten Mal gemerkt haben, was sie verändern können. Das heißt aber, dass die Gewerkschaft auch ihre Arbeit viel mehr in die Hände der Mitglieder legen muss, auch über Probleme ehrlicherweise reden muss, wenn Sachen schieflaufen oder wir mit bestimmten Dingen nicht weit genug gekommen sind. Da müssen wir drüber reden. Woran lag das? Und nicht irgendwas schönreden oder sagen, alles ist toll oder so. Einfach Ehrlichkeit, mit den Leuten zusammenarbeiten, denen eine Stimme geben, die stark machen. Das ist die beste Gewähr für eine starke Gewerkschaft im Betrieb. Und das ist auch eine Eintrittskarte, ernsthaft über andere Alternativen zu reden. Was nicht geht, ist, einen scheiß Tarifabschluss machen oder die Leute nicht richtig mitnehmen und dann am besten noch zur Betriebsversammlung gehen und sagen: »Aber wählt nicht die AfD!« Da sagen die Leute zu Recht: »Ey, ihr kriegt bei uns nichts gebacken, wir haben hier irgendeine Scheiße schlucken müssen und du sagst mir, aber ich soll nicht AfD wählen.«“ Interviews von LabourNet TV im ak 708 vom 15. Oktober 2024 als gekürzter Auszug aus dem Film (s.u.) – siehe auch:- AfD findet labournet.tv extremistisch
„Dem Lokalpolitiker der AfD Felix Teichner hat unser Film „Strategien gegen Rechts im Betrieb“ so wenig gefallen, dass er bei der Stadtverordnetenversammlung Prenzlau eine kleine Anfrage gestellt hat. Er beklagt, dass der von der Stadt geförderte Veranstaltungsort Glashaus in „linksextremistische Aktivitäten“ involviert sei und führt als Beleg die Aufführung unseres Films im Juli diesen Jahres auf…“ Meldung bei labournet tv (ohne Datum)
- AfD findet labournet.tv extremistisch
- Strategien gegen Rechts im Betrieb: Film-Premiere und Podiumsdiskussion am 27. Juli in Berlin
„Offen rechts auftretende Kolleginnen und Kollegen waren in den Betrieben immer präsent. Seit einigen Jahren wird ihr Einfluss jedoch stetig größer. Immer öfter bestimmen sie die Atmosphäre im Betrieb und drängen in Betriebsratsstukturen. Der Verein „Zentrum“ insbesondere ist als Arm der AfD in einigen Betrieben der Automobilindustrie präsent und will seinen Einfluss auf andere Branchen ausweiten. Wir haben mit vier Kolleg*innen geredet, um zu erfahren, welche Ausmaße das Problem hat, wie sie sich im Betrieb gegen die Rechten organisieren, wie der Zulauf für die Rechten zu erklären ist und wie er aufgehalten werden kann. Open-Air Aufführung mit Podiumsdiskussion, in Anwesenheit der Protagonist*innen am 27. Juli 21h in Magdalenenstr. 19, Berlin Lichtenberg. Eintritt frei, – kommt vorbei!...“ Ankündigung samt Trailer bei labournet.tv zur Aufführung mit Podiumsdiskussion, in Anwesenheit der Protagonist*innen, in Zusammenarbeit mit dem VVN/BdA Berlin- Strategien gegen Rechts im Betrieb
„Offen rechts auftretende Kolleginnen und Kollegen waren in den Betrieben immer präsent. Seit einigen Jahren wird ihr Einfluss jedoch stetig größer. Immer öfter bestimmen sie die Atmosphäre im Betrieb und drängen in Betriebsratsstukturen. Der Verein „Zentrum“ insbesondere ist als Arm der AfD in einigen Betrieben der Automobilindustrie präsent und will seinen Einfluss auf andere Branchen ausweiten. Wir haben mit fünf Kolleg*innen geredet, um zu erfahren, welche Ausmaße das Problem hat, wie sie sich im Betrieb gegen die Rechten organisieren, wie der Zulauf für die Rechten zu erklären ist und wie er aufgehalten werden kann…“ Video bei labournet.tv (deutsch | 25 min | 2024) - (siehe den Trailer auch hier wieter unten)
- Strategien gegen Rechts im Betrieb
- Eine Frage von Demütigung und Respekt? Kämpfe um Würde in der Arbeit und ihre politischen Implikationen
„In Deutschland lässt sich eine steigende Thematisierung von Klassenverhältnissen in wissenschaftlichen wie auch öffentlichen Debatten erkennen. Grund hierfür sind zum einen die Erfolge, die rechtspopulistische Parteien, wie etwa die AfD in Deutschland oder auch der Rassemblement National in Frankreich, in den arbeitenden Klassen erzielen. Das hat zu einer Reihe von Beiträgen geführt, die der Frage nachgehen, ob rechtspopulistische Parteien „die neuen Arbeiterparteien“ sind (vgl. Jörke / Nachtwey 2017) und, falls diese Beobachtung zutrifft, was zu dieser Entwicklung geführt haben könnte (vgl. Eribon 2016, mit Blick auf Deutschland stellvertretend für viele andere die Aufsätze in Becker et al. 2018). Zum anderen trägt die wieder erstarkende Auseinandersetzung mit Klassenverhältnissen im Allgemeinen sowie der Arbeiterklasse im Besonderen der nicht mehr zu leugnenden Tatsache Rechnung, dass soziale, politische und ökonomische Ungleichheiten in den liberalen Demokratien stetig zunehmen und die Demokratie existenziell bedrohen (…) Der Arbeitsplatz als zentraler Aushandlungsort dieser Kämpfe um Würde ist dabei von besonderer Bedeutung (vgl. Costas 2023, Kratzer et al. 2015). Denn die kapitalistisch organisierte Lohnarbeit ist einerseits eine strukturelle Bedingung für Entwürdigungserfahrungen, gleichzeitig ist Arbeit aber ein zentraler moralischer Bezugspunkt, insbesondere auch für die Arbeiterklasse, um sich Würde und Respekt anzueignen und Gerechtigkeit einzufordern (vgl. Honneth 2012, Lamont 2000, Negt 2020). Im Folgenden möchte ich diese Thematik mit der Frage nach der Unterstützung politischer Parteien verknüpfen. Anhand einer Auswertung des von der FES zur Verfügung gestellten Datensatzes „Kartografie der Arbeiter:innenklasse“ gehe ich zwei Forschungsfragen nach: 1) Wer leidet unter welchen Missachtungserfahrungen in der Arbeit und kämpft folglich um Würde in der Arbeit? Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage nach Klassenzugehörigkeit sowie Klassenbewusstsein. 2) Inwieweit können diese Kämpfe um Würde in der Arbeit auch einen Erklärungsansatz für politisches Stimmverhalten liefern?…“ Aus dem Vorwort zur Studie von Torben Schwuchow vom Juni 2024 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung - [Video] Strategien gegen Rechts im Betrieb
„Offen rechts auftretende Kolleginnen und Kollegen waren in den Betrieben immer präsent. Seit einigen Jahren wird ihr Einfluss jedoch größer. Immer öfter bestimmen sie die Atmosphäre im Betrieb und drängen auch in Betriebsratsstukturen. Der Verein „Zentrum“ insbesondere ist als Arm der AfD in einigen Betrieben der Automobilindustrie präsent und will seinen Einfluss auf andere Branchen ausweiten. Wir haben mit vier Kolleg*innen geredet um zu erfahren, welche Ausmaße das Problem hat, wie sie sich im Betrieb gegen die Rechten organisieren, wie der Zulauf für die Rechten zu erklären ist und wie er aufgehalten werden kann. (Wir zeigen einen Trailer – der Film ist noch nicht fertig)…“ Video bei labournet.tv (deutsch | 1 min | 2024) – Premiere ist am 27. Juli in Berlin, danach Tour durch Brandenburg - Jede*r dritte Beschäftigte mit Rechtsextremismus am Arbeitsplatz konfrontiert – Umfrage zeigt Handlungsbedarf für Betriebe
„Rechtsextremismus macht auch vor Werktoren, Büroräumen, Kindertagesstätten oder dem Einzelhandel nicht halt: In Deutschland hat jede*r dritte Beschäftigte rechtsextreme Einstellungen am Arbeitsplatz wahrgenommen. Das ergab eine repräsentative Civey-Umfrage im Auftrag von Gesicht Zeigen!, die erstmals eine Bestandsaufnahme zum Phänomen Rechtsextremismus in Wirtschaft und Arbeitswelt ermöglicht. Demnach ist fast jede*r zehnte Beschäftigte als Opfer rechtsextremer Einstellungen am Arbeitsplatz persönlich betroffen. „Die Zahlen zeigen, dass Unternehmen handeln müssen“, sagt Geschäftsführerin Sophia Oppermann „Zudem wünschen die Beschäftigten nicht nur eine klare Positionierung der Unternehmen, sondern auch entschiedenes Handeln.“ (…) „Unternehmen zeigen zunehmend Gesicht – das unterstützen wir“, so Sophia Oppermann. „Jetzt kommt es allerdings darauf an, Verantwortung zu übernehmen und zu handeln: demokratische Werte im Unternehmensleitbild verankern, jährliche Workshops oder Weiterbildungen anbieten und eine feste Ansprechperson im Unternehmen etablieren.“ Rechtsextreme Einstellungen am Arbeitsplatz wirken sich nach Ansicht einer deutlichen Mehrheit der Beschäftigten negativ auf das Betriebsklima aus, ein gutes Drittel sieht Schwierigkeiten bei der Fachkräfte-Gewinnung und -Sicherung. Dennoch ist jede*r fünfte Beschäftigte und jede*r dritte Entscheider*in der Meinung, dass die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen keinerlei Auswirkungen auf Arbeitsplatz, Ruf des Unternehmens oder Fachkräfte-Sicherung habe. Hier zeigt sich laut Oppermann, dass die Gefahr durch Rechtsextremismus häufig unterschätzt wird…“ Pressemitteilung vom 6. Juni 2024 von gesichtzeigen.de zur 37-seitigen Studie „Unternehmen in Verantwortung! Umfrageergebnisse zu Rechtsextremismus in der Arbeitswelt – Herausforderungen und Handlungsbedarf” - Neue Analyse: Einkommen, Mitsprache, Anerkennung: Erfahrungen im Job können demokratische Einstellungen stabilisieren – oder unterminieren
„Das Erstarken rechtsextremer und anti-demokratischer Einstellungen in Deutschland steht mit Erfahrungen sozialer Desintegration in Verbindung, mit denen sich ein relevanter Teil der Bevölkerung konfrontiert sieht. Dazu zählen unter anderem Befürchtungen, den eigenen Lebensstandard nicht halten zu können, Sorgen um die Alterssicherung und um die berufliche Zukunft, die beispielsweise bei Erwerbspersonen, die zur AfD tendieren, weit überdurchschnittlich verbreitet sind. Aber auch mangelnde Mitsprache am Arbeitsplatz und das damit verbundene Gefühl, mit tiefgreifenden Veränderungen in Arbeitsleben und Gesellschaft ohne Möglichkeit zur Einflussnahme nicht Schritt halten zu können – oder der Eindruck, dass die berufliche Leistung vom Arbeitgeber nicht ausreichend anerkannt wird, sind wichtige Faktoren. Das zeigen aktuelle Studien, unter anderem des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, über die WSI-Direktorin Prof. Dr. Bettina Kohlrausch in einer neuen Kurzanalyse einen Überblick gibt. „Es ist für Demokratien lebensbedrohlich, wenn ein wachsender Teil der Bevölkerung die Gestaltung der Gesellschaft zwar im Rahmen demokratischer Rechte mitverantwortet, die grundlegenden Werte und Regeln, die sie ausmachen, aber nicht teilt. Menschen müssen sich die Demokratie und ihre Werte zu eigen machen, damit sie funktioniert“, warnt die Soziologin. Einer der Faktoren, die zu einer Erosion demokratischer Einstellungen führen können, ist die Erfahrung von Anerkennungsverlusten bzw. Anerkennungsbedrohungen, ergeben unter anderem Untersuchungen des Soziologen Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer oder die Leipziger Autoritarismus-Studie. Die Forschung am WSI der letzten Jahre hat auf empirischer Basis herausgearbeitet, dass sich solche Bedrohungs- und Verlustgefühle aus geringer oder fehlender materieller, sozialer und demokratischer Teilhabe speisen. „Alle drei Dimensionen von gesellschaftlicher Teilhabe sind relevant und stehen mit anti-demokratischen Einstellungen in Zusammenhang“, betont Kohlrausch. „Unsere Befragungsdaten zeigen, dass unter Menschen, die zur Wahl der AfD tendieren, solche subjektiven Bedrohungs- und Verlusterfahrungen überdurchschnittlich verbreitet sind.“ So finden sich in den unteren Einkommensgruppen besonders viele Wähler*innen der AfD. „Oft verbinden sich Bedrohungs- und Verlustgefühle dann mit migrationskritischen bis -feindlichen Stereotypen, die insbesondere AfD-Stammwähler*innen sehr oft vertreten. Der AfD gelingt es im aktuellen politischen Diskurs erfolgreich, oben-unten Konflikte in innen-außen Konflikte umzudeuten.“ (…) „Die multiplen Krisen dieser Zeit und die großen gesellschaftlichen Veränderungen wie die Digitalisierung, die Dekarbonisierung und der demographische Wandel haben zur Folge, dass sich Verteilungskonflikte einerseits zuspitzen und anderseits zentrale gesellschaftliche Fragen neu ausgehandelt werden müssen“, erklärt die Soziologin. Ein zentraler Aushandlungsort ist laut Kohlrauschs Analyse nach wie vor der Betrieb. Faktoren wie die Tarifautonomie oder das Betriebsverfassungsgesetz bestimmten ebenso wie soziale Schutzrechte für Beschäftigte den formalen Rahmen dieses Aushandlungsprozesses – und seien daher wichtige Ressourcen auch für die politische Demokratie. (…) Positive, die Demokratie stärkende Elemente müssten sowohl eine ausreichende materielle Absicherung als auch das Erleben sozialer Anerkennung und demokratischer Beteiligungsmöglichkeiten umfassen. Hierzu gehöre zunächst, die Primärverteilungsfunktion des Arbeitsmarktes zu stärken, um Beschäftigten materiell angemessen abzusichern. Die Stärkung der Tarifbindung identifiziert die Soziologin als einen wichtigen Baustein dafür…“ Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 12. März 2024 zur 5-seitigen Analyse von Bettina Kohlrausch : „Demokratie in Arbeit – Erwerbsarbeit als demokratischer Erfahrungskontext“ vom März 2024
Siehe auch:
- Die Studie von Johannes Kiess, Alina Wesser-Saalfrank, Sophie Bose, Andre Schmidt, Elmar Brähler und Oliver Decker in Kurzfassung und einer 64-seitigen Komplettausgabe
- [Studie] Betriebsräte helfen gegen Rechts