„Aufgewacht“ heißt heute in Chile: Kämpfen. Selbstorganisiert. Ohne auf das Parlament zu hoffen…
„… Ich lebe in der Población Nuevo Amanecer, auch bekannt als Ex-Nueva Habana. Viele Jahre lang folgten die Menschen hier derselben neoliberalen und kapitalistischen Logik der Nabelschau und der Sorge um das eigene Wohlbefinden. Die Familien hörten auf, gemeinsam Eis auf dem Platz zu essen, der Nachbar wurde zum Unbekannten und damit sogar zum potentiellen Feind. Der Nachbarschaftsrat, ein Raum für nachbarschaftliche Organisation in jedem Viertel, diente nur noch der Ausstellung von Dokumenten und anderen bürokratischen Verfahren. Heute haben sich die Dinge geändert. Das Militär lässt die Población (marginalisierte Viertel) in Ruhe, weil es damit beschäftigt ist, anderswo Menschen zu foltern und verschwinden zu lassen. Auch die Polizei bleibt auf Abstand – wegen „Personalmangel“. Währenddessen erwacht die nachbarschaftliche Organisation wieder zum Leben, durch einfache Dinge wie Whatsapp-Gruppen, gemeinsame cacerolazos (Kochtopfproteste) auf dem Platz, Volksküchen, oder die Sicherstellung der Wasserversorgung für alle. Ich lebe seit 23 Jahren in dieser Población und empfinde eine tiefe Liebe für sie; für ihre Räume, ihre Menschen und ihren Kampf. Aber nie zuvor waren es meine Räume, meine Menschen und mein Kampf. Diese Veränderung findet in vielen Häusern und Vierteln des Landes statt – und genau davor muss sich die Regierung fürchten, lässt sie nicht aufhören, vor Angst zu zittern. Die Nachbarschaftsorganisation ist aufgewacht, hat die Benommenheit der Routine hinter sich gelassen. Heute ist die Logik nicht mehr „Ich kämpfe für mich und meine Familie“, heute heißt es „Ich kämpfe, um mein Land zu verbessern“. Als Regierung könnte ich mir kein schrecklicheres Szenario vorstellen…“ – so die Aussage eines 22-jährigen Studenten aus Santiago, die im Rahmen der Sammlung „STIMMEN DES PROTESTS“ in den Lateinamerika Nachrichten Nummer 546 (Ausgabe Dezember 2019) dokumentiert ist. Siehe dazu drei weitere Beiträge zur Entwicklung von Selbstorganisation, einen Beitrag zu gewerkschaftlicher Reaktion auf die Manöver der Regierung und einen Kommentar zum Terror der Militärpolizei – sowie den Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zum Thema
Trotz allem internationalen Beistand: Die Putschisten in Bolivien unter wachsendem Druck von Massenprotesten
„… In Lateinamerika findet kein rechter Putsch mehr ohne Beifall der Bundesregierung statt. Während des langen doch bislang erfolglosen Umsturzversuches in Venezuela musste sich das Auswärtige Amt noch von der Realität belehren lassen. (…) In Bolivien hingegen lief alles schneller. Nach der weiterhin unbelegten Behauptung umfassender Wahlmanipulationen durch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zwangen Militär und Polizei den 2014 mit über 60 Prozent der Stimmen gewählten Präsidenten zum Rücktritt. Er beugte sich nach eigenen Aussagen dem Druck, um Blutvergießen zu verhindern. Mit dem Vizepräsidenten und den Präsidenten der beiden Kammern des Parlaments nahmen auch alle verfassungsmäßigen Nachfolger auf Druck der Putschisten ihren Hut. Sie beklagten teilweise, dass ihre Häuser angezündet und ihre Familien bedroht worden seien. Der Präsident der Abgeordnetenkammer rief im Zuge seiner Rücktrittserklärung gar zur Freilassung seines entführten Bruders auf. All dies hielt Regierungssprecher Seibert nicht davon ab, den Rücktritt Morales‘ als „wichtigen Schritt hin zu einer friedlichen Lösung“ zu begrüßen und Lügen über das Ausmaß der Unregelmäßigkeiten bei der Wahl zu verbreiten. Im zweiten Akt des Putsches tagte der Senat ohne die MAS-Abgeordneten, die in der Parlamentskammer die Mehrheit stellen. Diese „boykottierten“ jedoch nicht die Sitzung, wie uns quer durch die meisten Medien vermittelt wird, sondern nahmen aus Sorge um ihre Sicherheit nicht teil. Sie wurden ausgesperrt…“ – aus dem Beitrag „It’s a Coup, stupid!“ von Andrej Hunko am 18. November 2019 in der Freiheitsliebe zum konkret illegalen Vorgehen der Putschisten und ihrer Unterstützung durch die Bundesregierung – zu der noch die „mediale Unterstützung“ hinzu kommt – etwa, wenn die rassistische Putschistin als „Übergangspräsidentein“ bezeichnet wird, oder die gegen den Putsch aktiven Proteste umstandslos als die von „Morales-Anhängern“ verkleinert werden. Zu Putsch und Widerstand in Bolivien vier weitere Beiträge sowohl zum Stand und zu Problemen des Widerstandes, als auch zu Vorgeschichte und Bedingungen der heutigen Situation – sowie der Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zum Thema
Frankreich: Neues vom Protest und der Repression und den Vorbereitungen auf den Generalstreik gegen die „Rentenreform“ am 5. Dezember 2019
„CGT-Kollege kam am Montag frei – ‚Volxhaus‘ nach kurzer Zeit geräumt – Augenverlust eines Demonstranten vom Samstag, 16.11.19 führt zu wachsender Polemik – Urteil infolge von Attacke auf Polizisten vom Samstag – Diskussion darüber, warum die Behörden für den 05. Dezember 19 erneut die place d’Italie mit ihren Baustellen zum Auftaktort machen wollen: beabsichtigte Idiotenfalle für die dümmsten unter den Randalierern? – Die CFTC (christlicher Gewerkschaftsdachverband) verweigert einen Aufruf zum Streiktag am 05. Dezember d.J. – Rund eine Milliarde Euro für „Notmaßnahmen“ im öff. Krankenhauswesen...“ Artikel von Bernard Schmid vom 20.11.2019 – wir danken!
„… Was im ersten Moment wie ein Erfolg aussieht und sicherlich eine erhebliche Erleichterung für einige betroffene Menschen bedeutet, ist aber, wenn man sich die Begründung des Urteils genauer ansieht, ein neuer Anstrich des Sanktionsapparates, ohne dessen Grundprinzipien zu gefährden. Hartz IV steht und fällt mit den Sanktionen, denn diese sind die Voraussetzung damit die wichtigsten Funktionen sozialstaatlicher Zumutungen durchzusetzen sind. So der Druck auf die Betroffenen jede Arbeit oder Maßnahme annehmen zu müssen. Mittlerweile ist der Niedriglohnsektor in Deutschland einer der größten in Europa, ein Großteil der Vermittlungen durch das Arbeitsamt führt über Leiharbeitsfirmen, mit geringerem Gehalt und befristeten Verträgen. Berufswünsche, Weiterqualifizierung oder Eigeninitiative spielen dabei keine Rolle, umso mehr das Interesse der Vermittlungsinstanz den Ratsuchenden so schnell wie möglich wieder los zu werden. Auch nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichtes sind die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter Teil eines strafenden Sozialsystems, das mit Einschüchterung und der Herstellung von Folgsamkeit arbeitet. Die Angst vor Hartz IV ist allgegenwärtig und strahlt in seiner systemkonformen Wirkung auch auf den Personenkreis außerhalb des Sozialleistungsbezug aus. (…) Dies war kein Etappensieg, sondern eine Begradigung teilweise ausufernder Sanktionspraxis von einzelnen Ämtern. Sanktionen bleiben in differenzierter Form der zentrale Hebel repressiver Sozialpolitik. Eine vollständige Abschaffung könnte ein Etappenziel sein!“ Artikel von Harald Rein zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 05.November 2019 – er erschien in gekürzter Fassung im ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis vom 12.11.2019 – wir danken!
[Buch] Die zerrissene Republik. Wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland
„Seit geraumer Zeit ist das Problem wachsender Ungleichheit das Kardinalproblem unserer Gesellschaft, wenn nicht der gesamten Menschheit. Während daraus im globalen Maßstab ökonomische Krisen, Kriege und Bürgerkriege resultieren, die wiederum größere Migrationsbewegungen nach sich ziehen, sind in Deutschland der soziale Zusammenhalt und die repräsentative Demokratie bedroht. Daher wird nicht bloß thematisiert, wie soziale Ungleichheit entsteht und warum sie zugenommen hat, sondern auch, weshalb die politisch Verantwortlichen darauf kaum reagieren und was getan werden muss, um sie einzudämmen.“ Info des Verlags Beltz Juventa zum Buch vom Christoph Butterwegge (414 Seiten, 24,95 Euro, ISBN: 978-3-7799-6114-7), das am 20. November erscheint. Siehe weitere Infos zum Buch und – als exklusive Leseprobe im LabourNet Germany – das Kapitel 6.6.1.: „Abschottung gegen Armut: Entwicklung des Mindestlohns zu einem Lebenslohn“
28. Interventionen » Antifaschismus und die neuen alten Rechten » alte und neue Nazis sowie Alltagsrassismus » Dossier: Immer mehr rechte auf Journalisten
31. Interventionen » Wirtschaftspolitische Gegenwehr: Krisen und der alltägliche Kapitalismus » Alltagswiderstand und Commons » Commons und Recht auf Stadt
„Sehr informatives Video über den Aufstand in Chile vom Oktober 2019 und dessen Ursachen. „Dieses Video wurde produziert von Chilen*innen in Leipzig, um Information über die Ereignisse der letzten Wochen in Chile zu verbreiten. Wir widmen es an die Gefolterten, Ermordeten und Vergewaltigten in Chile, in Zeiten der Diktatur sowie der Demokratie…“ Video bei labournet.tv (deutsch | 12 min | 2019)