Griechische AktivistInnen sind über den 1. Mai in Deutschland: Rede von Eurydike Bersi

Rede von Eurydike Bersi, die sie auf mehreren Veranstaltungen gehalten hatGriechische AktivistInnen sind über den 1. Mai in Deutschland

Guten Abend und herzlichen Dank an euch alle, dass sie heute Abend hier sind. Dass wir heute Abend eingeladen sind, ist ein deutliches Signal der Solidarität und wir schulden den Organisatoren  großen Dank dafür.

Es ist nicht die Art von distanzierter Solidarität, die wir angesichts der Opfer einer schrecklich weit entfernten Naturkatastrophe zeigen. Der von Menschen gemachte Tsunami, der die Bevölkerung Südeuropas getroffen hat, bewegt sich nordwärts. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse ihn zu untersuchen und nach Möglichkeiten zu versuchen ihn zu überleben – vereint.

Ich möchte mit dem Dank dafür beginnen, dass ihr nicht an die absurde These glaubt, dass wegen Griechenland das deutsche Einkommen stagniert und die deutschen Sozialleistungen schlechter werden. In der Dunkelheit unseres schwarzen Loches ist es tröstlich zu wissen, dass es tatsächlich Menschen in Deutschland gibt, die nach tieferen Erklärungen suchen. 

Ich habe für die Organisatoren als Geschenk ein paar Seifen mitgebracht, selbst hergestellt von Eltern und Lehrern einer Grundschule und eines Kindergartens in Keratsini, in der Nähe von Piräus. Damit unterstützen sie 40 Familien, die nicht genug zum Leben haben. Es kann zwar sein, dass diesen Familien ihre Wohnungen gehören, in denen sie leben, wie es in Griechenland üblich ist. Der jüngsten EZB-Studie zufolge, die im Übrigen auf Hauspreisen von 2010 basiert, d.h. von vor der Krise, sind diese Haushalte reich, da ihre Wohnungen eventuell bis zu 100 000 Euro wert sein können. Aber sie können sie gar nicht verkaufen – der Häusermarkt existiert gar nicht mehr. Sie können die Sondereigentumssteuer nicht bezahlen, die mit der Elektrizitätsrechnung erhoben wird – deshalb wird ihnen die Stromversorgung gekappt. Wenn die neuesten Pläne umgesetzt werden, d.h. dass sie mit ihrem Eigentum für ihre Schulden bezahlen müssen, dann werden sie bald auch ihre Wohnungen verlieren.

Sie könnten natürlich in Sozialwohnungen ziehen, das Problem ist nur, dass es diese in Griechenland nicht gibt; oder vom Kindergeld leben, welches nicht gekürzt worden ist, weil es das nie gegeben hat; oder sie könnten „aufstocken“, was allerdings in Griechenland völlig unbekannt ist. So viel zu der Behauptung, dass wir reicher seien als der Durchschnittsdeutsche. Ich möchte nicht unsere Situation mit dem Los von Familien vergleichen, die hier von Hartz IV oder mit Ein-Euro-Jobs leben müssen. Das ist nicht der Punkt. Wir sollten uns nicht gegenseitig in die  leeren Geldbeutel schauen um dort Einsparungen zu finden. Um ein  niedriges Durchschnittsvermögen in Deutschland zu entdecken unterschlägt die EZB das Vermögen der großen Unternehmen, die das meiste Vermögen in Deutschland besitzen. Wenn die Wohnungen in so wenigen Händen konzentriert sind, dass die meisten Menschen in Mietwohnungen leben müssen, so dass riesige Immobilienfirmen monatlich immer reicher werden, während 80% der Griechen eigene Wohnungen haben, dann müssen Deutsche wirklich böse werden. Aber böse auf wen?

Im Jahr 2010 entfaltete sich im Verborgenen, genau in dem Moment, als die europäische Öffentlichkeit mit Geschichten über faule und korrupte Griechen gefüttert wurde, eine riesige Operation zur Rettung von waghalsigen französischen und deutschen Banken. Der deutsche Bankensektor ist dreimal größer als die gesamte deutsche Wirtschaft, da er seine Bilanzen mit riskanten Investments und wilder Spekulation aufgebläht hatte – und er hat seine atemberaubenden Verluste in Bad Banks verschoben – wer dafür haftet, das wisst ihr. Das Letzte, was die Banken wollten, waren noch mehr Verluste auf griechische Anleihen, deshalb luden sie ihre griechischen Schulden still und leise auf euch ab, die Steuerzahler. Der Ausdruck „Rettungspaket“ führt in die Irre, es sei denn, man meint damit die Rettung der Banken  – auf Kosten von Athen, Lissabon, Dublin oder Madrid und natürlich auf Kosten der deutschen Steuerzahler.

Nun zu der anderen brillanten Idee, die neuerdings die Runde macht, wenn man sich nicht am Eigentum der armen Leute vergreifen will:  die teilweise Enteignung von Bankeinlagen über 100.000 Euro. „Wer würde da etwas dagegen haben?“ Ich höre oft: „Endlich müssen die Reichen bezahlen.“ Nun, das stimmt nicht ganz. Zunächst einmal scheint die 100.000er Grenze durchaus veränderbar zu sein, je nach Situation. Zum zweiten, und dies ist sehr wichtig, was geschieht, wenn –und das haben wir gesehen im Fall Zyperns, dessen Wirtschaft auf Knopfdruck buchstäblich in die Luft gejagt wurde- wenn also diese Konten über 100 000 Euro dafür bestimmt sind, Gehälter auszuzahlen? Was ist, wenn  sie Gesundheits-, Versicherungs- oder Rentenkassen gehören? Ich kann euch versichern, dass es kaum etwas Traurigeres gab, als die SPD von Sieg reden zu hören, während ein ganzes soziales Sicherungssystem, ja eine ganze Volkswirtschaft, ruiniert wurde.

Nun, die Sparpolitik, die vom IWF, der ein Instrument der Banken ist, und der Merkel-Regierung diktiert wird, die behauptet im Auftrag von Otto Normalverbraucher zu handeln, also diese tödliche Politik ist dabei nach Deutschland zurückzukommen wie ein Bumerang. Indem die Schuldenbremse jedermann aufgezwungen wird und die Wirtschaft der Eurozone abwürgt, bringt Deutschland seine wichtigsten Kunden um. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie die Handelsbilanz mit Russland, Libyen, Norwegen, China und Japan aussieht? Nun, wie uns Professor Varoufakis informiert, hat Deutschland hier ein Defizit von 43,2 Milliarden. Und wer gleicht das aus? Wer importiert von Deutschland so viel mehr, als es dorthin exportiert? Nun, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Zypern und Irland haben von Deutschland im Umfang von 54,6 Milliarden mehr importiert als exportiert.

Aber das war alles im letzten Jahr. Nun ist die Nachfrage der Eurozone eingebrochen und die Rezession hat sogar Deutschland erreicht. Ihr hört natürlich nicht viel davon, weil dies ein Wahljahr ist. Wenn die Vergangenheit einen Hinweis gibt, dann den, dass die Krise zum Vorwand genommen wird, das Machtverhältnis zu verschieben zum Schaden der Bevölkerung – aber lieber nach den Wahlen. Es gibt Wege, die Krise zu überwinden, ohne dass man all das abbaut, was die Arbeiterbewegung im letzten Jahrhundert erreicht hat. Die Wirtschaftspolitik hat verschiedene Instrumente zur Verfügung, die aber ignoriert werden, weil die herrschende Klasse die Krise als eine Gelegenheit begreift. Zum Beispiel: Als Deutschland im Jahr 1953 hoch verschuldet war, urteilten die Gläubiger, darunter Griechenland,  nicht über die deutschen Ausgaben im Krieg. Sie trafen sich in London und beschlossen, sofort 50% der deutschen Schulden zu streichen und die Rückzahlung des Restes vom wirtschaftlichen Wachstum abhängig zu machen.
Vergleicht das nun mit der so genannten Rettungspolitik, die die südlichen Länder zerstört, während sie gleichzeitig unglaubliche Gelegenheiten für die Expansion des deutschen Kapitals schafft. Expansion im Süden, wo Staatsbesitz an ausländische Investoren für’n Appel und ‘n Ei verscherbelt wird und Unternehmen von Arbeitskosten entlastet werden – sehr bald wird diese Expansion auch hier stattfinden, auf Kosten eurer Rechte, eurer Renten, eurer Gehälter. Und wenn  die deutschen Eliten ihre lang ersehnten Ziele erreichen werden, werden sie sicherlich uns Griechen die Schuld geben.

Seid ihr bereit?

Siehe zum Hintergrund: Griechische AktivistInnen sind über den 1. Mai in Deutschland

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=35007
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