Neue Verordnung SIS II: Europol wird Quasi-Geheimdienst

Dossier

Datenschutz - Grafik von "Frosch"… Europol soll zu einer Anlaufstelle für „Big Data“ werden. Die Polizeiagentur könnte personenbezogene Daten nach Beschluss der Verordnung direkt von privaten Parteien entgegennehmen und mit eigenen Beständen oder Datenbanken wie dem SIS II abgleichen. Anschließend ermittelt Europol, welche Mitgliedstaaten an diesen Datensätzen Interesse haben könnten, und leitet diese an die dortigen Strafverfolgungsbehörden weiter. (…) Chloé Berthélémy von der digitalen Bürgerrchtsorganisation „European Digital Rights“ (EDRi) beschreibt die neuen Europol-Methoden in einem Kommentar auf der EU-Nachrichtenwebseite „Euractiv“ externer Link als „NSA-ähnliche“ Überwachungsmaßnahmen. Kritische Schutzmechanismen im Strafprozessrecht und die Unschuldsvermutung würden dabei umgangen. Das ist auf keinen Fall übertrieben, denn Europol erhält in zunehmendem Maße auch auf direktem Wege Daten von Geheimdiensten…“ Artikel von Matthias Monroy vom 02.07.2021 bei Netzpolitik externer Link und dazu:

  • Schengener Informationssystem (SIS): EU-Fahndungsdatenbank in neuer Version. Zahl europaweit ausgeschriebener Personen überschreitet Millionengrenze New
    „Die EU-Kommission hat heute das aktualisierte Schengener Informationssystem (SIS) in Betrieb genommen. Nach einer Änderung der Verordnung wird diese größte europäische Fahndungsdatenbank um neue Ausschreibungskategorien erweitert. Zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus kann etwa nach »unbekannten gesuchten Personen« anhand ihrer Fingerabdrücke gefahndet werden. Zu den Neuerungen gehört auch die Suche nach vermissten Personen anhand biometrischer Daten, darunter auch Handabdrücke und DNA-Datensätze. Zu »gefährdeten Personen« können außerdem »Präventivwarnungen« in das SIS eingetragen werden. Dies betrifft etwa Kinder, denen die Entführung droht oder potenzielle Opfer von Terrorismus, Menschenhandel, geschlechtsspezifischer Gewalt sowie »bewaffneten Feindseligkeiten. (…) Die EU-Kommission lobt das SIS meist als Fahndungssystem im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen, etwa für von der Polizei zur Festnahme gesuchte Personen, Vermisste sowie Autos und Schusswaffen. (…) Die Kommission verschweigt jedoch, dass sich das SIS hauptsächlich gegen abgelehnte Asylsuchende richtet. Über die Hälfte der Personenfahndungen betreffen gemäß Artikel 24 des SIS II-Beschlusses sogenannte «Drittausländer», die zur Einreiseverweigerung oder Ausweisung ausgeschrieben sind. Ein solcher Eintrag kann etwa nach einer Abschiebung erfolgen. Dieser Zweck zur Migrationsabwehr wird mit den heute eingeführten, aktualisierten Funktionen sogar noch erweitert. Neben Europol und den nationalen Einwanderungsbehörden erhält nun auch die Grenzagentur Frontex Zugang zu allen Ausschreibungskategorien im SIS. Zur «Verhinderung und Abschreckung irregulärer Migration» werden außerdem sogenannte Rückführungsentscheidungen Teil der im System ausgetauschten Informationen. Damit können abgelehnte Asylbewerber auch bei einer Polizeikontrolle festgestellt werden. Die Staaten können damit auch verfolgen, ob die «zurückzuführende Person» das EU-Gebiet tatsächlich verlassen hat. (…) Jedoch ist das SIS auch ein nützliches Fahndungssystem für europäische Geheimdienste. Zusammen mit Polizeien können sie dort verdeckte oder offene Fahndungen nach Artikel 36 eintragen, bei denen die Betroffenen nicht verhaftet oder festgehalten werden. Geraten diese in eine Polizei- oder Grenzkontrolle, erfolgt eine Meldung an die ausschreibende Behörde. Diese erhält dann Angaben zur Reiseroute, dem genutzten Verkehrsmittel und Mitreisenden. (…) Der neueste Trend ist jedoch die Abfrage durch Kennzeichenscanner, wie sie in immer mehr Ländern am Rande der Autobahn aufgestellt werden. Die vorbeifahrenden Fahrzeuge werden dabei automatisch mit nationalen Polizeidatenbanken sowie dem SIS abgeglichen. Diese automatisierten Abfragen haben sich im letzten Jahr in etwa verdoppelt. So entwickelt sich das SIS immer mehr zum Bevölkerungsscanner, der mit seinen alten und neuen Funktionen eigentlich deutlich mehr Kritik verdient hätte.“ Artikel von Matthias Monroy vom 7. März 2023 in Neues Deutschland online externer Link
  • Schengener Informationssystem: Verfassungsschutz mit erweiterter Fahndungsbefugnis. Das Bundeskriminalamt soll demnächst europaweite Fahndungen für Geheimdienste ausschreiben 
    „Im Jahr 2018 wurden neue Verordnungen zum Schengener Informationssystem verabschiedet ((EU) 2018/1860, (EU)2018/1861, (EU)2018/1862), mit denen der Umfang der im Schengener Informationssystem (SIS) gespeicherten Daten sowohl inhaltlich – etwa hinsichtlich ausreisepflichtiger Drittstaatsangehöriger – als auch bezüglich der erfassten Daten – Fingerabdrücke, DNA-Profile, und weitere – deutlich erweitert wurde. (…) Die Verordnungen sind zwar unmittelbar geltendes Recht, müssen also als solche nicht in nationales Recht überführt und umgesetzt werden. Allerdings müssen dennoch Verweise in Gesetzen angepasst und die spiegelbildlichen Befugnisse zum Zugriff auf das SIS in den Fachgesetzen der diversen Behörden geschaffen werden. Mit ihrem Gesetzentwurf auf Bundestagsdrucksache 20/3707 hat die Bundesregierung hierfür einen entsprechenden Regelungsvorschlag gemacht. (…) Schließlich soll nun auch die Bundespolizei die Befugnis zur Ausschreibung von Personen zur verdeckten Kontrolle erhalten. (…) Der Gesetzentwurf erweitert für das Bundeskriminalamt allerdings noch eine weitere Aufgabe, die bislang wenig Aufmerksamkeit erfahren hat: Die kriminalpolizeiliche Behörde soll für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) und den Bundesnachrichtendienst (BND) Ausschreibungen zur verdeckten Kontrolle nach Art. 36 Abs. 1 und 4 der Verordnung (EU) 2018/1862 vornehmen. (…) Dabei handelt es sich um einen klaren Verstoß gegen das Trennungsgebot von Polizei und Nachrichtendiensten in der Bundesrepublik. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer aktuellen Entscheidung (siehe Verfassungsschutz verletzt Trennungsgebot) seine Rechtsprechung zum (informationellen) Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten bestätigt und vertieft. Kern des Trennungsgebotes ist, dass die Geheimdienste in Deutschland keine dem Polizeirecht vergleichbaren Befugnisse haben dürfen, mit Zwangsmitteln in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger einzugreifen. (…) Die Bundesregierung meint in ihrer Gesetzesbegründung über diese Durchbrechung des Trennungsgebots hinwegtäuschen zu können, indem sie behauptet, eine „Befugniserweiterung“ gehe „mit den Änderungen nicht einher“, es handele sich bloß um ein „Übermittlungsersuchen“ an eine andere Behörde. Damit widerspricht die Bundesregierung aber schon der Gesetzeslage: denn in § 17 Abs. BVerfSchG ist klar geregelt, dass nur solche Daten übermittelt werden dürfen, „die bei der ersuchten Behörde bekannt sind“. Es ist aber genau Zweck der verdeckten Ausschreibung, eine Information zu erheben, die ansonsten der ersuchten Behörde nicht bekannt wäre – nämlich zum Aufenthaltsort einer polizeilich nicht bekannten Person. Auch sonst täuscht die Bundesregierung in der Gesetzesbegründung mit ihrer Behauptung, der Text werde „aus Gründen der Rechtsklarheit redaktionell leicht angepasst“, indem die Formulierung „zur Mitteilung über das Antreffen“ durch „zur verdeckten Kontrolle“ ersetzt werde. Hierzu bestimmt die Verordnung in ihrer Bestimmung der „verdeckten Kontrolle“: sie „umfasst die verdeckte Erhebung möglichst vieler der in Abs. 1 aufgeführten Informationen“. Das ist je nach Fleiß und Geschick der (Grenz-)Beamt*innen unter Umständen deutlich mehr als die Information über das bloße „Antreffen“, nämlich Reiseroute, Begleitpersonen, mitgeführte Sachen und Reisedokumente und alle benötigten Informationen, die mit ausgeschrieben wurden. Jedenfalls enthält der Gesetzentwurf keine Formulierung, die eine solche Nutzung der „verdeckten Kontrolle“ auf die bloße Feststellung des Antreffens einschränken würde. Für ein Vertrauen darauf, dass die Dienste nicht so weitgehend wie möglich vom Wortlaut der Regelung Gebrauch machen, besteht sicherlich kein Anlass. Der Gesetzentwurf wurde am 9. November im Ausschuss für Inneres und Heimat des Bundestages ohne Debatte beraten und dem Plenum des Bundestages zur Zustimmung empfohlen. In den nächsten Wochen wird im Bundestag dann die abschließende Beratung und Beschlussfassung stattfinden.“ Beitrag von Dirk Burczyk vom 21. November 2022 bei cilip.de externer Link
  • EU-Datenschützer klagt gegen Europol-Befugnis zur Massenüberwachung: Europol darf per neuem Mandat auch Daten Unverdächtiger im großen Stil auswerten 
    „… Der EU-Datenschutzbeauftragte Wojciech Wiewiórowski treibt den langjährigen Streit über das Anhäufen riesiger Datenberge und Big-Data-Analysen durch Europol auf die Spitze: Er beantragte nach eigenen Angaben am 16. September, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) zwei einschlägige Bestimmungen der jüngst geänderten Europol-Verordnung für nichtig erklärt. Die Artikel 74a und 74b hätten den Effekt, „dass sie rückwirkend die Praxis von Europol legalisieren, große Mengen an personenbezogenen Daten von Personen zu verarbeiten, ohne dass eine Verbindung zu einer kriminellen Aktivität nachgewiesen ist“. (…) Die umkämpfte neue Europol-Verordnung ist Ende Juni in Kraft getreten. Das Mandat für das Europäische Polizeiamt erweiterten die EU-Gesetzgeber mit der Reform deutlich. Seine Ermittler dürfen so künftig umfangreiche und komplexe Datensätze verarbeiten und mit Big-Data-Analysen die Mitgliedstaaten in ihrem Kampf gegen schwere Kriminalität und Terrorismus unterstützen. Vor allem nationale Strafverfolgungsbehörden wie das Bundeskriminalamt (BKA) oder die französische Nationalpolizei beliefern Europol schon seit Jahren mit großen Mengen an Daten. Der Datenspeicher des Polizeiamts umfasst Schätzungen zufolge spätestens mit dem Unterwandern der verschlüsselten Kommunikationsdienste Sky ECC und Encrochat mittlerweile insgesamt mindestens vier Petabyte. Schon 2020 hatte Wiewiórowski gerügt, dass Europol-Ermittler mit dem Sammeln und Analysieren nicht mehr überschaubarer Datenmengen ihre Befugnisse überschritten und rechtswidrig gehandelt hätten. Unverdächtige wie Opfer, Zeugen oder Kontaktpersonen liefen damit Gefahr, „unrechtmäßig mit einer kriminellen Aktivität in der gesamten EU in Verbindung gebracht zu werden“. (…) Europol selbst beschrieb ihre neuen Kompetenzen vor Kurzem so: Man sei nun in der Lage, „personenbezogene Daten ohne die Kategorisierung der betroffenen Person zu verarbeiten, solange und wann immer dies für die Unterstützung einer bestimmten laufenden strafrechtlichen Ermittlung erforderlich ist“. Dies spiele allem für den Umgang mit großen und komplexen Datensätzen eine wichtige Rolle, die erst kategorisiert werden könnten, „wenn die relevanten Informationen extrahiert und analysiert“ worden seien.“ Beitrag von Stefan Krempl vom 22. September 2022 bei heise online externer Link, siehe auch:

    • Klage von Datenschützer: Europols riesige Datenberge landen vor EU-Gericht
      „… Europol muss sich wegen seines riesigen Bergs an Ermittlungsdaten vor dem Europäischen Gerichtshof verantworten. Am heutigen Donnerstag brachte der Europäische Datenschutzbeauftragte Wojciech Wiewiórowski eine Klage gegen Europols Datensammlung ein. Wiewiórowski möchte damit die Löschung der rechtswidrig von Europol gespeicherten Daten durchsetzen. (…) Die Daten stammen aus laufenden und abgeschlossenen Verfahren – vieles davon dürfte nach nationalen Gesetzen der Mitgliedstaaten gar nicht mehr gespeichert werden. Bei Europol haben Ermittlungsbehörden allerdings weiterhin Zugriff darauf. Der Spiegel nannte das in einer investigativen Recherche gemeinsam mit anderen europäischen Medien „Europas Datenmonster“. Geparkt sind bei Europol etwa Ermittlungsakten über den niederländischen Aktivisten Frank van der Linde, der aus fragwürdigen Gründen auf einer EU-weiten Liste von Terrorverdächtigen landete. Trotz mehrmaliger Aufforderungen des EU-Datenschutzbeauftragten weigert sich Europol, van der Lindes Daten herauszugeben. Der Datenschutzbeauftragte hatte bereits im Januar die Löschung der anlasslos gespeicherten Daten angeordnet – allerdings änderten die EU-Gesetzgeber daraufhin rasch die Europol-Verordnung, um die Datensammlung nachträglich zu legalisieren. Kritiker:innen aus dem Europäischen Parlament und aus der Zivilgesellschaft warnten, Europol erhalte durch das neue Gesetz Überwachungskompetenzen wie der US-Geheimdienst NSA, darunter die Speicherung großer Datenmengen auf Vorrat. (…) In einer Pressemitteilung formuliert Wiewiórowski eine ungewöhnlich scharfe Warnung: „Die Datenschutzaufsichtsbehörden, in diesem Fall der [EU-Datenschutzbeauftragte], könnten gezwungen werden, politische Präferenzen zu berücksichtigen, oder sie könnten in einer Weise unangemessenem politischen Druck ausgesetzt sein, der ihre in der EU-Grundrechtecharta verankerte Unabhängigkeit untergräbt.“ Beitrag von Alexander Fanta vom 22. September 2022 bei Netzpolitik.org externer Link
  • Europols Mandat zur Massenüberwachung tritt in Kraft – Jetzt ist es offiziell: Europol darf auch Daten unverdächtiger Personen im großen Stil auswerten 
    „… Die umstrittene neue Europol-Verordnung ist am Montag im EU-Amtsblatt veröffentlicht worden und damit am Dienstag in Kraft getreten. Die EU-Gesetzgeber haben die Befugnisse der Europäischen Polizeibehörde mit der Reform deutlich erweitert. Europol-Ermittler dürfen künftig umfangreiche und komplexe Datensätze verarbeiten und sollen mit Big-Data-Analysen die Mitgliedstaaten im Kampf gegen schwere Kriminalität und Terrorismus unterstützen. Nationale Strafverfolgungsbehörden wie das Bundeskriminalamt (BKA) oder die französische Nationalpolizei beliefern Europol schon seit Jahren mit großen Datenmengen. Die Den Haag sitzende Behörde half europäischen Justiz- und Strafverfolgungsbehörden etwa den verschlüsselten Kommunikationsdienst des kanadischen Anbieters Sky ECC zu unterwandern. Allein dieser Coup soll Einblicke in hunderte Millionen Nachrichten ermöglicht haben. Zuvor war der ähnlich ausgerichtete Provider Encrochat geknackt worden. Der Europol-Datenspeicher umfasst Schätzungen zufolge so mittlerweile insgesamt mindestens vier Petabyte. (…) Europol beschreibt seine neuen Kompetenzen selbst so: Man sei nun in der Lage, „personenbezogene Daten ohne die Kategorisierung der betroffenen Person zu verarbeiten, solange und wann immer dies für die Unterstützung einer bestimmten laufenden strafrechtlichen Ermittlung erforderlich ist“. Dies sei vor allem für den Umgang mit großen und komplexen Datensätzen von Bedeutung, die erst kategorisiert werden könnten, „wenn die relevanten Informationen extrahiert und analysiert“ worden seien. Eine Übergangsregelung legt die Bedingungen für Daten fest, die von Europol bereits vor der Änderung der Verordnung erhoben wurden. Die Mitgliedstaaten, die EU-Staatsanwaltschaft und die Justizbehörde Eurojust können erklären, dass die neuen Regeln auch auf Daten angewendet werden sollen, die vor der Reform übermittelt wurden. Europol darf die Altbestände dann weiter nutzen. Bürgerrechtler kritisieren, dass damit auch illegale Datenverarbeitungen „rückwirkend legalisiert“ würden. (…) [Der EU-Datenschutzbeauftragte Wojciech] Wiewiórowski beklagte daher am Montag, die Änderungen schwächten die Grundrechte der Bürger und seine Kontrollbefugnisse gleichermaßen. Er habe „starke Zweifel“, ob die nachträgliche Autorisierung zum Speichern und Auswerten bereits übersandter Datenbestände rechtmäßig sei…“ Beitrag von Stefan Krempl vom 29. Juni 2022 bei heise online externer Link
  • Europol wird zur Big-Data-Polizei: Nach dem heutigen Beschluss der EU-Innenminister gilt im Juni das neue Europol-Gesetz 
    „… Ende 2020 hatte die Kommission ihren Vorschlag für die neue Verordnung vorgelegt, im Mai dieses Jahres haben sich die drei EU-Beschlussfassungsorgane auf eine finale Version geeinigt. Nach dem Parlament haben heute (24. Mai 2022) auch die EU-Innenminister die finale Version bestätigt. Nun fehlt nur noch die Veröffentlichung im Amtsblatt, dann gilt das neue Gesetz. (…) Europol hatte bereits [2009] das zentralisierte Europol-Informationssystem (EIS) eingerichtet. Es wird von den Polizeien der Mitgliedstaaten befüllt und speichert Verdächtige oder „potenzielle künftige Straftäter“. Als Fundstellennachweis funktioniert das EIS im Treffer/Kein-Treffer-Prinzip, die Beteiligten können darüber erfahren, ob bei Europol, einem der EU-Mitgliedstaaten oder Kooperationspartnern wie Interpol ein korrelierender Datensatz vorhanden ist. (…) Derzeit liegen im EIS rund 1,5 Millionen Einträge zu Personen, Sachen oder Vorgängen, davon rund ein Drittel aus Deutschland. 2021 haben die Behörden darin mehr als 12 Millionen Suchanfragen durchgeführt, 2020 waren es noch zehn Millionen. 76 Prozent dieser Abfragen stammten letztes Jahr aus Deutschland. Mit verschiedenen Analyseprojekten (AP) darf Europol seit 2009 zudem grenzüberschreitende Falldateien führen und die dort enthaltenen Informationen „prädiktiv“ analysieren. (…) Der amtierende polnische EDSB Wojciech Wiewiórowski hatte festgestellt, dass Europol in großem Maße Informationen auch von Unverdächtigen speichert und verarbeitet, darunter etwa Kontaktpersonen mutmaßlicher Straftäter. Laut der britischen Tageszeitung The Guardian soll es sich dabei um vier Billiarden Byte handeln. Wiewiórowski hatte Europol deshalb angewiesen, diese Daten sofort zu löschen. Mit der nun geltenden neuen Verordnung wird diese rechtswidrige Speicherpraxis jedoch rückwirkend legalisiert. Europol soll alle personenbezogenen Daten außerdem für mindestens 18 Monate aufbewahren dürfen, wenn sie noch nicht auf ihren Inhalt analysiert wurden. Diese Frist darf Europol auf bis zu drei Jahre verlängern, ohne den Datenschutzbeauftragten um Erlaubnis zu fragen. (…) [Auch] ohne hoheitliche Befugnisse in den Mitgliedstaaten befindet sich Europol auf dem Weg zu einem „europäischen FBI“, und zwar als eine Art Quasi-Geheimdienst. Die neue Verordnung gibt der Polizeiagentur weitere Kompetenzen zur Sammlung und Auswertung von Massendaten, die von Privaten stammen. (…) Europol wird außerdem die Zusammenarbeit auch mit ausländischen Geheimdiensten erlaubt. Die Agentur soll etwa Listen mit Personenfahndungen aus Drittstaaten verarbeiten, damit diese von in das Schengener Informationssystem (SIS II) zur Festnahme oder heimlichen Beobachtung eingegeben werden. (…) Es ist nicht zu erwarten, dass die nun gültige Verordnung das Kontrolldefizit bei Europol behebt. Da ist es ein schwacher Trost, dass darin nun auch mehr Auskunftsrechte verankert sind. Zukünftig soll es Bürgern aller EU-Mitgliedstaaten möglich sein, bei Europol Auskunft zu dort gespeicherten Daten über die eigene Person zu erhalten. Diese Auskünfte können jedoch auch verweigert werden.“ Analyse von Matthias Monroy vom 24. Mai 2022 bei golem.de externer Link
  • Neue Europol-Verordnung: EU-Mitgliedstaaten wollen Parlament mit Zeitstempel überrumpeln 
    „Jahrelang speichert die Polizeiagentur Datenhalden zu Opfern und Zeug:innen von Straftaten. Mit einer neuen Gesetzgebung wird diese Praxis legalisiert. Für Informationen, die Europol vor deren Inkrafttreten gesammelt hat, soll nun eine Ausnahme gelten. Nach einem Vorschlag der EU-Kommission für eine neue Europol-Verordnung soll die EU-Polizeibehörde noch weitreichendere Kompetenzen für ihre Datensammlungen erhalten. Vorgesehen ist ein Artikel 18a, wonach Europol personenbezogene Daten zu Opfern und Zeug:innen von Straftaten für einen längeren Zeitraum behalten darf. Gemäß der derzeitigen Verordnung ist dies nicht erlaubt. Vor drei Wochen hat der Europäische Datenschutzbeauftragte Wojciech Wiewiórowski Europol deshalb angewiesen, mehr als ein Jahr alte Datensätze zu dieser Kategorie zu löschen. Die weitere Speicherung ist demnach nur für Daten von Straftäter:innen möglich. Mit einem Trick wollen die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten diese Anordnung nun aushebeln. So soll die neue Verordnung die fragwürdige Speicherpraxis zu Opfern und Zeug:innen auch rückwirkend erlauben. (…) Die Polizeibehörden, von denen die Informationen bei Europol stammen, sollen dem Vorschlag des Rates zufolge ein zweites Mal ihr Einverständnis für die fortgesetzte Speicherung erteilen. Die Daten erhalten auf diese Weise einen neuen Zeitstempel, wodurch sich auch die Aufbewahrungsfrist verlängert. In einem Erwägungsgrund zu den gegenwärtigen Verhandlungen geht der Rat sogar noch einen Schritt weiter. So soll Europol auch jene personenbezogenen Daten für mindestens 18 Monate behalten dürfen, die von den Ermittler:innen in Den Haag noch nicht auf ihren Inhalt analysiert wurden. Europol wäre es überdies erlaubt, diese Frist auf bis zu drei Jahre zu verlängern. Hierzu soll der Datenschutzbeauftragte unterrichtet, aber nicht um Erlaubnis gefragt werden. (…) Die neue Europol-Verordnung soll noch in diesem Jahr beschlossen werden. Die darin enthaltenen Bestimmungen werden derzeit zwischen dem Rat und dem Parlament diskutiert. (…) Am 1. Februar findet dann der erste „politische Trilog“ statt. Vorher müssen die Verhandler:innen von Rat und Parlament aber weitere schwierige Themen abräumen. Eines dieser „Pakete“ betrifft die Erlaubnis, dass Europol in einem Mitgliedstaat Ermittlungen beantragen kann auch wenn es sich nicht um einen grenzüberschreitenden Fall handelt…“ Beitrag von Matthias Monroy vom 25. Januar 2022 bei Netzpolitik.org externer Link
  • Verhandlungen zur Europol-Verordnung: Gibt es bis Jahresende ein „europäisches FBI“? 
    Europol soll selbst polizeiliche Fahndungen vornehmen und große Mengen an Daten von Firmen anfordern dürfen, dabei „künstliche Intelligenz“ einsetzen. Außerdem koordiniert die Polizeiagentur Spezialeinheiten und arbeitet mit ausländischen Geheimdiensten zusammen. Das Europäische Parlament, die Kommission und der Rat haben heute mit dem sogenannten Trilog-Verfahren für eine neue Europol-Verordnung begonnen. Die Polizeiagentur mit Sitz in Den Haag könnte demnach deutlich mehr Kompetenzen erhalten. Festgeschrieben wird etwa, dass Europol die polizeilichen Spezialeinheiten der Mitgliedstaaten im ATLAS-Verbund koordiniert, der Europäischen Staatsanwaltschaft „jedes strafbare Verhalten“ in der Zuständigkeit von Europol meldet und die Mitgliedstaaten bei der Reaktion auf Cyberangriffe unterstützt. Einen entsprechenden Vorschlag zur Änderung der geltenden Verordnung hat die Kommission im vergangenen Dezember vorgelegt. Die wesentlichen Änderungen sind im Titel des Gesetzestextes benannt: Es geht um die Zusammenarbeit von Europol mit privaten Parteien, die verstärkte Verarbeitung personenbezogener Daten und die Rolle in Forschung und Innovation. (…) Europol soll „Anlaufstelle“ für die Entgegennahme dieser Daten werden und diese dann mit Anwendungen zu „Big Data“ selbst analysieren. Wohin das führt, hat die Agentur in den Ermittlungen zu den verschlüsselten Telefonnetzwerken „EnchroChat“ und „Sky ECC“ sowie der vom FBI gegründeten Tarnfirma „ANOM“ deutlich gemacht. Europol hat hierzu Gemeinsame Ermittlungsgruppen eingerichtet und nach eigenen Angaben „Hunderte von Millionen von Nachrichten“ erhalten, verarbeitet und an Mitgliedstaaten verteilt. Der Rat will außerdem die Zusammenarbeit mit „wichtigen Drittstaaten“ ausweiten und geht damit über den Kommissionsvorschlag hinaus. Ob in den Länder der Datenschutz garantiert ist, soll Europol selbst bewerten. Entsprechende Abkommen sind etwa mit der Türkei und Israel geplant…“ Artikel von Matthias Monroy vom 27.10.2021 bei Netzpolitik externer Link

Siehe dazu auch im LabourNet:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=191512
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