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Abschiebungen ins autoritäre Nato-Partnerland: Im Windschatten der Russland-Ukraine-Krise wollen deutsche Behörden politisch aktive KurdInnen an die Türkei loswerden

Dossier

Muhammed Tunç soll per Charterflug abgeschoben werden (Foto: ANF)„… So gab es auch wegen die türkischen Bombardements der Selbstverwaltungsgebiete in Nordsyrien und im Nordirak Anfang Februar keine westlichen Sanktionsdrohungen. Begründet wurden diese türkischen Militäroperationen wie üblich mit dem Kampf gegen die auch in Deutschland illegalisierte Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Während sich die Menschen der betroffenen Gebiete von der internationalen Gemeinschaft alleingelassen fühlen, wollen deutsche Behörden politisch aktive Kurdinnen und Kurden loswerden: Abschiebungen in die Türkei werden trotz der harten Repression dort wie selten zuvor forciert. (…) Weitere Kurdinnen und Kurden, denen in Deutschland die Abschiebung droht, hatten erfolglos Asylanträge gestellt, die trotz nachweislicher politischer Verfolgung abgelehnt wurden. Kerem Schamberger kommentierte vor wenigen Tagen für die kurdische Nachrichtenagentur ANF den Fall von Abdulkadir Oguz, der Mitglied der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und in der Türkei zu 25 Jahren und drei Monaten Haft verurteilt ist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) erkennt demnach zwar in seinem Ablehnungsbescheid an, dass Oguz bei seinen früheren Festnahmen von der türkischen Polizei gefoltert wurde, hält aber nicht für wahrscheinlich, „dass der Antragssteller erneut von Folter betroffen sein wird“…“ Artikel von Claudia Wangerin vom 24. Februar 2022 bei Telepolis externer Link und dazu:

  • Zahl der Abschiebungen in die Türkei steigt: »Bund und Länder machen sich zu Erfüllungsgehilfen Erdoğans« New
    Die Zahl der Abschiebungen in die Türkei ist sprunghaft gestiegen. Unter den Betroffenen sind auch kurdische Aktivisten und Politiker. Ein Skandal, finden Menschenrechtler. (…) Schon lange kritisieren Menschenrechtsaktivisten, dass kurdische Aktivistinnen und Oppositionelle noch immer in die Türkei abgeschoben werden dürfen. Trotzdem ist die Zahl der Rückführungen dorthin 2021 im Vergleich zum Vorjahr sprunghaft angestiegen. Dies lässt sich einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken entnehmen, die dem SPIEGEL vorliegt. So wurden im vergangenen Jahr 361 Menschen zurück in die Türkei gebracht, das sind mehr als viermal so viele wie 2020. Damals waren es nur 79. Aufgrund von Corona war die Zahl der Abschiebungen insgesamt zwar vergleichsweise gering. Aber auch 2019, also vor Ausbruch der Pandemie, waren es mit 154 Menschen deutlich weniger als 2021. Abschiebungen sind Ländersache.“ Artikel von Katrin Elger und Steffen Lüdke vom 25.04.2022 im Spiegel online externer Link, siehe auch:

    • Bünger: Bund und Länder machen sich zu Erfüllungsgehilfen Erdogans
      Wie aus einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, werden trotz Krieg und systematischer Verfolgung nur 13,4 Prozent der nordkurdischen Asylsuchenden anerkannt. Eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Clara-Anne Bünger (DIE LINKE) hat erschreckende Zahlen ans Licht gebracht. Nur 13,4 Prozent der Kurd:innen, die vor dem AKP/MHP-Regime aus der Türkei fliehen, erhielten im Jahr 2021 einen Schutzstatus. Bei als „türkischstämmig“ registrierten Antragssteller:innen liegt die Schutzquote bei 77,8 Prozent. Bünger hatte ihre Anfrage aufgrund der vermehrten Abschiebungen von politisch verfolgten Kurd:innen in die Türkei gestellt. Die Abgeordnete wirft Bund und Ländern vor: „Zu Recht wird kritisiert, dass Bund und Länder sich so zu Erfüllungsgehilfen von Erdoğans beispiellosen Angriffen auf Kurden, Linke und Oppositionelle machen. Diese Politik muss umgehend gestoppt werden.“ (…) Aus der Kleinen Anfrage geht hervor, dass es im Jahr 2021 beim  BAMF insgesamt 6752 Entscheidungen in Asylverfahren von türkischen (2846) und kurdischen (3906) Geflüchteten gegeben hat. Auch im Jahr 2022 wurden weit mehr Entscheidungen zu Kurd:innen gefällt als zu Menschen, die als Türk:innen registriert wurden: Im Januar und Februar 2022 gab es insgesamt 1632 Entscheidungen, davon betrafen 639 türkische und 993 kurdische Asylsuchende.
      Erhebliche Diskrepanz bei den Schutzquoten: Obwohl der Verfolgungsdruck für Kurd:innen in der Türkei extrem hoch ist, was auch aus der Zahl der Verfahren deutlich wird, gibt es in den bereinigten Schutzquoten, welche die inhaltlichen Entscheidungen des BAMF widerspiegeln, eine dramatische Diskrepanz. So wurden 2021 nur 13,4 Prozent der kurdischen Asylsuchenden aus dem türkischen Staatsgebiet ein Schutzstatus zuteil, während es bei den als „türkischstämmig“ registrierten Personen 77,8 Prozent waren. Damit lag die Gesamtschutzquote für die Türkei bei 43,3 Prozent…“ Beitrag vom 27.4.2022 bei ANF deutsch externer Link
  • Trotz Haftbefehl, drohender Zwangsrekrutierung und Todesdrohungen: Muhammed Tunç in die Türkei abgeschoben 
    Trotz Haftbefehl, drohender Zwangsrekrutierung und Todesdrohungen ist Muhammed Tunç in die Türkei abgeschoben worden. „Wenn dem Mann etwas passiert, klebt an den Händen der Landesregierung Blut“, sagt sein Anwalt.
    Nachdem seine Abschiebung zweimal durch ihn und das Engagement seines Anwalts und einer aktivistischen Öffentlichkeit verhindert werden konnte, wurde der kurdische Aktivist Muhammed Tunç am heutigen Donnerstag vom Frankfurter Flughafen in die Türkei ausgewiesen – obwohl ihm dort Inhaftierung, politische Verfolgung, Folter und im schlimmsten Fall sogar der Tod drohen. Drei Monate saß der 32-Jährige aus Ulm zuvor in Pforzheim in Abschiebehaft und war währenddessen immer wieder in den Hungerstreik getreten. Doch vergeblich. Die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg ließ bei der Fluggesellschaft Sundair eigens einen Charterflug mieten, mit dem Tunç in die Erdoğan-Diktatur ausgeflogen wurde. Und das trotz eines Haftbefehls, der in der Türkei gegen Tunç wegen nicht geleistetem Wehrdienst vorliegt, und einer Vielzahl von Todesdrohungen, die der Kurde zusätzlich von Gruppierungen und Einzelpersonen aus türkisch-faschistischen Kreisen erhält. „Wenn dem Mann etwas passiert, klebt an den Händen der Landesregierung Blut“, äußerte Rechtsanwalt Detlef Kröger gegenüber Radio Dreyeckland externer Link Audio Datei (RDL). Der Jurist bezeichnete den Fall als Skandal und zeigte sich empört über die offenbar ohne Angabe von Gründen in letzter Minute zurückgezogene Vereinbarung über eine freiwillige Ausreise seines Mandanten…“ ANF-Meldung vom 7 Apr. 2022, 19:36 externer Link
  • Muhammed Tunç zur Abschiebung nach Frankfurt gebracht – Tunç in der Türkei als „Feind“ gelistet 
    Die Abschiebung des kurdischen Aktivisten Muhammed Tunç steht unmittelbar bevor. Offenbar wurde Tunç bereits nach Frankfurt am Main gebracht. Dort soll ein Abschiebeflieger starten. Deutschland schiebt weiter kurdische Aktivist:innen in den türkischen Faschismus ab. Um 10.30 Uhr soll am Frankfurter Flughafen eine Sammelabschiebung per Sund-Air-Charter in die Türkei erfolgen. Der kurdische Aktivist Muhammed Tunç wurde bereits vom Abschiebegefängnis Pforzheim zu seiner Abschiebung nach Frankfurt am Main gebracht. Tunç befand sich drei Monate in Abschiebehaft. Seine Abschiebung war zuvor zweimal gescheitert. In einer Presseerklärung unterstrich Tunç am 4. April, dass seine Abschiebung vor allem durch Protest noch verhindert werden könne. Tunç ist im Fall einer Abschiebung in die Türkei wegen seines politischen Engagements akut von Verfolgung, Haft und Folter bedroht. Das will das baden-württembergische Justizministerium jedoch nicht eingestehen. Die Behörde hält die Abschiebung für vertretbar und rechtfertigt die Entscheidung mit einer „Straffälligkeit“ im Zusammenhang mit zwei Gerichtsurteilen gegen den Kurden wegen gefährlicher Körperverletzung. Die Verurteilungen erfolgten nach Auseinandersetzungen mit türkischen Nationalisten aus dem Umfeld der Partei von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Laut Tunç ist sein Name den Behörden in der Türkei als „Feind“ ein Begriff...“ ANF-Meldung vom 7.4.2022 externer Link, dort die Entwicklung der letzten Tage, siehe auch:
  • Muhammed Tunc aus der Abschiebehaft in Pforzheim
    Wie ich bereits mehrmals per Pressemitteilung mitgeteilt hatte, stehe ich unmittelbar vor der Gefahr der Abschiebung in die Türkei. Seit fast drei Monate befinde ich mich in der Abschiebehaft in Pforzheim. Zweimal konnte bisher die Abschiebung, durch meinen und durch öffentlichen Protest verhindert werden. In diesen drei Monaten waren mir 15 Tage lang fast jeglicher Kontakt nach außen untersagt; ich wurde also isoliert. Weiter unten sind einige Presseberichte aufgelistet zu meiner Situation aufgelistet.Zahlreiche Personen aus der Öffentlichkeit, darunter auch MdLs und MdBs haben gegen meine bevorstehende Abschiebung Ihren Unmut geäußert. Auch kurdische und türkische Verbände in Deutschland kritisierten dieses Vorhaben. Obwohl ich nun auch von bekannten türkischen Faschisten aus der Türkei bedroht werde, die offensichtlich Beziehungen zu paramilitärischen Strukturen haben, und die auch bereits in der Vergangenheit PolitikerInnen in Deutschland bedroht haben, hält die Regierung in BaWü an der Entscheidung mich abzuschieben fest. (ANF | Fall Muhammed Tunç: Drohungen aus der Türkei (anfdeutsch.com) (17. Februar)
    Auf Initiative von manchen Landtagsabgeordneten hatte das Regierungspräsidium in BaWü gemeinsam mit der BAMF, nach meiner verhinderten Abschiebung, meinen Anwälten den Vorschlag unterbreitet, dass ich, sollte ich freiwillig ausreisen, in ein drittes Land ausreisen dürfe. Um der Gefahr der Abschiebung in die Türkei, also somit der sicheren Inhaftierung und der Folter zu entgehen, akzeptierte ich diesen Vorschlag.
    Am 23. März bin ich dann in Begleitung von deutschen Beamten in das türkische Konsulat in Stuttgart und habe dort einen Pass beantragt. Was ich dort erlebt habe war unglaublich: Neben rassistischen Äußerungen die gefallen sind, sagte mir der türkische Staatsbeamte, dass gegen mich aufgrund von nicht geleistetem Wehrdienst, in der Türkei ein Haftbefehl vorliege und dass ich sobald ich das Land betrete direkt ins Militär zwangsrekrutiert werde. Dort würde ich „ganz anders dastehen, als ich mich im Internet immer darstelle“. Das ist eine offene Drohung gewesen.
    Aus sicheren Quellen, die ich auf Anfrage auch zur Einsicht zur Verfügung stellen kann, weiß ich, dass bereits seit längerem ein Charterflug für Donnerstag, den 7. April, aus dem Saarland für mich gemietet ist. Nun haben die Behörden in BaWü meinem Anwalt mitgeteilt, dass sie das Angebot, das sie uns unterbreitet hatten grundlos zurückziehen. Ich bin schockiert über den Rückzug dieses Angebots.
    Trotz der offenen Drohungen aus der Türkei, trotz des öffentlichen Unmuts, dass auch die Aufmerksamkeit der türkischen Behörden auf mich zog und trotz der sicheren Verhaftung und Zwangsrekrutierung in das türkische Militär, das tagtäglich Kriegsverbrechen in Syrien (Beispiel: Afrin), im Irak (Beispiel: Einsatz chemischer Kampfstoffe) und anderswo begeht, soll ich nun am 7. April per Charterflug abgeschoben werden.
    Ich erkläre hier in aller Deutlichkeit nochmal: Für all das, was mir aufgrund meiner Abschiebung in die Türkei zustoßen wird, werden die deutschen Behörden verantwortlich sein. Ich stehe unmittelbar vor der Gefahr in die Arme des türkischen Militärs geschickt zu werden, das mich irgendwo in den Krieg im Mittleren Osten einsetzen könnte.“ Mitteilung vom 4.April 2022 (per e-mail)
  • Presseberichte: 
  • Muhammed Tunç steht neuer Abschiebetermin bevor – Hungerstreik im Abschiebegefängnis in Pforzheim gegen die Haftbedingungen 
    „Im Fall des von einer Ausweisung in die Türkei bedrohten Kurden Muhammed Tunç steht ein neuer Abschiebetermin vor. Zudem scheinen neun Insassen in dem Abschiebegefängnis in Pforzheim im Hungerstreik gegen die Haftbedingungen zu sein. Die grün-schwarze Landesregierung Baden-Württembergs bleibt hart. Der Kurde Muhammed Tunç aus Ulm, dessen Abschiebung in die Türkei unlängst zweimal gescheitert war, soll demnächst in die Türkei geflogen werden. Nach Angaben von Tunç, der sich weiterhin im Abschiebegefängnis Pforzheim befindet, soll die Chartermaschine mit dem 32-Jährigen an Bord am 7. April abheben. Obwohl der Fall des Aktivisten aufgrund medialen Aufsehens zwischenzeitlich auch die Aufmerksamkeit von Ultranationalisten in der Türkei auf sich gezogen hat, Tunç sogar öffentlich aus dem Umfeld der „Grauen Wölfe“ bedroht wurde, halten die Behörden stur an seiner Abschiebung fest. (…) Laut Muhammed Tunç sollen sich seit Freitag neun Menschen, die in Pforzheim in Abschiebehaft sitzen, im Hungerstreik befinden. „Weil fast alle hier, wie bei mir, zum Teil seit mehreren Wochen hingehalten werden und sich in Ihren Verfahren nichts bewegt.“ Das frustriere viele der Insassen und heize die Stimmung an. „Um gegen dieses Hinhalten zu protestieren, sind diese Menschen in den Hungerstreik getreten. Das Urteil des EuGHs bestätigt sie in ihrem Protest“, schreibt Tunç. Und er warnt: Unter diesen Bedingungen sei es nur eine Frage der Zeit, bis die Geduldsfäden reißen und die Nerven blank liegen.“ Meldung vom 13. März 2022 von und bei AFN externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=198310
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