Globales Kriegsregime: Das Desertieren neu denken. Ein Plan, wie jenseits falscher Allianzen und alter Hegemonien ein neuer Internationalismus zu gründen wäre

»Dein Jahr für Deutschland« - sag Nein!„Wir scheinen in eine Phase des endlosen Krieges eingetreten zu sein. Sie betrifft den ganzen Globus und rüttelt an den zentralen Knotenpunkten des Weltsystems. Alle zeitgenössischen Konflikte haben ihre je eigene Genealogie, ihre eigenen Wetteinsätze und Risiken, aber es lohnt sich, einen Schritt zurückzutreten, um sie in einem grösseren Zusammenhang zu sehen. Unsere Hypothese lautet, dass sich gerade ein globales Kriegsregime herausbildet – ein Regime, in dem Regierungs- und militärische Verwaltungen eng mit kapitalistischen Strukturen verflochten sind. (…) Wir schlagen also vor, diese neue Phase mit dem Begriff «Kriegsregime» zu erfassen…“ Artikel von Michael Hardt und Sandro Mezzadra in der WOZ vom 6. Juni 2024 externer Link und mehr daraus:

  • Siehe weiter im Artikel von Michael Hardt und Sandro Mezzadra in der WOZ vom 6. Juni 2024 externer Link: „… Dieses Regime ist zuallererst in der Militarisierung des Wirtschaftslebens zu erkennen und in dessen zunehmender Ausrichtung an den Anforderungen einer «nationalen Sicherheit». Nicht nur werden immer mehr öffentliche Gelder für die Aufrüstung bereitgestellt, sondern die wirtschaftliche Entwicklung als Ganzes ist auch immer stärker von Militär- und Sicherheitslogiken geprägt, wie der spanische Aktivist und Philosoph Raúl Sánchez Cedillo im Buch «Dieser Krieg endet nicht in der Ukraine» schreibt. (…) Das Kriegsregime zeigt sich aber auch in einer Militarisierung des Sozialen: manchmal explizit, indem jeder Widerstand einfach unterdrückt wird oder wenn sich plötzlich alle um eine Nationalflagge scharen. Aber es gibt auch allgemeinere Erscheinungsformen, etwa in Form eines wachsenden Autoritäts- und Machtkults auf ganz unterschiedlichen Stufen der Gesellschaft. (…) Das aufkommende Kriegsregime zeigt sich auch im scheinbar paradoxen anhaltenden Scheitern hegemonialer Kriegskampagnen. Seit mindestens einem halben Jahrhundert verlieren die USA alle ihre Kriege, von Vietnam bis Afghanistan und dem Irak, obwohl ihre Armee die am grosszügigsten finanzierte und technologisch fortgeschrittenste auf dem Planeten ist. (…) Die Kämpfe in der Ukraine und in Gaza sind zwei Beispiele dafür, wie weltweit Kapitalräume neu erschaffen werden. Schlüsselorte der Zirkulation werden unter einem Kriegsregime und durch die aktive Intervention einzelner Nationalstaaten umgestaltet. (…) Was wir erneuern und ausweiten müssen, ist eine nichtnationale Form von Internationalismus, die in der Lage ist, den globalen Kreisläufen des heutigen Kapitals entgegenzutreten; die Basis dafür liefern marxistische und panafrikanistische Traditionen. Internationalismus ist kein Kosmopolitismus: Er muss konkreter, materieller und lokaler begründet sein, nicht in abstrakten Forderungen nach Universalismus. (…) Die Desertion, die eine ganze Reihe von Fluchtpraktiken umfasst, war lange eine Taktik, die dem Widerstand gegen den Krieg vorbehalten war. Nicht nur Soldat:innen, sondern alle Mitglieder einer Gesellschaft können Widerstand leisten, indem sie sich einem Kriegsprojekt entziehen. Für Kämpfer:innen in der IDF (den israelischen Streitkräften), im russischen Heer oder in der US-Armee ist Desertion weiterhin ein bedeutsamer politischer Akt, der sich in der Praxis allerdings als sehr schwierig herausstellen kann. Dasselbe gilt für ukrainische Soldat:innen, obwohl ihre Lage nochmals sehr anders ist. Aber für diejenigen, die im Gazastreifen gefangen sind, ist Flucht schwerlich eine Option. Desertieren muss also anders gedacht werden als bisher, um aus dem aktuellen Kriegsregime auszubrechen. (…) Eine effektive Praxis benötigt als Grundlage eine kollektive Verweigerung, die international organisiert ist. (…) Internationalismus muss also von unten her entstehen, indem lokale und regionale Befreiungsprojekte Möglichkeiten finden, sich Seite an Seite zu engagieren. Aber es braucht auch einen umgekehrten Prozess: Internationalismus sollte darauf hinarbeiten, eine Sprache der Befreiung zu erschaffen, die in ganz unterschiedlichen Kontexten erkannt, verstanden, reflektiert und weiterentwickelt werden kann. Gefragt ist gewissermassen eine stetig arbeitende Übersetzungsmaschine, die heterogene Kontexte und Subjektivitäten zusammenbringen kann. Ein neuer Internationalismus sollte keine wie auch immer gestaltete weltweite homogene Form annehmen (oder auch nur anstreben), sondern vielmehr radikal unterschiedliche lokale und regionale Erfahrungen und Strukturen kombinieren. Die Zersplitterung des Weltsystems, die Auflösung strategischer Orte der Kapitalakkumulation und die kontinuierliche Verflechtung von Geopolitik und Geoökonomie: All das hat einem Kriegsregime als vorherrschender Regierungsform den Boden bereitet. Angesichts dieser Entwicklung erfordert das Projekt der Desertion nichts weniger als eine internationalistische Strategie zur Neuerschaffung der Welt.“

Siehe u.a. auch unser Dossier: Hilfe und Asyl für russische und ukrainische Deserteure!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=220957
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