„Hybride Bedrohungen“: Verteidigungsminister der vier größten EU-Staaten fordern weitere Stärkung des Militärs und der Grenzen
Dossier
„Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollen auf die Covid-19-Pandemie mit einer weiteren Stärkung des Militärs reagieren (…) Man müsse zudem die Wirtschaft umfassender mit dem Militär verzahnen und dessen „Operationen und Missionen“ ausweiten. Dabei sei unter anderem eine „Stärkung der Europäischen Führungsstrukturen“ nötig. (…) Mitte Mai äußerte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ebenfalls, man müsse Kürzungen beim Militär unbedingt vermeiden. Die Pandemie werde „das Sicherheitsumfeld in den kommenden Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit verschlechtern“: Das verlange „ein stärkeres Europa in der Welt“.“ Bericht vom 15. Juni 2020 von und bei German-Foreign-Policy.com („Die Prioritäten der EU: Verteidigungsminister der vier größten EU-Staaten fordern wegen Covid-19-Pandemie weitere Stärkung des Militärs“) und (leider) neu dazu:
- Von der Leyen: Ab jetzt darf zurückgeschoben werden. Als Reaktion auf »hybride Bedrohungen« sollen Geflüchtete Schutzstatus verlieren – z.B. in Polen
„Am Mittwoch hat die Europäische Kommission eine Mitteilung verabschiedet, die die Mitgliedstaaten bei der Abwehr »hybrider Angriffe« durch Russland und Belarus unterstützen soll. Ziel ist es, die Sicherheit an den EU-Außengrenzen zu stärken und neue Maßnahmen zu koordinieren. Dabei geht es insbesondere um die sogenannte »Verwaffnung« von Migration, bei der Geflüchtete als politisches Druckmittel eingesetzt werden – eine Strategie, die zuerst 2020 von Recep Tayyip Erdoğan an der griechischen Grenze und 2021 von Alexander Lukaschenko in Belarus verfolgt wurde. Besonders von »hybriden Angriffen« betroffen seien derzeit Polen, Finnland, Lettland, Litauen und Estland, so die Kommission. Um diese Länder zu unterstützen, stellt die EU 170 Millionen Euro bereit. Damit sollen die Grenzüberwachung verbessert, mobile Erkennungssysteme eingeführt und Drohnenabwehr ermöglicht werden. Gleichzeitig werden die Staaten aufgefordert, zur Wahrung eines »funktionsfähigen Schengen-Systems« das Asylrecht unter bestimmten Bedingungen einzuschränken. Auf Seite 5 des Dokuments wird erklärt, dass das Non-Refoulement-Prinzip – das Verbot der Rückschiebung in gefährliche Länder – unter strengen Voraussetzungen ausgesetzt werden kann. Dies ist möglich, wenn Geflüchtete eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen oder wegen schwerer Straftaten rechtskräftig verurteilt wurden. Grundlage hierfür ist Artikel 33(2) der Genfer Flüchtlingskonvention. Die Mitteilung betont jedoch, dass das Non-Refoulement-Prinzip für Schutzsuchende, die nicht unter die Ausnahmeregelungen fallen, bindend bleiben soll. Maßnahmen müssen verhältnismäßig, zeitlich begrenzt und unbedingt notwendig sein. Im Zuge der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas) hatten die EU-Staaten ursprünglich eine »Instrumentalisierungsverordnung« geplant, sich jedoch nicht auf gemeinsame Formulierungen geeinigt. In der später im Rahmen der Geas verabschiedeten Krisen-Verordnung tauchten ähnliche Inhalte auf. Laut dieser kann eine »Instrumentalisierungssituation« entstehen, wenn Drittstaaten oder feindselige Akteure Migration fördern, um die EU zu destabilisieren. Die Krisenverordnung erlaubt jedoch keine Aussetzung des Non-Refoulement-Prinzips. Die neue Mitteilung der Kommission geht deutlich weiter als die Verordnung und könnte von Regierungen als Freibrief für strengere Maßnahmen interpretiert werden. Da die Entscheidung, ob Geflüchtete eine »Gefahr für die Sicherheit« darstellen, den einzelnen Ländern obliegt, wird hier politisch motivierten Entscheidungen ein großes Scheunentor geöffnet. Die Kommission stärkt damit insbesondere die rücksichtslosen Praktiken Polens, das Medien und NGOs von der belarussischen Grenze fernhält, während das Militär Geflüchtete teils brutal zurückdrängt…“ Artikel von Matthias Monroy vom 12. Dezember 2024 in Neues Deutschland online- Siehe die engl. Mitteilung der EU
- Neue EU-Kommission: Grünes Licht für Pushbacks – Schutzsuchende Menschen werden zur Bedrohung stilisiert
„Die neue EU-Kommission startet ihre Amtszeit mit einem Paukenschlag: Mitgliedstaaten sollen in bestimmten Situationen das Recht auf Asyl stark einschränken dürfen. Damit wird das völkerrechtswidrige Vorgehen gegen Schutzsuchende von Mitgliedstaaten wie Polen unterstützt. Eine weitere Brutalisierung der Praxis an den Außengrenzen ist zu befürchten.
Die Europäische Kommission hat als erste Amtshandlung in Asylfragen nach ihrer Wahl durch das EU-Parlament Ende November am 11. Dezember 2024 verkündet, schwerwiegende Eingriffe in das Grundrecht auf Asyl zu erlauben. Damit gibt sie EU-Mitgliedstaaten de facto grünes Licht für Pushbacks, also rechtswidrige Zurückweisungen an der Grenze. Sanktionen oder kritische Worte für die vielfach dokumentierten, systematischen Menschenrechtsverletzungen und Gewaltexzesse an den Außengrenzen oder für Gesetze, die praktisch das Asylrecht aussetzen, gab es nicht. Stattdessen wurde bekräftigt, unter allen Umständen hinter den Mitgliedstaaten mit Grenze zu Russland oder Belarus zu stehen. Das kann nur als politische Rückendeckung der brutalen Praxis an diesen Außengrenzen verstanden werden…“ Meldung vom 16.12.2024 von Pro Asyl - Umstrittene Pushbacks möglich: Weil Russland Migranten als Waffe nutzt: EU-Kommission erlaubt Aussetzung des Asylrechts
„Tausende Migranten haben Russland und Belarus an die EU-Außengrenze geschleust, nun reagiert die EU-Kommission: Sie erlaubt die Aussetzung des Asylrechts und so de facto Pushbacks und hilft mit 170 Millionen Euro.
Die EU-Kommission verschärft den Kampf gegen Russland und Belarus, die Migranten zur Destabilisierung der Europäischen Union an die EU-Außengrenze schleusen. Am Mittwoch verabschiedete die Kommission ein Maßnahmenpaket, das unter anderem die Aussetzung des Rechts auf Asyl vorsieht. „In außergewöhnlichen Situationen dürften EU-Staaten außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen und zum Beispiel das Recht auf Asyl aussetzen“, sagte die für Sicherheit zuständige EU-Vizekommissionspräsidentin Henna Virkkunen. Dies dürfe aber nur unter sehr strengen Bedingungen geschehen und müsse zeitlich begrenzt und verhältnismäßig sein. (…)
Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen und Norwegen erhalten zudem insgesamt 170 Millionen Euro für Überwachungstechnik und die Bekämpfung von Drohnen und Geräte zum Aufspüren von Migranten. „Vor allem Länder, die an Russland und Belarus angrenzen, wie Finnland mit seiner 1340 Kilometer langen Grenze zu Russland, stehen vor der großen Herausforderung, die Sicherheit der Union und die territoriale Integrität der Mitgliedsstaaten zu gewährleisten“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. (…) Neben der finanziellen Hilfe gibt es auch operative Unterstützung durch Beamte der EU-Grenzschutzagentur Frontex sowie diplomatische Bemühungen bei den Gesprächen mit den Herkunfts- und Transitländern.“ Artikel von Sven Christian Schulz vom 12.12.2024 in RND - Siehe auch das Dossier zu Polen: Lager für Flüchtlinge in Belarus: So zeigt man dem Diktator-Partner, was Humanität ist. Und bezahlt auch ihn dafür…
- Explosives Wachstum: Europas Militärausgaben im Aufwärtstrend
„Die Militärausgaben der europäischen Länder eilen derzeit von Rekord zu Rekord. Nach Angaben der Nato kletterten die Budgets der europäischen Nato-Länder von 236 Milliarden Dollar im Jahr 2015 auf 375 Milliarden im Jahr 2023 steil nach oben. (…) Auch über die Europäische Union werden in den letzten Jahren immer relevantere Beträge generiert – EFF, EVF, ASAP, EDIRPA, das sind die wichtigsten Bestandteile der Buchstabensuppe, die für diverse Finanzierungstöpfe steht, die in jüngster Zeit auf die Schiene gesetzt wurden. (…) Am 27. Februar will die EU-Kommission mit einer Verteidigungsinvestitionsstrategie einen weiteren Baustein hinzufügen. Ein Element davon könnte ein EU-Rüstungstopf in dreistelliger Milliardenhöhe sein, wie er nun von Industriekommissar Thierry Breton gefordert wurde. Dass EU-Haushaltsgelder überhaupt für Rüstungszwecke verwendet werden, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Schließlich verbietet Artikel 41 (2) des EU-Vertrages für Maßnahmen der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (GSVP) „Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ aus dem EU-Haushalt zu bestreiten (…). Schon seit vielen Jahren wurde dieses Verbot zumindest teilweise unterlaufen, etwa über die Finanzierung militärrelevanter Sicherheitsforschung oder die Zweckentfremdung von Entwicklungshilfe. Zum endgültigen Tabubruch kam es aber erst mit der Einrichtung des „Europäischen Verteidigungsfonds“ (EVF), der einige Zeit im Zentrum der europäischen Rüstungsbemühungen stand. (…) Trotz erheblicher rechtlicher Vorbehalte und einer bis heute beim Bundesverfassungsgericht herumliegenden Klage der früheren Linksfraktion wähnt sich die Kommission juristisch auf der sicheren Seite. Sie greift dabei auf den Trick zurück, den EVF (und fast alle später beschlossenen Fonds) als Maßnahme der Industriepolitik zu erklären, wodurch er nicht unter das Verbot von Artikel 41 (2) fiele. (…) Ein zweiter Topf, der vor allem in jüngster Zeit immer weiter an Bedeutung gewann, ist die „Europäische Friedensfazilität“ (EFF). (…) Die EFF wurde bewusst als haushaltsexternes Finanzinstrument konzipiert, wodurch sie nicht Teil des EU-Haushalts ist, sondern mit Geldern der Einzelstaaten befüllt wird, weshalb auch sie nach Auffassung der Kommission nicht von Artikel 41(2) des EU-Vertrages betroffen ist. (…) Im Juli 2023 trat dann als Teil des EU-Munitionsplans auch die „Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Förderung der Munitionsproduktion“ (engl. ASAP) in Kraft. (…) Zeitlich ist das als Mittel der Industriepolitik deklarierte Instrument bis Ende 2025 befristet, finanziell geht es noch um relativ überschaubare Beträge und das Ganze ist bislang auch auf die Munitionsproduktion beschränkt. (…) Aber dennoch greift die EU damit direkt als Akteurin in den Rüstungsproduktionsprozess ein, weshalb Industriekommissar Thierry Breton zu Protokoll gab, der Munitionsplan sei „beispiellos“ und ziele darauf ab, „mit EU-Geldern den Ausbau unserer Verteidigungsindustrie für die Ukraine und für unsere eigene Sicherheit direkt zu unterstützen“. (…) Als vierter zentraler Rüstungstopf existiert schließlich seit Oktober 2023 das „Instrument zur Stärkung der Europäischen Verteidigungsindustrie durch Gemeinsame Beschaffung“ (engl. EDIRPA). Mit EDIRPA wird es nun erstmals möglich, auch länderübergreifende Rüstungsbeschaffungsmaßnahmen mit insgesamt 500 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt zu bezuschussen. Wie schon den EVF und ASAP tarnt die Kommission auch EDIRPA als industriepolitische Maßnahme, obwohl auch hier der Ausbau militärischer Kapazitäten klar im Vordergrund steht. (…) Ende November 2023 wurde dann im Handelsblatt berichtet, diese Idee werde inzwischen in Brüssel eifrig diskutiert: „Europa hat die Möglichkeit eines Trump-Comebacks lange verdrängt, doch inzwischen lässt sich das Risiko nicht länger leugnen. Hinter verschlossenen Türen wird in Brüssel deshalb diskutiert, einen neuen Milliardenfonds aufzulegen – nach dem Vorbild des Corona-Wiederaufbauplans „Next Generation EU“. Der entscheidende Unterschied: Dieses Mal sollen die Mittel nicht in Klimaschutzmaßnahmen, sondern in die Aufrüstung fließen.“ (…) Viel wird davon abhängen, woher das Geld stammen soll, mit dem der Fonds befüllt werden soll. Über eine diesbezüglich diskutierte Option findet sich ein Hinweis in einem Artikel des EU-Nachrichtenportals Euractiv mit Blick auf Bretons Aussagen: „Seine Äußerungen kommen im Vorfeld der neuen Europäischen Strategie für die Verteidigungsindustrie (EDIS), welche die EU-Kommission am 27. Februar vorschlagen wird. Diese soll die Produktionskapazitäten des Kontinents für Waffen und Munition stärken und Anreize für die grenzüberschreitende Produktion und Zusammenarbeit schaffen. (…) Woher die 100 Milliarden Euro für den Rüstungsfonds kommen sollen, ließ Breton offen. Aus dem EU-Budget wohl kaum. In Brüssel spielt man mit dem Gedanken, die Europäische Investitionsbank einzuspannen, um private Investitionen zu hebeln“…“ Beitrag von Jürgen Wagner vom 14. Januar 2024 bei Telepolis - Die Militärdoktrin der EU: EU-Außen- und Verteidigungsminister legen letzte Hand an den Strategischen Kompass der EU
„Ernste Rückschläge für die ehrgeizige Außen- und Militärpolitik der EU haben die gestrige Debatte der Außen- und Verteidigungminister über die künftige EU-Militärdoktrin überschattet. Der Strategische Kompass, über den auf dem Treffen verhandelt wurde, soll künftig die weltpolitischen Aktivitäten der EU steuern; seine Verabschiedung ist für Ende März vorgesehen. Das Dokument, auf geheimdienstlicher Grundlage entwickelt, legt eine scharfe Positionierung gegen Russland und eine häufigere Entsendung von Kriegsschiffen in den Indischen und den Pazifischen Ozean fest; zudem ist der Aufbau einer neuen, 5.000 Soldaten umfassenden Eingreiftruppe vorgesehen. Berliner Regierungsberater üben deutliche Kritik. So heißt es in einer aktuellen Analyse aus der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), in einer Zeit, in der Europas „wirtschaftliche und demographische Bedeutung in der Welt sinke“, zeichne sich das Papier durch Beliebigkeit, unklare Prioritäten und unrealistische Zielsetzungen aus. Schon jetzt fällt die EU in der Weltpolitik zurück; sie ist an den Gesprächen zwischen den USA und Russland nicht direkt beteiligt und verliert in Afrika Einfluss an Moskau. (…) Der Strategische Kompass geht letztlich auf einen Vorstoß der Bundesrepublik im Jahr 2019 zurück. Ziel ist es, die bereits 2016 verabschiedete Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU, wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer aktuellen Analyse schreibt, „im Sinne einer Militärdoktrin“ zu konkretisieren. Praktisch begonnen wurde die Arbeit an dem Dokument in der zweiten Jahreshälfte 2020 unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Der erste Schritt bestand darin, eine „Bedrohungsanalyse“ zu erstellen. Damit waren die Geheimdienste der EU-Mitgliedstaaten und die EU-Geheimdienstzentren EU IntCen (European Union Intelligence and Situation Centre) sowie EUMS INT (European Union Military Staff Intelligence Directorate) befasst. Der Strategische Kompass der Union beruht also im Kern auf einem Geheimdienstpapier, das abseits öffentlicher Beobachtung, geschweige denn demokratischer Kontrolle, erstellt worden ist. (…) Einer detaillierteren Analyse hat den Entwurf für den Strategischen Kompass nun die SWP unterzogen. Wie die Berliner Denkfabrik konstatiert, unterscheidet sich der Kompass von der Globalen Strategie der EU besonders dadurch, dass er nicht – wie diese – vorrangig auf „soft power“ setzt, sondern stattdessen eine „Rückkehr der Machtpolitik“ in den Mittelpunkt der Planungen stellt…“ Bericht vom 14. Januar 2022 von und bei German-Foreign-Policy – wichtige Thematik! Denn die Gefahr besteht ja nicht nur in einer fortschreitenden Aufrüstung, sondern auch darin, dass trotzdem der reale Einfluss der westlichen Allianz beständig sinkt, und damit die Kriegsgefahr wächst. - [„Strategischer Kompass“] Der erste Schritt zur EU-Armee
„Strategischer Kompass“: EU-Außenbeauftragter will auf „hybride Bedrohungen“ – gemeint sind zum Beispiel Flüchtlinge – mit „hybriden Reaktionsteams“ militärisch antworten. Inzwischen liegt diversen Zeitungen der erste Entwurf des „Strategischen Kompass“ vor. Das Konzept hat der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, ausgearbeitet. Angekündigt hatte es öffentlich vergangene Woche EU-Ratspräsident Charles Michel auf der „Berlin Conference 2021“ der Konrad-Adenauer-Stiftung. „In diesem Kompass werden unsere strategischen Achsen skizziert werden. Wir werden ihn auf einem Verteidigungsgipfel im März nächsten Jahres billigen“, nahm Michel in der deutschen Hauptstadt schon zukünftige Entscheidungen vorweg. Konkret soll das Konzept auf einem Sondergipfel unter französischem EU-Vorsitz festgezurrt werden, bevor der französische Präsident Emmanuel Macron möglicherweise bei den Wahlen im April abgewählt wird, der die Pläne ebenfalls vorantreibt. (…) Borrell hat den Entwurf den Mitgliedern der Europäischen Kommission schon am vergangenen Mittwoch vorgestellt. Konkret ist geplant, bis 2025 eine schnelle Eingreiftruppe mit bis zu 5000 Soldaten aufzubauen, was unter anderem eine Forderung aus Deutschland war. (…) „Europa kann es sich nicht leisten, ein Zuschauer zu sein in einer extrem wettbewerbsorientierten Welt“, schreibt der EU-Außenbeauftragte in seinem Vorwort. Auf „hybride Bedrohungen“, wie im derzeitigen Konflikt an der Grenze zwischen Polen und Belarus, sollten fortan die betroffenen Länder mit „schnellen hybriden Reaktionsteams“ unterstützt werden. Gemeint sind mit dieser „hybriden Bedrohung“ Menschen auf der Flucht. Er will Artikel 44 des EU-Vertrags nutzen, der die Durchführung von Militäroperationen ermöglicht, die zwar einstimmig beschlossen werden müssen, an denen sich aber nur die Partner beteiligen können, die dies auch wünschen. Borrell fordert in seinem Konzept, das er großspurig als „Handbuch“ anpreist, verschiedene miteinander kombinierbare „Module“. Je nach Bedarf soll es neben Bodentruppen auch Luft‑ und Seestreitkräfte geben. Einsatzszenarien könnten unter anderem das Eingreifen in einen bewaffneten Konflikt, die Evakuierung von Menschen oder das Sichern eines Flughafens sein. Obwohl die Truppe erst 2025 stehen soll, kündigt er an: „Ab 2023 werden wir regelmäßig Manöver, darunter auch Seemanöver durchführen.“…“ Artikel von Ralf Streck vom 16. November 2021 bei Telepolis - Die Epoche der Militärs: Brüssel und Berlin dringen auf beschleunigte Militarisierung der EU. Kramp-Karrenbauer sagt „Epochenwechsel“ und stärkere Rolle der Außen- und Militärpolitik voraus
„EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer verlangen einen „Sprung nach vorn“ bei der Militarisierung der EU. Man trete „in eine neue Ära verstärkter Konkurrenz“ auf globaler Ebene ein, erklärte von der Leyen gestern in ihrer Rede zur Lage der Union; die EU müsse deshalb eigenständig militärisch operieren können – auch „ohne die Beteiligung der NATO oder der UNO“. Kramp-Karrenbauer stufte die Forderungen der Kommissionspräsidentin als „wichtig“ ein. Erst kürzlich hatte sie für zukünftige EU-Militäreinsätze die Schaffung von „Koalitionen der Willigen“ empfohlen, die auch von Berliner Regierungsberatern befürwortet wird. Vergangene Woche hat sie zudem einen aktuellen „Epochenwechsel“ diagnostiziert, nach dem „Sicherheitspolitik viel stärker im Mittelpunkt stehen“ werde als bisher; mit Blick auf Militäreinsätze müsse sich „Deutschlands strategische Kultur verändern“. Im ersten Halbjahr 2022 soll ein EU-Verteidigungsgipfel neue Weichen stellen. Kramp-Karrenbauer schließt einen „robusten“ Einsatz in Mali nicht aus…“ Bericht vom 16. September 2021 von und bei German-Foreign-Policy.com - Europäische Union: Ein Herz für Kriege
„Rede zur Lage der Union war gewürzt mit Emotionen und enthielt doch viele brisante Forderungen. Einmal im Jahr hält die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Rede zur Lage der Europäischen Union. Traditionsgemäß blickt sie dabei auf das vergangene Jahr zurück und wagt einen Ausblick in die Zukunft. Ursula von der Leyens (CDU) diesjährige Rede, die sie am Mittwoch vorm EU-Parlament im französischen Straßburg hielt, drehte sich um das europäische Seelenleben. »Europa braucht eine Seele, ein Ideal«, zitierte sie den französischen EU-Gründervater Robert Schuman. Im Zusammenhang mit der Coronakrise sprach sie gar von »gebrochenen Herzen« der Jugend. Trotz aller Gefühlsduselei: Die Rede der Präsidentin enthielt viele brisante Punkte, die wenig Herzenswärme ausstrahlten. Etwa die Pläne zur weiteren Aufrüstung der EU, um sie als militärischen Akteur auf der Weltbühne zu etablieren. »Wir müssen Stabilität in unserer Nachbarschaft garantieren«, sagte sie und prophezeite, dass künftig bei Militäreinsätzen »Nato und UN nicht präsent sein werden, aber die EU«…“ Artikel von Fabian Lambeck, Brüssel, vom 15.09.2021 im ND online - Schritte über den Rubikon: Mit ihren Haushaltsplanungen für die nächsten Jahre geht die EU-Kommission in Richtung Militarisierung
„Lange Zeit war es undenkbar, dass die Europäische Union über einen Militärhaushalt, geschweige denn gleich mehrere, verfügen könnte. Allein schon aufgrund der lange vorherrschenden Auslegung der EU-Verträge wurde dies schlichtweg für illegal gehalten. In den letzten Jahren gewann aber eine neue Interpretation an Boden, die sich schließlich auch im ersten Haushaltsvorschlag der Kommission für das EU-Budget 2021-2027 niederschlug…. Rechtlich fragwürdig ist die Einrichtung von EU-Militärbudgets vor allem aufgrund von Artikel 41 Absatz 2 des EU-Vertrags von Lissabon, in dem es heißt, die operativen Ausgaben gingen zulasten des Haushalts der Union – »mit Ausnahme der Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen und von Fällen, in denen der Rat einstimmig etwas anderes beschließt«. Lange wurde dieser Passus, nicht zuletzt auf Drängen Großbritanniens, derart interpretiert, dass keinerlei militärrelevante Ausgaben aus dem EU-Haushalt bestritten werden dürften – eine Auffassung, der sich 2015 auch noch die EU-Kommission anschloss. Als sich die gesamte EU-Machtarchitektur im Anschluss an das britische Austrittsreferendum im Juni 2016 allerdings grundlegend veränderte, begann sich auch rasch eine neue Auslegung durchzusetzen. (…) Aufgrund der dubiosen Rechtsauslegung der Kommission beauftragte die Linksfraktion GUE/NGL im EU-Parlament den Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano mit einem Rechtsgutachten zum Europäischen Verteidigungsfonds, das am 30. November 2018 veröffentlicht wurde. Nach einer ausführlichen Prüfung gelangte Fischer-Lescano darin zu dem Ergebnis, der Verordnungsvorschlag der Kommission enthalte »keine hinreichende Rechtsgrundlage für die Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds«. Es sei eindeutig, dass hier militärische Belange im Vordergrund stünden, die wiederum dem Finanzierungsverbot aus Artikel 41(2) des EU-Vertrags unterlägen. (…) Dennoch schlug die EU-Kommission im Mai 2018 für den nächsten Haushalt 2021-2027 vor, 11,5 Milliarden Euro für den Verteidigungsfonds einzustellen. Dessen Sinn und Zweck besteht demnach darin, die Erforschung und Entwicklung europaweiter Rüstungsprojekte zu finanzieren. (…) Thierry Breton als Chef der neu geschaffenen DG Defence formulierte dies folgendermaßen: »Der allmähliche Aufbau einer europäischen Verteidigung ist Teil der jetzt notwendigen «hard power»-Dimension. Dies bedeutet nicht den Verzicht auf unsere historischen Bündnisse. Es geht einfach darum, Europa auf dem geostrategischen Schachbrett der Welt zu behaupten.« So besehen wird mit der Geburt des Europäischen Verteidigungsfonds die Zivilmacht Europa wohl endgültig zu Grabe getragen.“ Artikel von Özlem Alev Demirel und Jürgen Wagner vom 22. März 2021 in neues Deutschland online - Rüstung in Zeiten der Pandemie: Ungeachtet der Corona-Krise schießen die Rüstungshaushalte in vielen europäischen Ländern durch die Decke
„Schon zu Beginn der Pandemie wurden in nahezu allen europäischen Ländern leidenschaftliche Appelle platziert, die Rüstungsausgaben dürften jetzt bloß nicht als Kollateralschäden der Krise enden. Nahezu überall herumgereicht wurde beispielsweise ein in Deutschland in der FAZ unter dem Titel „Europas Verteidigung sollte nicht Opfer des Lockdowns sein“ erschienener Beitrag, der gleich von einer ganzen Reihe prominenter Militärpolitiker verfasst wurde: „Mit einem Rückgang des BIP im Jahr 2020, der auf EU-Ebene zwei- bis dreimal so hoch sein könnte wie nach der Krise von 2008, besteht die Gefahr, dass die Verteidigung bei der wirtschaftlichen Erholung und der Haushaltskonsolidierung bei den europäischen Staats- und Regierungschefs nicht als Priorität wahrgenommen wird. […] Wir müssen die Lehren aus den Folgen der Krise im Euro-Währungsgebiet ziehen und dürfen unsere Fehler aus der Vergangenheit jetzt nicht wiederholen.“ Heute, ziemlich genau ein halbes Jahr später, können die besorgten Rüstungsfans aufatmen – nicht nur kamen die meisten europäischen Militärbudgets bislang weitgehend ungeschoren davon, in einer ganzen Reihe von Ländern schießen sie sogar ganz ungeachtet der aktuellen Krise regelrecht durch die Decke. (…) Wie man es dreht und wendet, Rüstungsausgaben sind unnötig wie ein Kropf – und in Zeiten einer globalen Pandemie sogar über die Maßen unverantwortlich. Die Internationalen Ärzte zur Verhinderung eines Atomkrieges rechneten vor einiger Zeit vor, was allein mit den Geldern, die für die anvisierte Anschaffung von für Atomwaffen „geeigneten“ Kampfflugzeugen vorgesehenen sind, alles beschafft werden könnte: „Würde man also diese angenommenen 7,46 Mrd. Euro ins deutsche Gesundheitssystem investieren, könnte man damit in einem Jahr 100.000 Intensivbetten, 30.000 Beatmungsgeräte sowie die Gehälter von 60.000 Krankenpfleger*innen und 25.000 Ärzt*innen finanzieren.“ IMI-Standpunkt 2020/055 von Jürgen Wagner vom 2. November 2020