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Dieses Urteil freut die Immobilienmafia: Bundesverwaltungsgericht kippt kommunales Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten
Dossier
„… In ihrem nicht mehr anfechtbaren Urteil stellen sie klar, dass das „Vorkaufsrecht für ein Grundstück, das im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung bzw. -verordnung liegt, von der Gemeinde nicht auf der Grundlage der Annahme ausgeübt werden darf, dass der Käufer in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen werde“. Maßgeblich für das Vorkaufsrecht sei vielmehr, dass zum Zeitpunkt der Geltendmachung bereits konkrete Verstöße gegen die Ziele des Milieuschutzes erkennbar seien. Der Einschätzung der Vorinstanz, wonach auch zu erwartende Nutzungen zu berücksichtigen seien, folgte das Bundesverwaltungsgericht nicht. (…) Bereits im April hatte das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel gekippt mit dem nach Baualtersklassen gestaffelte Höchstmieten und ein Mietenmoratorium für die ganze Stadt auf den Weg gebracht worden war. Mit dem Vorkaufsrecht wird nun auch einem weiteren, wenn auch wesentlich beschränkteren Instrument der Regulierung ein juristischer Riegel vorgeschoben…“ Beitrag von Rainer Balcerowiak vom 10. November 2021 bei Telepolis , siehe dazu:
- Kommunales Vorkaufsrecht gekippt: „Ein Schlag ins Gesicht vieler Mieter“ – Städte fürchten nun, Spekulanten nicht mehr stoppen zu können / Kommentar von Armin Kammrad
- Kommunales Vorkaufsrecht gekippt: „Ein Schlag ins Gesicht vieler Mieter“ – Städte fürchten nun, Spekulanten nicht mehr stoppen zu können
„Im Herzen von Kreuzberg prallt aufeinander, was typisch ist für Berlin: Zwei Häuser, die direkt nebeneinander liegen, nur getrennt durch eine schmale Mauer im Innenhof. Das eine wurde mehrfach verkauft, modernisiert und entmietet – 80 Prozent der Mieter mussten raus. Die Wohnungen werden jetzt für 20 Euro pro Quadratmeter am Markt angeboten. Das andere wurde durch den Bezirk im Vorkaufsrecht erworben, als eine Luxemburger Briefkastenfirma hier kaufen wollte. Die Mieten blieben günstig. Alle Bewohner konnten bleiben – sie sind nicht in den Spekulations-Strudel der großen Städte geraten. (…) Sie haben Glück gehabt, durch das Eingreifen der Öffentlichen Hand mit Hilfe des gesetzlichen Vorkaufsrechts. Mieter Ulrich Netz meint: „Mir sind Tausend Steine vom Herz gekullert, als ich hörte, ich kann im Kiez bleiben“. Und Mieterin Mareike Speide meint: „Wir haben gesehen, wie die Nachbarn einer nach dem anderen auszogen. Das wollten wir auf keinen Fall!“ In ihrem Fall konnte die Kommune vom Kommunalen Vorkaufsrecht Gebrauch machen. Doch diese Möglichkeit hat das Bundesverwaltungsgericht nun grundsätzlich gekippt. (…) Das Bundesverwaltungsgericht erklärte in dem Urteil vom 9.11.2021 [anders wie die Vorinstanzen] solche kommunalen Vorkäufe für rechtswidrig, da das Ziel, die Mieten stabil zu halten, nicht ausdrücklich im Gesetz stehe und die alleinige Annahme, dass ein potenzieller Käufer sanieren und Mieten erhöhen wolle die Stadt nicht dazu berechtige den Kauf zu verwehren und somit dem Markt zu entziehen. „Es ist praktisch tot – ein Schlag ins Gesicht vieler Mieter:innen“, so Caren Ley von den Linken. Auch die mietenpolitische Sprecherin der SPD, Claudia Tausend, will nicht hinnehmen, „dass der Milieuschutz komplett durchlöchert wird.“ Vor allem in den großen Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt hofft man auf eine zügige Neuregelung des Vorkaufrechts im Baugesetzbuch. (…) Die Regierungsparteien könnten den Fehler im Gesetz schnell beheben. Aber die Ampelparteien wollen erst mal prüfen. Die mitregierende FDP ist gegen die erneute Einführung des Vorkaufsrechts. Daniel Föst, baupolitischer Sprecher der FDP Bundestagsfraktion zweifelt ob da „der Euro richtig investiert ist“. Beitrag von Sylvia Blessmann vom 12. Februar 2022 beim ZDF - zur genauen Begründung des BVerwG für seine von den Vorinstanzen abweichende Entscheidung siehe die BVerwG-Pressemitteilung Nr. 70/2021 vom 09.11.2021
- Dazu Anmerkung von Armin Kammrad vom 12. Februar 2022:
„Wichtig ist diese BVerwG-Entscheidung auch, da sie einen Trend markiert, der für bezahlbare Mieten sehr bedrohlich ist (und nicht nur den fragwürdigen Umgang durch das BVerwG betrifft). Sind nun die Renditen aus Vermietung wichtiger als bezahlbare Mieten? Diese Klassenauseinandersetzung im Rahmen des bürgerlichen Rechts haben die Vorinstanzen (VG und OVG) zu Gunsten Letzterem entschieden, wogegen das BVerwG den Profit über bezahlbarem Wohnraum stellt. So war die Klägerin, die sich aus Profitinteresse gegen die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts wendet, eine Immobiliengesellschaft. Zur Verteidigung von Profiten in der Immobilienwirtschaft beruft sich das Gericht auf dem Ausschluss des Vorkaufsrechts nach dem Baugesetz § 26 Abs. 4, in sofern „das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Absatz 2 und 3 Satz 1 aufweist.“. Was vereinfacht ausgedrückt heißt: Handelt es um eine Wohneinheit mit bisher günstigen Mieten, die aktuell den „Festsetzungen des Bebauungsplans“ entspricht (also auch kein sozialgefördertes Objekt ist) besteht kein Vorverkaufsrecht (das mit den Mängel nach § 177 ist hier weniger wichtig). Es kann gekauft und luxussaniert werden. Denn – wie es in der BVerwG-PM wörtlich heißt – „Die vom Oberverwaltungsgericht angestellte Prüfung, ob zukünftig von erhaltungswidrigen Nutzungsabsichten auszugehen ist, scheidet daher aus.“ Für das BVerwG deshalb, weil dies nicht wörtlich im Gesetz steht, vielleicht vom Gesetzgeber auch gar nicht gewollt war und deshalb eine rechtwidrige Interpretation sei. Existenzsicherung im Bereich des Mietens ist also Klassenkampf auch im rechtlichem Bereich, wo es jedoch zumindest der kapitalfreundlichen Ideologie in der Rechtsprechung erschweren würde, wenn entsprechende eindeutige Gesetze existieren würden. Letztlich vergisst das BVerwG aber auf jedem Fall, dass Eigentum nach Art. 14 (2) GG grundsätzlich „dem Wohl der Allgemeinheit dienen“ soll und somit sein Umgang mit dem Vorverkaufsrecht auch als verfassungswidrig interpretiert werden kann. Denn das Profiterzielung durch Immobilien der Allgemeinheit dient, diesen Beweis erbringt das BVerwG nicht, und wird es auch schwerlich erbringen können. Es entpuppt sich jedoch als rechtlicher Vertreter der kapitalistischen Ideologie, dass Profiterzielung der Allgemeinheit dient – auch wenn diese plötzlich auf der Straße sitzen.“ Wir danken!
- Kommunales Vorkaufsrecht gekippt: „Ein Schlag ins Gesicht vieler Mieter“ – Städte fürchten nun, Spekulanten nicht mehr stoppen zu können
- [Vorkaufsrecht] Richter sind wohl Eigentümer. Erneut hat ein Gericht ein wichtiges Instrument für soziale Mietenpolitik gekippt. Wieso? Und wie geht es weiter?
„… Wie ist dieses Urteil zu verstehen? Wie kam es dazu? Und welche Folgen wird der Richterspruch für die angespannte Wohnsituation in Großstädten wie Berlin haben? Immerhin hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg noch am 22. Oktober 2019 sein Urteil so begründet: Da Pohl & Prym eine private Immobiliengesellschaft sei, so müsse man angesichts des Kaufpreises, der „etwa das 25-Fache der marktüblichen Jahresnettokaltmiete beträgt“, davon ausgehen, dass das Unternehmen „beabsichtigt, die Rendite des Mietshauses durch mieterhöhende Maßnahmen zu steigern, was negative Folgen für die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung haben könnte“. Das Oberverwaltungsgericht nahm dann eine detaillierte Güterabwägung zwischen Eigentumsrecht und Sozialbindung vor und argumentierte, die Ausübung des Vorkaufsrechts sei „durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt“. Es gehe nicht darum, in welchem Zustand das Haus sich derzeit befinde, sondern darum, was der Käufer in Zukunft damit bezwecke und welche Auswirkungen dies haben könne. Dem hat das Bundesverwaltungsgericht nun also widersprochen. Das Urteil liegt zwar noch nicht schriftlich vor. Jedoch teilte das Gericht am Tag der Urteilsverkündung mit, das Vorkaufsrecht für ein Grundstück dürfe von der Gemeinde nicht auf den reinen Verdacht hin ausgeübt werden, „dass der Käufer in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen werde“. Diese Begründung lässt vermuten, dass die höchste gerichtliche Instanz inhaltliche Begründungen im Sinne der sozialen Intention des Milieuschutzes außer Acht gelassen und lediglich formal, mit strengstmöglicher Auslegung der Paragrafen des Baugesetzbuchs, entschieden hat. (…) Gefragt ist nun die Bundespolitik, denn das Urteil aus Leipzig hat Auswirkungen weit über Berlin hinaus. Größere Städte mit angespanntem Wohnungsmarkt wie München oder Hamburg haben ebenfalls vom Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht. Umso absurder muten die triumphierenden Kommentare aus Immobilienwirtschaft, CDU und FDP an: Der Berliner Senat könne es eben nicht und habe nach dem Mietendeckel nun auch beim Vorkaufsrecht versagt! Billige Polemik, klar, aber das war zu erwarten nach einem solchen Richterspruch. Abgesehen davon, dass die bisherige rot-rot-grüne Berliner Landesregierung mit beiden Instrumenten versucht hatte, von Verdrängung bedrohte Mieterinnen und Mieter zu schützen, haben diese gar nichts miteinander gemein: Dass der Berliner Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern würde, war nicht abzusehen – zu unterschiedlich waren die rechtlichen Auffassungen dazu. Im Unterschied dazu basiert das Vorkaufsrecht auf einem Bundesgesetz, das in Berlin ebenso ausgelegt wurde wie in vielen anderen Städten auch. (…) Es gibt jedoch politische Gemeinsamkeiten: Mit dem Urteil setze sich „die gerichtliche Aufhebung politischer Regulierungsversuche des Mietenwahnsinns fort“, schreibt Lisa Vollmer, die am Institut für Europäische Urbanistik der Bauhaus-Universität Weimar forscht, in einer Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Eine Serie von höchstrichterlichen Urteilen habe in den vergangenen zwanzig Jahren „den Kündigungsschutz ausgehöhlt, Eigenbedarfsgründe ausgeweitet, Mietobergrenzen in Sanierungsgebieten abgeschafft und die wirtschaftsstrafrechtliche Mietsenkungsmöglichkeit faktisch ausgesetzt“. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April dieses Jahres, welches den Berliner Mietendeckel kippte, habe diese Entwicklung „einen Höhepunkt gefunden“. Der Politik vor Ort sind weitgehend die Hände gebunden, die Kräfte des Marktes haben an Macht gewonnen. Um sie einzuhegen, ist eine Gesetzesänderung auf Bundesebene dringend erforderlich…“ Artikel von Elisabeth Voß vom 22.11.2021 im Freitag Ausgabe 46/2021 - Vorkaufsrechtspraxis gekippt – Bundesgesetzgeber in der Pflicht: Mieterbund fordert unverzügliche Reform des Baurechts
„„Wieder einmal wird deutlich, wie wichtig wasserdichte Gesetze auf Bundesebene sind. So ehrenhaft die Bemühungen einiger Bundesländer auch sind, nimmersatten Immobilienspekulanten entschieden entgegenzutreten – es hilft alles nichts, wenn das einschlägige Bundesgesetz dies nicht hergibt“, kommentiert der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, die gestern bekannt gewordene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, durch die die Ausübung des Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten gekippt wurde (BVwerG 4 C 1.20). Das Problem ist kein auf Berlin beschränktes, sondern eines das ganz Deutschland betrifft. Gemeinden können in Gebieten städtischer Erhaltungssatzungen (Milieuschutzgebieten) Vorkaufsrechte geltend machen. Für den Käufer eines Grundstücks besteht die Möglichkeit, den Vorkauf durch die Gemeinde abzuwenden. Dazu muss er eine Abwendungsvereinbarung unterzeichnen. Darin wird beispielsweise vereinbart, eine bestimmte Miete nicht zu überschreiten oder Eigenbedarfsnutzungen durch den Eigentümer einzuschränken. Diese Praxis wurde erfolgreich in Berlin, aber auch beispielsweise in München, angewandt. Laut § 26 Nr. 4 des Baugesetzbuches, eines Bundesgesetzes, ist das Vorkaufsrecht jedoch ausgeschlossen, solange das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel aufweist. Mit anderen Worten: Die Gemeinde darf das Vorkaufsrecht auch im Milieuschutzgebiet nur geltend machen, wenn es sich um eine zweckentfremdete Schrottimmobilie handelt. Wohnen Mieter im Haus und ist das Haus nicht abrissreif, hat die Gemeinde demnach grundsätzlich keine Möglichkeit, den Kauf durch Dritte abzuwenden. Und das gilt selbst für den Fall, dass allen Beteiligten klar ist, was der Verkauf bedeutet: Verdrängung der Bewohnerinnen und Bewohner und maximale Gewinnabschöpfung durch den Investor. „Solange diese Ausnahme auf Verkäufe in Milieuschutzgebieten Anwendung findet, ist das gemeindliche Vorkaufsrecht ausgehöhlt und nutzlos. Der Bundesgesetzgeber ist jetzt dringend gefragt. Das BauGB muss erneut und schnell reformiert werden!“, fordert Siebenkotten.“ Pressemeldung des Deutschen Mieterbundes vom 10. November 2021