Friedenspolitik per Koalitionsvertrag abgeräumt: Wenig Lichtblicke, viel Kritik
Dossier
„… Die angekündigte Schaffung eines Rüstungsexportkontrollgesetzes ist ein Erfolg der Zivilgesellschaft. Die Wirksamkeit dieses neuen Gesetzes hängt allerdings von dessen Inhalt ab, sodass wir den Entstehungsprozess aufmerksam begleiten werden. (…) Die Zusage der Bundesregierung, der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrages als Beobachter beiwohnen zu wollen, nehmen wir positiv zur Kenntnis. (…) Laut Koalitionsvertrag sollen Ausbildung und Dienst an der Waffe zukünftig nur noch volljährigen Soldat*innen in der Bundeswehr vorbehalten sein. (…) Die folgenden Punkte motivieren uns deshalb unsere Arbeit in den nächsten vier Jahren mit Nachdruck fortzusetzen: Bekenntnis zum 2%-Ziel (…) Nukleare Teilhabe bleibt bestehen (…) Neue Atombomber für die Bundeswehr (…) Zusage an Rüstungsgroßprojekte (…) Mögliche Verzögerungen bei Rüstungsexportkontrollgesetz (…) Rüstungsexportverbot nicht weitreichend genug (…) Go für die Bewaffnung von Drohnen (…) Kein Fortschritt beim Verbot autonomer Waffensysteme…“ Pressemitteilung der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) vom 26. November 2021 , siehe auch die IMI dazu:
- Carte blanche für „wertegeleitete“ Rüstungsexporte. Ein neues Gesetz soll die Erfolgsgeschichte deutscher Waffenausfuhren fortschreiben
„… Am 3. Januar veröffentlichte das Bundeswirtschaftsministerium die aktuellen Zahlen zu deutschen Rüstungsexportgenehmigungen im Jahr 2022. Interessant ist dabei, wie einige Medien die zentralen Ergebnisse zusammenfassen, wenn etwa das Handelsblatt titelt „Deutsche Rüstungsexporte 2022 leicht rückläufig“. Das ist sachlich zwar nicht direkt falsch, verschleiert aber bereits in der Überschrift die zentrale Tatsache, dass der Geldwert der deutschen Exportgenehmigungen im vorigen Jahr „der zweithöchste Betrag in der Geschichte der Bundesrepublik“ war, wie im Handelsblatt dann später doch noch eingeräumt wird. Wie nicht weiter verwunderlich, sind es vor allem die Waffenlieferungen in die Ukraine, die hierfür maßgeblich verantwortlich sind. Der lange existierende Grundsatz, dass keine Waffen in Krisen- oder gar Kriegsgebiete geliefert werden sollen, existiert schon länger nur noch auf dem Papier. Mit dem aktuell in Abstimmung befindlichen Entwurf für ein Rüstungsexportgesetz soll mit diesbezüglichen Vorbehalten jedoch endgültig aufgeräumt und generell dafür gesorgt werden, dass deutsche Rüstungsexporte künftig noch reibungsloser bewerkstelligt werden können. (…) Augenscheinlich sollen mit dem kommenden Gesetz die im Fall der Ukraine schon praktizierten Waffenlieferungen nun juristisch (und damit bis zu einem gewissen Grade auch politisch) hieb- und stichfest gemacht werden: „Es soll ausdrücklich die Möglichkeit festgeschrieben werden, Länder, die sich in Konflikten befinden oder bei denen ein Ausbruch eines Konfliktes konkret zu befürchten ist, im Einklang mit den der deutschen Außenpolitik zugrunde liegenden Werten und den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen und geltendem Völkerrecht in ihren legitimen Interessen, insbesondere dem Recht auf Selbstverteidigung, zu unterstützen. Dabei berücksichtigt die Bundesregierung die Lage und Positionierung der Bundesrepublik in Bezug auf den Konflikt, bestehende Bündnisverpflichtungen und Sicherheitspartnerschaften, anderweitige außen- und sicherheitspolitische Belange sowie das Vorliegen einer völkerrechtswidrigen Androhung oder Anwendung von Gewalt gegenüber dem Empfängerstaat.“ (aus den „Eckpunkten für das Rüstungsexportkontrollgesetz“ vom 14. Oktober 2022) Da der Entwurf auch an anderen Stellen – etwa beim Export im Rahmen europäischer Kooperationsprojekte oder dem Fehlen eines Verbandsklagerechts – hochgradig problematisch ist, sparten Organisationen wie die „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ nicht mit Kritik: „Wenn die Eckpunkte in ihrer jetzigen Gestalt im Gesetzentwurf umgesetzt werden, besteht die Gefahr, dass das Rüstungsexportkontrollgesetz in großen Teilen die bisherige Rüstungsexportpolitik festschreiben wird und darüber hinaus sogar weitergehende Möglichkeiten für die Genehmigungsfähigkeit von Rüstungsexporten schafft.“ Es steht aber zu befürchten, dass die berechtigten Einwände gegenüber einer weiteren Aushöhlung der deutschen Exportkontrolle ungehört verhallen werden – eben weil eine wirklich restriktive Politik in diesem Bereich nie das Ziel war, auch nicht unter der aktuellen Regierung.“ Beitrag von Jürgen Wagner vom 5. Januar 2023 in Telepolis , siehe zum Hintergrund auch: - Widerstand organisieren: Die neue Ampelregierung hält am Kriegskurs der Bundesrepublik fest
„… Im folgenden soll auf einige aktuelle Herausforderungen eingegangen werden, die sich in unserem Land seit dem Regierungswechsel unverändert stellen. Denn die Ampelkoalition hat sich in nahezu allen Fragen einer Fortsetzung des Kriegskurses verschrieben. Es gibt im Ergebnis ein »Weiter so«, einschließlich der Ankündigung zusätzlicher Aufrüstungsmaßnahmen. Als Leitmotiv gelten »unsere Interessen und Werte«, also im Klartext das, was schon im Weißbuch der Bundeswehr beschrieben wird: die Durchsetzung nationaler wirtschaftlicher Interessen notfalls auch mit militärischen Mitteln. (…) Die nukleare Aufrüstung wird als beschlossene Sache verkündet. Ein nuklear bestückbares Nachfolgekampfflugzeug für den »Tornado« soll schon in dieser Legislaturperiode bestellt werden, obwohl dessen Ausmusterung eine Chance gewesen wäre, das Ende der nuklearen Teilhabe für Deutschland in der NATO durchzusetzen. Nun müssen Milliarden für einen neuen Atombomber her, der auch für die neuen B61-12-Atombomben zertifiziert werden soll. Die Koalition schließt eine Mitgliedschaft beim Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) aus, weil er dem Atomwaffenverbreitungsvertrag (NPT) widerspreche – diese Behauptung haben sogar die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages als Scheinargument widerlegt. Die nukleare Abschreckung wird so verewigt, statt endlich deren Absurdität zu entlarven. Gegen diese nukleare Aufrüstung muss verstärkt Widerstand geleistet werden. Die Beteiligung an den Aktionen in Büchel und Nörvenich und der Widerstand gegen das jährlich im Oktober stattfindende Atomkriegsmanöver »Steadfast Noon« sollten ausgeweitet werden. Über Manöverbehinderungen wird seit dem letzten Kongress der Informationsstelle Militarisierung (IMI) immerhin wieder diskutiert. Viele Menschen stehen regelmäßig wegen zivilen Ungehorsams in Cochem, Koblenz, Bonn und anderswo vor Gericht, weil sie Go-Ins in Büchel oder im Gefechtsübungszentrum der Bundeswehr (GÜZ) bei Magdeburg veranstaltet haben. Sie verdienen nicht nur unsere Solidarität, sondern Nachahmung: mehr zivilen Ungehorsam wagen! Die Pflugscharaktivisten in den USA nehmen für ihre direkten Aktionen gegen Nuklearwaffen Gefängnisstrafen bis zu zehn Jahren in Kauf – wir haben hier mit 30 Tagessätzen zu rechnen. (…) Unter dem Motto »Krieg beginnt hier, Widerstand auch« fanden und finden immer wieder Widerstandsaktionen der Friedensbewegung statt, so z. B. in Büchel, Nörvenich, Ramstein, Jagel, Kalkar, am GÜZ oder vor Rüstungsschmieden wie Rheinmetall oder Heckler und Koch. Oder in Kampagnen wie zuletzt »Abrüsten statt aufrüsten«, gegen autonome Waffen und die Drohnenbewaffnung, gegen das FCAS-Projekt, gegen Rüstungsexporte, gegen Propagandatage der Bundeswehr und gegen die Rekrutierung Minderjähriger. All diese Ansätze gilt es zu intensivieren und auch mit anderen, vor allem den ökosozialen Bewegungen zu verknüpfen. Der herrschenden Politik profitorientierter und militärgestützter Ausbeutung muss unsere Realutopie entgegengestellt werden: Eine andere Welt ist möglich!“ Artikel von Martin Singe in der jungen Welt vom 5. Januar 2022 - Abschlusserklärung vom Bundesausschuss Friedensratschlag: „Widerstand gegen Aufrüstung und Krieg – Aufbruch für Abrüstung und Frieden“ „Von der neuen Regierungskoalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ist kein Umsteuern in der Außen- und Militärpolitik zu erwarten. Der vorliegende Koalitionsvertrag gibt wenig Hoffnung auf eine Entspannungspolitik. Im Gegenteil, die aggressive Einkreisung Russlands und Chinas sollen verschärft werden. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen – trotz des verheerenden Afghanistan-Krieges – nicht beendet, sondern für die „Durchsetzung der regelbasierten internationalen Ordnung“ ausgeweitet werden.
Besonders an der Westgrenze Russlands, in Afrika, aber auch im Pazifik und im Nahen Osten werden die Kriegsdrohungen lauter. Statt das Völkerrecht und die Charta der Vereinten Nationen zu stärken, wird weiter auf das „Recht des Stärkeren“ gesetzt. Die Koalition will mit ‚Strategischer Souveränität‘ für die EU und mit der NATO als ‚Sicherheitspfeiler‘ die militärische Eskalation fortsetzen. Der Druck auf unabhängige Staaten soll mit Blockaden und Sanktionen weiter verstärkt werden. Damit wird die Weltflüchtlingskatastrophe, die vor allem in Kriegen unter Beteiligung von NATO-Staaten ihren Ursprung hat, zunehmen.
Auch wenn die angekündigte Teilnahme als Beobachter an der Vertragsstaatenkonferenz des UN-Atomwaffenverbotsvertrages – eine Folge des Drucks der Friedensbewegung – einen anderen Eindruck zu vermitteln sucht: Atomwaffen werden in Deutschland weiterhin einsatzbereit gelagert, sogar treffsicherer gemacht, die „atomare Teilhabe“ bleibt Teil der offensiven Kriegsführungsstrategie. Es wird kein Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag angestrebt und auch Rüstungsexporten wird kein klarer Riegel vorgeschoben. Das angekündigte Rüstungskontrollexportgesetz ist unzureichend. Nach dieser Koalitionsvereinbarung sollen die Aufrüstungspolitik und die 2-Prozent-Forderung der NATO sowie eine weitere EU-Militarisierung realisiert werden. Die Anschaffung bewaffneter Drohnen – sollte dieser Plan im Koalitionsvertrag nicht gestoppt werden – und die Absicht, neue Atombomber anzuschaffen und am 500 Milliarden-Euro-Projekt FCAS weiterzuarbeiten, sind eine deutliche Absage an friedenspolitische Positionen. Die Mittel für diese weiter forcierte Hochrüstung fehlen im Bereich der Sozialpolitik, der Bildung, Gesundheit, der Ökologie und in allen weiteren Bereichen der Daseinsvorsorge.
Dass nach dem Koalitionsvertrag Deutschland künftig für einen „vernetzten und inklusiven Ansatz langfristig drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in internationales Handeln investiert“, und „so seine Diplomatie und seine Entwicklungspolitik stärkt und seine in der NATO eingegangenen Verpflichtungen erfüllt“, signalisiert, dass mit allen Mitteln eine militarisierte Globalstrategie betrieben werden soll…“ Abschlusserklärung vom Bundesausschuss Friedensratschlag zum 28. Bundesweiten Friedensratschlag am 4. Dezember 2021, siehe auch die Stellungnahme zum Koalitionsvertrag vom Bundesausschuss Friedensratschlag - Friedenspolitik per Koalitionsvertrag abgeräumt: Die Ampel spricht sich für die Bewaffnung von Drohnen und die Nukleare Teilhabe aus
„… Trotz durchaus auch beträchtlicher parteiinterner Skepsis hatten die Grünen sich bekanntlich bereits im Juni 2021 auf ihrem letzten Parteitag vor der Wahl für eine Bewaffnung von Drohnen ausgesprochen. Die SPD wiederum, auf deren Druck Ende letzten Jahres immerhin eine Bewaffnung der Heron TP auf Eis gelegt wurde, berief zunächst einmal eine Arbeitsgruppe, die sich mit dieser Angelegenheit intensiv beschäftigen sollte. Als sich deren Abschlussbericht am 12. Oktober 2021 aber für eine Bewaffnung von Drohnen aussprach, war der Weg Richtung Kampfdrohnen faktisch geebnet (…) Ganz ähnlich wie bei der Bewaffnung von Drohnen verhält es sich bei der Nuklearen Teilhabe der NATO und damit der Tatsache, dass in deren Rahmen bis heute zwischen 10 und 20 US-Atomwaffen in Deutschland (Büchel) lagern. Die Waffen stehen unter US-Kontrolle, würden im Ernstfall aber von deutschen Piloten mit ihren Tornados ins Ziel geflogen würden, was dazu beiträgt, dass die Nukleare Teilhabe in Deutschland alles andere als unumstritten ist. (…) Weil es gleichzeitig sowohl innerhalb der SPD wie auch der Grünen relativ viele KritikerInnen der Nuklearen Teilhabe gibt, ist es umso enttäuschender, dass sich der Koalitionsvertrag faktisch ohne Wenn und Aber zu diesem Konzept bekennt: „Wir werden zu Beginn der 20. Legislaturperiode ein Nachfolgesystem für das Kampfflugzeug Tornado beschaffen. Den Beschaffungs- und Zertifizierungsprozess mit Blick auf die nukleare Teilhabe Deutschlands werden wir sachlich und gewissenhaft begleiten.“ (…) Ein weiterer seit vielen Jahren hochumstrittener Punkt sind die Verteidigungsausgaben, bei denen vor allem die USA auch unter dem neuen Präsidenten Joseph Biden darauf drängen, es sollten zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) hierfür ausgegeben werden. (…) Während sich militärnahe Kreise auf die Schulter klopfen dürften, entpuppen sich Passagen wie die im Koalitionsvertrag vollmundig angekündigte „abrüstungspolitische Offensive“ bei näherer Betrachtung als Ansammlung vager Absichtserklärungen. Nur an einer Stelle wird es ein wenig konkreter, doch das macht die Sache auch nicht besser. So wird angekündigt, Deutschland werde „als Beobachter (nicht als Mitglied)“ die „Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrages“ begleiten. Sicher ist das besser als nichts, Ziel sollte aber natürlich eine Unterzeichnung des Vertrages sein, wodurch sich zum Beispiel die Nukleare Teilhabe erledigt hätte und was wohl nicht zuletzt aus diesem Grund auch nicht geschieht. (…) So bleibt auf der friedenspolitischen Habenseite des Koalitionsvertrages fast nur noch die Ankündigung eines Rüstungsexportgesetzes übrig – dessen Potenzial sollte allerdings nicht unterschätzt werden (…) Sowohl die nationalen wie auch die europäischen Rüstungskontrollrichtlinien sind dem Wortlaut nach durchaus sehr restriktiv – es fehlt allerdings bislang die Option, juristisch deren Einhaltung überprüfen und ggf. erzwingen zu können. Sollte das angekündigte Rüstungsexportgesetz diese eklatante Lücke tatsächlich schließen, wäre dies ein erheblicher Fortschritt, deshalb sollte die diesbezügliche weitere Entwicklung genau im Auge behalten werden…“ IMI-Standpunkt 2021/061 von Jürgen Wagner vom 26. November 2021