a) Was kümmert uns Europa? Das BAG legalisiert die Leiharbeitstarife
„… Nicht nur wir von LabourNet, sondern auch alle Journalisten, mit denen ich in den letzten Tagen sprach, fanden das Urteil befremdlich. Wer die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) kannte, musste ein anderes Resultat erwarten. Stattdessen hat sich das BAG über zentrale Aussagen des EuGH hinweggesetzt. Für alle Nachteile, die einem Leiharbeiter widerfahren, soll es ein genügender Ausgleich sein, wenn nach dem Gesetz die verleihfreie Zeit bezahlt wird, also der Zeitraum, für den sich kein Entleiher findet. Die Entscheidung des EuGH sieht das anders (…) Das BAG-Urteil zügelt die Lohnkosten am Standort Deutschland. Es gibt einen legalen Niedriglohn-Sektor, zu dem insbesondere die Leiharbeit gehört. (…) Dieser wirtschaftlichen Seite entsprechen weitgehend die politischen Verhältnisse. Die Arbeitgeber sind selbstredend für die Beibehaltung der bisherigen Leiharbeit; alles andere wäre schwer verständlich. Aber auch wesentliche Teile der Gewerkschaften finden die Leiharbeitstarife ganz gut; sonst gäbe es sie ja gar nicht mehr. (…) In erster Linie müsste man aus meiner Sicht den Schwerpunkt darauf legen, das gewerkschaftliche Verhalten zu ändern und zum Solidaritätsprinzip zurückzukehren…“ Kommentar von Wolfgang Däubler vom 2. Juni 2023 – wir danken!
Und darin wichtig für das weitere Vorgehen der Kampagne: „… Leider gibt es ja kein Rechtsmittel dagegen, dass sich ein nationales Gericht über ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs hinwegsetzt. Insoweit hat das BAG nur den blauen Himmel über sich. Aber es gibt andere Verfahren von Leiharbeitern, die ausgesetzt waren oder die man neu einleiten kann. Dort sollte man nicht nur Bezahlung nach Equal Pay verlangen, sondern zugleich einen Vorschlag für eine erneute Vorlage an den EuGH formulieren. Man könnte das höchste europäische Gericht fragen, ob denn die Fortzahlung während der verleihfreien Zeiten in allen Fällen eine ausreichende Kompensation ist. Sobald die schriftliche Fassung des BAG-Urteils vorliegt, lassen sich diese (und weitere) Fragen im Einzelnen formulieren. Und es wird sich ein Richter finden, der Gewissheit haben will und den Ball aufnimmt. (…) Und so könnte ich mir gut vorstellen, dass auf eine künftige Vorlage hin formuliert wird, eine gesetzliche Lohnfortzahlung in den verleihfreien Zeiten komme als universelle Kompensation für tarifliche Nachteile nicht in Betracht. Dann wäre das BAG vorgeführt, und es käme in Schwierigkeiten, wieder genauso wie heute zu entscheiden. Aber besser als dieser rechtliche Umweg wäre ein Verzicht auf die Leiharbeitstarife.“
b) Von Durchlauferhitzern und Pistolen im Rücken – Der Showdown am BAG zur Equal Pay Thematik
„“Warum haben Sie weiterhin Tarife abgeschlossen, wenn sonst das Gesetz gilt, wie Sie ausführten?“ Diese Frage vom Vorsitzenden Richter des BAG im Equal Pay Verfahren bringt das ganze Dilemma des seit 2017 dauernden Verfahrens sehr gut zum Ausdruck. (…) Nun entscheidet das EuGH abstrakt, denn schaut man sich die Leiharbeitsverhältnisse in den Einzelnen Ländern an, gibt es dass Einsatzbezogene Modell wie in Frankreich (mit einer Prekaritätszulage als „Gesamtschutz“ von 10% mehr) oder eben das Deutsche Modell, dass sich unabhängig vom Einsatz bewegt und, wie der Anwalt von Taylor Wessing, der Beklagtenvertretung süffisant festhielt, auch mit einem Garantielohn in sog. Nichteinsatzzeiten mit Arbeitszeitkonto. Der Garantielohn ist im AÜG normiert und wird durch die Tarife mit dem Arbeitszeitkonto verstärkt. Wer die Praxis kennt, weiss welche Kreativität die Verleihbranche mitunter an den Tag legt um diesen „Gesamtschutz“ des Leiharbeitnehmers zu dessen Ungunsten zu drehen…“ Bericht von René Schindler, Erfurt, vom 31.05.2023 – wir danken (auch den SpenderInnen, die seine Reise nach Erfurt ermöglicht haben!)!
Siehe im Dossier zur Kampagne auch die Pressemitteilung des BAG, die des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen („„Wir setzen nach wie vor auf eine vertrauensvolle Sozialpartnerschaft mit den DGB-Gewerkschaften“) und des DGB, der erstaunlicherweise das Urteil bedauert (wir empfehlen die ersatzlose Kündigung der Tarifverträge!)
Frankreich vor dem Streiktag am 6. Juni und dem Rückhol-Antrag der Rentenreform am 8. Juni in der Nationalversammlung
„Geht es noch einmal los mit den sozialen Widerständen gegen die Renten„reform“, oder ist die Luft draußen? Die Antwort kommt spätestens zu Anfang kommender Woche… Rausgelassen wurde die Luft unterdessen, maßgeblich durch Tricksereien des Regierungslagers, aus dem Rückhol-Antrag der Oppositionsfraktion LIOT, über welchen am kommenden Donnerstag, den 08. Juni in der französischen Nationalversammlung debattiert wird. Jedenfalls an einen parlamentarischen Ausweg aus der „Reform“ scheint deswegen derzeit nicht zu denken. Unterdessen schwächeln allerdings die Protestversuche der vergangenen Tage, zuletzt anlässlich eines öffentlichen Auftritts von Arbeitsminister Olivier Dussopt am gestrigen Donnerstag Abend… Und das internationale Filmfestival von Cannes wurde nicht so stark wie z.T. erwartet durch Demonstrationen oder Stromabschaltungen gestört (eher durch Bettwanzen); allerdings sorgte dann eine kurze Ansprache der Hauptpreisträgerin doch noch für Aufsehen rund um’s Thema…“ Artikel von Bernard Schmid vom 2.6.2023 – wir danken!
b) Darüber hinaus im LabourNet Germany – ebenso wichtig:
AKTUELL BEI LABOURNET.TV: Für ein umfassendes Streikrecht: Gorillas Arbeiter*innen ziehen vor das Arbeitsgericht
„Mehrere ehemalige Arbeiter*innen des Lieferdienstes Gorillas wurden wegen ihrer Teilnahme an einem selbstorganisierten Streik 2021 fristlos entlassen. (…) Am 25. April 2023 fand die Berufungsverhandlung statt, mit einer Kundgebung und ein paar Dutzend Unterstützer*innen und Aktivist*innen der Kampagne für ein umfassendes Streikrecht und einem Aktivisten der Letzten Generation. Eine der Gorillas Arbeiter*innen, sowie Kolleg*innen und Unterstützer*innen erklärten in bewegenden Redebeiträgen, weshalb eine Ausweitung des Streikrechts in Deutschland notwendig ist. (…) Da dieser Kampf von großer Bedeutung für die gesamte Arbeiter*innenklasse in Deutschland ist, dokumentieren wir die Kundgebung als Sonderseite mit mehreren Videobeiträgen…“ 4 Videos bei labournet.tv (2023)
Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
The meeting point for all left-wing trade unionists, both waged and unwaged
Le point de rencontres de tous les militants syndicaux progressistes, qu`ils aient ou non un emploi
Spenden willkommen unter IBAN DE 76430609674033739600