Autoritäre Aufrüstungsgelüste: Tagesthemen-Kommentator fordert Ende der politischen Kontrolle des Militärs [ein Beispiel von zu vielen]

IALANA: Buch „Krieg und Frieden in den Medien“„… Welche Blüten der absolute Wille zu Aufrüstung und militärischer Stärke treiben kann, hat am 23. März der ARD-Hauptstadtkorrespondent Georg Stempfle in einem Kommentar in den Tagesthemen verdeutlicht. (…) Die Parlamentarier*innen sollen zu Abnickern von großen Reden und ihren weitreichenden Konsequenzen werden – 100 zusätzliche Milliarden für die Bundeswehr inklusive. (…) Die Umsetzung der historischen Zeitenwende verlange einen Mentalitätswechsel bei Politiker*innen und Bürger*innen. Und schließt mit dem Satz: “Wer den [Mentalitätswandel] nicht vollzieht gefährdet die Sicherheit Deutschlands.” Mit diesem rethorischen versuch alle Abweichler*innen, wenn auch nicht wörtlich, als “Volksverräter” zu brandmarken, legt Stempfle die Axt an elemantare Grundrechte wie Mandatsfeiheit, Meinungsfreiheit und auch die ihn selbst betreffende Pressefreiheit. Damit macht sich Stempfle zum medialen Marktschreier einer autoritären Debatte, die aktuell um sich greift. (…) Für das Ziel der Kriegsbereitschaft sind sie erschreckend schnell bereit das über Bord zu werfen, wofür sie zu kämpfen vorgeben – die Demokratie.“ IMI-Standpunkt 2022/015 von Martin Kirsch vom 26. März 2022 externer Link und dazu:

  • [„Ein frühes Opfer des Krieges ist die Begrifflichkeit“] Krieg und Frieden: Entrüstet euch! New
    Das erste Opfer des Krieges, so las und hörte man zu Beginn der russischen Invasion in der Ukraine immer wieder, ist die Wahrheit. Im Krieg wird gelogen, von allen Seiten – das ist das Wesen der Kriegspropaganda. Demgegenüber sind die Medien in demokratischen Gesellschaften der Wahrheit verpflichtet. Fragen wir also, wie unsere Medien dieser Verpflichtung nachkommen. Ein frühes Opfer des Krieges ist die Begrifflichkeit, die präzise sprachliche Benennung von Sachverhalten. Wenn Russlands Präsident von einer „militärischen Spezialoperation“ spricht, ist das genauso beschönigend wie der Begriff „Operation Enduring Freedom“, deutsch „Operation andauernde Freiheit“, für den auch von der Bundesregierung unterstützten „Kampf gegen den Terrorismus“ in Afghanistan. (…)
    Auch der Ukraine-Krieg produziert jede Menge kreative Sprachschöpfungen, auf allen Seiten. Das von Kanzler Scholz in seiner „Zeitenwende“-Rede deklarierte „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro ist de facto nicht nur eine beachtliche Neuverschuldung, sondern schlicht das größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik. Wo Medien solche Begriffe ohne Anführungszeichen verwenden, übernehmen sie unkritisch das Wording der Regierung. Wenn die Grünen Hofreiter und Nouripour als beharrliche Einpeitscher zugunsten der Lieferung schwerer Waffen darauf beharren, weiterhin die „Friedenspartei“ Deutschlands zu sein und Medien ihnen das unwidersprochen durchgehen lassen, dann ist George Orwells „Neusprech“ wieder ganz nahe: „Krieg ist Frieden; Freiheit ist Sklaverei; Unwissenheit ist Stärke.“
    Militärische Erfolge sind die eine Sache, die andere ist der Sieg im Medienkrieg. Je emotionaler aufgeladen die verabreichte Information, je klarer das Feindbild, desto höher die Kriegslüsternheit der Bevölkerung. Deshalb reicht es den hiesigen Medien nicht, die russische Invasion in der Ukraine – völlig zu Recht – als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu brandmarken. Sie operieren fast immer mit zusätzlich emotionalisierenden Attributen wie „brutal“, „verbrecherisch“, „menschenverachtend“. Aber gelten die nicht für alle kriegerischen Konflikte?
    Man vermisst eine annähernd gleichrangige Informationsbereitschaft und Empörung, wenn es um Kriege geht, die von NATO, USA, Bundeswehr und anderen Alliierten Deutschlands betrieben werden. Kriege, die sich weder in ihrer Brutalität noch in Bezug auf die Schwere von Kriegsverbrechen sonderlich vom russischen Vorgehen in der Ukraine unterscheiden. Solche doppelten Standards sind nichts Neues. (…)
    Kriegsverbrechen? Deutsche Medien finden es gut, wenn schon während der Kampfhandlungen in der Ukraine Schnellgerichte über russische Täter urteilen. Auf weniger Interesse stießen dagegen die Enthüllungen von Wikileaks über US-Kriegsverbrechen im Irak. Julian Assange drohen dafür im Falle seiner Auslieferung bis zu 175 Jahre Haft. Ein Präzedenzfall, der bekanntlich verheerende Auswirkungen auf investigativen Journalismus weltweit haben könnte. Als ein Londoner Gericht Anfang Mai den formellen Auslieferungsbeschluss veröffentlichte, fiel die Berichterstattung recht dünn aus. Mehr Aufmerksamkeit widmeten deutsche Medien dem etwa zeitgleichen Haftantritt des gealterten Tennis-Idols Boris Becker. Die Auslandsberichterstattung deutscher Medien weist selbst da weiße Flecken auf, wo solide Informationen unabdingbar sind für Entscheidungen über Krieg und Frieden. (…)
    Viele Medien, egal ob privat oder öffentlich-rechtlich, agieren eher als Einpeitscher einer größtmöglichen militärischen Unterstützung der Ukraine denn als nüchtern analysierende Informationsvermittler.
    Indem der Journalismus sich auf eine Seite des Konflikts stellt, wirkt er auf gefährliche Weise polarisierend. Auf diese Erkenntnis des Friedensforschers Johan Galtung wies erst kürzlich der Kommunikationswissenschaftler Florian Zollmann im Interview mit „Übermedien“ hin. „Medien gucken dann auf den Krieg wie auf eine Sportveranstaltung: Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer? Und im Prinzip ohne konstruktive Lösungen einzubringen, ohne zu schauen: Was sind die verschiedenen Interessen, was gibt es für Lösungsstrategien und wie kann man deeskalierend wirken als Journalist?“…“ Artikel von Günter Herkel am 3. Juni 2022 bei „M – Menschen Machen Medien“ der dju externer Link
  • Siehe zum Hintergrund unser Dossier: „Die Zeitenwende“: 100 Milliarden für die Aufrüstung
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=199131
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