Kosovo-Krieg: Türöffner für weltweites militärisches Eingreifen – Vor 20 Jahren, am 24. März 1999, begann der Kosovo-Krieg: Von Ursachen, Hintergründen und Folgen eines bis heute kaum aufgearbeiteten Ereignisses
„Galt im Kalten Krieg die Befürwortung von Aufrüstung und die Unterstützung militärischer Aktivitäten lange Zeit als eine Frage der richtigen Gesinnung, so veränderte sich dies nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Auflösung des Warschauer Pakts und der Sowjetunion. Kriege sollten fortan nicht mehr für geostrategische Interessen, sondern zum Schutz von Menschen und Menschenrechten als „humanitäre Interventionen“ geführt werden. Ohne Feindbild schien vielen die Aufgabe der NATO nur mehr im Rahmen von UNO-Einsätzen akzeptierbar. Diesem Bedeutungsverlust wollte das Transatlantische Bündnis entgegenwirken. Im öffentlichen Diskurs inszenierten sich Kriegsbefürworter nun also nicht mehr als Verteidiger eines wie auch immer zu definierenden Raumes, sondern als Beschützer der Menschenrechte. Um diese – von den Fakten häufig nicht gestützte – Position argumentativ abzusichern, griffen Interventionsbefürworter deshalb zu einem Beispiel aus der Geschichte, das oberflächlich betrachtet geeignet schien, die eigene Position zu stärken. Der argumentative Kunstgriff bestand darin, den Widerstand gegen eine Militärintervention in den 1990er Jahren mit der Unterstützung der sogenannten Appeasement-Politik der 1930er Jahre zu verknüpfen. (…) Westliche Werte oder der Verweis auf die Menschenrechte sind dabei häufig nur der äußere Schein, der von den im Kern geostrategisch und ökonomisch geprägten Interessen des Bündnisses ablenken soll. Und hier schließt sich ein Kreis, der mit der antiserbischen Haltung im jugoslawischen Bürgerkrieg ab 1992 begonnen hatte, mit der Umwandlung der NATO von Verteidigung zu Intervention anlässlich des 50-sten Geburtstags des Bündnisses im April 1999 auf dem Höhepunkt des Kosovo-Krieges fortgesetzt wurde und durch weitere Kriege und Krisen bis in die Gegenwart andauert. Die Rivalität mit Russland und China (die ihrerseits keineswegs „die Guten“ sind, sich politisch und militärisch ähnlich verhalten und untereinander eher durch einen gemeinsamen Feind als durch gemeinsame Interessen zusammengehalten werden) hat einen neuen Kalten Krieg hervorgebracht, für dessen Entstehung das Transatlantische Bündnis zwar nicht die alleinige, aber doch die maßgebliche Verantwortung trägt. Dies hat zur Folge, dass die Existenz der NATO – die 1949 mit dem Anspruch gegründet worden war, Westeuropa vor dem Ausdehnen des Kommunismus zu schützen – auch 30 Jahre nach Ende des Kommunismus in Mitteleuropa und 28 Jahre nach der Selbstauflösung des langjährigen militärischen Rivalen Warschauer Pakt im öffentlichen Diskurs ihrer Mitgliedsländer nahezu unumstritten ist. Dadurch blieb eine Chance auf eine friedlichere, weniger militärische Welt nach 1991 ungenutzt…“ Artikel von Kurt Gritsch vom 9. April 2019 bei Telepolis , siehe den Kosovo-Krieg und Proteste im LabourNet-Archiv