Der Angriff auf die Krankenkassen und die Generalstrategie gegen den Sozialstaat. Der zahme Protest der Gewerkschaften gegen die Zerschlagung des SV-Systems
„… Nun sind die Krankenkassen, die Gesundheitsversorgung, daran. Es ist ein offen deklarierter General-Angriff auf den Sozialstaat. (…) Der Angriff ist ja längst im Gang. Auch hier finden wir wieder die schon bewährte Vorgangsweise. Es wird eine Mehrklassen-Einrichtung geschaffen. (…) Und was machen die Vertreter der Lohnabhängigen, die Gewerkschaften, die AK? Vor allem haben sie Angst. Nach 70 Jahren zielstrebiger Arbeit an der Entpolitisierung der Basis glauben sie nun, und wahrscheinlich mit Grund, dass diese Basis nicht mehr mobilisierbar ist. Verwunderlich wäre es nicht. Aber dass die Rebellion eine Möglichkeit ist, zeigen uns die Gelbwesten in Frankreich. (…) Die Argumentation selbst jener, welche einen Widerstand versuchen, könnte auch nicht kennzeichnender sein. Was hören (und lesen) wir da? Die Arbeitgeber zahlen in die Kasse nur 25 % ein, bestimmen dort aber nun maßgeblich. Aha. Die Arbeitgeber zahlen 25 % ein!! Sogar die Buchhalter der Unternehmen wissen, dass alle Zahlungen dieser Art Teil des Lohns sind; sie sprechen von Brutto-Brutto-Lohn. Aber der linke Gewerkschafter fällt sogar hinter diese Erkenntnis zurück. Man muss es ihm offenbar laut und deutlich sagen: 100 % der Beiträge kommen von den Versicherten. (…) Wir sehen hier das Muster, welches wir schon angesichts des 12-Stunden-Tags feststellen mussten. Den Funktionären der Gewerkschaften geht es nicht um die Sache. (…) Die Gewerkschaften waren bereit, über diese „Flexibilisierung“ zuvor- und entgegenkommend zu verhandeln. Aber nun kommt der neue Geist. Die Gewerkschaften haben offenbar noch nicht wirklich begriffen: Die Eliten und ihre Politiker wollen dies nicht mehr. Sie wollen schlicht und einfach bestimmen. (…) Der Abbau des Sozialstaats und der Angriff auf ihn hat also zumindest zwei große Ziele. Das eine besteht einfach darin, die Kosten für das Kapital zu senken. Aber noch viel wichtiger ist das zweite Ziel, das unmittelbar politisch und auf längere Frist ökonomisch ist: Die Kräfte-Verhältnisse sollen verschoben werden, und zwar unwiderruflich, wie es immer wieder ausdrücklich in EU-Dokumenten steht…“ Artikel von Albert F. Reiterer vom 12. Dezember 2018 – wir danken!
a) [Interview mit ungarischer Gewerkschaftsjugend] Orbans Europa: Hemmungslose Ausbeutung im Dienste bundesdeutscher (Auto-)Unternehmen
Es war kein Zufall, dass neben der Hauptstadt Budapest in Ungarn auch beispielsweise Debrecen Ort von Protesten gegen das neue Arbeitsgesetz war (das am 12. Dezember 2018 mit 130 zu 52 Stimmen im Parlament verabschiedet wurde): BMW produziert dort, und damit eines jener Unternehmen, die die rechte Orban-Regierung zur Einführung der Willkür-Regelungen der Überstunden-Bestimmung gedrängt haben. Die Blockade in Pecs fand statt, weil dort ein anderer Akteur der Regierungspolitik produziert: Audi. In dem Gespräch „The Hungarian Movement Against the „Slave Law““ am 12. Dezember 2018 beim Transnational Strike Info (in englischer Übersetzung, ursprünglich auf tschechisch bei a2larm), das Nikoletta Kiss (KASZ – Handelsgewerkschaft) und Balàzs Bàbel (Vasas – Metallgewerkschaft) vom Jugendkomitee des ungarischen Gewerkschaftsbundes mit dem Redakteur MAREK ČANĚK führten, ist die entscheidende Rolle, die deutsche Unternehmen bei der Ausarbeitung des Gesetzes spielten, ein zentrales Thema. Die Bedeutung des Gesetzes, das im Rahmen individueller Vorschläge von Abgeordneten der Regierungspartei in die parlamentarische Debatte gebracht wurde, um ansonsten nötige Konsultationen mit Betroffenen zu umgehen, ist dermaßen deutlich, dass erstmals seit langem alle fünf ungarischen Verbände gemeinsam zur Aktion riefen. Auch ein studentischer Verband rief dazu auf, was die Möglichkeiten eines entsprechenden Bündnisses erhöhe, wie es sich auch bereits in der Vorbereitung weiterer Proteste zeige.
umso erfreulicher ist:
b) [Gemeinsame Erklärung des IG Metall-Vorstandes und Metall-Betriebsräte] Arbeitszeiten, die zum Leben passen – auch in Ungarn!
„Die deutsche Gewerkschaft IG Metall und Vorsitzende von Gesamtbetriebsräten aus der deutschen Automobilindustrie und von Siemens sehen die geplanten Änderungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit in Ungarn sehr kritisch – vor allem, dass künftig bis u 400 Überstunden im Jahr möglich sein sollen und diese erst im 3-Jahreszeitraum ausgeglichen oder bezahlt werden müssen. Viele Unternehmen der deutschen Automobilindustrie und Siemens haben Werke oder investieren in Ungarn und wir unterstützen das. (…) Angeblich wollen ungarische Beschäftigte mehr Überstunden machen. Dies ist ein Indikator für zu niedrige Einkommen! In der IG Metall machen wir gerade die Erfahrung, dass die Menschen mehr Zeit für die Familie wählen, wenn sie es sich finanziell leisten können. Die Antwort auf Arbeitskräftemangel kann nicht heißen: Arbeiten bis zum Umfallen und die Bezahlung von Überstunden erfolgt nach drei Jahren. Die Lösung kann auch nicht heißen: noch mehr Wochenendarbeit und kaum noch planbare freie Tage für die Beschäftigten. (…) Wir fordern unsere Unternehmensleitungen auf, dafür zu sorgen, dass ungarische Gewerkschaften in den Betrieben Kollektivverträge und Lohnvereinbarungen abschließen können, um gute und gesunde Arbeitsbedingungen zu regeln. Wir fordern sie auch auf, ihre Lobbyarbeit in Ungarn dafür zu nutzen, dass die Rechte und Arbeitsbedingungen für Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen verbessert werden...“ Gemeinsame Erklärung vom 6. Dezember 2018, die gegenüber der vom 3.12. des VW-Weltkonzernbetriebsrats (siehe im Dossier) nun auch Unterschriften des IG Metall-Vorstandes sowie aus Baden-Württemberg, Bayern sowie der GBRs von Daimler, Audi, Volkswagen, BMW, thyssenkrupp, Robert Bosch, der Schaeffler-Gruppe, Siemens und weiteren beinhaltet
So erfreulich der viel zu seltene Internationalismus ist, so beinhaltet er einen entlarvend kapitalismus-naiven Satz: „Zu modernen Industriestandorten gehören attraktive Arbeitsbedingungen, die es den Menschen auf Dauer ermöglichen, gesund und gerne für die Unternehmen zu arbeiten“ – schön wäre es, doch beschreibt jeder unserer Newsletter eine ganz andere Wirklichkeit
Es tut sich gerade viel in Chile (Hafenstreik) und Argentinien (soziale Proteste), aber nach unserem Motto „lieber kein Bericht als ein schlechter Bericht“ bitten wir um Geduld übers Wochenende, freuen uns aber Infos von (besser) Spanisch sprechender Leserschaft…
Arbeitsfreies Wochenende wünscht Mag – immer noch allein zuhaus… Wer auch meint, dass unsere Redaktion dringend Verstärkung und Entlastung braucht, kann bitte (ab 5,50 €/Monat!) Fördermitglied werden… Natürlich gibt es den Nachweis fürs Finanzamt auch für einmalige Spanden, Arbeitsplatzsicherheit gewähren sie bei aller Freude nicht…
AKTUELL BEI LABOURNET.TV: Aufruf der Gelben Westen von Saint-Nazaire
„Die Gelben Westen von Saint-Nazaire, die seit dem 17. November die Werft von Saint-Nazaire blockieren, haben am 20. November einen Aufruf lanciert. Mit dem Aufruf mobilisieren sie für eine Bürger_innenversammlung bei der zusammen die „ökologischen, menschlichen und sozialen Probleme“ diskutiert werden sollen und dafür in ganz Frankreich die Wirtschaft zu blockieren…“ Video bei labournet.tv (französisch mit dt. UT | 4 min | 2018)