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[Syndikat] Neues Räumungsurteil in Berlin: Klassenjustiz auf Kurs
„… Das Landgericht Berlin hat am Dienstagmorgen einen Räumungstitel gegen die Neuköllner Kiezkneipe Syndikat erlassen. “Die Beklagten wurden verurteilt, die Räume zu verlassen und an die Klägerin herauszugeben“, so ein Gerichtssprecher zur taz. Außerdem habe das Syndikat die Kostend es Verfahrens zu tragen. Eine Räumungsfrist gibt es aber noch nicht; das Urteil und die Begründung wird den Verfahrensbeteiligten in den nächsten Tagen zugesandt. Syndikat-Betreiber Christian sagte der taz: „Das Urteil war leider abzusehen, weil der Schutz des Eigentums das höchste Gut ist.“ Aufgeben will das Betreiberkollektiv noch nicht, stattdessen warte man auf das schriftliche Urteil. „Wir werden uns das genauer anschauen und dann die nächsten Schritte und Möglichkeiten überlegen“, so Christian. Eine Berufung gegen das Urteil ist möglich, angerufen werden kann die nächst Höhere Instanz, das Kammergericht (…) In einem am Dienstag veröffentlichten Aufruf unter dem Titel „Kein Haus weniger“ fordern mehr als 50 alternative Haus- und Kulturprojekte der Stadt einen Bestandsschutz für das Syndikat und alle weiteren bedrohten Projekte. „Ohne seine alternativen Haus- und Kulturprojekte wäre Berlin lediglich die Stadt, in der mal die Mauer stand. Sie wäre sozial, politisch und kulturell um Vieles ärmer“, heißt es in dem Brief. Unterschrieben haben Häuser und Projekte, die aus Besetzungen der 1980er und 1990er Jahre hervorgegangen sind. „Wir sind der lebendige Beweis dafür, dass sich selbstbestimmtes Leben und soziale Räume nicht mit, sondern nur gegen Profitinteressen durchsetzen lassen“, schreiben sie…“ – aus dem Beitrag „Syndikat kämpft weiter“ von Erik Peter am 26. November 2019 in der taz online über das Urteil und erste Reaktionen wie Kommentare. Siehe dazu auch den genannten Solidaritätsaufruf zahlreicher Projekte und Gruppierungen, einen Beitrag, in dem auch der von der Justiz geförderte „Eigentümer“ benannt wird, sowie einen Artikel, der den Widerstand gegen den gesamten Prozess der „Veredelung“ der Stadt durch die sogenannten Investoren auf Kosten der Menschen befördern möchte:
- „Kein Haus weniger!“ ist der im obigen Beitrag erwähnte gemeinsame Aufruf zahlreicher Projekte und Organisationen aus Anlass dieses Prozesses, in dem es unter anderem auch zu geschichtlichen Erfahrungen noch heißt: „… Die Geschichte der Besetzungen in Berlin ist eine Erfolgsgeschichte. Ab Ende der 1970er Jahre verhinderten zahlreiche Instandbesetzungen die so genannte “Kahlschlagsanierung”, also den Komplettabriss des Kreuzberger Kiezes “SO36″. 1981 waren 168 Häuser in Berlin besetzt, davon 86 in Kreuzberg. In den folgenden Jahren konnten durch die Besetzungswelle und die enormen Mobilisierungen die bestehende Bausubstanz und die kleinteilige Kiezkultur Kreuzbergs bewahrt werden. Berlinweit wurden bis zu 100 der besetzten Häuser „legalisert“, viele von ihnen erhielten für ihre Sanierung Gelder aus dem Senatsprogramm „Bauliche Selbsthilfe“. Auch heute noch sind Genossenschaften und Selbstverwaltung, wie sie bspw. das Mietshäusersyndikat fördert, der sicherste Schutz vor Mieterhöhungen und Verdrängung…“
- „Räumungsurteil gegen Traditionskneipe“ von Sandra Schönlebe am 27. November 2019 in der jungen welt weist noch darauf hin, wessen Eigentum da wieder mal geschützt wird – und dass weitere Aktionen dieser eindeutigen Justiz demnächst zu erwarten sind: „… Dem Syndikat-Kollektiv wurde bereits zum 31. Dezember 2018 gekündigt, doch man entschied sich zum Weiterbetrieb und recherchierte, wer da eigentlich unbedingt die kleine Kneipe schließen möchte (jW berichtete). Heraus kam, dass es sich bei den Eigentümern um die Großinvestorenfamilie Pears aus Großbritannien handelt, die sich systematisch hinter Briefkastenfirmen versteckt. Auch deshalb ist sie in Berlin nahezu unbekannt, obwohl ihr inzwischen mehrere tausend Wohnungen in der Stadt gehören. Nach über 30 Jahren steht das Syndikat nun also vor dem Aus, da ähnliche Räumlichkeiten in der Umgebung zu bezahlbaren Konditionen nicht zu finden sind. Gegenüber junge Welt äußerte Kollektivmitglied Christian, dass man eine Berufung mit Hilfe des Mietrechtsanwalts Benjamin Hersch in Ruhe prüfen werde, sobald das Urteil in vollständiger Form mit Begründung vorliegt. Ab der Zustellung haben die Betreiber einen Monat Zeit, um das Rechtsmittel einzulegen. Sollte die Entscheidung nicht dem Kammergericht zur Überprüfung vorgelegt werden, wird das Urteil rechtskräftig und kann durch einen Gerichtsvollzieher vollstreckt werden. Nicht nur die Neuköllner Kneipe ist derzeit akut bedroht. Auch andere alternative Projekte sind gefährdet. So beispielsweise die »Kadterschmiede« in Friedrichshain oder die »Potse« in Schöneberg. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass das überregional bekannte Hausprojekt »Köpi« mit angrenzendem Wagenplatz erneut zum Verkauf stehen soll. Schon in wenigen Wochen steht die mündliche Verhandlung gegen die Kiezkneipe »Meuterei« in Kreuzberg an. Sie besteht seit über zehn Jahren. Am 12. Dezember ist der Termin vor dem Landgericht angesetzt, wo vermutlich erneut reichlich Polizisten eingesetzt werden...“
- „Solidarität mit allen bedrohten Projekten – Gegen die Stadt der Reichen!“ von Linie 206 am 26. November 2019 bei de.indymedia zur Einordnung dieses Urteils in einen Gesamt-Entwicklungsprozess unter anderem: „… Statt selbstverwalteter Jugendsubkultur sollen dort sogenannte Co-living-spaces entstehen. Die linke Kiezkneipe Syndikat hat gerade ihren Räumungstitel bekommen und soll ebenso, wie die Meuterei finanzstärkeren Mieter*innen und ihre Gäste zahlungskräftigerer Kundschaft Platz machen. In Friedrichshain soll das queer-feministische Hausprojekt Liebig34 den Profitinteressen von Gijor Padovicz weichen und auch die KØPI und der Wagenplatz ist wieder mal räumungsbedroht. Auch wenn die aktuelle Entwicklung der Stadt weder neu, noch überraschend ist, verschlägt uns die derzeitige Dynamik trotzdem manchmal die Sprache und vor allem ist und bleibt sie eine Riesensauerei! Viele langjährige, lebendige und politisch wichtige Projekte sind in den letzten Jahren geräumt worden, um der Stadt der Reichen Platz zu machen: Yorck59, Brunnen183, Liebig14, Friedel54, O-Platz, Gerhardt-Hauptmann-Schule, Teppichfabrik, Cuvrybrache, G17A, DieselA und so weiter und so fort. Waren früher vor allem unkommerzielle widerständige Orte Ziel gerichtlich unterfütterter Vertreibungspolitik, kämpfen seit einigen Jahren sogar Hausgemeinschaften, Mieter*innen und Kleingewerbe ums überleben. In Berlin ist anscheinend nur noch Platz für die Reichen. Das Kapital frisst sich mit einer offenbar maßlosen Gier durch die Kieze. Dass viele Menschen mittlerweile an den Stadtrand oder in die Obdachlosigkeit gedrängt wurden, dass es in vielen Kiezen kaum noch Läden des täglichen Bedarfs gibt, dass unkommerzielle Freiräume und Widerstandsnester Stück für Stück verschwinden, ist kein Missstand, kein Versehen, kein Kollateralschaden einer sonst erfolgreichen Standortpolitik, sondern Konsequenz einer gezielten kapitalistischen Politik gegen die Armen und Unangepassten. Der Widerstand gegen die kapitalistische Stadt hat in den letzten Jahren eine erfreuliche Dynamik angenommen, leider genau wie die galoppierende Gentrifizierung selbst. Einige kleine Zugeständnisse hat die Mietenbewegegung dem Senat abringen können, Law-and-Order-Henkel hat sich an der Rigaer94 die Zähne ausgebissen, der Google Campus wurde von der Nachbarschaft verhindert und Berlin wird wohl noch lange auf Olympia warten müssen. Doch an der neoliberalen Logik der Standortpolitik oder gar der Warenförmigkeit des Wohnungsmarktes hat bisher niemand wirklich zu rütteln vermocht. Auch die Berliner Linie hat die Kampagne #besetzen, trotz einer beeindruckend ausdauernden Besetzungskampagne, noch nicht zu Fall bringen können…“
- Siehe zu Syndikat v.a. unseren Beitrag vom 11. Februar 2019: Syndikat in Neukölln/Berlin: Ist „amtlich geschlossen“. Macht weiter