Prof. Dr. Wolfgang Däubler zum Erfolg der Leiharbeitsklage in Kaiserslautern: „Manchmal gibt´s auch im politischen Leben Grund zur Freude“
„Manchmal geht es schneller als man denkt. Jahrelang haben wir Prozesse geführt, bis wir mit dreien von ihnen beim Bundesarbeitsgericht gelandet sind. Dieses hatte dann in einem Fall einen Termin anberaumt, aber diesen dann wieder verlegt. Nach geltendem EU-Recht muss ein oberstes Bundesgericht vorlegen, wenn es bei der Entscheidung im konkreten Fall auf die Auslegung einer Richtlinie ankommt – und das ist bei den Leiharbeitern der Fall. Eigentlich eine klare Sache, aber den Unternehmen tut´s weh, wenn man die Leiharbeiter genauso wie die Stammbeschäftigten bezahlen muss. Also zögert man ein wenig und überlegt ganz genau, ob man wirklich vorlegen muss oder nicht. Die Vorinstanzen – etwa das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg und das Landesarbeitsgericht Nürnberg – hätten zwar vorlegen können, machten davon aber keinen Gebrauch. Irgendwie ist für manche Gerichte das EU-Recht immer noch eine etwas fremde Materie, die man nur anrührt, wenn es unbedingt sein muss. Anders das Arbeitsgericht Kaiserslautern. Es hat von seinen Möglichkeiten Gebrauch gemacht und den Europäischen Gerichtshof eingeschaltet. Dieser muss nun unter anderem entscheiden, ob der „Gesamtschutz“ von Leiharbeitern noch gewahrt ist, wenn sie nach ihren speziellen Tarifverträgen 30 % weniger verdienen als Stammkräfte mit gleicher Tätigkeit. Ich bin da optimistisch, dass der EuGH das verneinen wird; denn wenn vom gesetzlichen Niveau nur nach unten abgewichen wird, kann von der Wahrung des „Gesamtschutzes“ nicht mehr die Rede sein. Allerdings wird man eine Entscheidung aus Luxemburg erst in ca. eineinhalb Jahren bekommen. Die Verfahren brauchen ihre Zeit – was auch damit zusammenhängt, dass immer eine Übersetzung in einige der 22 Amtssprachen der EU erfolgen muss. Aber für Richter mit einem anderen als einem deutschen Hintergrund erscheint unsere Regelung im zweifel etwas verwunderlich: In Polen z. B. gilt Equal Pay generell und ohne Abweichungsmöglichkeit, in Frankreich bekommt ein Leiharbeiter kraft Gesetzes einen Zuschlag von 10 %, weil er sich ja immer wieder auf neue Anforderungen einstellen muss. Muss die deutsche Wirtschaft diesen Billig-Lohn-Vorteil wirklich behalten? Ein Arbeitgebervertreter sagte mir mal bei einer Diskussion, „es wird nie zu einer Entscheidung des EuGH kommen“. Irgendwie klang es, als hätte er eine Geheimwaffe in der Hinterhand. Wer die Verhältnisse ein wenig näher kennt, weiß wie diese Waffe beschaffen sein könnte: Mit Geld lässt sich in der Marktwirtschaft fast alles erreichen. Da zahlt man halt 10.000 Euro als kleine „Belohnung“ dafür, dass jemand seine Klage nicht weiter verfolgt. Damit ist es nun vorbei. Der Kläger gehört überdies zu einer kleinen Gewerkschaft, die das bestehende Wirtschaftssystem nicht als Sozialpartner mittragen will. Da versagen solche Mittel. Manchmal gibt´s auch im politischen Leben Grund zur Freude.“ Kommentar von Prof. Dr. Wolfgang Däubler vom 26. Mai 2020
Siehe im Dossier auch die PM der FAU Kaiserslautern sowie mehr Infos zur aktuellen Klage und alle Hintergründe zur Kampagne
Am größten Krankenhaus Bulgariens wird protestiert: Polizei will Mitgliederlisten der unabhängigen Gewerkschaft SBMS und entscheiden, welche Forderungen „zulässig“ seien
Bulgarien ist wohl so etwas wie der „feuchte Traum“ aller Schreibtischtäter bei Bertelsmann, IWF und an vielen Universitäten: Restlos alle Krankenhäuser des Landes sind private Unternehmen. Die zudem noch staatliche Zuschüsse bekommen, die nach unklaren Kriterien vergeben werden, mit dem naheliegenden Ergebnis verbreiteter Korruption. Der Kern des menschenfeindlichen Systems ist die Reduzierung von Menschen auf etwaigen Geldwert, denn es wird nach Patientenzahlen abgerechnet – und auch die Arbeitskraft wird nach diesem „Schlüssel“ bezahlt. Zu Jahresbeginn 2019 hatte sich aufgrund dieser Situation – und der geradezu notorischen Tatenlosigkeit der bestehenden Gewerkschaften – am größten Krankenhaus des Landes, dem Pirogov Hospital in Sofia, die unabhängige Gewerkschaft SBMS gegründet, in der neben Pflegerinnen und Pfleger auch etwa Hebammen und PhysiotherapeutInnen und weitere Berufsgruppen organisiert sind. Was im Rahmen einer regelrechten Welle von Protesten und Aktionen in zahlreichen Einrichtungen des ganzen Landes geschah – und mit dem ebenso knappen wie kurzen „Programm“ Gesundheit sei keine Ware, was sowohl das gesamte System, als auch die Bezahlung der Angestellten betreffe. Was zunächst dazu führte, dass die Mitgliedszahlen der Gewerkschaft massiv anwuchsen – und dann dazu, dass die Krankenhausleitung sich gezwungen sah, zur Verteidigung des Profitsystems aktiv zu werden – sowohl zunächst per Einschüchterungsversuche, die, da erfolglos, von Vorladungen der Polizei abgelöst wurden. In der Erklärung „Solidarity with the Bulgarian Nurses’ Union!“ vom 25. Mai 2020 (die wir hiermit zusammenfassen) kritisiert das Alternative Gewerkschaftliche Netzwerk für Solidarität und Kampf (dem LabourNet Germany angehört) dieses polizeistaatliche Vorgehen. Es wird sowohl das Vorgehen gegen die Sprecherin der betrieblichen Organisation der SBMS am Pirogov-Krankenhaus Boyka Anastasova zurück gewiesen, als auch das Verhalten der Polizei, die von GewerkschafterInnen sowohl Mitgliederlisten haben wollte, als auch sich anmaßte zu beurteilen, welche Forderungen (und damit auch: Welche Gewerkschaften) zulässig und welche – „Erpressungen“ seien. Gemeinsam mit der SBMS fordert das Netzwerk sowohl den Rücktritt des Krankenhausdirektors Asen Baltov, als auch die Suspendierung (und ein Untersuchungsverfahren) gegen die Polizisten, die die Verfassung gebrochen haben, indem sie sich selbst zu einer Instanz des sozialen und gewerkschaftlichen Systems des Landes ernannt haben. Siehe dazu auch zwei weitere Beiträge – zur Solidarität bulgarischer Alternativ-Gewerkschaften und zur Entwicklung der Proteste im bulgarischen Gesundheitswesen
[Buch] Pandemische Zeiten. Corona, Kapitalismus, Krise und was wir dagegen tun können
„Die Auswirkungen der Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu Eindämmung der Infektionen haben die bereits kränkelnde Weltwirtschaft so hart getroffen, dass wir momentan nahtlos von einer Krise der Gesundheitssysteme und öffentlichen Infra-struktur in eine weltumspannende Wirtschaftskrise übergehen. Innerhalb weniger Wochen mobilisierten die nationalen Regierungen tausende von Milliarden Dollar, Euros, Yen usw., um ihr marodes System, den Kapitalismus, zu retten und jene, die davon profitieren. Die Zeche müssen Beschäftigte, Arme, jung und alt zahlen; für eine Krise, die sie nicht verursacht haben. Dabei ist es nicht mehr als eine Schutzbehauptung der Herrschenden, diese Krise mit „Corona-Krise“ zu betiteln, denn es ist die Krise ihres Systems, eines Systems, das den Interessen einer reichen Minderheit entspricht. Unter der Herausgeberschaft von Sascha Staničić und René Arnsburg kommen in über dreißig Beiträgen Aktivist*innen, Gewerkschaftsmitglieder, Kolleg*innen aus Deutschland und anderen Ländern zu Wort. Sie berichten von der Krise aus der Sicht derer, die am meisten von ihr betroffen sind – und sie diskutieren, wie dem ein Ende gemacht werden kann und wir zu einer Gesellschaft kommen, in der die Gesundheit und die Interessen der Mehrheit an oberster Stelle stehen und nicht mehr die Gewinnerwartungen einiger weniger…“ Info des Manifest Verlags zum von Sascha Staničić und René Arnsburg herausgebeben Buch (erscheint am 25. Mai 2020, 301 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-96156-091-2, €14,90) – siehe dazu als Leseprobe im LabourNet Germany Inhaltsangabe und Vorwort – wir danken!
AKTUELL BEI LABOURNET.TV: Buchvorstellung AngryWorkers
„Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe Cinéma Klassenkampf hat die Gruppe AngryWorkers, ihr Buch „Class Power on Zero-Hours“ („Klassenmacht bei Null-Stunden Verträgen“) vorgestellt. Das Buch ist im April 2020 in Großbritannien erschienen. Die Veranstaltung fand als Zoom Meeting und auf Deutsch statt...“ Video bei labournet.tv (deutsch | 92 min | 2020)
Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
The meeting point for all left-wing trade unionists, both waged and unwaged
Le point de rencontres de tous les militants syndicaux progressistes, qu`ils aient ou non un emploi
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