- Alltagswiderstand und Commons
- Bündnis Umfairteilen und Aktionen
- Die Occupy-Bewegung und Aktionstage
- Gewerkschaftliche Mobilisierung in der Krise
- Initiativen der Linken gegen den Kapitalismus und dessen Krisen
- Interventionen gegen die neoliberale EU
- Mobilisierungsdebatte: Wie kämpfen (gegen Kapitalismus)?
- Proteste gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21
United for System Change! Elisa Hüller und Benjamin Körner über Klimabewegung und Gewerkschaften
„Soll der notwendige ökologische Umbau gelingen, müssen Klimabewegung und Gewerkschaften gemeinsam gegen den kapitalistischen Profitzwang kämpfen. Gleichzeitig führen Interessengegensätze aber immer wieder zu Spannungen. Es lohnt sich daher, genauer hinzuschauen und danach zu fragen, wer genau gemeint ist. In Neues Deutschland vom 18. Juni hat Tadzio Müller die Linke dazu aufgefordert, über das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Klimabewegung einerseits und Gewerkschaftsbewegung andererseits zu diskutieren. Er konstatiert eine Blockadehaltung der (Industrie-)Gewerkschaften, grundlegende Interessengegensätze und sogar eine taktische Feindschaft. Wir denken, dass es nötig ist, genauer hinzusehen, und wollen daher den Fragen nachgehen, wer eigentlich »die« Gewerkschaft ist, worin die Interessengegensätze beim Klimaschutz bestehen und was daraus für unsere Praxis folgt…“ Artikel von Elisa Hüller und Benjamin Körner, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 7/2020:
United for System Change!
Elisa Hüller und Benjamin Körner* über Klimabewegung und Gewerkschaften
Soll der notwendige ökologische Umbau gelingen, müssen Klimabewegung und Gewerkschaften gemeinsam gegen den kapitalistischen Profitzwang kämpfen. Gleichzeitig führen Interessengegensätze aber immer wieder zu Spannungen. Es lohnt sich daher, genauer hinzuschauen und danach zu fragen, wer genau gemeint ist.
In Neues Deutschland vom 18. Juni hat Tadzio Müller die Linke dazu aufgefordert, über das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Klimabewegung einerseits und Gewerkschaftsbewegung andererseits zu diskutieren. Er konstatiert eine Blockadehaltung der (Industrie-)Gewerkschaften, grundlegende Interessengegensätze und sogar eine taktische Feindschaft. Wir denken, dass es nötig ist, genauer hinzusehen, und wollen daher den Fragen nachgehen, wer eigentlich »die« Gewerkschaft ist, worin die Interessengegensätze beim Klimaschutz bestehen und was daraus für unsere Praxis folgt.
Gewerkschaften sind kein einheitlicher Block
Wenn von »den« Gewerkschaften gesprochen wird, verstellt diese Vereinheitlichung schon den Blick auf strategisch äußerst wichtige Unterscheidungen. Gewerkschaften sind kein monolithischer Block. Sie sind weder Organisationen, in denen eine konservative Bürokratie nur die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse im Blick hat, noch sind sie widerspruchsfreie Kampforganisationen der ArbeiterInnenklasse.
Wer also ist eigentlich »die« Gewerkschaft? Heute wie in der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung gab es nie »die« Gewerkschaft, sondern immer schon verschiedene Gruppen mit teilweise sich widersprechenden Zielen innerhalb der Gewerkschaften. Es gibt die zentralen Führungen, GewerkschaftssekretärInnen und freigestellte BetriebsrätInnen, für die die Gewerkschaftsarbeit auch Erwerbsarbeit ist. Es gibt ehrenamtliche FunktionärInnen, einfache Mitglieder, die in Streiks und im Betrieb aktiv sind, und viele Mitglieder, die nur Beiträge zahlen. Für ihre jeweilige politische Praxis macht es einen großen Unterschied, ob es sich z.B. um eine Vertreterin der IG Metall-Führung, eine aktive Pflegekraft in einem Krankenhaus, einen linken Gewerkschaftssekretär oder eine Beschäftigte in der Autoindustrie handelt. Sie alle arbeiten nicht nur in unterschiedlichen Branchen, sondern haben auch unterschiedliche Positionen innerhalb der kapitalistischen Klassengesellschaft und der gewerkschaftlichen Organisation und daraus abgeleitet zum Teil auch unterschiedliche Interessen.
Für Linke sowohl in der Gewerkschafts- wie auch der Klimabewegung ist es daher wichtig, genau zu schauen, welche Praxis Hauptberufliche, Ehrenamtliche und Betriebsaktive innerhalb der Gewerkschaften haben. Wo dominieren Sozialpartnerschaft und Co-Management und wo Konflikt- und Beteiligungsorientierung? Ähnliches gilt auch für die verschiedenen AkteurInnen in der Klimabewegung, von denen die einen auf systemkonformen Umwelt-Lobbyismus und Kooperationen mit den Institutionen des bürgerlichen Staates setzen und andere auf selbstermächtigende Massenmobilisierungen, zivilen Ungehorsam und Systemwechsel.
Klimagerechtigkeit ist eine Klassenfrage – global wie national
Eine weitere wichtige Frage ist, worin genau der Interessengegensatz beim Klimaschutz besteht. Der Debatten-Aufschlag von Tadzio Müller legt nahe, es ginge um den Konflikt »Klima vs. Arbeitsplätze«. Auf der einen Seite stehe die Klimagerechtigkeitsbewegung, die die Interessen des globalen Südens vertritt, und auf der anderen Seite der »reiche globale Norden« oder genauer die deutsche Autogesellschaft und ihre Gewerkschaften. Diese Konstruktion ist hochproblematisch, weil sie die kapitalistischen Klassenverhältnisse nicht analysiert. Sie trennt, was politisch zusammengehört, und wirft in einen Topf, was getrennt werden müsste. So sitzt die ArbeiterInnenklasse in der BRD auf einmal im selben Boot wie das nationale Kapital, die Grenzen verlaufen vorgeblich zwischen den Staaten und nicht zwischen Ausbeutenden und Ausgebeuteten.
Selbstverständlich ist der Großteil der Menschen im globalen Süden ganz anders von der Klimakrise betroffen als in der BRD und ein ökologischer Umbau würde für viele Menschen hier weniger materiellen Wohlstand bedeuten – wenn auch nicht zwingend weniger Lebensqualität! Trotzdem bleibt Klimagerechtigkeit eine Klassenfrage und zwar global sowie innerhalb der jeweiligen Staaten im Süden wie im Norden. Es sind die kapitalistische Klasse und deren politisches Personal, die hier wie dort die Lohnabhängigen ausbeuten und ein Wirtschaftssystem schützen, dessen Profitdiktat unweigerlich in die globale Klimakatastrophe führt. Der wirkliche Interessengegensatz lautet also »Klima vs. Kapital« und ist damit ein Klassenkonflikt. Die Lohnabhängigen überall auf der Welt haben das gemeinsame Interesse, nicht ausgebeutet zu werden und in einer intakten Umwelt leben zu können – auch wenn dieses nicht automatisch zu einem gemeinsamen Bewusstsein und kollektiver Handlungsfähigkeit führt. Demgegenüber steht das Interesse des Kapitals, Mensch und Natur für den Profit so lange und so maximal auszubeuten, wie es nur geht. Wer diesen Interessengegensatz nicht als politischen Ausgangspunkt setzt, unterstützt die Erzählung über die nationale Schicksalsgemeinschaft und trägt zur Verfestigung der Spaltung der Lohnabhängigen bei.
Interessengegensätze werden uns aufgezwungen
Wenn es nun eigentlich das gemeinsame Interesse aller Lohnabhängigen auf der Erde ist, das Klima zu schützen, warum agieren dann Teile der Gewerkschaften gegen den ökologischen Umbau? Tatsächlich gibt es innerhalb der kapitalistischen Zwänge Interessengegensätze zwischen Klimabewegung und Beschäftigten. Dem Kapital ist es nämlich egal, wie es Profit macht und ob dabei Arbeitsplätze und damit ökonomische Existenzgrundlagen verschwinden. Solange also die Profitorientierung den ökologischen Umbau bestimmt, gibt es keine soziale Sicherheit für die Beschäftigten. In einigen Branchen sind diese innerkapitalistischen Interessengegensätze stärker und betreffen viele (Automobilindustrie) oder wenige (Kohlekraft) Lohnabhängige. In anderen gibt es aber eine deutliche Interessenüberschneidung (ÖPNV). Auszuschließen ist aber, dass das Kapital die Produktion ökologisch und klimagerecht umbauen wird, wenn die Gewerkschaften sie nur endlich lassen würden.
Ein ökologischer Umbau könnte problemlos mit einer sozialen Beschäftigungsgarantie verbunden werden, entsprechende Konversions-Konzepte, Technologien und auch gesellschaftliche Bedürfnisse sind bereits vorhanden. Aber das funktioniert nicht bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der kapitalistischen Profitorientierung. Und genau dort liegt der Kern des Problems. Wer das Klima schützen und einen radikalen ökologischen Umbau durchsetzen will, muss die Macht des Kapitals und seiner Institutionen brechen. Ohne den Aufbau wirksamer Gegenmacht wird die Klimabewegung daran scheitern.
Klimaschutz bedeutet also System Change – alle systeminhärenten Versuche, die die Eigentums- und Machtverhältnisse nicht antasten, werden in die Klimakatastrophe führen. Wie kann also der notwendige ökologische Umbau erkämpft werden – und wie nicht? Es sind die organisierten Lohnabhängigen (Gewerkschaft genannt), die tatsächlich die wichtigste Machtressource zur Überwindung des Kapitalismus und damit der Voraussetzung eines wirksamen Klimaschutzes besitzen: Streik, kollektive Produktionsstilllegung, ist das wirksamste Mittel zur Durchsetzung von sozialen und ökologischen Bedürfnissen.
Entscheidend ist, gemeinsam handlungsfähig zu sein
Die Klimabewegung und die gewerkschaftliche Bewegung werden durchsetzungsstärker, wenn sie gemeinsame Interessen in den Vordergrund stellen und dort, wo es möglich ist, gemeinsam kämpfen. Die Klimabewegung wird stärker, wenn sie Zugang zur Produktionsmacht der Beschäftigten erhält, weil durch Streiks höherer Druck ausgeübt werden kann. Arbeitskämpfe werden erfolgreicher sein, wenn sie nicht isoliert geführt werden, sondern andere gesellschaftliche Bewegungen einbeziehen. Sie können vom aktivistischen Potential der Klimabewegung und der Zusammenarbeit mit motivierten jungen Menschen profitieren.
Was bedeuten diese Überlegungen nun für unsere Praxis? Ein Anfang wäre zu schauen, welche Teile der Gewerkschafts- und Klimaaktiven mindestens potenziell eine antikapitalistische Orientierung haben. Die gegenseitige Unterstützung muss vor allem in konkreten Kämpfen stattfinden (und nicht nur auf diskursiver Ebene) und von der Basis der Bewegungen ausgehen (und nicht auf die jeweiligen Führungen fokussieren). Beschäftigte und Aktive an der Basis brauchen Räume zum Austauschen, Verständigen und Entwickeln gemeinsamer Handlungsfähigkeit. Dies wäre verbindende Klassenpolitik im besten Sinne. Erste Erfahrungen gibt es bereits, z.B. bei der Unterstützung von Protesten von Krankenhausbeschäftigten durch Ende Gelände oder bei Fridays for Future und ver.di im Bereich ÖPNV. Teile der Gewerkschaftsapparate werden weiterhin an sozialpartnerschaftlichen und innerkapitalistischen Scheinlösungen festhalten, aber wir sollten uns daran nicht abarbeiten, während sich in der Krise die Klassenkämpfe weiter zuspitzen werden und es für die Linke gilt, diese zu unterstützen und mit antikapitalistischen Forderungen eines radikalen ökologischen Umbaus zu verknüpfen.
Was folgt aus all dem jetzt für unseren Umgang mit den Beschäftigten in ökologisch nicht tragbaren Branchen und den Industriegewerkschaften? Tadzio Müller wirft in seinem Artikel konkrete Fragen auf. Mit unserem Debattenbeitrag wollten wir diese nicht beantworten, sondern den Prämissen seiner Fragen einen differenzierten Zugang entgegensetzen. Die Debatte um diese großen Herausforderungen ist damit also auch aus unserer Sicht nicht beendet, aber eine theoretische Basis umrissen, von der aus wir gemeinsam handeln und konkrete Lösungen finden können.
* Elisa Hüller (Klimaaktivistin und Psychologin) und Benjamin Körner (Organizer und Sozialwissenschaftler) sind ReferentInnen des Projekts »Klimagerechtigkeit und Arbeitskämpfe«. Ziel des sich in der Vorbereitungsphase befindenden Projektes ist die Unterstützung gemeinsamer Handlungsfähigkeit von Gewerkschafts- und Klimaaktiven durch Vernetzungs- und Bildungsarbeit.
express im Netz und Bezug unter: www.express-afp.info