Zeitung gegen den Krieg Nr. 47 zum Antikriegstag, 1. September 2020

Zeitung gegen den KriegIn einer Zeit, in der trotz Corona die Rüstungsindustrie von den Regierenden als „systemrelevant“ eingestuft wird, in einer Zeit, in der erneut dokumentiert wird, wie stark die Bundeswehr – und hier speziell die Sondereinheit KSK in Calw – von Rechtsextremen durchsetzt ist, in einer Zeit, in der der Westen seine Sanktionen gegen Syrien, den Iran, gegen Venezuela und gegen Kuba aufrechterhält und damit die Eindämmung der Corona-Epidemie und die Minderung der Krisenfolgen in diesen Ländern gezielt verhindert, in einer Zeit, in der die Regierung in Washington einen (erfreulichen!) Teilabzug der US-Truppen aus Deutschland ankündigt, dies aber von CDU/CSU, SPD, FDP und den Grünen bedauert wird, anstatt zu fordern: Abzug ALLER US-Truppen aus Europa – SOFORT! In einer Zeit, in der die NATO und insbesondere die USA ihre Aufrüstungs- und Einkreisungspolitik gegenüber Russland und China beschleunigen, in einer Zeit, in der anlässlich des 75. Jahrestags der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki in den Medien ein gespieltes Bedauern herrscht, gleichzeitig aber systematisch ignoriert wird, dass es einen Atomwaffenverbotsvertrag gibt, den die Regierung in Berlin nicht unterzeichnet, und dass die Bundeswehr über die „atomare Teilhabe“ konkret in die Pläne zur Modernisierung der Atomwaffen auf deutschem Boden und damit in eine Kriegsführung mit Atomwaffen einbezogen ist – erscheint diese neue Ausgabe der Zeitung gegen den Krieg. ZgK Nr. 47 u.a. zu den Themen…“ Siehe alle Infos und nun einen Beitrag aus der neuen Ausgabe: Den Tätern ein Gesicht und den Opfern eine Stimme geben. Aufrüstung und Militarisierung im Schatten der Corona-Pandemie New

Den Tätern ein Gesicht und den Opfern eine Stimme geben.
Aufrüstung und Militarisierung im Schatten der Corona-Pandemie

Interview mit Jürgen Grässlin

FRAGE: In den Zeiten von Krise und Epidemie sollte man meinen, dass die Rüstungsausgaben stagnieren oder rückläufig sind.

Jürgen GRÄSSLIN: Das Gegenteil trifft zu. Nahezu zeitgleich mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie knallten die Champagnerkorken bei der Rüstungs-Lobby. Die weltweiten Militärausgaben wurden 2019 auf unglaubliche 1.917.000.000.000 US-Dollar (USD) gesteigert. Selten zuvor wurde Menschen in aller Welt derart klar vor Augen geführt, dass forcierte Ausgaben für Rüstung und fehlende Gelder im Gesundheitsbereich zwei Seiten einer Medaille sind.

FRAGE: Wie stellt sich die Situation für Deutschland dar?

GRÄSSLIN: Hier verlief es besonders negativ. Im weltweiten SIPRI-Vergleich stieg Deutschland gleich um zwei Plätze – von Rang 9 auf 7. Mit Ausgaben in Höhe von 49,3 USD steigerte die Große Koalition von CDU, CSU und SPD das Volumen der Militärausgaben in nur einem Jahr um zehn Prozent, berechnet auf den Zehnjahres-Zeitraum von 2010 bis 2019 gar um 15 Prozent. Vergleichbar wüst sind die Werte beim Waffenhandel. Laut SIPRI wurde der deutsche Exportwert für Großwaffensysteme (Kampfflugzeuge, Militärhelikopter, Kriegsschiffe, Kampfpanzer etc.) im Zeitraum von 2015 bis 2019 (im Vergleich zu 2010 bis 2014) um 17 Prozent gesteigert. Auch hier der Vergleich: Weltweit wurde das Volumen um fünf Prozent angehoben.
Die Hauptempfänger deutscher Waffen sind der EU- und Nato-Partner Ungarn (mit rund 1,77 Milliarden Eurodeutsche Rüstungsexporte), Ägypten mit 802 Millionen Euro und die  USA mit 483 Millionen Euro (Stand Dezember 2019). Ungarn erhält umfassend Kriegswaffen trotz seiner rechtswidrigen Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge. Die ägyptische Militärregierung wird mit Kriegswaffen hochgerüstet trotz seiner Beteiligung an schweren Menschenrechtsverletzungen im Jemen-Krieg.

FRAGE: Gibt es konkrete Namen der deutschen Rüstungsexporteure?

GRÄSSLIN: Das aktuelle SIPRI-Ranking der TOP 100 der rüstungsexportierenden Unternehmen für Großwaffensysteme verzeichnet vier rein deutsche Unternehmen: Rheinmetall auf Platz 22 (im Vorjahr 26), Krauss-Maffei Wegmann auf Platz 55 (im Vorjahr 58), sowie ThyssenKrupp und Hensoldt. Zu ergänzten sind Unternehmen mit starker deutscher Beteiligung, wie die Airbus Group auf Platz 7 und die Airbus-Beteiligungsgesellschaft MBDA auf Platz 23.
Der führende deutsche Großwaffenproduzent Rheinmetall steigerte seine Rüstungsexporte gegenüber 2018 um 4,1 Prozent (von 3,65 Mrd. auf 3,8  Mrd. USD). Die Rheinmetall-Rüstungsparte konnte Zuwächse vermelden beim Operativen Ergebnis von 254 auf 343 Millionen Euro und beim Auftragsbestand von 8,5 auf 10,4 Milliarden Euro (von 2018 auf 2019). Am 19. Mai 2020 verkündete die Rheinmetall AG eine Dividendenerhöhung. Doch Waffengeschäfte, die für Aktionärinnen und Aktionäre profitabel sind, enden für die Zivilbevölkerung in Kriegsgebieten oft tödlich – so die Saudi-Arabien-Deals von Rheinmetall-Beteiligungsgesellschaften.

FRAGE: Beim Blick auf die Exporte von Großwaffensysteme wird oft die Bedeutung der sogenannten Kleinwaffen im Rüstungsbusiness übersehen.

GRÄSSLIN:  Auch beim führenden deutsche Hersteller und Exporteur von Kleinwaffen herrscht derzeit eine gute Stimmung. Laut Pressemitteilung vom Mai ist Heckler & Koch (H&K) „zurück in der Gewinnzone“. Der Umsatz stieg 2019 gegenüber dem Vorjahr um acht Prozent. Das operative Ergebnis vor Steuern war um beachtliche 63 Prozent höher als im Vorjahr. Die Auftragsbücher sind prall gefüllt. Neben den französischen Streitkräften werden 2020 das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr sowie die Marine-Spezialkräfte das neue Sturmgewehr vom Typ HK 416 A7 erhalten. Der Ausblick für 2020 sei – so die H&K-Geschäftsführung – „trotz der Corona-Pandemie verhalten optimistisch“.

Bei den Hauptversammlungen stelle sich das Unternehmen „der Debatte mit seinen Aktionären, insbesondere den ‚kritischen Aktionären‘.“ Ein „weiterer Faktor für den positiven Trend“ sei „die ‚Grüne-Länder-Strategie‘.“ Gemäß dieser Strategie exportiere H&K fortan ausschließlich Waffen an NATO-Staaten, NATO-assoziierte Staaten und EU-Staaten.  Bei H&K gilt als selbstgesetzte Vorgabe: Waffenexporte müssten „ethisch vertretbar“, auch unter Berücksichtigung der „Menschenrechtslage im Empfängerland“. Die Realität sieht oft anders aus: Der NATO-Partner USA führt mit Kleinwaffen vom Oberndorfer Lindenhof völkerrechtswidrige Kriege.

Sollte H&K tatsächlich ethische Grundsätze bei Rüstungsexporten zur Grundlage erheben, dann müsste das Unternehmen die Revision beim Bundesgerichtshof gegen das Mexiko-Urteil aufgrund meiner Strafanzeige sofort zurückziehen und die 3,7 Millionen Euro Strafe klaglos zahlen. Denn Umsätze und Gewinne aus dem illegalen G36-Mexiko-Deal wurden höchst unethisch erwirtschaftet. Zahlreiche Menschen verloren in den illegal belieferten vier mexikanischen Unruheprovinzen ihr Leben aufgrund dieses moralisch verwerflichen G36-Waffengeschäftes.

FRAGE: Was sind auf diesem Feld die Aufgaben der Friedensbewegung?

GRÄSSLIN: Lasst uns die Strafanzeigen des ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights) und von Linken unterstützen, die die Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen und Morden juristisch angehen. Lasst uns den Offenen Brief u.a. von Greenpeace und der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ unterstützen, die nachdrücklich einen Stopp aller Kriegswaffenexporte der Jemen-Kriegsallianz fordern. Lasst uns mit dem GLOBAL NET weltweit aufzeigen, wohin grenzenlos Waffen exportiert werden. Und lasst uns den Tätern Name und Gesicht und den Opfern eine Stimme geben. Lasst uns vor den Werktoren skrupelloser Waffenschmieden blockieren und vor Bundestag und Bundeskanzleramt demonstrieren gegen die Machenschaften der Rüstungsexport- und Kriegslobbyisten. Und lasst uns die Chance nutzen, die sich mit einer breiten gesellschaftlichen Diskussion gerade in der Zeit der Corona-Krise eröffnet. „Unser Feind ist ein Virus. Sind die Rüstungspläne der Bundeswehr noch sinnvoll und bezahlbar? Linke, Grüne und der SPD-Fraktionschef bezweifeln es“, titelte die Süddeutsche Zeitung. Die Friedensbewegung bezweifelt es schon lange. Was wir brauchen sind Medikamente und Abrüstung, nicht Militarisierung und Aufrüstung durch neue Kampfflugzeuge. „Abrüsten statt Aufrüsten“ fordert unsere Kampagne.

Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ und der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD), Mitbegründer der Kritischen Aktionär*innen Heckler & Koch (KA H&K) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.). Zuletzt initiierte Grässlin beim RIB e.V. das GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE (GN-STAT) als ein weltweites Netzwerk gegen Waffenhandel, das Rüstungsexportskandale recherchiert und in mehreren Weltsprachen publiziert.

Weitere Informationen: 

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Die Themen der Ausgabe:

  • Der aktuelle Militarismus in der Bundeswehr und bei der KSK-Einheit und die Tradition der Rechtsausrichtung der (west-) deutschen Armee
  • Die Einkreisungspolitik der Nato gegenüber Russland und China
  • Der vergessene Krieg im Jemen – und die Beteiligung des Westens und der westlichen Rüstungsindustrie an diesem Krieg
  • Die Aufrüstung der Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen und der Umfaller der SPD bei diesem Thema
  • Der zu begrüßende Teilabzug von US-Truppen aus Deutschland und wie damit in Stuttgart die Wohnungsnot gemildert werden kann
  • Die notwendige Neuausrichtung und Stärkung der Friedensbewegung in Zeiten von Krise & Epidemie
  • Die neuen Enthüllungen über die behaupteten Chemie-Waffen-Einsätze der Regierung in Damaskus
  • Der 95. Geburtstag des Friedensaktivisten Mikis Theodorakis

Autorinnen und Autoren: Peter Brandt / Angelika Becker / Reiner Braun / Angelika Claussen / Sevim Dagdelen / Wiebke Diehl / Jürgen Grässlin / Heike Hänsel / Claudia Heydt / Pascal Luig / Willi von Oyen / Hannes Rockenbauch / Ulrich Sander / Heide Schütz / Sahra Wagenknecht / Winfried Wolf / Henning Zierock

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=177226
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