Kriegerische Männlichkeit und autoritärer Populismus

Nie wieder Krieg!„Dreiunddreißig Jahre nach dem Mauerfall ist das Blockdenken zurück. Der demokratische „Westen“ gegen den autoritären „Osten“. Autoritäre Allianzen im „Westen“ treten in den Hintergrund, Kritik an den chronischen Schattenseiten liberaler Demokratie verstummen zusehends. Staaten werden umarmt, denen noch vor kurzem Rechtsstaatlichkeit und Demokratie abgesprochen wurden. Sie gehören wieder zum demokratischen Wir. Mit dem Krieg in der Ukraine wird Autoritarismus im „Westen“ auf das Putin-Regime externalisiert. Dabei breitet sich autoritärer Populismus seit langem in Europa aus, inmitten der liberalen Demokratie, in sich als illiberal bezeichnenden Staaten, aber nicht nur dort. Die Pandemie hat diese neoliberal-autoritaristische Transformation verstärkt. Wenn Unsicherheiten zunehmen und damit der Zwang zur Kontrolle steigt, greifen alle Seiten auf Identitarismen zurück, als hätte es die Kritiken daran nie gegeben. Der Krieg ist eine Zeit der Re-Nationalisierung, eine Zeit, in der von allen Seiten zur Geschlossenheit aufgerufen wird. Doch schon die Zeit der Pandemie hat die Grenzen in das Innen Europas zurückgebracht, und die Zahlen national aufgeteilt…“ Beitrag von Isabell Lorey bei transversal.at – texts 03/2022 externer Link und mehr daraus sowie dazu:

  • Moralische Mobilmachung. Die allgegenwärtige Moralisierung der Politik schwächt Kritik und OppositionNew
    „„Wir befinden uns im Krieg. Wie ich Ihnen am Donnerstag sagte, haben wir Europäer heute Morgen eine gemeinsame Entscheidung getroffen, um uns zu schützen.“ Das sind die Worte des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Sie stammen allerdings nicht aus dem Jahr 2022, sondern aus einer Fernsehansprache zu den großflächigen Corona-Maßnahmen Frankreichs im März 2020. Die Kriegsmetapher durchzieht in permanenter Wiederholung die bald drei Jahre alte Grundsatzrede. Nicht eine demokratische Idee gesundheitlicher Versorgung und Fürsorge sollte es richten, sondern die polizeilich-militärische Mobilmachung der Gesellschaft zur Bekämpfung eines äußeren Feindes. „Wir befinden uns im Krieg, zugegebenermaßen in einem Gesundheitskrieg: Wir kämpfen weder gegen eine Armee noch gegen eine andere Nation. Aber der Feind ist da, unsichtbar, nicht greifbar, auf dem Vormarsch. Und das erfordert unsere allgemeine Mobilisierung“, so Macron.
    Von heute aus betrachtet erscheint diese mediengetriebene „allgemeine Mobilisierung“ der Bevölkerung in der Pandemie wie eine Blaupause dafür, wie der tatsächliche Krieg, den Putins Armee in der Ukraine entfesselt hat, medial und politisch orchestriert wird. Dieser Krieg verdrängt seit Monaten jede andere Weltkrise und hat das Medienspektakel rund um Corona bruchlos abgelöst. Seitdem wird aus den deutschen Wohnzimmern nicht mehr das Pflegepersonal beklatscht, sondern der ukrainische Widerstand gegen die russische Invasion. (…)
    In der deutschen „Zuschauerloge“ (Habermas) scheint es tatsächlich meistens um uns zu gehen, wenn von der Ukraine die Rede ist. Es scheint so, als ob dabei die untergründige Verunsicherung und Angst auch das kritische Denken und die gesellschaftliche Opposition in die Arme der westlichen Herrschaft treiben – kaum jemand spricht heute eine andere Sprache als die der Macht. (…)
    Heute ist unübersehbar, dass der emotional hoch besetzte Einsatz für die Aufrüstung der Ukraine bis zu ihrem Sieg auch eine Übersprungshandlung darstellt. Als wolle man sich, wie bei Corona, noch einmal der Einsicht verweigern, dass der eigene, privilegierte Lebensentwurf längst an ein Ende gekommen ist. Die hierzulande entfachte Begeisterung für den Kampf gegen Putin scheint das Versprechen in sich zu tragen, dass an der Front all das noch zu verteidigen ist, was längst von innen heraus porös geworden ist. Die dem folgende, allgegenwärtige Militarisierung der Sprache hat ihre Quelle nicht in Kampfbereitschaft, sondern im Wunsch nach Sicherheit und Normalität – und dem Glauben, dass in der Auflösung des vermeintlichen Widerspruchs zwischen Gut und Böse, ergo einem Sieg über Putin, die Rückkehr in das alte Leben möglich sein könnte. (…)
    Im Schatten der medial inszenierten Dichotomie von Gut und Böse wird heute ein neues nationales Selbstverständnis und Selbstbewusstsein gestiftet, das alle offenkundigen Widersprüche überspielt und dessen Überzeugungskraft nur über einen äußeren Feind generiert wird. Man schmückt die eigene, brüchig gewordene Lebensweise mit blau-gelben Flaggen und nimmt Putins Krieg nicht als Anlass zum Zweifel an einer vom Westen dominierten Weltordnung, sondern zu ihrer Bekräftigung. (…)
    Tatsächliche Solidarität wäre mehr als kurzfristig abrufbare Empathie, die so schnell geht, wie sie kommt. Es ginge ihr um einen Abschied von einer privilegierten Lebensweise zugunsten eines gemeinsamen Dritten jenseits der Geopolitik. Das Gespräch darüber wäre aber nicht mit westlicher Überheblichkeit, sondern mit der Anerkennung der eigenen historischen kolonialen Verantwortung zu eröffnen. Dass zu dieser Selbstveränderung hierzulande kaum jemand bereit ist, ist unübersehbar…“ Kommentar von Mario Neumann am  12. Dezember 2022 bei medico international externer Link
  • Weiter aus dem Beitrag von Isabell Lorey bei transversal.at – texts 03/2022 externer Link: „… In der Bekämpfung der Pandemie ließ sich eine Re-Familialisierung im traditionellen heteronormativen Sinn beobachten. Entgegen der These der Spaltung der Gesellschaft in Vernünftige, die sich an die Pandemieregeln halten, und solche, die sich nicht impfen lassen wollen und sich auf ihre Freiheit berufen, zeigen sich hier viel eher zwei Linien der zunehmenden Autoritarisierung der neoliberalen Gesellschaft, eingewoben in ein neues Biedermeier. Natürlich muss man hinsichtlich einer autoritären Wende im liberal-demokratischen Teil Europas mindestens bis in die Austeritätspolitik der EU im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise zurückgehen, und noch weiter auf den neoliberalen Ab- und Umbau des Sozialstaates seit mindestens zwei Jahrzehnten und seine individualisierende Anrufungen von Selbstverantwortung. Ohne irgendeine Linearität autoritärer Entwicklung konstruieren zu wollen, will ich darauf hinaus, wie zutreffend und weitreichend Stuart Hall am Beginn neoliberaler Regierungsweisen, nämlich Ende der 1970er Jahre im Kontext der Thatcher-Regierung gedacht hat, als er den Begriff des „autoritären Populismus“ in die Diskussion brachte und ihn als Aspekt liberaler repräsentativer Form von Demokratie vorstellte. Autoritär-populistische und illiberale Kräfte bauen auf den konstitutiven Ungleichheiten und Herrschaftsmustern moderner liberaler Demokratie auf. Es ist eine der zentralen Aporien liberaler Demokratie, dass Demokratisierungsprozesse stattfinden, ohne diese Form von Demokratie in ihrer maskulinistischen, bürgerlichen und ausschließenden Grundkonstitution zu verändern. Stuart Hall hat deutlich gemacht, dass „autoritärer Populismus“ nicht aus dem Nichts entsteht. Er hat lange Kontinuitäten und erneuert sich aus der bürgerlichen Mitte heraus. Wiederkehrende Mittel autoritär-populistischer Mobilisierung sind „moralische Paniken“, geschürt durch Themen wie Sicherheit, Migration und sexuelle Liberalisierung. Autoritärer Populismus richtet sich gezielt gegen eine freiere Gestaltung von Geschlechterverhältnissen und Sexualitätsregimen…“ (…) Gegen dieses Intervall des autoritären Populismus ermöglicht die Situierung in der Sorge Ent-Subjektivierung, nicht als Entrechtung, sondern als neue Weisen der Subjektivierung, die aus der Affizierung von und mit umgebenden Körpern und Dingen entstehen. Gegen Militarisierung, Aufrüstung und kriegerische Maskulinismen lässt sich eine Demokratie der Sorge erproben, die die Heterogenität der Multitude und ihre Ausdehnung über Grenzen hinweg affirmiert. Nicht das Volk, nicht die Souveränität, nicht die Nation.“

Siehe zum aktuellen Hintergrund unser Dossier: Keine Waffenlieferungen in die Ukraine! Friedenspolitik statt Kriegshysterie!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=199399
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