Exerzierplatz Berlin: Jagd auf Obdachlose wurde seit Jahren vorbereitet

Soll endgültig obdachlosenfrei gemacht werden - Hansaplatz Berlin„… An verschiedenen Plätzen in Berlin, an denen sich Obdachlose aufhalten, bieten ihnen die ehrenamtlich arbeitenden Helfer/innen ein gesundes Essen, einen warmen Tee und saubere Kleidung an. Seit einigen Monaten gehört auch der Hansaplatz in Moabit zu diesen Orten. „Es kommen immer viele Menschen, die froh sind, sich zumindest einmal die Woche einmal satt zu Essen“, erzählt Falko Stein, einer der Helfer, gegenüber MieterEcho Online. Doch ein Teil der Bewohner/innen rund um den Hansaplatz ist über dieses ehrenamtliche Engagement gar nicht erfreut. Sie werfen dem Verein vor, Wohnungslose anzulocken und damit den Kiez abzuwerten. Zum Sprachrohr der KritikerInnen der Obdachlosenhilfe machte sich der SPD-Politiker Thomas Isenberg, der seinen Wahlkreis im Hansaviertel hat. Auf einer von ihm moderierten Veranstaltung „Sicherheit und Sauberkeit im Hansaviertel“ am Dienstagabend machte Isenberg im Gymnasium Tiergarten mehrmals klar, dass der Hansaplatz in einem Jahr sauber sein soll und dazu sei er auch bereit, die Wohnungslosen von dort zu verdrängen.  Isenberg hatte Vertreter/innen der Polizei und des Ordnungsamtes sowie den Vorsitzenden des Bürgervereins Hansaviertel Matthias Rudolph auf das Podium  eingeladen. Gleich am Beginn regte sich eine besorgte Bürgerin über „Osteuropäer“  auf, die bestimmt keine „syrische Flüchtlinge“ seien und vor dem Eingang zu ihrem Abstellplatz für ihr Fahrrad sitzen würden. Andere störten sich daran, dass Obdachlose vor den Einkaufsmärkten stehen und auf Bänken rund um den Hansaplatz sitzen würden. Es war der anwesende Polizeikommissar Mario Kanisch, der entgegen den subjektiven Bedrohungsgefühlen einiger Anwesender klarstellte, dass die Kriminalität rund um den Hansaplatz zurückgegangen ist. Daher hätte das Verwaltungsgericht entschieden, dass dies kein Kriminalitätsbelasteder Ort (KBO) ist, was die Rechte aller Nutzer/innen am Platz stärkt und die polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten reduziert. Das störte neben manchen Anwesenden auch Thomas Isenberg, der dazu aufrief, alles was stört, zur Anzeige zu bringen, beispielsweise, wenn jemand auf einer Bank schläft oder in eine Hecke pinkelt…“ – so wurde es vor mehreren Jahren bereits in dem Beitrag „SPD-Politiker will Wohnungslose vom Hansaplatz verdrängen“ am 16. Dezember 2016 im Mieter-Echo online externer Link von der Stimmungsmache berichtet – der jetzt praktisch gefolgt wird – von einem sogenannten privaten Sicherheitsdienst, der die Jagd auf Obdachlose umsetzt, in einem Berliner Bezirk, wo dies schon länger „Tradition“ hat… Siehe dazu auch zwei weitere – aktuelle – Beiträge über die privaten Jäger und ihre UnterstützerInnen, sowie einen weiteren älteren Beitrag zu den sozialen Bedingungen, wie sie sich nicht nur in dieser Gegend auswirken:

  • „Obdachlose verboten“ von Marie Frank am 22. Juni 2020 in neues deutschland online externer Link zur aktuellen Entwicklung des alten Vorhabens: „… Eine neue Platzordnung, die die Shopping-Center im Hansaviertel GmbH herausgegeben hat, untersagt Alkoholkonsum außerhalb von Gastronomien. Auch Nächtigen und Betteln sowie »unnötiger Aufenthalt« sind untersagt. Durchgesetzt werden die Regeln von einem privaten Sicherheitsdienst, der vor allem die Obdachlosen immer wieder von ihrem angestammten Platz vertreibt. Dass ein Unternehmen auf seinem Privatgrundstück Regeln aufstellt und diese auch durchsetzt, ist an sich nicht ungewöhnlich. Doch beim Hansaplatz handelt es sich zum Teil um öffentlichen Raum – und hier gelten normalerweise die Gesetze des Landes Berlin beziehungsweise des Bundes. Alkohol- oder Bettelverbote sind darin nicht enthalten. (…) Die Platzregeln und der private Sicherheitsdienst sind für Gangway jedoch nur ein Teil des Problems. »Dass hier jemand ganz offensichtlich seine Kompetenzen überschreitet, ist das eine. Skandalös ist jedoch, dass das Bezirksamt Mitte dies nicht nur duldet, sondern aktiv unterstützt«, sagt Juri Schaffranek von Gangway. 40 Prozent der Kosten, die für den Platzdienst anfallen, werden nämlich vom Bezirk übernommen. Der Bürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, sieht darin kein Problem. Der Bezirk übernehme einen Kostenanteil für die Kontrolle der öffentlichen Flächen, teilt der Grünen-Politiker auf nd-Anfrage mit. »Seit Jahren beschweren sich Anwohnende sowie Gewerbetreibende am Hansaplatz über problematisches Verhalten einiger Gruppen und Einzelpersonen, die sich sehr aggressiv verhalten und diese zum Teil auch körperlich bedrohen«, so von Dassel. Hinzu kämen Gewaltvorfälle unter den wohnungslosen Menschen und »eine fortwährende Verschmutzung, auch mit Fäkalien, von öffentlichen Aufenthaltsbereichen«...“
  • „Betteln und hausieren verboten“ von Manuela Heim am 18. Juni 2020 in der taz online externer Link zu dem gutbürgerlichen Echo auf das Vorgehen unter anderem: „… Der Skandal aus Sicht der Streetworker: Das von einem Sicherheitsdienst kontrollierte Gebiet, auf dem die Platzordnung gilt, umfasst sowohl Privatgelände als auch den öffentlichen Platz; der Bezirk beteiligt sich zu 40 Prozent an den Kosten. „Das verstößt gegen das Grundgesetz“, sagt Andreas Abel, seit acht Jahren Straßensozialarbeiter im Bereich des nahe gelegenen Bahnhofs Zoo und immer wieder vor Ort auf dem Hansaplatz. Vor zwei Wochen schrieb Gangway eine Beschwerde an den Bezirk. (…) Eigentlich ging es dem Verein um die Wahrung des Bau- und Gartendenkmals, man strebt die Anerkennung als Weltkulturerbe an. Doch seit Jahren, so erzählt Vorsitzende Brigitta Vogt, geht es immer wieder auch um die Obdachlosen am Hansaplatz. Gerade die älteren Bewohner, von denen viele in den 90ern hier Eigentumswohnungen gekauft haben, hätten Angst, in das Einkaufszentrum zu gehen. Der Grund seien vor allem obdachlose Menschen aus anderen EU-Ländern, die kein Deutsch sprächen und von denen einzelne extrem aggressiv auftreten. „Es gibt ein Fremdheitsgefühl“, sagt Vogt. „Warum kann man die, die hier Stress machen, nicht zurückschicken?“, fragt der Apotheker…“
  • „Die Armut und nicht die Armen bekämpfen“ von Peter Nowak am 14. November 2017 auf seinem Blog externer Link (ursprünglich ebenfalls im Mieter-Echo) zu den sozialen Bedingungen dieser Konfrontation gegen Obdachlose: „… Auch wenn sich die Kundgebung besonders der Verdrängung von Obdachlosen im Bezirk Mitte richtet, wolle man die anderen Bezirke nicht aus der Verantwortung entlassen, betonte Krauß. Besonders in Neukölln werden immer mehr Menschen vor allem aus Osteuropa in die Obdachlosigkeit gedrängt. Aktuell ist eine Romafamilie von der Zwangsräumung aus einer Unterkunft bedroht, die von dem Verein Phione e.V. betrieben wird. Obwohl die Familie alle Vorgaben der Behörden erfüllt, droht sie die Leidtragende eines  Konflikts zwischen dem Verein, der mehr Miete will, dem Jobcenter und der Sozialen Wohnhilfe Tempelhof-Schöneberg zu werden. Das sind keine Einzelfälle. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe Berlin machte am 14.11. auf die dramatische Zunahme der Menschen ohne Obdach aufmerksam und benannte die explodierenden Mietpreise in Ballungsräumen als Hauptgrund.  Da es in Deutschland keine offiziellen Statistiken über wohnungslose Menschen gibt, ist auch die Wohnungslosenhilfe  auf  Schätzungen angewiesen. Danach hatten im vergangenen Jahr ca. 86000 Menschen in Deutschland keine eigene Wohnung. Innerhalb von zwei Jahren sei deren Zahl um 150 Prozent gestiegen. Besonders davon betroffen sind Migrant/innen. Zu den Unterstützer/innen der Kundgebung gehört auch die Bezirksgruppe Wedding der Berliner MieterGemeinschaft. Sie kämpft dagegen, dass Mieter/innen mit wenig Geld durch Zwangsräumungen in die Obdachlosigkeit gedrängt werden. Eine zentrale Forderung ist daher auch der Ausbau des sozialen Wohnungsbaus  für Menschen mit wenig Geld, unabhängig von ihrer Herkunft. Darum wird es auf einer Veranstaltung unter dem Titel „Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus“ gehen, die die Weddinger Bezirksgruppe der MieterGemeinschaft gemeinsam mit der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) am 15.12. um 19 Uhr im FAU-Lokal in der Grünthaler Straße 24 organisiert...“
  • Siehe u.a. auch “Nacht der Solidarität”? Berlin zählt Obdachlose. Strichliste nach Reisepass… und unser Dossier Recht auf Wohnung: Erst recht bei einer Epidemie
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=174435
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