Berliner Mietendeckel 2.0: Wie weit „abgeschwächt“?

Plakat und Logo der Wiener Mietenkampagne„… Die rot-rot-grüne Koalition hat den Plan für einen rigorosen Mietendeckel angesichts heftiger Kritik deutlich entschärft. Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) stellte am Freitag die „Ergebnisse der Verständigung in der Koalition“ vor. Demnach soll die Mietobergrenze bei höchstens 9,80 Euro pro Quadratmeter liegen und nicht bei 7,97 Euro. Auch sollen die Mieten nicht rigoros für fünf Jahre eingefroren werden – „moderate“ Erhöhungen in Höhe der Inflation sollen bis zur Obergrenze möglich sein. (…) Der rot-rot-grüne Senat hatte Mitte Juni Eckpunkte für einen Deckel bei Wiedervermietungen beschlossen. Lompscher legte einen ersten Entwurf vor, der nach Bekanntwerden am vergangenen Wochenende für heftige Kritik sorgte. Auch die Koalitionspartner SPD und Grüne gingen auf Distanz…“ – aus der Meldung „Koalition in Berlin einigt sich auf deutlich entschärften Plan für Mietendeckel“ am 30. August 2019 bei arte.tv externer Link – woraus sich eine „Abschwächung“ um dann doch sage und schreibe beinahe 2 Euro je qm ergeben, und es kann ja wohl niemand behaupten, fast 10 Euro pro Quadratmeter seien irgendeine Art kommunistisches Experiment (tun sie aber natürlich trotzdem, die ganzen Interessensvertreter der Wohnkonzerne). Zum „Mietendeckel“ und der Bewertung seiner Abänderungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf einige aktuelle Beiträge:

„„Die Linken zünden Berlin an“ – warum der Mietendeckel solche Emotionen auslöst“ von Janis Ehling am 01. September 2019 in der Freiheitsliebe externer Link zu den Reaktionen des Besitzbürgertums & Co und der Vorgeschichte des jetzigen Beschlusses: „… Die Enteignungsdebatte hatte in der Berliner SPD für viel Streit gesorgt: die Basis und viele SPD-Anhängerinnen und Anhänger waren dafür, die SPD-Spitze eher dagegen. Es ist in Berlin kein Geheimnis, dass ein Teil der Berliner SPD-Spitze seit Jahren mit der Bauwirtschaft verfilzt ist. Um sich in dieser schwierigen Lage nicht positionieren zu müssen, hat die Berliner SPD-Spitze den Vorschlag eines Mietendeckels ins Spiel gebracht. Der Landesparteitag hat diesen Antrag mit breiter Mehrheit angenommen. DIE LINKE und allen voran die Berliner Bausenatorin Katrin Lompscher haben den Vorschlag schlicht übernommen. Damit hatte die SPD-Führung offenkundig nicht gerechnet. Ein beschlossener Antrag bleibt oft nur Papier. Doch das Berliner Mietenproblem ist drängend. In vielen Bezirken sind die Mieten in nur 10 Jahren auf über das doppelte angestiegen. Berlin ist in wenigen Jahren zum Anlage-Eldorado internationaler Immobilienkonzerne mit Traumrenditen geworden. Die Folgen sind verheerend. Viele Familien können sich ihre Wohnungen nicht mehr leisten und müssen aus ihren Vierteln wegziehen. Immer wieder gehen drastische Fälle durch die Presse: In der Berliner Lenbachstraße erhielten die Mietende Anfang dieses Jahres eine Mieterhöhung um 200%. Was sich verrückt anhört, ist keine Seltenheit…“

„Ran an die Miete“ von Erik Peter am 31. August 2019 in der taz online externer Link ist ein Kommentar, der auch nochmals die „Ausgangslage“ deutlich macht: „… Der Kauf von Immobilien in Berlin und anderen Großstädten versprach bislang eine sichere Rendite. Der dänische Immobilienspekulant Jørn Tækker erwarb 2006 ein Kreuzberger Altbau-Ensemle für 3 Millionen Euro von der Stadt und will es nun für 20 Millionen Euro abstoßen, ohne je einen Cent in die Substanz investiert zu haben: ein leistungsloser Gewinn. Trotz des massiven Kapitalzuflusses in den Immobilienmarkt verbessert sich am Wohnungsangebot nichts. Im Gegenteil: Immer mehr überteuerte Wohnungen verkleinern das Angebot für die Mehrheit. Der Wohnungskonzern Akelius vermietet jede frei werdende Wohnung nach der Sanierung für den doppelten bis dreifachen Preis. 20 Euro pro Quadratmeter im sozialen Brennpunkt; Schamgrenzen gibt es schon längst nicht mehr. Schönen Gruß an die Mietpreisbremse. Gleichzeitig werden immer mehr vormalige Mietwohnungen in Eigentum umgewandelt. (…) Der Mietendeckel ist daher notwendig, um sozialen Frieden zu erhalten. Gegner dieser tiefgreifenden Maßnahme werden weiter auf die vermeintlich schonendere Lösung verweisen: Neubau. Dabei sind, zumindest in Berlin, die Baukapazitäten schon ausgereizt, bebaubare Grundstücke werden rar. Auch löst allein ein Mehr an Wohnungen die Pro­bleme nicht. Im letzten Jahrzehnt wurden fast nur teure Mietwohnungen und Eigentumswohnungen gebaut…“

„Atmend, aber bestimmt“ von Nicolas Šustr am 31. August 2019 in neues deutschland online externer Link sieht in der Endfassung eines „deutliche Konkretisierung“: „… Gegenüber dem am vergangenen Wochenende geleakten internen Papier hat es nun einige Abschwächungen gegeben, die vor allem Überlegungen geschuldet sind, das Ganze rechtlich wasserdicht zu machen. Beerdigt ist demnach die Idee, dass sämtliche Mieten, die über den definierten Obergrenzen liegen, auf Antrag abgesenkt werden müssten. »Die Miethöhen gelten für Wiedervermietung und Mietabsenkungsanträge«, erläutert die Senatorin. Diese sollen aber nur noch möglich sein, wenn die bisherige Nettokaltmiete mehr als 30 Prozent des Nettohaushaltseinkommens beträgt, so wie es jetzt schon bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften der Fall ist. Das bedeutet allerdings auch, dass je nachdem, wie viele Menschen in der Wohnung leben, gewisse Quadratmetergrößen nicht überschritten werden dürfen. Ganz herausgefallen ist auch die angedachte Genehmigungspflicht für die Kündigung von Mietverhältnissen in Eigentumswohnungen wegen Eigenbedarfs. Bei diesem Punkt sei es »noch schwieriger« als bei den restlichen Punkten gewesen, die Zuständigkeit des Landes Berlin zu begründen, erklärt Lompscher. »Es war ein politischer Wunsch, diesen Punkt aufzunehmen. Wir mussten ihn wieder rausnehmen«, bedauert die Senatorin. Änderungen gab es auch bei der von ihr ursprünglich vorgeschlagenen Mietobergrenze von knapp 8 Euro pro Quadratmeter. Zwischen 5,95 und 9,80 Euro nettokalt sollen nun in der Regel bei der Neuvermietung von Wohnungen in vor 2014 bezugsfertigen Häusern maximal verlangt werden dürfen. Der Neubau ist ausgenommen…“

„Mietendeckel durchlöchert“ von Steffen Stierle am 31. August 2019 in der jungen welt externer Link sieht das ganz anders: „… Opposition und Immobilienwirtschaft machten Anfang der Woche gegen die Lompscher-Pläne mobil. Der Berliner CDU-Vorsitzende Kai Wegner kündigte schon mal rechtliche Schritte an. Er habe keinen Zweifel daran, dass der Mietendeckel verfassungswidrig sein werde. »Daher werden wir eine Normenkontrollklage einreichen.« Von einem »beispiellosen Eingriff in die Marktwirtschaft mit unabsehbaren Folgen« sprach Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg e. V. »Keiner wird mehr bauen, sanieren oder instand halten«, prophezeite Marco Buschmann von der FDP-Bundestagsfraktion. Die Aktiengesellschaft Vonovia mit ihren 40.000 Wohnungen in der Hauptstadt jammerte, die Einnahmen könnten um bis zu zehn Prozent zurückgehen. Und der Branchenprimus, die Deutsche Wohnen SE, beklagte einen »Frontalangriff auf den Rechtsstaat«. Die Reaktionen zeigen, das Papier war keines der üblichen sozialpolitischen Placebos, die die Gemüter beruhigen, aber eigentlich nichts ändern sollen. Und der Druck daraufhin hat Wirkung gezeigt. Die Koalitionspartner im Berliner Senat, SPD und Grüne, gingen rasch von der Fahne. Man dürfe nicht das Augenmaß verlieren, sagte SPD-Vizelandeschef Andreas Geisel am Montag. Nicht der radikalste Vorschlag sei der beste. Die grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop teilte am gleichen Tag mit, sie wolle einen »vernünftigen Interessenausgleich zwischen Mieterschutz und einem rechtmäßigen Eingriff in den überhitzten Berliner Mietenmarkt erreichen«. Nicht jeder Vermieter dürfe unter Generalverdacht gestellt werden. Am Mittwoch forderte die SPD einen »Mietendeckel ohne detailliert festgelegte Zahlen für Obergrenzen«. Die Maßnahme sollte wieder auf ein Placebo eingedampft werden. Am Freitag dann Aufatmen unter den Profiteuren und Freunden des radikalisierten Anbietermarktes. Der Mietendeckel werde deutlich abgeschwächt, verkündete Bild…“

„Mietendeckel Berlin: Keinen Schritt zurückweichen!“ von René Arnsburg am 29. August 2019 beim Sozialismus.info externer Link war einer der Beiträge aus linken Gruppierungen, die für die ursprüngliche Variante eintraten: „… Zuerst muss gesagt werden, dass der Vorschlag, einen Mietendeckel für fünf Jahre ab 2020 einzuführen, das Ergebnis eines jahrelangen Kampfes der Berliner Mietenbewegung ist. In Berlin gibt es mittlerweile bis zu 200 Mieterinitiativen. Die Bewegung erreichte einen vorläufigen Höhepunkt in diesem Jahr mit dem Start der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“, die 77.000 Unterschriften sammelte und einer Großdemonstration im April, die 40.000 Menschen auf die Straße brachte. Ähnliche Bündnisse wurden in anderen Städten gegründet und es entbrannte eine bundesweite Diskussion über die Frage der Enteignung von Immobilienkonzernen, die in Umfragen von einer Mehrheit in Berlin und in ganz Deutschland von vierzig Prozent mit „Ja“ beantwortet wurde (…) Sie versucht ihrer Verantwortung auszuweichen, in dem sie sich hinter rechtlichen Argumenten und den Koalitionspartnern versteckt. Der Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen befindet sich derzeit noch in der rechtlichen Prüfung und scheint damit verzögert zu werden. Schon beim Volksentscheid für Gesunde Krankenhäuser verwies DIE LINKE auf die Zuständigkeit der SPD im Innensenat und dass sie gar nichts tun könnte. Das wird ihr beim Mietendeckel nicht mehr gelingen. Der im Juni verkündete Mietendeckel, dessen Details vor einigen Tagen der Presse zugespielt wurden, ist die weitestgehende Maßnahme der Mietenpolitik, die bundesweit in den letzten Jahren von einer Regierungspartei vorgeschlagen wurde. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass gestaffelt nach Jahr des Erstbezugs die Nettokaltmiete auf höchstens 7,97 Euro pro Quadratmeter begrenzt wird. Mieten, die über diesem Betrag liegen, sollen sogar nach einem Antrag an das Bezirksamt gesenkt werden können. Für bis zu 1,5 Millionen Berliner*innen, vor allem innerhalb des Rings, würde das eine reale Erleichterung bedeuten. Mit ihrem Eintritt in die Regierung gemeinsam mit Grünen und SPD hat sich DIE LINKE in einen Widerspruch begeben. Sie kann keine Politik für die Interessen der Mehrheit machen, wenn sie sich im Bündnis mit Parteien befindet, die das Interesse der Kapitalist*innen vertreten…“

„Freude über radikalen Mietendeckel“ von Nicolas Šustr am 31. August 2019 in neues deutschland online externer Link über einige Reaktionen aus der Mietbewegung: „… »Ich sehe den Mietendeckel als eine praktikable Übergangslösung«, sagt Alfons Alois Sterz, Mieterbeirat der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag für Charlottenburg Nord und die Paul-Hertz-Siedlung. »Diese Zeit muss genutzt werden, um in den kommenden fünf Jahren eine breite gesellschaftliche Diskussion zu führen, wie wir in der Wohnungsfrage weitermachen wollen«, so Sterz. Für ihn könnte das durchaus eine Vergesellschaftung des Bestands großer Wohnungsunternehmen sein, wie sie vom Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« gefordert wird. »Wir müssen die Herzen unserer Nachbarinnen und Nachbarn gewinnen«, erklärt der Mieterbeirat. »Die ganzen Heckenschützen, die medial Zweifel säen am Mietendeckel, verunsichern viele Mieter«, sagt Sterz. »Die Leute wissen nicht, wie sie mit den Mieterhöhungsverlangen umgehen sollen, die sie bekommen haben, weil sie keinen Rechtsbeistand haben. Dann lesen sie, dass eine Verfassungsklage angestrengt werden soll«, berichtet er aus seiner Nachbarschaft. Das sorge leider für Skepsis. »Es geht mir nicht um die Kleinigkeiten, sondern dass wir aus einem Guss ein ordentliches Gesetz bekommen, das Bestand hat. Die grobe Linie muss passen«, sagt Sterz über seine Erwartungen an den Mietendeckel…“

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