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Ziviler Widerstand könnte sich als Geheimwaffe der Ukraine erweisen – wenn gegen Russland und nicht den Krieg gerichtet
Dossier
„Unbewaffnete Ukrainer, die Straßenschilder austauschen, Panzer blockieren und sich dem russischen Militär entgegenstellen, beweisen ihren Mut und und ihre strategische Klugheit. (…) Während die Menschen den Schock der letzten Tage überwinden, gewinnt gerade dieser unbewaffnete Teil des Widerstands an Dynamik. (…) Diese gemeinsamen Aktionen werden oft von Bezugsgruppen durchgeführt – winzige Zellen von gleichgesinnten Freunden. In Anbetracht großer Wahrscheinlichkeit von Repressionen können diese Gruppen Kommunikationsmöglichkeiten aufbauen (in der Annahme, dass das Internet bzw. die Mobiltelefonie abgeschaltet wird) und damit ein hohes Maß an Planungsfähigkeit bewahren. Bei langfristigen Besetzungen können diese Zellen auch aus bestehenden Netzwerken – Schulen, Kirchen/Moscheen und anderen Einrichtungen – hervorgehen…“ Bericht von Daniel Hunter vom 01. März 2022 bei Lebenshaus Schwäbische Alb mit vielen Beispielen und dazu weitere (für die Repression gegen Kriegsdienstverweigerer auch in der Ukraine siehe unser Dossier: Hilfe und Asyl für russische und ukrainische Deserteure!):
- Ukraine: Proteste fordern die Rückkehr der Soldaten von der Front
„In der ukrainischen Bevölkerung wachsen die Müdigkeit und der Widerstand gegen den Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland. Am Freitag versammelten sich überall in der Ukraine Demonstrierende, um die Rückkehr von Freunden und Familienmitgliedern von der Front zu fordern. (…) Bei den Protesten in der Hauptstadt Kiew, aber auch in kleineren Städten im gesamten Land wie Ternopil, Odessa, Dnipro und anderen, äußerte sich die weit verbreitete Frustration in der Ukraine über die unaufhörliche Mobilmachung. In Kiew hatten Familienmitglieder und Freunde von Frontsoldaten ein Dokument vorbereitet, in dem sie Präsident Wolodymyr Selenskyj und General Walerij Saluschnnyj auffordern, ihnen genau mitzuteilen, wie lange Soldaten an der Front bleiben müssten. Die Demonstranten versammelten sich auf dem Unabhängigkeitsplatz und zogen zum Büro von Präsident Selenskyj, um dort ihre Forderungen vorzulegen, die u.a. eine gesetzliche Begrenzung der Militärzeit auf 18 Monate enthalten. Laut dem Aufruf dienten in der Ukraine trotz der zu Beginn des Kriegs ausgerufenen „Generalmobilmachung einige Soldaten, ohne dass ihnen die Bedingungen ihrer Entlassung bekannt sind, während andere überhaupt nicht dienen“. Weiter heißt es: „Die Ungewissheit hinsichtlich der Bedingungen des Militärdienstes führt zur Verschlechterung der Moral und des psychologischen Zustands der Soldaten, zu sozialen Spannungen zwischen Militär und Zivilisten und zur Demoralisierung der Militärangehörigen.“ Die Teilnehmerin Anastasija Tschuwakina erklärte: „Unsere Angehörigen sind seit dem 24. Februar [2022] an der Front. Viele von ihnen waren seither nicht mehr zu Hause. Ihre Familien wachen auf und gehen schlafen mit einem einzigen Gedanken, dass sie den Satz hören wollen: ,Ich bin am Leben, ich komme nach Hause.‘ Wir haben einen kollektiven Aufruf geschrieben, in dem wir darum bitten, uns die Bedingungen für den Wehrdienst und die Demobilisierung mitzuteilen, die im Einklang mit dem Gesetz und der Verfassung der Ukraine stehen müssen.“ Die Demonstranten betonten, dass sie ihre Proteste in Kiew und im gesamten Land fortsetzen werden, bis die Regierung und das Militär die Bedingungen für den Militärdienst öffentlich bekanntgeben…“ Beitrag von Jason Melanovski vom 1. November 2023 bei wsws - Pazifismus ist kein Verbrechen: Proteste und Petitionen gegen Razzia und Verhaftung des Pazifisten Yurij Sheliazhenko durch den ukrainischen Sicherheitsdienst
- Ukraine: Friedensaktivist Yurii Sheliazhenko zu Hausarrest verurteilt
„Das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung (EBCO), War Resisters’ International (WRI), der Internationale Versöhnungsbund (IFOR) und Connection e.V. verurteilen auf das Schärfste die Verurteilung von Yurii Sheliazhenko, einem bekannten Kriegsdienstverweigerer, Pazifist und Geschäftsführer der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung. Der Menschenrechtsverteidiger und Anwalt wurde am 15. August 2023 vom Solomyanskyi Bezirksgericht in Kiew unter teilweisen Hausarrest gestellt.
Yurii Sheliazhenko ist ein politischer Gefangener, der nur deshalb inhaftiert ist, weil er friedlich seine aufrichtigen pazifistischen Ansichten geäußert hat. Er sollte unverzüglich und bedingungslos freigelassen, alle Anklagen gegen ihn sollten fallen gelassen werden. Die ukrainischen Behörden sollten das Recht auf freie Meinungsäußerung respektieren und das harte Vorgehen gegen Yurii Sheliazhenko und die Ukrainische Pazifistische Bewegung einstellen.
Wir erinnern die ukrainische Regierung daran, dass Pazifismus in demokratischen Staaten kein Verbrechen ist. (…) Wir verurteilen aufs Schärfste alle Schikanen und Einschüchterungsversuche gegen Yurii Sheliazhenko und die Ukrainische Pazifistische Bewegung. Wir verurteilen ebenso scharf alle Fälle von Zwangsrekrutierung und sogar Entführung von Wehrpflichtigen für die am Krieg in der Ukraine beteiligten Armeen und alle Verfolgungen von Kriegsdienstverweigerern, Deserteuren und gewaltlosen Kriegsgegner*innen in Russland, Belarus, der Ukraine und anderswo…“ Pressemitteilung vom 18.8.2023 bei Connection e.V. - Wir protestieren gegen die rechtswidrige Durchsuchung und die Beschlagnahme der Wohnung von Yurij Sheliazhenko in Kiew
„Heute wurde in die Wohnung von Yurii Sheliazhenko eingebrochen – offenbar durch den nationalen Sicherheitsdienst der Ukraine. Yurii Sheliazhenko, PhD, ist Mitglied des Vorstandes von World BEYOND War. Er wohnt in Kiew in der Ukraine. Yurii ist Geschäftsführer der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung, Vorstandsmitglied des Europäischen Büros für Kriegsdienstverweigerung und Ratsmitglied des Internationalen Friedensbüros. Er schloss 2021 einen Master of Mediation and Conflict Management ab, nachdem er bereits 2016 einen Master of Laws an der KROK-Universität in Kiew erworben hatte. Neben seinem Engagement in der Friedensbewegung ist er Journalist, Blogger, Menschenrechtsverteidiger, Rechtswissenschaftler, Autor wissenschaftlicher Publikationen und Dozent für Rechtstheorie und Rechtsgeschichte. Außerdem moderierte er Online-Kurse von World BEYOND War. Yurii ist Preisträger des Sean-MacBride-Friedenspreises 2022 des Internationalen Friedensbüros. Yurii und die Ukrainische Pazifistische Bewegung haben sich stets gegen beide Seiten des aktuellen Krieges gestellt. Nun werden sie offenbar beschuldigt, die russische Seite zu unterstützen. Es ist sehr üblich, dass Kriegsbefürworter die Möglichkeit leugnen, gegen beide Seiten eines Krieges zu sein, und daraus fälschlicherweise schließen, dass jeder, der dies tut, in Wirklichkeit die Seite unterstützt, die der entsprechende Kriegsbefürworter ablehnt. Sie werden jedoch keine tatsächlichen Beweise dafür finden, dass Yurii je eine der beiden Seiten unterstützt hat. Wir fordern, dass Yuriis Rechte auf Kriegsdienstverweigerung und freie Meinungsäußerung von einer Nation respektiert werden, die behauptet, einen Krieg für Demokratie und Menschenrechte zu führen…“ Protest von World BEYOND War vom 3. August 2023 bei Connection e.V. mit Link zu einer Solidaritätspetition - Siehe auch die engl. Petition von World Beyond War : Tell the Ukrainian Government to Drop Prosecution of Peace Activist Yurii Sheliazhenko
- An die ukrainische Regierung: Lassen Sie die Anklage gegen Yurii Sheliazhenko fallen – Pazifismus ist kein Verbrechen
„Das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung (EBCO), War Resisters’ International (WRI), der Internationale Versöhnungsbund (IFOR) und Connection e.V. (Deutschland) verurteilen aufs Schärfste die Tatsache, dass Yurii Sheliazhenko, Geschäftsführer der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung, von der ukrainischen Regierung formell des Verbrechens der „Rechtfertigung der russischen Aggression“ angeklagt wurde. Als einziger „Beweis“ wird dafür die Erklärung der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung angeführt, die auf dem Treffen zum Internationalen Tag des Friedens am 21. September 2022 mit dem Titel „Friedensagenda für die Ukraine und die Welt“ beschlossen wurde. Darüber hinaus wird in der Erklärung die russische Aggression ausdrücklich verurteilt (…) Wir sind alle schockiert darüber, dass der ukrainische Sicherheitsdienst am 3. August 2023 in die Wohnung von Yurii Sheliazhenko eingebrochen ist und eine illegale Durchsuchung durchführte. (…) Wir erinnern die ukrainische Regierung daran, dass Pazifismus kein Verbrechen ist. Wir fordern, dass die Anklage gegen Yurii Sheliazhenko unverzüglich fallen gelassen wird und dass die Menschenrechte in vollem Umfang geschützt werden, einschließlich des Rechts auf freie Meinungsäußerung und des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung, das dem Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit innewohnt, das unter anderem in Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie in Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) garantiert wird und das auch in Zeiten des öffentlichen Notstands nicht außer Kraft gesetzt werden kann, wie in Artikel 4 Absatz 2 des ICCPR festgelegt. Yurii Sheliazhenko ist ein bekannter Kriegsdienstverweigerer, Pazifist, Menschenrechtsverteidiger und Rechtsanwalt. Wir verurteilen aufs Schärfste alle Schikanen und Einschüchterungsversuche gegen ihn und die Ukrainische Pazifistische Bewegung sowie alle Fälle von Zwangsrekrutierung und Entführung von Wehrpflichtigen für die am Krieg in der Ukraine beteiligten Armeen und alle Verfolgungen von Kriegsdienstverweigerern, Deserteuren und gewaltlosen Kriegsgegner*innen…“ Stellungnahme von Connection e.V., EBCO, WRI und Internationaler Versöhnungsbund (IFOR) vom 5. August 2023 - „Friedensorganisationen protestieren gegen die Verfolgung von Yurii @Sheliazhenko, der nach einer Wohnungsdurchsuchung wohl vom ukrainischen Geheimdienst verhaftet wurde. Yurii ist Sekretär des Ukrainian Pacifist Movement & setzt sich für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein…“ Thread von IPPNW Germany vom 4. Aug. 2023
- zur Petition von World Beyond War : „Tell the Ukrainian Government to Drop Prosecution of Peace Activist Yurii Sheliazhenko“
- und Offenem Brief des European Bureau for Conscientious Objection (engl.)
- Ukraine: Friedensaktivist Yurii Sheliazhenko zu Hausarrest verurteilt
- Der ukrainische Pazifist Ruslan Kotsaba: Kann nur ein Abkommen zwischen Putin und Biden den Krieg beenden? – „„Ich beteilige mich nicht am Krieg”
„… Beklemmung kam gestern auf im Luftschutzkeller in Berlin-Wedding. Zum Glück konnte man den unwirtlichen Ort schnell wieder verlassen. Der Besuch ist Teil einer Führung durch das Berliner Antikriegsmuseum, das in dem Haus im Berliner Wedding sein Domizil hat. Das weltweit erste Antikriegsmuseum wurde 1926 von dem Pazifisten Ernst Friedrich eröffnet und von den Nazis geschlossen. 1982 knüpfte Friedrichs Enkel Tommy Spree an die Tradition an und eröffnete das Museum erneut. Seitdem führt er mit einem Team von Freiwilligen auch durch das Haus und erklärt dessen Geschichte. Am 24. Oktober nahm mit Ruslan Kotsaba einer der bekanntesten ukrainischen Pazifisten an der Tour durch das Antikriegsmuseum teil. Kotsaba wurde bereits lange vor den Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine wegen seiner Weigerung, eine Waffe in die Hand zu nehmen, verfolgt, saß im Gefängnis und wurde von der extremen Rechten in der Ukraine angegriffen. Nachdem gegen Kotsaba weitere Anklagen vorbereitet wurden, hat er das Land mittlerweile verlassen. „Die Ukrainische Pazifistische Bewegung ist im Krieg illegal und kann nur konspirativ arbeiten Ich wurde bereits vor dem Krieg von Faschisten angriffen und am Auge verletzt, dafür wurde niemand angeklagt“, berichtet Kotsaba. Doch in der aktuellen Kriegssituation habe sich die Gefahr für ihn und die rund 100 Mitglieder der Organisation enorm verschärft. Vor dem Krieg wurden die Ultrarechten noch von den ukrainischen Behörden und Geheimdiensten kontrolliert. Diese Kontrolle gibt es jetzt nicht mehr, was das Leben für Menschen wie ihn extrem gefährlich macht. Deshalb will er auch seinen aktuellen Aufenthaltsort vorerst nicht bekannt machen. Deutschland hat wie weitere EU-Länder seinen Asylantrag übrigens abgelehnt. (…) Das überrascht Kotsaba allerdings nicht mehr. Längst hat er gemerkt, dass an den Einschätzungen und Erfahrungen von ukrainischen Pazifisten in Deutschland wenig Interesse besteht. Als besonders schmerzlich schätzt er ein, dass vor allem Linksliberale und besonders die Grünen ukrainische Pazifisten ignorieren, auch wenn diese vom Staat verfolgt und von Rechten angegriffen werden. (…) Kotsaba ist überzeugt, dass ein Ende des Krieges nur zustande kommt, wenn sich die Präsidenten Russlands und der USA auf ein Abkommen einigen. Denn längst sei schon klar, dass auf dem Territorium der Ukraine ein geopolitischer Konflikt zwischen dem Westen und Russland ausgetragen wird, auf den auch der ukrainische Präsident Selenskyi wenig Einfluss habe. (…) Aus seiner Sicht wäre es ein großer Fortschritt, wenn es auch in Deutschland mehr Kritik an Waffenlieferungen in die Ukraine gäbe. Er habe aber den Eindruck, dass sich auch linke Gruppen dazu nicht klar positionieren wollen. Manche von ihnen gehörten sogar zu den entschiedenen Befürwortern von Waffenlieferungen an das Land und sprächen dabei von Solidarität mit der Ukraine. Doch Kotsaba hält es für zynisch, wenn die Lieferung von Waffen, die vor allem die Zivilbevölkerung töten oder verletzen, als Solidarität mit der Ukraine verkauft wird. „Ich setze mich dafür ein, dass die zivile Bevölkerung nicht von den Folgen des Krieges betroffen isst. Das ist besonders in einer Zeit wichtig, in der die zivile Bevölkerung leidet, weil Russland die Infrastruktur zerstört.“ (…) Für Kotsaba sagt es viel über die Kriegsbegeisterung der Linksliberalen, wenn ein ukrainisch-nationalistischer Hassprediger wie der Schriftsteller Serhij Zhedan, der die gesamte russische Kultur der letzten Jahrhunderte mit der aktuellen Kriegsführung in Verbindung bringt und in Russen „Schweine“ und „Unrat“ sieht, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommt und von einem großen Teil der liberalen Medien bejubelt wird. Kotsaba kennt Zhedan persönlich. Er sei als Liberaler gestartet, der sich vor allem für Partys interessiert habe, bevor er sich zum ukrainischen Nationalisten wandelte…“ Beitrag von Peter Nowak vom 25. Oktober 2022 bei Telepolis , siehe auch sein Interview:- „Ich beteilige mich nicht am Krieg”
„Ruslan Kotsaba wurde 1966 geboren. Er ist Mitbegründer der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung. Wegen seiner Weigerung, eine Waffe in die Hand zu nehmen, wurde er in der Ukraine mehrmals inhaftiert und von Ultrarechten angegriffen. Mit ihm sprach Peter Nowak…“ Interview vom 26. Oktober 2022 im ND online
- „Ich beteilige mich nicht am Krieg”
- Ukraine: In vier Regionen laufen die Scheinreferenden unter Zwang – Proteste reichen von Flucht bis Demonstrationen
- „Zügig wurde mit der Durchführung der von Wladimir Putin angekündigten Scheinreferenden in den sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk sowie den von russischen Truppen besetzten Gebieten der Regionen Cherson und Saporischschja am 23. September begonnen. Bis zum Dienstagabend sollen die Einwohner:innen der Regionen darüber abstimmen, ob sie zu Russland gehören wollen. Natürlich stehen die Ergebnisse der Fake-Referenden schon seit ihrer Ankündigung fest, viele demokratische Staaten verkündeten deshalb bereits im Voraus, dass sie die Ergebnisse nicht anerkennen würden. Ukraines Präsident Wolodimir Selenski unterstrich, dass diese „Referenden“ keinerlei Einfluss auf die Bemühungen der Ukraine haben werden, ihre besetzten Gebiete zurückzuerobern, obwohl Putin damit drohte, Atomwaffen einzusetzen, da Angriffe auf diese Gebiete mit Angriffen auf Russland gleichgesetzt würden. Aus ukrainischen Medien geht hervor, dass bereits jetzt Männer aus den besetzten Gebieten für den russischen Angriffskrieg mobilisiert worden wären, nachdem sie im Eilverfahren russische Pässe für ihre Teilnahme an den Scheinreferenden erhalten hätten – dies ist auch nach russischem Recht illegal, da die Gebiete noch nicht als annektiert gelten. Selenski rief in einer Abendansprache am 23. September die Bewohner der von Russland besetzten Gebiete auf, sich „mit allen Mitteln vor der russischen Mobilmachung zu verstecken“, um der Einberufung zu entgehen. Diejenigen, die in die russische Armee eintreten, forderte der ukrainische Präsident auf, alle feindlichen Aktivitäten zu sabotieren, russische Operationen zu behindern und der ukrainischen Seite alle wichtigen Informationen, einschließlich von Stützpunkten, Hauptquartieren und Munitionsdepots, zu übermitteln. (…) In Wahrheit wird die Teilnahme an den Scheinreferenden unter der Androhung von Gewalt durch russische Soldaten erzwungen, während die besetzten Gebiete auch weiterhin unter russischem Beschuss stehen. In der Region Saporischschja werden die Stimmen von speziellen polizeibegleiteten „Brigaden“ eingesammelt, die von Haus zu Haus gehen. Jewhen Balytskyi, der von Russland ernannte Verwaltungschef der Region, begründete diesen Plan mit Sicherheitsvorkehrungen. Der Journalist Maksym Eristavi erzählt hingegen auf Twitter, dass seine Familie mit vorgehaltener Waffe gezwungen wurde, im Rahmen des russischen „Referendums“ in der Südukraine offen vor den Augen der Soldaten abzustimmen. Laut Kyiv Independent behaupte Russland, dass die Wahlbeteiligung in den zerstörten Gebieten Sievierodonetsk, Lysychansk und Rubizhne bei 41 bis 46 Prozent liegt, obwohl die meisten Menschen die Region während der Kämpfe verlassen haben. (…) Viele Menschen flüchteten in die Regionshauptstadt Saporischschja, welche unter ukrainischer Kontrolle ist. Geflüchtete berichten davon, an russischen Checkpoints durchsucht, gedemütigt und ausgeraubt worden zu sein. In dem von Russland besetzten Snihurivka in der Region Mykolaiv versammelten sich mehrere Menschen, um gegen das illegale Referendum zu protestieren. „Snihurivka war immer die Ukraine. Wir haben uns nie Russland anschließen wollen und werden es auch nicht tun“, sagen die Demonstrant:innen in einem Video.“Artikel von Anastasia Tikhomirova vom 25. September 2022 („Abstimmen unter vorgehaltener Waffe“).
- Ukrainische Friedensbewegung zum Krieg in der Ukraine: „Mehr Waffen bedeuten mehr Blutvergießen“
Jurij Scheljaschenko von der Ukrainischen Friedensbewegung im Interview der Wiener Zeitung am 17. Juni 2022 (Update 20. Juni) über gewaltfreien Widerstand, kollektive Sicherheit und seine Skepsis zu Sanktionen gegen Russland: „… Wenn wir über gewaltlosen Widerstand gegen das Militär sprechen, sollten wir verstehen, dass jene, die den Frieden lieben, sich nicht nur dem angreifenden Militär widersetzen. Vielmehr setzen sie sich gleichzeitig auch gegen das verteidigende Militär ein. Die Opfer dieses Krieges sind Zivilisten auf beiden Seiten der Fronten. (…) Es gab von Beginn an aktiven Widerstand, indem Wegweiser übermalt, Straßen blockiert oder Proteste organisiert wurden. Wichtig ist dabei jedoch, dass die Protestaktionen nicht vom Militär instrumentalisiert werden, um militärische Ziele zu erreichen. (…) Die Wahrheit ist, dass der passive Widerstand eines jener Elemente ist, die uns vor weiterer Eskalation, mehr Grausamkeiten und mehr Barbarei bewahren. Die Ukrainische Friedensbewegung kritisiert daher die Bestimmung der Regierung, wonach es Männern zwischen 18 und 60 Jahren verboten ist, die Ukraine zu verlassen. Keine Regierung hat das Recht, Zivilisten in die Kriegsanstrengungen zu verwickeln. Zivilisten haben das Recht, Zivilisten zu bleiben, ohne zur Teilnahme an Kampfhandlungen gezwungen zu werden. (…) Mehr Waffen bedeuten mehr Blutvergießen und mehr tote Zivilisten. Indem Waffen geliefert werden, befürwortet man eine militärische Lösung des Konflikts. (…) So geht das dahin, bis zur Apokalypse, wenn kein Leben mehr auf der Erde sein wird. Auf diese Weise könne der Frieden erreicht werden, wollen sie uns weismachen. Das ist natürlich Blödsinn! Stattdessen sollten wir eine gemeinsame Sicherheit entwickeln und verstehen, dass alle Menschen Teil der Sicherheit der gesamten Menschheit sein sollten. Doch kriegstreiberische Regierungen respektieren die rationale Idee der gemeinsamen Sicherheit nicht. (…) Ich weiß, so einfach, dass die Leute protestieren und gewaltfreien Widerstand leisten und dann endet der Krieg, ist es nicht. Ich wünschte, es wäre so einfach. Ich bin aber sicher: Wenn morgen auf der ganzen Welt Milliarden von Menschen auf die Straße gehen und sagen würden, die Russen sollen aufhören Ukrainer zu töten und umgekehrt, könnte ein solcher Marsch der Milliarden helfen, den Krieg zu beenden. Das ist nicht einfach, aber möglich ist es. Denken Sie an die Friedensbewegung in den 1960er Jahren in den USA, die den Vietnam-Krieg stoppte. Oder in den 1980er Jahren in Europa, als Massenproteste gegen die Stationierung von US-Raketen in Europa einen drohenden Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion verhinderten. Um unsere Welt in eine bessere mit einem friedlicheren Leben zu verwandeln, sollten wir uns dieser Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit erinnern und sie weiterentwickeln.“ - Zwei Ukrainische Gewerkschafter sterben im Kampf
„Serhiy Mykhailovych Kovalchuk
Serhiy Mykhailovych Kovalchuk, ein Mitglied der Unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft der Ukraine, wurde im Kampf gegen den russischen Aggressor getötet. Die Unabhängige Bergarbeitergewerkschaft der Ukraine, der Regionalverband Chervonohrad der NPGU und die NPG NPO des Bergwerks Lisova sind tief betroffen über den Tod eines Soldaten, der viele Jahre in einem Kohleunternehmen gearbeitet hat. Wir sprechen den Angehörigen und Freunden des Verstorbenen unser aufrichtiges Beileid für den nicht wieder gutzumachenden Verlust aus.
Serhiy Mykhailovych Kovalchuk wurde am 11. August 1976 geboren. Von 2005 bis 2019 arbeitete er im Bergwerk Lisova des staatlichen Unternehmens Lvivugol. Er lebte in Chervonohrad in der Region Lviv. Serhiy hinterlässt seine Frau und zwei Kinder.
Juri Ogorodnik
Im Kampf gegen den russischen Aggressor, bei der Verteidigung der Ukraine, in der Nähe von Charkiw, starb am 7. Mai der Elektriker des Stepowa-Untertagebergwerks des Staatsbetriebs Lwiwugol, Mitglied der Unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft der Ukraine Jurij Mykhailowytsch Ogorodnyk.
Die Unabhängige Bergarbeitergewerkschaft der Ukraine, der Regionalverband Chervonohrad der NPGU und die NPGU des Stepova-Bergwerks sind zutiefst betrübt über den Tod eines jungen Bergmannssoldaten. Wir sprechen den Eltern, Verwandten, Kollegen und Freunden des Verstorbenen unser aufrichtiges Beileid für den unersetzlichen Verlust aus.
Yuriy Ogorodnyk wurde am 6. Februar 1999 geboren. Ab 2018 arbeitete er in der Förderabteilung des Stepova-Bergwerks des staatlichen Unternehmens Lvivugol. Er wohnte in Chervonohrad, Gebiet Lviv. Im April 2019 wurde er zum Militärdienst einberufen. Ab Oktober 2020 diente er unter Vertrag bei den Streitkräften.“ Maschinenübersetzung der Meldung der KVPU vom 10. Mai 2022 am 12.5. auf engl. dokumentiert beim alternativen gewerkschaftlichen Netzwerk für Solidarität und Kampf - Erklärung der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung gegen die Fortsetzung des Krieges
„Die Ukrainische Pazifistische Bewegung ist zutiefst besorgt über das aktive Abbrennen von Brücken für eine friedliche Lösung des russisch-ukrainischen Konflikts auf beiden Seiten und die Absichtserklärungen, das Blutvergießen auf unbestimmte Zeit fortzusetzen, um bestimmte souveräne Ambitionen zu verwirklichen. Wir verurteilen die Entscheidung Russlands, am 24. Februar 2022 eine Militärinvasion in der Ukraine zu starten, die eine fatale Eskalation war und Tausende von Toten forderte, ebenso wie wir die gegenseitigen Verletzungen des Waffenstillstands von Minsk durch die russländische und die ukrainische Seite im Donbass verurteilt haben, die dieser Eskalation der Aggression Russlands vorausgingen. Wir verurteilen die gegenseitige Anerkennung der Konfliktparteien als Feinde, die den Nazis ähnlich sind, und als Kriegsverbrecher, die auf der Ebene von normativen Rechtsakten verankert und durch Propaganda unversöhnlicher Feindseligkeit unterstützt wird. (…) Wir betonen, dass die tragischen Folgen der Grausamkeit des Militärs auf keiner Seite dazu benutzt werden sollten, Hass zu schüren und neue Brutalitäten des Militärs zu rechtfertigen, sondern im Gegenteil den „Kampfgeist“ abkühlen und zu einer beharrlichen Suche nach den unblutigen Wegen anregen sollten, den Krieg zu beenden. Wir verurteilen aktive Kriegshandlungen auf beiden Seiten, unter denen Zivilpersonen leiden. Wir bestehen darauf – man muss aufhören zu schießen, das Andenken an die Toten ehren und nach gebührender Trauer ruhig, selbstlos und ehrlich Friedensverhandlungen führen. (…) Wir verurteilen die mangelnde Bereitschaft auf beiden Seiten, die Kriegshandlungen während der Verhandlungen einzustellen. Wir verurteilen die Praxis, Zivilpersonen zu zwingen, Kriegsdienst zu leisten, militärische Aufgaben auszuführen und die Armee gegen den Willen der Menschen in Russland und der Ukraine zu unterstützen. (…) Wir verurteilen die militärische Unterstützung Russlands und der NATO-Staaten, die für die militanten Radikalen in der Ukraine gewährleistet wird, die eine Eskalation des militärischen Konflikts provozieren. Wir appellieren an alle friedlichen Menschen in der Ukraine und auf der ganzen Welt, unter allen Umständen friedliche Menschen zu bleiben und anderen zu helfen, friedliche Menschen zu sein…“ Erklärung vom 17.04.2022 in dt. Übersetzung am 18. April 2022 dokumentiert bei der DFG-VK Münster (dort auch auf Russisch und Englisch) – diese Erklärung wurde auf der Online-Sitzung der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung am 17. April verabschiedet, siehe dazu auch die Sitzung auf youtube - Kampf für die ukrainische Selbstbestimmung – Interview mit Yulia Yurchenko
Die ukrainische und internationale Linke diskutiert die Frage nach Selbstbestimmung in einem Staat der zwischen den Interessen russischer und NATO angehöriger Imperialisten zerrieben wird. Zu dieser Frage hat Ashley Smith am 11. April 2022 für Spectre ein Interview mit der Politologin Dr. Yuliya Yurchenko (engl.) durchgeführt, die unter anderem 2018 das Buch „Ukraine and the Empire of Capital: From Marketization to Armed Conflict“ veröffentlichte und sich derzeit noch in der Ukraine befindet: „… Ich bin derzeit in Winnyzja, etwa auf halbem Weg zwischen Kiew und Lviv. Sie gilt als eine der ruhigeren Städte der Ukraine. Wir sind von russischen Raketen getroffen worden, aber nicht so häufig wie andere Orte. Wir haben viele Binnenflüchtlinge, die hierher geflohen sind und in Schulen, Hotels, Mietwohnungen und privat untergekommen sind. Netzwerke von Freiwilligen versorgen sie mit Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten. Seit der Verhängung des Kriegsrechts und der Beschlagnahmung von medizinischem Material für die Truppen ist der Zugang zu Medikamenten ein akutes Problem. Es ist sehr schwierig, Rezepte für Insulin und blutverdünnende Medikamente zu erhalten, wenn die Menschen ihren Hausarzt nicht aufsuchen können und die Vorräte knapp sind…“
Wachsender Widerstand gegen Kapitalismus der Oligarchen und Diktatur der Märkte
„… Wir haben die diktatorische Herrschaft der westlichen Staaten und ihrer internationalen Finanzinstitutionen (IFI) ertragen. Sie haben die Vorgaben von Francis Fukuyama aus den frühen 1990er Jahren umgesetzt, wonach der freie Markt und seine Logik des kapitalistischen Wettbewerbs entfesselt werden sollten. Die IFI gewährten Kredite unter der Bedingung, dass sich der Staat aus dem Eigentum an der Industrie und den Dienstleistungen zurückzieht, die Wirtschaft dereguliert, die Arbeitnehmerrechte schwächt und Investoren bevorzugt behandelt und schützt, um so angeblich die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu verbessern. Die neue Rolle des Staates wurde auf die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung reduziert. Mit anderen Worten: die Reichen vor den Armen zu schützen. Das Rezept des freien Marktes ist also weit davon entfernt, die Gesellschaft zu demokratisieren, und ermöglicht die autoritäre Wende, die wir in Osteuropa, Russland und der Ukraine beobachten konnten. (…) Unter den von mir geschilderten Bedingungen des oligarchischen Kapitalismus haben wir einen wachsenden zivilen Widerstand erlebt. (…) Dies hat sich im Widerstand stark ausgeweitet, da die Menschen sich gegenseitig um Solidarität und Unterstützung bitten. In den letzten Wochen haben Arbeiter:innen in verschiedenen Unternehmen es auf sich genommen, Güter zu verteilen, um die Bedürfnisse der Menschen inmitten des Krieges zu befriedigen, wofür es viele anekdotische Belege aus verschiedenen Städten gibt. So erfuhren beispielsweise die Mitarbeiter:innen eines örtlichen Lebensmittellagers, dass es Flüchtlinge gab, die Lebensmittel brauchten, oder die Lagerverwalter verschenkten Baumaterial, das für die Stadtbefestigung verwendet werden konnte. Wir sprechen von der Enteignung der Enteigner! Mitten in diesem Krieg bestätigt der Widerstand die Fähigkeit der Menschen, Veränderungen zu bewirken. Das wird nach dem Krieg wichtig sein, wenn der Kampf um den Wiederaufbau und die Frage, in wessen Interesse er erfolgen soll, zur zentralen Frage wird. Ich hoffe wirklich, dass dieser Geist der kollektiven Solidarität einen neuen Weg für die Ukraine schmieden kann, wenn diese Hölle vorbei ist. Das würde der ukrainischen Linken neue Möglichkeiten eröffnen. Wir werden unsere Sprache ein wenig anpassen müssen, damit unser Programm für Menschen, die wirklich schlechte Assoziationen mit der stalinistischen Vergangenheit haben, Sinn macht. Dennoch suchen die Menschen nach kollektiven sozialen Lösungen für die tiefgreifenden Probleme des ukrainischen und globalen Kapitalismus…“
Linker Unabhängigkeitskampf der Ukrainer:innen gegen Russland
„… Putin hat seit Jahren sehr deutlich gemacht, dass er die Ukraine nicht als eigenständige Einheit anerkennt, und in seiner jüngsten Erklärung behauptet, das Land sei von den Bolschewiken geschaffen worden. Er will die Ukraine zurückerobern, sie der russischen Herrschaft unterwerfen und verfolgt dies seit 2014 militärisch, indem er eine völlig unrechtmäßige, erfundene, gewaltsame Teilung des Landes durchführt. Die internationale Linke muss sich mit der Ukraine als unterdrückter Nation und unserem Kampf für Selbstbestimmung solidarisch zeigen. Das schließt unser Recht ein, Waffen für unsere Kämpfer:innen und Freiwilligen zu sichern, um unsere Freiheit zu gewinnen. Aber die Linke darf keine Forderungen nach einer Sperrung des Luftraums unterstützen, die im Wesentlichen eine von der NATO auferlegte Flugverbotszone bedeuten. Das würde einen Luftkrieg zwischen US-amerikanischen und europäischen Kampfflugzeugen und russischen Flugzeugen bedeuten und einen größeren Krieg zwischen Atommächten riskieren. Wir sehen was US-Interventionen in anderen Teilen der Welt wie Irak und Afghanistan angerichtet haben. Die US- und NATO-Kampfflugzeuge würden sich nicht um den Schaden scheren, den ihr Luftkrieg in der Ukraine anrichten würde. Sie würden uns befehlen, die Städte zu evakuieren, damit sie einen umfassenden militärischen Angriff auf die russischen Streitkräfte durchführen können, der unser Land weiter zerstört und dabei unweigerlich weitere Ukrainer tötet. In der Folgezeit werden wir eine Art Friedenstruppe benötigen, vielleicht UN-Friedenstruppen. Das ist jedoch schwierig, da die UNO eine grundsätzlich undemokratische Organisation ist, in deren Sicherheitsrat auch Russland vertreten ist, das ein Veto gegen eine solche Truppe einlegen kann. Aber wir brauchen internationale Streitkräfte, die einer gewissen Aufsicht unterliegen, um weitere Konflikte zu verhindern. Es muss eine neue internationale Sicherheitsordnung geschaffen werden, mit einer automatischen Suspendierung von Aggressoren, ohne Vetos, ohne ständige Mitglieder eines Sicherheitsrates, mit echten gegenseitigen Garantien, damit künftiges Leid in einer entmilitarisierten Welt verhindert werden kann.“ - Ich bin Ukrainerin – und kann kein Blau-Gelb mehr sehen
„… Der Ursprung dieser Schmerzen ist kompliziert. Also fange ich bei ihrer Wirkung an: Es ist für mich sehr schwierig, mit deutschen Bekannten über den Krieg zu reden. Und doch sprechen mich fast alle darauf an – aus einer ziemlich einheitlichen Haltung. Menschen, die bis vor Kurzem nicht wussten, welcher Fluss durch Kiew fließt oder wo das Asowsche Meer liegt, versuchen, mich über mein Land zu belehren. Und wenn ich sage, dass der Krieg – der sofort aufhören muss – auch eine Vorgeschichte hat, ernte ich Erstaunen und Kopfschütteln: Ist das nicht Putin-Propaganda? Habe ich all die herzzerreißenden Bilder aus meiner Heimat nicht gesehen? Müsste nicht gerade ich es besser wissen? Geboren wurde ich zu Sowjetzeiten auf der Krim. Meine Mutter ist ethnische Russin, der Vater Ukrainer, damals war das egal. Aufgewachsen bin ich in Kherson, studiert habe ich in Simferopol. (…) Aber was ist dann in der Ukraine los? Es wurden massenhaft Waffen in Umlauf gebracht. Man hat für den Kampf zahlreiche Häftlinge freigelassen, auch Gewalttäter und Mörder, wie jüngst in einer deutschen Zeitung stand. Laut Regierung sind ausländische Kämpfer in fünfstelliger Zahl im Land, ideologisch hoch motiviert, nicht selten rechtsradikal. Nach dem Krieg werden diese jungen Männer traumatisiert sein und zugleich euphorisch über den „Sieg“. Wer sammelt dann die Waffen wieder ein? Wer bringt die „Legionäre“ unter Kontrolle? Man muss nicht ängstlich sein, um überall, wo sich diese Kräfte dann bewegen können, wilde Rache an „Verrätern“ zu fürchten. Wer sollte das stoppen? Die Polizei und Justiz, die den Massenmord im Gewerkschaftshaus von Odessa nicht ahnden? Viele dieser Waffen werden in kriminelle Hände geraten. Auch darunter wird das Land noch lange leiden. Doch erst einmal ist offener Krieg. Wladimir Putin hat ihn begonnen. Für seinen Verlauf hat aber auch die ukrainische Seite eine Verantwortung, etwa für die Tragödie von Mariupol. Die Großstadt an der Küste ist „strategisch wichtig“. Bewohnt wird sie überwiegend von Russen, denen Kiew nicht traut. Deshalb wurde hier nach 2014 das Asow-Regiment stationiert, die rechtsradikale Folgeorganisation des militanten Flügels vom „Euromaidan“ ist ja jetzt Teil der Armee. Trotzdem scheint Kiew die Stadt kaum halten zu können. Vergangene Woche sah Präsident Wolodymyr Selenskyj „keine militärische Lösung“. Doch kurz darauf hieß es, Mariupol werde keinesfalls übergeben. Die Menschen aber wurden nicht gefragt, ob ihre Stadt einen Märtyrer-Endkampf führen soll. Wo seit 2014 das Verhältnis zur Regierung recht kühl war, entstehen jetzt Bilder, mit denen ebendiese im Westen heiße Emotionen mobilisiert. Eine enge Verwandte hat sich vergangene Woche aus Mariupol auf die Krim gerettet. Sie ist verbittert über diese Ironie: zwei Fliegen mit einer Klappe, so sieht sie das, wenn nicht noch drastischer. (…) Wenn Deutschland Blau-Gelb hisst, wenn man sich bei Unterlassung fast rechtfertigen muss, dann spüre ich in dieser „Solidarität“ auch einen Griff nach dem Land, das trotz allem mein Land ist und dem ich das Beste wünsche.“ Beitrag von Marija Hirt (Pseudonym) aus derFreitag Ausgabe 13/2022 vom 2. April 2022 - Ukraine: Patriarchal-nationalistische Arbeitsteilung und die Illusion der wirksamen militärischen Verteidigung
„Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist als demokratisch gewählter Präsident jüdischer Herkunft ein lebendiger Gegenbeweis zu Putins Propagandalüge von der faschistischen Ukraine, die „entnazifiziert“ werden müsse. Trotzdem ist eine faschistische Bewegung in der Ukraine so real wie in Deutschland und Russland, wofür etwa der heutige Kult um den Faschisten Stepan Bandera (1909–1959) in der West-Ukraine spricht, dessen Milizen an Pogromen in Lemberg 1941 gegen jüdische Zivilist*innen beteiligt waren.
Selenskyj hatte gleich in den ersten Tagen des russischen Angriffs seinen besten Fernsehauftritt, als er – der auch in Russland bekannte ehemalige Komiker – in russischer Sprache die russische Bevölkerung dazu aufrief, sich dem Krieg zu widersetzen. Seither aber reihte er sich ein in einen nationalistischen Widerstandsmythos, der schnell nur noch von nationaler Ehre, heldenhaften Kämpfen, bewaffneter Verteidigung und Guerillakrieg sprach. Am militaristischsten war seine allgemeine Mobilmachung für Ukrainer, ein staatliches Verbot der Ausreise aller Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren, an sich bereits eine staatlicherseits verübte Menschenrechtsverletzung. Es war gleichzeitig eine Rückkehr zur klassischen geschlechtlichen Arbeitsteilung im Kriegsgeschehen, nach welcher kriegerische Männer wie Selenskyj an der Front bleiben und im Wesentlichen den Krieg führen, während die Frauen in millionenfacher Mehrheit auf Flucht und Versorgung der Kinder orientiert werden, mit Ausnahme des Heranschleppens von Flaschen für den Bau von Mollis, die die männlichen Krieger dann werfen dürfen.
Und die bereits integrierten Frauen im ukrainischen Militär? Bereits seit Frühjahr 2021 sind Frauen aus bestimmten Berufsgruppen bei Strafandrohung verpflichtet, sich bei den Wehrämtern der Ukraine mustern zu lassen. Diese Meldung ging damals öffentlich unter. Nachdem das ukrainische Verteidigungsministerium aber eine Liste von 100 betroffenen Berufen bekannt gab, waren viele Frauen wütend. Denn nach der zwangsweisen Musterung sollten sie im Kriegsfall nicht zum Frontdienst, sondern zu Aushilfsdiensten einberufen werden, sowohl zugunsten der Armee als auch zu zivilen Diensten, beispielsweise Ärztinnen, Krankenschwestern oder auch Bäckerinnen. Sie sollten, so hieß es, „Lücken schließen“. Klar, aus Sicht der Militärs ist das die eigentliche Aufgabe der Soldatinnen. Seit damals sind in der ukrainischen Armee 32.000 Frauen unter Waffen, 16.000 nahmen jetzt bereits an Kampfhandlungen teil.
Aber was folgt daraus? Kann es je emanzipatives Ziel sein, alle Frauen eines Landes für die Armee zu rekrutieren? Auch noch per Kriegsdienstzwang? Dazu gibt es eine klare antimilitaristisch-gewaltfreie Haltung seit der Forderung von Alice Schwarzer in den 1970er-Jahren, Frauen in die Bundeswehr zu integrieren. Nämlich die, dass Frauen keinen Grund haben, die patriarchal-militaristischen Fehler der Männer systematisch zu wiederholen. Frauen sind und bleiben in solchen Utopien Dienerinnen einer patriarchal-nationalistischen Kriegsführung.
Nicht ohne Grund wurden durch das Ausreiseverbot für Männer im Rahmen der Fluchtbewegung nach Europa massenhaft Familien an den Grenzübergängen auseinandergerissen, weil Kriegführen in der realen Praxis des Staates Ukraine immer noch und immer wieder als Männersache angesehen wird. Der Verteidigungskrieg rekurriert wieder auf die Zurichtung heteronormativer Geschlechterrollen – und das im Geburtsland der feministischen Organisation „Femen“. (…)
Das Vorhaben, das russische Militär aus der Ukraine zu vertreiben, ist eine Illusion. Und gegen Guerillakrieg und Häuserkämpfe kann Putin auf seine Tschetschenien-Erfahrung zurückgreifen. Er wendet einfach dasselbe Mittel an wie im Zweiten Tschetschenienkrieg, den er durch Bombardierungen Grosnys und anderer Städte von 1999 bis 2009 gewann, zum Preis von etwa 80.000 getöteten Zivilist*innen und Soldaten. Die Probleme der militärischen Verteidigung und die absehbar hohe Anzahl an zivilen Opfern, die durch sie nicht verhindert werden konnten, ebnen uns aber den Weg für den Blick auf vereinzelt zum Vorschein kommende Ansätze sozialer Verteidigung.
Die War Resisters’ International veröffentlichte in ihrer Erklärung zum Krieg in der Ukraine den Absatz: „Wir rufen die ukrainische Bevölkerung auf, einer möglichen von Russland eingesetzten neuen Regierung jeden Gehorsam zu verweigern. Das nennt man Soziale Verteidigung. Wenn sich alle den Anweisungen Russlands verweigern, (…) dann kann es seine Ziele letztlich nicht erreichen.“ Was hier noch abstrakt klingt, dafür gibt es in der Ukraine durchaus Möglichkeiten und auch einen gewissen Erfahrungshintergrund. (…) Es gibt keine Garantien für den Erfolg sozialer Verteidigung, aber je länger sich eine potenzielle Besetzung der Ukraine hinzieht, und das auch noch nach einem eventuellen militärischen Erfolg der russischen Armee, desto eher hat diese Strategie Chancen auf Ausweitung und Wirksamkeit.“ Ausschnitt aus dem Artikel „Dimensionen des Krieges. Über Illusionen und Lichtblicke am Ende des Tunnels“ von Lou Marin am 28. März 2022 bei der Graswurzelrevolution online (Nr. 468 april 2022) - Gewaltfreier Widerstand im Ukraine-Krieg: Mit anderen Waffen
Die Pazifistin Christine Schweitzer ruft im Interview von Ines Wallrodt am 25. März 2022 in neues Deutschland online „die Ukraine zu sozialer statt militärischer Verteidigung auf. Warum das weder naiv noch ignorant ist. (…) Soziale Verteidigung als Konzept in der Friedensforschung wurde in den 1950er Jahren entwickelt, als angesichts der Atomwaffen deutlich wurde, dass eine Verteidigung letztendlich gar nicht mehr möglich sein würde. Einer der ersten, der diesen Vorschlag machte, war Stephen King-Hall, ein hoher britischer Offizier. Grundgedanke ist, dass auch ein Angreifer, Putschist oder Diktator in der Regel die Mitarbeit der Beherrschten braucht. Daraus ergibt sich ein Ansatzpunkt für Widerstand. Denn man kann eine solche Zusammenarbeit auch verweigern. Gewaltfreiheit oder Pazifismus sind richtig verstanden ein dritter Weg zwischen Gewalt und Nichtstun. (…) Soziale Verteidigung könnte ein Generalstreik sein wie beim Kapp-Putsch 1920 in Deutschland, als man sich dem Versuch entgegenstellte, die neue Weimarer Republik zu stürzen. In anderen Fällen, in denen autoritäre Regimes gewaltfrei beseitigt wurden, kamen vielfältige Methoden zum Einsatz, zum Beispiel bei der Befreiung Sambias von der britischen Herrschaft 1961-63, beim Sturz von Marcos in den Philippinen 1986 oder den Aufständen in Osteuropa, auch in der DDR, die das Ende des Warschauer Pakts und der Sowjetunion besiegelten. (…) In dem Moment, wo man Waffen liefert oder irgendetwas anderes tut zur Unterstützung des Krieges, übernimmt man Mitverantwortung für den Krieg und für die Gewalt. Und wenn man diese Gewalt ablehnt, hat man auch das Recht, solche Bitten abzuschlagen. So schwer es ist. Und überhaupt: In der Ukraine findet durchaus ziviler Widerstand statt. Es gibt etliche Berichte von Bürgermeistern, die sich weigern, die Anweisungen des russischen Militärs zu befolgen. Im Moment des Angriffs haben sich unbewaffnete Menschen Panzern entgegengestellt, und die Panzer haben teilweise wirklich abgedreht. Natürlich stehen sämtliche Kriegsberichte unter dem Vorbehalt, dass wir nicht wirklich überprüfen können, was stimmt. (…) Übergang zu sozialer Verteidigung heißt nicht Kapitulation. Bei einer Kapitulation akzeptiert man, dass der Besatzer das Recht und auch die Pflicht hat, für die Verwaltung und für die Bevölkerung zu sorgen. Stattdessen nimmt man hier zwar hin, dass die Truppen kommen und verzichtet auf militärischen Widerstand. Gleichzeitig beginnt man aber eine Art Volksverteidigung, nur ohne Waffen. Man wählt also in gewissem Sinne andere Waffen…“ - Ukraine-Krieg: Wer fliehen darf, wer kämpfen muss
„FDP fordert Aufnahme russischer Deserteure, ukrainische Männer ignoriert sie. Das ist bezeichnend für den deutschen Tunnelblick auf Krieg und Menschenrechte (…) „Wir fordern offene Grenzen und Unterstützung aller Kriegsdiensverweigererinnen und Kriegsdienstverweigerer sowie Deserteurinnen und Deserteure – egal welcher Seite im Konflikt sie angehören“, sagte gegenüber Telepolis der politische Geschäftsführer der Friedensorganisation DFG-VK, Michael Schulze von Glaßer. (…) Dass unter den inzwischen mehr als 160.000 Geflüchteten vor dem russischen Angriffskrieg auch einige Kriegsdienstverweigerer sein dürften, liegt auf der Hand, wird aber medial und politisch kaum thematisiert – obwohl es dafür gute Gründe gäbe. So gehen die Behörden in Tunesien Berichten nach, denen zufolge Staatsangehörige des nordafrikanischen Landes, die in der Ukraine inhaftiert waren, zwangsrekrutiert wurden, um Verbände gegen die russischen Invasoren zu verstärken. Dies habe das tunesische Außenministerium zu Beginn der vergangenen Woche bestätigt, so die panarabische Tageszeitung Asharq al-Awsat. In Spanien hatte es schon zu Jahresbeginn eine Debatte gegeben, nachdem der Oberste Gerichtshof Asyl- und Schutzanträge von Kriegsdienstverweigerern aus der Ukraine verweigert hatte. „Das Innenministerium und die Gerichte lehnen praktisch alle Asylanträge oder irgendeine Art von internationalem Schutz ab“, hieß es dazu in der Tageszeitung El Mundo. „Wenn der Militärdienst im Herkunftsland des Antragstellers verpflichtend ist, kann niemand erwarten,, dass dieses Gericht die Verletzung dieser Bürgerpflicht befürwortet“, zitierte das Blatt einen entsprechenden Beschluss. Der Vorstand der in Nürnberg ansässigen Humanistischen Vereinigung, Michael Bauer, sieht vor diesem Hintergrund Gründe für eine Aufnahme ukrainischer Kriegsdienstverweigerer. „Niemand sollte zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Dergleichen wäre mit einer humanistischen Haltung nicht vereinbar“, so Bauer gegenüber Telepolis. (…) Dass aktuell von einigen Politikern der Bundesregierung und der EU geplant wird, russischen Soldatinnen und Soldaten, die sich dem Krieg verweigern, Aufnahme und Schutz zu gewähren, begrüßt die traditionsreiche Friedensorganisation. „Dies muss aber auch für die ukrainische Seite gelten“, so Schulze von Glaßer…“ Beitrag von Harald Neuber vom 18. März 2022 bei Telepolis - Das Recht, Nein zu sagen: Männer im wehrpflichtigen Alter dürfen die Ukraine nicht verlassen. Doch das Recht, nicht zu töten, muss auch und gerade im Krieg gelten.
„Es sind herzergreifende Szenen. Ein Mann drückt seine kleine Tochter und seine Frau, die in einen Bus steigen, um zu fliehen vor dem Angriff Russlands, um Kiew, um die Ukraine zu verlassen. Es fließen Tränen, in dem Video, das in den sozialen Medien die Runde machte. Der Mann wird bleiben. Er muss. Das Land verteidigen gegen den Aggressor. Muss das so sein? Nein. Allein das archaische Geschlechterbild dahinter sollte zeigen, wie rückständig die Idee ist, irgendein Ziel durch Krieg zu erreichen. Frauen und Kinder werden in Sicherheit gebracht, während – oder besser gesagt: weil – sich Männer die Köpfe einschlagen. Auf Leben und Tod. Selbstverständlich gibt es ein Recht auf Verteidigung. Das gilt für jede angegriffene Person. Und auch für einen Staat wie die Ukraine. Sie darf sich mit allem, was sie hat, dem russischen Überfall entgegenwerfen. Aber resultiert daraus eine Pflicht zur Verteidigung? Nein. In der Ukraine aber gibt es sie, wie in vielen anderen Staaten auch. Seit dem Angriff Russlands dürfen männliche Staatsbürger zwischen 18 und 60 Jahren das Land nicht mehr verlassen, um für die Verteidigung herangezogen werden zu können. Wer es doch versucht, dem droht die Festnahme. Der ukrainische Grenzschutz meldete wiederholt, dass Mobilisierungsverweigerer an der Grenze festgenommen und den Militärbehörden überstellt wurden. Wer Nein sagt, ist illegal. Ein Deserteur. In Russland müssen junge Wehrpflichtige in den Krieg ziehen, teilweise ohne zuvor darüber informiert worden zu sein. Desertieren wird äußerst hart bestraft – russische Deserteure haben darum Anspruch auf Asyl in der EU. (…) Ein Deserteur allein wird die Welt nicht ändern. Aber Tausende? Millionen? Darin liegt die kleine, utopische Chance des Pazifismus – auch wenn er aktuell Lichtjahre davon entfernt scheint, ein Comeback zu feiern. Ist eine solche Debatte in Deutschland überhaupt angemessen? Wenn es um die Gewissensentscheidung der Ukrainer geht, sicher nicht. Die kann und muss jeder für sich vor Ort treffen. Doch mit der Lieferung von Waffen an die Ukraine ist Deutschland längst Kriegspartei. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat bereits über die Einberufung von Reservisten nachgedacht. Und mit der aktuell debattierten Wiedereinführung der Wehrpflicht würde auch die deutsche Jugend bald wieder vor der charakterbildenden Frage stehen: Kriegsdienst mit der Waffe – ja oder nein?…“ Kommentar von Gereon Asmuth vom 14. März 2022 in der taz online , siehe dazu:- Spendenaufruf – Friedenskaffee – Deserteure und Verweigerer aus der Ukraine, aus Russland und Belarus brauchen Unterstützung
“Vor wenigen Tagen hat das Quijote Kaffee Kollektiv einen Solikaffee für die Arbeit für Deserteure und Verweigerer aus Russland, Belarus und der Ukraine aufgelegt. Wir finden das großartig und danken sehr herzlich dafür. Wir nehmen dies auch zum Anlass, selbst zu Spenden aufzurufen: Unterstützen Sie Deserteur*innen, Verweiger*innen aus der Ukraine, aus Russland und Belarus. Die eingehenden Gelder werden wir ausschließlich für die Arbeit mit den Deserteur*innen und Verweiger*innen verwenden. Ziel ist es, ständige Anlauf- und Beratungsstellen in russischer und ukrainischer Sprache in Deutschland und anderen Ländern vorzuhalten, Gruppen in Russland, Belarus, Ukraine und den Nachbarländern finanziell bei dieser Arbeit zu unterstützen und ein Netzwerk für diese Arbeit aufzubauen…” Spendenaufruf der Connection e.V. vom 11. März 2022
- Spendenaufruf – Friedenskaffee – Deserteure und Verweigerer aus der Ukraine, aus Russland und Belarus brauchen Unterstützung
- Vergiftete Tapferkeit. Zum militaristischen Lob der bewaffneten ukrainischen Gegenwehr
„Gerhard Mangott, Professor für internationale Beziehungen in Innsbruck und von Medien viel gefragter Russlandexperte, stellt am 9.3. 2022 im Inforadio des RBB fest: Militärische Unterstützung für die Ukraine wird den Krieg in die Länge ziehen, gewinnen könne die Ukraine gegen die russische Armee nicht (…). „Die Ukraine sei zwar militärisch mittlerweile besser gerüstet als beim russischen Einmarsch in der Krim im Jahr 2014. Gegen die russischen Truppen hätte sie aber keine Chance“, so der Osteuropa-Experte Klaus Segbers (FU Berlin) gegenüber der Berliner Morgenpost, am 13. 2. 2022. (…) Am 6.3. erklärt der Kiewer Bürgermeister Klitschko in der ARD: „Wir werden uns verteidigen, egal was es kostet.“ Sich zu wehren, ist unterstützenswert. Aber gegen die russische Aggressoren-Armee militärisch vorzugehen, die eine überlegene Feuerkraft hat und Städte bei anhaltendem Widerstand von außen in Schutt und Asche legen kann, ist entweder Märtyrerpathos, oder es handelt sich um das rücksichtslose Opfern von allen, die noch irgendwie eine Waffe bedienen können. Diese Strategie ist darauf angelegt, die Nato zum Eingreifen und damit zum 3. Weltkrieg zu drängen. Warum aber nicht die russische Armee das Land besetzen lassen und dann zivilen Widerstand und Sabotage praktizieren? Warum sich nicht darauf einstellen, dass die russische Wirtschaft mit der neuen Mehrfachbelastung (die Mega-Sanktionen plus Kosten für Besatzung) bald völlig überfordert ist? (…) Die Ablehnung der Parole „militärischer Widerstand, egal, was es kostet“, ist keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine seitens Unbeteiligter. Spätestens bei den Ideen der polnischen Regierung zum ganz listigen Export von MiG-Kampfjets über Umwege wird deutlich, wie schnell die militärische Unterstützung für die Ukraine dazu führen kann, in einen dritten Weltkrieg hineinzustolpern – nur, weil die reaktionäre und rechtstaatliche Maßstäbe in großen Umfang verletztende polnische Regierung sich an alte offene Rechnungen mit Russland erinnert? …“ Beitrag von Meinhard Creydt vom 12. März 2022 bei Telepolis - »Die Linke im Westen muss umdenken« – Anmerkungen zum Krieg aus Kiew von Taras Bilous
Im Gespräch mit Jan Ole Arps bei ak680 vom 10. März 2022 schildert Taras Bilous , als derzeit im Kiew lebende Mitglied einer anarchistischen Gruppe, seine Sicht auf den Krieg: „… Ich bin in Kiew an einem einigermaßen sicheren Ort. Die ersten Tage des Krieges waren ein Schock. Ich war desorientiert und konnte überhaupt nichts tun. Ich habe dann versucht, mich den Landesverteidigungseinheiten anzuschließen, aber das ist im Moment gar nicht so leicht für Leute ohne Kampferfahrung wie mich. Jetzt bin ich in einer Freiwilligengruppe aus dem antiautoritär-anarchistischen Spektrum, die sich um humanitäre Hilfe kümmert und eine militärische Einheit unterstützt. Jetzt tue ich zusammen mit anderen also etwas Praktisches. Das hilft, mit der Situation klarzukommen. (…) [N]och zwei Wochen vor dem Angriff habe ich gesagt, dass eine Invasion der ganzen Ukraine sehr unwahrscheinlich ist. Ich hatte eine Offensive Russlands im Donbas erwartet, aber keine komplette Invasion, wie wir sie jetzt erleben, weil ich dachte und weiterhin denke, dass das ein Desaster für Putin und sein Regime werden wird. (…) Man kann über den Krieg unter der Prämisse der Deeskalation nachdenken, und das tun viele Linke derzeit. Aber diese Frage war vor einem Monat relevant, jetzt ist sie es nicht mehr. Der Widerspruch zwischen dem, was die russische Regierung will, und dem, was die ukrainische Gesellschaft will, ist unüberbrückbar. Ich sehe nicht, welche Einigung möglich sein sollte. Der Widerstand in der Gesellschaft gegen die russische Invasion ist so groß, Selenskyj könnte, selbst wenn er wollte, zur Zeit keine Zugeständnisse an Russland durchsetzen, es wäre für die ukrainische Gesellschaft nicht akzeptabel. Es würde einen Guerillakrieg geben. Ich denke, der Krieg kann nur noch mit der Niederlage einer Seite enden. (…) Ich habe die Hoffnung, dass die extreme Rechte nicht so stark von diesem Krieg profitiert, weil sie jetzt im Vergleich eine viel kleinere Rolle bei der Landesverteidigung spielt als 2014. Ich hoffe außerdem, dass, wenn der Krieg vorbei ist, Fragen nach sozialer Gerechtigkeit im Vordergrund stehen werden. (…) Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir uns an den Interessen der normalen Leute orientieren sollten. Aber die Situation hat sich fundamental verändert. (…) Was aus meiner Sicht noch nicht angekommen ist, ist die Einsicht, dass auch die Menschen in den Ländern zwischen dem Westen und Russland eine eigene politische Subjektivität haben und das Recht, über ihr Schicksal selbst zu entscheiden. Viele Linke im Westen machen immer noch den Fehler, diese Menschen nur aus der Perspektive der Konfrontation zwischen dem Westen und Russland zu betrachten…“ - Das Konzept der unverteidigten Städte: So können wir die Städte der Ukraine vor dem Krieg bewahren
„Das Konzept der unverteidigten Städte spielt im Ukraine-Krieg bislang keine Rolle. Dabei hat es in der Geschichte viel Leid verhindert. (…) In der Friedensbewegung wird gefordert, die Kriegslogik durch eine Friedenslogik zu ersetzen: „Deeskalation, Diplomatie, sofortige Einstellung der Kriegshandlungen, Rückzug der Waffen, Verhandlung und Vermittlung zwischen den Konfliktparteien, Schutz und Stärkung des Völkerrechts, Schaffung einer europäischen und globalen Friedensarchitektur unter Einschluss Russlands und Chinas.“ Alles alte Mahnungen, ein Reden gegen die Wand. Es fragt sich doch: Gibt es für die Menschen auf diesem Schlachtfeld keine Alternative, als in dem blutigen Kampf um die strategische Hoheit im mehr oder weniger heroischen Widerstand unterzugehen? (…) Wäre es aber nicht möglich, die Waffenstillstandsverhandlungen dadurch zu beschleunigen, dass die derzeit belagerten und am meisten gefährdeten Städte Kiew, Mariupol und Charkiw, aber auch Odessa und andere Orte sich zu „unverteidigten Stätten“ erklären? Die Haager Landkriegsordnung von 1907 hat diese Möglichkeit zum ersten Mal in Artikel 25 definiert: „Es ist untersagt, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, mit welchen Mitteln es auch sei, anzugreifen oder zu beschießen.“ So allgemein und unscharf dieser Ausweg formuliert ist, er ist während des Zweiten Weltkrieg von zahlreichen Städten in der Angst vor der brutalen Kriegsführung der Nazi gewählt worden: Rotterdam 1940, Paris, Brüssel, Belgrad 1941, Rom 1943, Orvieto, Florenz, Athen 1944 etc. Nicht immer hat diese Erklärung die Städte vor der brutalen Zerstörung durch die deutsche Armee bewahrt. So wurden Rotterdam und Belgrad von der deutschen Luftwaffe bombardiert. (…) 1977 wurde das Konzept vom ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen von 1949 in Artikel 59 fast wortgleich übernommen. Es wurden nur einige Voraussetzungen für die Erklärung in Absatz zwei hinzugefügt: So müssen alle Kombattanten sowie die beweglichen Waffen und die bewegliche militärische Ausrüstung verlegt worden sein. Militärische Anlagen oder Einrichtungen dürfen nicht zu feindseligen Handlungen benutzt werden. Behörden und Bevölkerung dürfen keine feindseligen Handlungen begehen. Schließlich darf nichts zur Unterstützung von Kriegshandlungen unternommen werden. (…) Das Konzept der „unverteidigten Orte“ ist aus dem humanitären Völkerrecht nicht getilgt worden. Es ist vergessen worden. Was spricht dagegen, es jetzt wieder hervorzuholen? Die Vereinbarung eines Waffenstillstandes ist ungewiss und mag noch lange auf sich warten lassen. (…) In der Kriegslogik mag die Übergabe der „offenen Stadt“ als Feigheit vor dem Feind gelten, in der Friedenslogik ist es die Klugheit vor einem Gegner, mit dem man sich in einer verträglichen Form auch nach dem Krieg arrangieren muss – um der Menschen willen.“ Ein völkerrechtlicher Friedensvorschlag von Norman Paech vom 10. März 2022 bei Telepolis - Siehe das Dossier zum zivilem Widerstand in der Ukraine und Russland gegen den Krieg in der Ukraine beim Bund für soziale Verteidigung
- Siehe zum Hintergrund unser Dossier: Keine Waffenlieferungen in die Ukraine! Friedenspolitik statt Krieg!
- Siehe aber auch das Dossier: Njet zum Krieg – das sagen in Russland nicht nur klassische Oppositionelle